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Das zwölfte Kapitel

Welches in Wessobrunn und Palermo spielt und einen höchst merkwürdigen Abschluß findet

 

Auf daß es der geneigte Leser nicht vergesse, schreiben wir abermals die Jahreszahl eintausendsiebenhundertachtundfünfzig nieder und bitten sehr, unsere Menschen und Dinge nicht von den Gewohnheiten dieser Zeit zu trennen.

Insbesondere bitten wir diese Jahreszahl vor Augen zu halten, da wir des Klosters der Benediktiner zu Wessobrunn kurz erwähnen müssen, um einen berühmten Gelehrten der Zeit in den Rahmen der Ereignisse zu rufen. Es handelt sich um den weisen Pater Virgilius Sedlmaier, der mit seinen Gedanken fern von weltlichen Dingen lebte und durch Gottesgelahrtheit auffällig war.

Was ihn an dieses wertlose irdische Leben und seine Vertreter noch einigermaßen band, war eine milde Zuneigung zu dem bürgerlichen Buchdrucker Urban Gastl in München, der als Vermittler zwischen einem in seligen Einsamkeiten fliegenden theologischen Geist und den Leuten gelten konnte, die als geringe Weltpriester unsicher ihr Heil suchten und die um die Münchner Zunftfahnen gescharten Schäffler, Maurer und Zimmerleute und Bierbrauer zu belehren hatten.

Ihnen zu hohem Nutzen schrieb in dem besagten Jahre eintausendsiebenhundertachtundfünfzig der Pater Virgilius Sedlmaier zu Wessobrunn die Abhandlung über die brennende Frage: ob die Jungfrau Maria ohne Schmerzen geboren habe. Es war überaus wichtig, in diese Sache endlich einmal Klärung zu bringen, diesbezügliche Irrtümer auszurotten und mit dem Wust alter gedruckter und ungedruckter Mönchsschriften über das Thema aufzuräumen durch eine gründliche Benediktinerarbeit, die vor Gott und der Welt bestehen konnte.

Der Pater Virgilius wies in seinem Werke mit einer allgemein beruhigenden Sicherheit nach, daß die allerheiligste Jungfrau ohne Schmerzen geboren habe.

Aber wann drang je ein Gelehrter im Volke durch?

Wir können spezialiter an Frau Anna Pentenriederin nachweisen, wie wenig die Früchte des theologischen Fleißes Gemeingut des christkatholischen Volkes werden. Wir vermuten, daß Frau Pentenriederin das Buch weder von Herrn Urban Gastl käuflich erwarb, noch auf anderem Wege Einsicht in die Sedlmaierschen Thesen erhielt. Ja, es scheint, als ob ihr überhaupt nur der Titel einigermaßen bekannt geworden wäre. Und dann tat sie vermutlich in ihrer sorgenvollen Lage das Nächstliegende, machte sich die Antwort selbst laienhaft zurecht und bestätigte die Geburtsschmerzen der Jungfrau Maria als angehende Leidensgenossin auf das heftigste.

Es war ein ungeheuerliches Mißverständnis und drohte zu weiteren Irrtümern sich auszuwachsen: Frau Anna war im Begriff, sich »zu den schrecklichen heiligen Geburtsschmerzen« (wie sie das Gelübde bereits formuliert hatte) zu verloben und eine silberne Gebärmutter in natürlicher Größe in die Klosterkirche zu Wessobrunn zu stiften, als der Pater Guardian zu guter Stunde kam und von dem seltsamen Vorhaben hörte.

Er riet sofort ernstlich ab.

Er sah sehr bedenklich drein, düster sogar, und riet wirklich ernsthaft ab. Er sah sich nicht veranlaßt, Frau Anna seine tieferen Gründe mitzuteilen; aber er empfand es als ärgerniserregend, daß eine Mutter Gottes der Benediktiner angegangen werden sollte, wo es viele Hunderte mehr von Gottes Müttern der Kapuziner gab, viel berühmtere, mirakulösere und allerorten mit viel größerem Respekt genannte. Auch schätzte er die silberne Gebärmutter in Naturgröße auf das richtige Gewicht ein und zürnte über dieses Allerhand, das den Kapuzinern verloren zu gehen drohte.

Die Frau Bürgermeisterin wagte den Pater nicht zu stören, als er gedankenvoll und stumm in der Stube auf und ab ging. Sie wußte, daß er ihretwegen in Sorgen war und hoffte auf ihn und vertraute ihm. Und es geschah auch nur ihretwegen, daß er in dem Schatz seines geistlichen Wissens nach heiligen Fürbittern suchte. Es handelte sich nur darum, aus der Menge der Heiligen, die durch die machtvolle Protektion des großen Ordensstifters und Erzvaters Sankt Franziskus in ihren hohen jenseitigen Rang gekommen waren, die einschlägigen herauszusuchen. Fachleute sozusagen in bezug auf Wunder für gebärende Mütter.

