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Das einunddreißigste Kapitel

Mit einer Abschiedsträne zwischen den Zeilen, sonst aber recht friedsam

 

Zu Hause die ausführliche Gesamtmeldung, von Herrn Hansjakob mit viel Feuer vorgetragen, vom Pater Guardian benotet, moderiert oder gesteigert.

Die Frau Mutter hörte den Bericht aufmerksam an, schauerte manchmal ein wenig und bekam für ihren Pankraz so oft eine Gänsehaut als vom Prügeln gesprochen wurde. Es tat ihr sehr leid, daß auch der Magister Samson nicht bestanden hatte – indes verstand sich auch der Pater Guardian nicht dazu, den Mann zu retten.

Da ereignete es sich aber in glücklicher Stunde, daß der Pater Guardian einen Befehl seines Herrn Provinzial erhielt, nach Kehlheim zu reisen und dort für mehrere Monate dem großen Kloster vorzustehen, das durch den plötzlichen Tod seines ehrwürdigen Guardians verwaist war. Der Ruf war ehrenvoll und mußte als Vorstufe zu höheren Dingen gedeutet werden – aber der Pater Guardian war griesgrämig, als er Frau Anna Pentenriederin sub sacratissimo sigillo davon Mitteilung machte.

Auch Frau Anna Pentenriederin hatte kein Gefühl für die Ehrung und vergaß auf Bewunderung und Glückwunsch. Sie fegte sich mit einer heimlichen Bewegung die Augen und seufzte: »Muß das sein?«

Der Pater murmelte etwas von der hohen geistigen Tugend des Gehorsams, aber sein Gemurmel war unwirsch und zerstreut und seine Ohren hingen der Küche zu, wo die Geschirre üppig klapperten. Er sah mit leerem Blick zur Decke und war zerstreut, weil ihn ein starker Bratenduft verwirrte und weil seine Gedanken über die Kellerstiege des Bürgermeisterhauses holperten und dem großen Sicksackerfaß ihre Aufwartung machten.

»Es muß sein?« seufzte Frau Anna wieder und ihre feisten Züge flossen auseinander und sahen grau und schal aus, während ihre Augen tränten.

»Ja,« sagte der Pater kurz und glitt mit einem Blick über sie hinweg. Er roch plötzlich den Bratenduft nicht mehr und vermochte seine Gedanken auf die höhere Zukunft zu richten. »Natürlich muß es sein,« wiederholte er um vieles leichter und erhob sich, um die Zwiesprache zu beenden.

»Natürlich!!« wiederholte die hartnäckige Frau und bebte dabei am ganzen Leibe: »Und der Bub?!«

»Der Bub. Ja, der Bub.« Der Pater durchmaß das Zimmer mit langsamen Schritten, wie er's von seiner Studierstube her gewohnt war. »Der Bub …«

»Ich habe eine Schwester in Kehlheim …«

Der Guardian hemmte den Schritt. »Verheiratet?«

»Sie ist wohl gut verheiratet. Ihr Mann hat die große Schmiede …«

Ein Grobian, formulierte der Pater innerlich.

»Mein Mann nennt sie die Goldschmiede. Sieben Gesellen, mehr wie jeder andere weit und breit. Es schneit ihm die Taler, sagt mein Hansjakob.«

Der Guardian ging seinen Studierzimmerschritt weiter und nickte erwägend.

»Wenn in Kehlheim eine gute Schule wäre,« begann Frau Anna wieder und brach den Gedanken ab, um ihn den gelehrten Mann weiterspinnen zu lassen.

»Tja,« dehnte der Pater, »Jesuiten gibt's überall. Warum sollte es in Kehlheim keine Jesuiten geben, he!?«

Frau Anna seufzte. »Den Buben fortgeben müssen! Alles fortgeben müssen – das Alleinsein ist schwer.«

Aber der Pater dachte an Kehlheim, die Jesuitenschule und Pankraz und hörte an dem bedrückten Herzen der Frau Mutter vorbei. »Die Frau Schwester Schmiedin würde den Kleinen wohl gerne aufnehmen?«

»Mit Freuden!« weinte Frau Anna. »Sie hat kein einziges Kind. Sie hat nur ihren Schmied …«

»Gut,« sagte der Pater Guardian, »ich nehme den Buben mit nach Kehlheim.«

Jetzt waren seine Gedanken wieder frei und seine Nase roch wieder den Bratenduft. Er empfahl sich der Frau Mutter freundlich und bat sie, ihre Gefühle in Frömmigkeit zu bekämpfen und bald zu Tisch zu kommen. Dann ging er raschen Schrittes hinweg und war seinen Augen böse, die die weinende Frau grau und schal und alt gesehen hatten.

*

Auch der Herr Vater Hansjakob erfuhr gelegentlich von dem Kehlheimer Projekt. Er nickte augenblicklich der Jesuitenschule Beifall und freute sich der glücklichen Fügung, die auch den Pater Guardian dorthin führte. Er setzte sich auf der Stelle an seinen Schreibtisch, um einen langen Brief an den Schwager Schmied abzufassen, für den kleinen Pankraz zu bitten und den ruhmwürdigen Pater Guardian angelegentlich zu empfehlen. »Sie werden Ihre Freuden erleben, Herr Pater,« sagte er mit fröhlichem Augenzwinkern, »ich habe Sie über den Schellenkönig gelobt und in ein Haus hineinempfohlen, in dem tüchtige Tischgenossen hochangesehen sind. Der Schwager Schmied erhält den schönen ungarischen Gluckgluck leichter herauf – die Donau trägt ihm die Fässer williger zu als mir der Botenwagen.«

Der Pater lächelte. »Machen Sie einem armen Kapuziner das Herz nicht schwer, lieber Herr Bürgermeister!«

»Nein, nein,« kicherte Herr Hansjakob, »ich kenne den Schwager Schmied und seine Gurgel. Was sagst du, Nandl?« Er patschte seiner Frau Bürgermeisterin den Rücken, aber er vermochte sie damit nicht zu erfreuen. »Red' du, Nandl: haben wir ihn nicht den schlemmerischen Goldschmied getauft?«

»Ja,« sagte Frau Anna ohne Begeisterung.

»Und« – der Herr Bürgermeister blinzelte seiner Frau Bürgermeisterin lustig zu – »ist sie nicht eine nudelsaubere Weibsperson, deine Schwester, he?!«

Frau Anna aber drehte sich unwillig von dem schäkernden Manne ab.

»Die jüngste von euch fünfen. Herr Pater, da heißt's die Ordenszähne zusammenbeißen, wenn einem das Maul wässert!« Er dankte sich seinen Witz mit einem langen Lachen, das Frau Anna empörte.

»Hihihihi!« freute sich Herr Hansjakob. Und dem Pater spitzbübelte er ins linke Ohr: »Meine alte Nandl kennt das Leben auch nur vom Hörensagen – macht nichts, ist mir lieber so.« Er gab dem Guardian einen freundlichen Schulterschlag, der wie ein Glückwunsch klang.

Die Frau Mutter aber verließ die Stube.

 


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