Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das zweiundfünfzigste Kapitel

In dem der Tod weiterhin die Erklärung abgibt, daß gegen ihn kein Kraut gewachsen sei

 

Auch das Mädchen erkrankte und die Großmutter ließ, um allen Vorwürfen des seltsamen Schwiegersohnes zuvorzukommen, zwanzig heilige Messen lesen und verordnete die berühmte Kräuterreinigungskur des Schäfers Sixt Durlacher von Maria Eich. Und dann zahlte sie heimlich dem Doktor die abhanden gekommene Klistierspritze und demütigte sich so weit, daß sie den Mann kommen ließ und um seinen Rat befragte. Aber er tat erzürnt und ließ in seiner unverschämten Art durchblicken, daß er nicht gerne mit Schäfern, Schindern und Scharfrichtern zusammenarbeite – wenn er auch versuchen wolle, was bei diesem heillosen Frevel noch versucht werden könne. Er pikierte die alte Frau nicht wenig und beschwor ihre Rache herauf. Sie wollte ihn einmal richtig seiner Stümperei überführen und für immer brandmarken – der berühmte Wunderdoktor vom Wasenanger sollte selbst sehen, selbst reden und selbst urteilen, wie der gelehrt tuende Schlächter den Friedhof beliefere. Sie ließ ihre Sonntagskutsche anspannen, fuhr beim Wasenmeister vor und zwang ihn, den Pferdekadaver liegen zu lassen, den er eben hatte verscharren wollen. Sie schüttelte ein Fläschchen mit dem Harn des kranken Kindes und ließ es sich erst entringen, als sie sich einiges wenige ihrer Anschauungen über den Doktor vom Herzen geplaudert hatte. Dann schilderte sie die Leiden des Kindes und bewunderte den Wunderdoktor Wasenmeister, der seinen Blick von dem Fläschchen nicht mehr zu trennen vermochte. Und noch viel mehr bewunderte sie den Mann, als er nach langer Betrachtung die Krankheit fast mit denselben Worten schilderte, die von ihren eilenden Lippen geflossen waren.

»Helfen Sie!« schrie die Frau Großmutter.

Er sah mit dem verlorenen Blick weiser Leute an ihr vorbei und legte den Finger an die Stirne.

»Haben Sie keine Medizin?«

Er wies stumm auf seine Rocktasche, aus der seit einem halben Menschenalter eine und dieselbe große Flasche zu schauen pflegte. Sie war immer mit einem Elixier gefüllt, das des Herrn Wasenmeisters Geheimnis war und nach verbürgten Berichten Tausenden das Leben gerettet hatte, Menschen sowohl wie dem Vieh.

Und so lud ihn die alte Frau hastig in die Kutsche und fuhr mit ihm ins Bürgermeisterhaus.

Sie kam samt dem Wunderdoktor zu spät. Eine der hilfsbereiten Nachbarinnen stürzte aus dem Haus und klagte beweglich: »Vor drei Stunden hätten S' kommen sollen! Da is das arme Wurm noch am Leben gewesen.«

»Hab ich mir gleich denkt,« murmelte der Abdecker weise, »weil die Gäul gar so gschwitzt ham.«

Die Ahnfrau aber sprach kein Wort. Man sah sie erblassen und sie lehnte sich schwer in den Wagen, wie um auszuruhen. Als man sie heraushob, regte sie kein Glied mehr.

»Rennt's zum Doktor!«

Eine der Frauen schrie's, aber die anderen mißbilligten das Verlangen sehr. Sollte die weltliche Kunst hier noch zu retten versuchen? Sah man nicht deutlich, daß das kleine Kind im Himmel nach seiner Ahnfrau rief?

Konnte man nicht erkennen, daß Gott Vater seinem neuesten kleinen Engel den ersten Wunsch nicht abschlagen wollte: die liebe gute Ahnfrau zu holen. Das kleine Kind wollte seine eigene Fürsorgerin haben, die es immer auf dem Arm trüge und die Süßigkeiten, die von der Tafel des göttlichen Lammes kamen, in den Schnuller brachte oder in den Mund steckte.

Die alte Kindsmagd Rosina war gerührt über das himmlische Ereignis und sah mit entzückten Augen zu Gott empor. Sie bekannte, daß es nicht anders wäre, als ob sie die Ahnfrau und das Kindl in der Gesellschaft der reichen und schönen Maria von Ingolstadt und der schmerzhaften Mutter von Murnau sehe, die alte Großmutter mit dem Christkind von Altenhohenau auf dem Arm, das kleine Maidlein aber auf dem Schoß der schmerzhaften Mutter, wie es gerade mit dem wundertätigen Christkindl von Prag das Kapuzinerspiel spiele.

Und alle Frauen staunten über die Seherin Rosina.

*

Und der Abdecker sah unwirsch drein und frug, ob er noch lange dastehen und auf sein Geld warten müsse? Ob man vielleicht glaube, daß unterdessen der stinkige Pferdeleichnam sich von selbst eingrabe?

Er riß Pankraz aus seinem grollgemengten Schmerz. Als er ein Geldstück vor seine Füße geworfen sah, wollte er aufmurren, aber was da klang, klang silberhell und talerhaft und er steckte es samt der Beleidigung ein, schlenderte durch das Haus, als ob er den Ausgang nicht fände, schreckte die Küchenmägde durch Flüche und ging nach einem ganz nett geglückten kleinen Diebstahl seiner Wege.

Es fiel ihm in seinen Wunderdoktorgedanken ein, daß man für ein Pferd in der Nachbarschaft seine Hilfe verlangt habe. Gemächlich trollte er dem Stalle zu, schüttete dem Patienten den ganzen Inhalt der Flasche in den Hals und bedauerte, daß das kleine Mädchen ihn nicht mehr hatte erwarten wollen: es wäre an der halben Ration gesundet.

Vorausgesetzt, daß der liebe Gott damit einverstanden gewesen wäre. Denn so lautete sein berühmter Spruch: »Wie Gott will. Will er nicht, so darf ein Engel vom Himmel kommen und dir den Flaschenhals in das Maul stecken – hin bist, mein Lieber! Mausdreckeltot!«

Und groß war sein Ruhm um seiner hagelbuchernen Ehrlichkeit willen.

 


 << zurück weiter >>