Auf jeden Fall durfte der heilige Orden der Kapuziner nicht übergangen werden zugunsten derer zu Wessobrunn, die nur volksfremde theologische Schreiber waren, nichts weiter.

Nein, nein, sagte sich der Guardian: es muß ein Ganzes werden. Frau Anna soll das Ganze den hochwürdigen Herren Kapuzinern verdanken, was sollten jetzt, nachdem das Schwierigste überwunden war, plötzlich die Benediktiner im Spiel? Wollten sie ihren Einsatz bringen, da die Gewinnseite bereits offenkundig war?

Jetzt seufzte die Frau Mutter leise und der Pater setzte seine Schritte vorsichtiger.

»Wie wird's mir gehen! Wie wird's mir gehen!« klagte sie plötzlich und zwang den Guardian, sich ihr wieder zuzuwenden.

»Es wird alles gut werden!« beschwichtigte er.

Aber sie war reizbar und voll der Ängste und bekannte: »Ich weiß nicht, ob es mich nicht fast reut, daß ich das Wunder an mir habe wirken lassen. Ich bin nicht mehr die Jüngste, Pater – –«

Der Pater wehrte mit einer tröstenden Gebärde ab.

»Und ich fürchte diese Hebamme und ihre knöchernen Hände. Pater, Pater, wie wird's mir gehen!!«

Der Guardian setzte sich und versah ihre zitternden Hände mit sanftstreichelndem Trost. »Es wird alles gut gehen; der Himmel hat bis hieher geholfen, er wird weiterhelfen.« Er sei so überzeugt von dem guten Verlauf der Dinge, daß er ihn fast zu prophezeien wage.

Aber die Frau Mutter brachte ihre Bangigkeit nicht mehr vom Herzen weg. Die Feuer der Angst brannten in ihren Augen und wollten nicht erlöschen.

Der Guardian wühlte verzweifelt in Trostgründen und Verheißungen.

»Und der heilige Bruder Corleone!« sagte er plötzlich, hastig, wie durch eine Entdeckung befreit.

»Was für ein heiliger Bruder??«

Der Pater hatte alle Schatten von seiner Stirne weggewischt und die Freundlichkeit wieder gewonnen, die ihm die fromme Frau verpflichtet hatte. »Der Bruder Hieronymus von Corleone – ach, daß ich seiner nicht gleich gedachte! Der große Bruder von Palermo! Der wahrhaft heiligmäßige Mann! Es gibt ein ganzes Buch über sein wundertätiges Leben.«

Die Frau Mutter horchte auf.

»Es ist schon das Schicksal dieses Buches merkwürdig,« spann der Pater den Faden aus dem Irrweg weiter; »es fiel irgendwie den türkischen Seeräubern in die Hände, kam über das Meer in heidnische Lande, lag zu Tunis auf dem Trödlmarkt, wurde von schmutzigen Heidenhänden betastet! Ein eminent heiliges Buch, an ungläubige Menschen feilgeboten um einen Groschen! Und wenn es der Himmel nicht gewollt hätte, dann wäre das ganze heilige Leben des Bruders von Corleone unbekannt geblieben; aber auf diesen tunesischen Trödlmarkt verirrte sich ein Christ, sah den kostbaren Schatz und erstand ihn. Und wie die Wege des Himmels eben gehen: das Kleinod kam in die Hände des Bruders Emmerich von Perlach und das Leben des großen Heiligen wurde aus der welschen Sprache in die bayerische übertragen und mit Genehmigung unseres heiligen Ordens zu München gedruckt. – Und da steht's drinnen, Frau Mutter,« fügte er hinzu, als die Bürgermeisterin verständnislos seufzte.

»Was steht drinnen?«

»Von der Macht seines Segens über schwangere Frauen. Er legte die segnenden Hände auf ihre Scheitel und siehe: die Frauen gebaren Knaben. Es kam vor, daß die Frucht im Mutterleibe eines Mädchens Form hatte, aber durch den Segen des heiligen Bruders Corleone mußte sie sich in einen Knaben verwandeln.«

Die Frau Bürgermeisterin fand es vollständig in der Ordnung, daß der heilige Bruder von Palermo den Knaben den Vorzug zu geben pflegte. Sie hatte selbst noch keinen Augenblick daran gedacht, daß ein Mädchen in ihren Schoß gegeben sein konnte und erschrak jetzt fast vor dieser Möglichkeit und der großen Gefahr. In aller Eile griff sie zu ihrem Geldtäschchen und holte zwei Linzer Dukaten heraus, um sie dem heiligen Corleone zu opfern. Sie hüllte das Geld sorgfältig in Papier und senkte es dem Guardian in die Kapuze; denn die der zeitlichen Armut geweihten Hände durften sich nicht durch die Berührung von Geld beschmutzen. Sie bat den Pater dringend, durch den ganzen Konvent in einer heiligen Messe ihrer Not gedenken zu lassen: der heilige Corleone müsse vom Himmel herab seine Hände auf ihren Scheitel legen, wenn sie jählings mit einem Mädchen gesegnet sein sollte.

Der Guardian dankte und sagte: »Sie sollen noch mehr hören von diesem großen Wundertäter. Da war einmal eine Frau, die den armen Kapuzinern viel Gutes getan hatte. Und diese Frau war froher Hoffnung und schwebte in Angst der bevorstehenden Geburtswehen wegen.«

Frau Anna seufzte aus tiefster Seele auf.

»Und da sagte der fromme Bruder Corleone: Diese Geburtsschmerzen will ich für Euch tragen.«

Frau Anna begann am ganzen Leibe zu zittern. »Noch einmal, Pater!!«

»Ich will diese Geburtsschmerzen für Euch tragen, sagte der fromme Bruder Corleone.«

»Pater – hat er sie getragen??«

»Er hat sie getragen!«

»Pater – –«

»Er hat sie getragen!! Die Frau genas eines Knäbleins und empfand nichts. Aber der fromme Bruder Corleone lag in der Stunde, da sie zum Kinde ging, bleichen Gesichts auf seinem Strohsack und schrie vor Schmerz. Es handelte sich um nichts anderes und um nichts Geringeres, als um die Geburtsschmerzen eines Kapuzinerbruders – –«

Frau Anna war ganz blaß geworden. »Habt Ihr,« stammelte sie, »habt Ihr keinen in Euerem heiligen Orden, der dieses Wunder in unserer Zeit vollbringen könnte?«

Der Guardian wich ihren Blicken aus, weil sie sein Nachdenken störten. »Solche Wundermänner,« sagte er dann langsam, »ich glaube, daß wir mehrere solche Wundermänner gehabt haben. Aber dann wollten's die Bischöfe nicht mehr, daß wir für die Frauen niederkommen. Es schicke sich nicht für Ordensmänner, sagten sie.«

Frau Anna legte ihr Unglück in einem Seufzer dar.

»Es war wohl der Neid,« klagte der Guardian offen; »der Neid über die Kraft, die armen Ordensbrüdern gegeben war und mächtigeren Menschen fehlte. Aber wir hatten mehrere solche Wundermänner.«

Frau Anna schlug empört auf den Tisch: »Es ist böswilliger, niederträchtiger Neid, nichts anderes! Ich hasse die Bischöfe – sollen sie für uns niederkommen, wenn sie's den armen Kapuzinern verbieten. Es soll so ein Bischof auch einmal wissen, was ein böser Tag ist! – Ach,« sagte sie mit einer in süßem Schmerz verschleierten Stimme, »wie schön wäre das, wenn ein guter Freund die Geburtsschmerzen für uns trüge!« Sie faltete die Hände auf dem Tisch und hielt dem Guardian mit frommen Augen ihre große Bitte stumm entgegen. Als er aber mit schmerzlichem Kopfschütteln antworten mußte, hatte sie eine plötzliche Eingebung: »O, wenn der heilige Bruder Corleone im Himmel droben mir sein Ohr schenken würde; wenn er diese Plage auf sich nehmen würde – was würde ich nicht alles für seine Verherrlichung tun!«

Es kam dem Pater plötzlich so vor, als ob sein Gedächtnis diesen einen wichtigen Punkt übersprungen habe: daß der heilige Bruder Corleone tatsächlich auch nach seinem Ableben solche Wunder vollbracht habe. Natürlich! Mehrere Male sogar! Es sei nicht in der jüngsten Zeit der Fall gewesen, aber die Unterbrechung bedeutet nichts. Man müßte es von ihm erbitten können. Kein Heiliger könne der wahrhaften Inbrunst sein Ohr verschließen.

»Er tut's noch immer?« sagte Frau Anna zitternd.

»Wir wollen versuchen, seine Gnade zu erbitten. Gewiß, es ist nicht leicht; es bedarf einer großen geistlichen Kraft.« Der Pater mußte aufstehen und für einige unruhige Schritte die Verzeihung der Frau Mutter erbitten. Er müsse nachdenken, der Knoten müsse gelöst werden. »Vielleicht,« sagte er entschlossen, »vielleicht bitte ich den ganzen Konvent zu dem großen Werke. Es müssen alle beten, alle müssen sich geißeln und wir werden nicht aufhören, zuzuschlagen, bis wir die innere Erleichterung haben, daß die Gnade eingekehrt ist.«

Mit funkelnden Augen gab ihm Frau Anna recht. Der Konvent müsse mittun! Es solle keinem zum Schaden sein: sechs Wochen hindurch täglich Wein und Braten für jeden Pater und Frater. Und zu Ehren des heiligen Corleone die trächtige Kuh aus dem Stall! Sie wolle eine Immerkuh daraus machen und Jahr um Jahr ihr Geschenk erneuern. Aber sie bitte inbrünstig, die Geißel nicht zu sparen! Sie müsse richtig jucken, sonst helfe es nichts. »Haut zu, haut zu!« rief sie und der Pater nickte.

»Ja,« sagte er, »es soll alles geschehen. Der Heilige muß Ihre Bitte hören!«

»Sechs Wochen Wein und Braten!« ereiferte sich Frau Anna wieder; »und die Immerkuh zum heiligen Gelübde – –«

Krackkrack! Schrimm! Schrumm!

Ein wahnwitziger Lärm.

Ein Spektakel wie Weltuntergang und Höllenausbruch.

Das Getöse ist so ungeheuer, daß es Worte und Mienen erstarren macht und das Blut gefrieren läßt, ein teuflischer Bann.

Und genau und ganz nüchtern besehen ist's Lächerliches: die Schüsselrahme der Frau Bürgermeisterin fällt von der Wand. Eine Schüsselrahme, der stolzesten Stücke des Hauses eins, mit reichlich zwei vollen Zentnern Zinngeschirr darauf. Einer Herrlichkeit hat sich die Wand entledigt. Es blinkt und blitzt, rasselt, fällt, rollt und kollert und das silberglänzende Durcheinander verübt einen teufelsmäßigen, heidnischen Lärm.

Frau Anna hält sich am Tisch fest und ihre Augen verdunkeln vor Angst.

Auch der Guardian ist wie unter einem Blitzschlag zusammengezuckt und muß sich für eine Sekunde am Ofen festhalten. Aber er überwindet sich sofort und wendet seine Sorge der leidenden Frau zu – er stürzt auf sie los, da er sie wanken sieht. Er ist stark wie ein Bär und nimmt den schweren Körper auf seine Arme und schleppt ihn der Frauenstube zu. Sie schreit ihren ersten gellenden Schrei, da er sie über die Schwelle trägt und greift mit einem schrillen schmerzlichen Ruf nach ihm, da er sie aufs Bett gelegt hat und um Hilfe forteilen will. Er vermag sich nicht mehr zu helfen und beißt die Zähne zusammen. Was tun? Es gellt in dem Bett wieder auf – er brüllt durch die offene Tür nach den Mägden und sieht kaum, daß eine in die Frauenstube huscht. Aber das dumme Wesen begnügt sich mit einem Aufschrei und läuft davon. Es bleibt an ihm hangen: er muß der Frau das Geschnür aufreißen und ihren Atem erleichtern. Er sieht noch den alten Hausknecht verwirrt zur Tür hereinblicken und jagt ihn mit einem zornigen Blick wieder davon.

Und da hört er eine erstaunlich dünne unbekannte Stimme schreien – –

*

Es war ein Glück, daß die Hebamme in diesen Tagen um das Haus des Bürgermeisters schlich wie der Fuchs um den Hühnerstall. Sie kam in die Frauenstube, als eben die Mägde ihre erste Furcht überwunden hatten, und ordnete an, befahl und schaltete und waltete.

Betäubt verließ der Pater das Gemach, in dem kein Verweilen mehr für ihn war. Was war geschehen? Ein Wunder?

Hatte der heilige Corleone von Palermo – –?

Das Gelübde war zu ihm aufgedrungen!

Griff er nach des Herrn Bürgermeisters Haus? Griff er nach der Schüsselrahme?

Dunkel sind alle Wunder.

Aber es ist jederzeit dem heiligen Franziskus Preis zu sagen, der den armen Kapuzinern solche Kraft gegeben hat.

Der Guardian nickte dem großen Ordensstifter zu.

Und vergaß dabei völlig der schweren Schüsselrahme und des prachtvollen Zinnes und seines wundersamen Lärmens.

 


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