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Das zweiundzwanzigste Kapitel

In welchem auch die Hebammin Rosina mit trefflichen geistlichen Rezepten auf den Plan tritt

 

Ein lebhaftes Durstgefühl weckte die Hebammin Rosina aus ihrem Vorschlummer auf. Sie war äußerst erstaunt, sich im Staatszimmer des Herrn Bürgermeisters zu befinden, aber sie sammelte sich rasch, wischte sich die Haare von der Stirne und rieb sich die Augen hell und nüchtern. Dann fiel ihr jählings ein, daß eine hohe Wöchnerin in dem Hause liege. Sie kreischte ein wenig auf und eilte zur Frau Mutter.

Herr Hansjakob sah ihr verwundert nach und erinnerte sich gleichfalls an die Geschehnisse der jüngsten Zeit. Er verlangte dringend zu Frau und Kind und forderte die kleine Gesellschaft zum Mitgehen auf. So ward er von dem kräftigen Pater Collektor aus seinem Sessel herausgeholt und konnte an seinem Arm den hindernisreichen Weg leicht zurücklegen.

Die Frau Mutter aber fühlte sich krank und empfand eine tiefe Bangigkeit. Sie klagte Frau Rosina ihr Leid und bat um Hilfe.

»Eine Andacht vielleicht?« meinte die Hebammin.

Die Frau Mutter schüttelte matt den Kopf.

»Eine Andacht zu der jungfräulichen Gottesgebärerin Maria!!« sagte die Hebammin in strengerem Ton.

»Ach« – die kranke Kindsmutter seufzte kläglich – »viel beten kann ich jetzt nicht, aber verloben will ich – –«

»Da braucht's weder beten noch verloben,« sagte die weise Frau, »Sie dürfen nur zu Ehren der unbefleckten Jungfrau etwas essen, was ich gekocht habe.«

Die Frau Mutter verlor augenblicklich den leidvollen Zug um den Mund und verspürte den nagenden Hunger einer Kindbetterin.

Und so ging die Hebammin in die Küche, wo sie ihren großen geheimnisvollen Korb hinterlegt hatte, und die Taufgesellschaft lieferte die Wache am Kindbett, machte bedauernde oder tröstende Mienen und atmete Wein aus. Aber die Frau Mutter hatte keine Freude an den Besuchern und seufzte kläglich.

Da zeigte es sich, daß der Pater Collektor ein praktischer und vielerfahrener Mann war, denn er riet sofort gelinde erweichende Klistiere an.

Die Frau Mutter sammelte alle ihre schwachen Kräfte zum Widerstand. Sie frug zunächst, ob man sie umbringen wolle? Gott möge sie bewahren vor dem schrecklichen, mörderischen Klistieren. Und überhaupt: Klistieren! Das Wort sei schon ein Ärgernis, ein Sittenverderb. Wie könne man so etwas einer keuschen Mutter, einer keuschen Ehefrau anraten! Einer keuschen Schwester der dritten heiligen Ordensregel noch dazu! Klistieren! Wie könne ein Priester dieses satanische Wort in seinen hochgeweihten Mund nehmen, in dem der Allmächtige täglich einkehrt und – –«

Es versagte ihr die matte Stimme, ehe sie sich vollständig über ihren Abscheu gegen das Klistieren aussprechen konnte. Sie mußte mit stummen Tränen weiter argumentieren, bis die Hebammin wieder erschien und für sie das Wort gegen den Pater Collektor nahm.

Während sie den unwissenden Beirat mit langen Sätzen vernichtete, schälten ihre Hände aus vielen Papieren mit aller Sorge eine Festgabe heraus: einen Kuchen, der schön mit Zucker bestreut und mit neun Kerzen von verschiedenen Farben umgeben war. Sie hatte ihn zu Hause unter einem feierlichen Zeremoniell gebacken und präsentierte ihn jetzt noch feierlicher für das Kindbettfest, als Arznei und Leckerbissen zugleich. »Das ist es,« sprach sie mit einer tiefen sybillischen Stimme, »was das Übel heben muß.«

Der Pater Collektor, der große Freund des Klistierens, staunte.

»Jaja,« fuhr sie fort, »wir müssen der Frau Mutter die Nachgeburt erleichtern. Sehen Sie, was dieser Kuchen für eine Gestalt hat: so sieht eine Nachgeburt aus. Jawohl, Herr Pater! Und die neun Lichter, die da herum sind, die müssen brennen zu Ehren der neun Monate der Schwangerschaft unserer lieben Frau. Daß Sie's wissen, Herr Pater!! Die weiße Kerze bedeutet die unbefleckte Jungfrauschaft der Mutter Gottes, die gelbe ihren Gehorsam, die blaue ihren Glauben, die grüne ihre Hoffnung, die violettfarbene ihre Demut, die rosenrote ihre brennende Gottesliebe, die versilberte ihre teilnehmende Nächstenliebe, die vergoldete ihre Inbrunst und Andacht im Gebete und die letzte Kerze, die alle diese Farben zusammen vereinigt, legt ihre Vollkommenheit in jeder menschlichen Tugend dar.«

Sie stach dem Pater Collektor noch ein paar böse Blicke durch die Kutte, zündete eine der neun Kerzen an und gab der Frau Mutter eine von den neun Schnitten, in die sie den Kuchen zerteilt hatte. Und hellauf brannte die weiße Kerze zu Ehren der Tugend der unbefleckten Jungfrauschaft.

Der Pater Collektor, der sich nicht nur auf Klistiere, sondern auch auf Tugenden verstand, schüttelte den Kopf dazu. Er konnte vom hohen Ordensstandpunkt aus nicht dafür sein, daß auch das gemeine Volk mit Mysterien arbeitete (ein wenig fürchtete er als Collektor auch die kleinen Konkurrenzen für das Kloster) und bemerkte warnend, daß hier viel abergläubisches Zeug zu bunt untereinander läge. Aber da war der Pater Guardian der gescheite Mann, der den beginnenden Zwist legte, und der derbsprachigen Frau Rosina den Gegner entreißend, dem Pater Collektor ein neues Amt gab: den Vater Hansjakob, der unterdessen in seinem Sessel eingeschlafen war und wunschlos schnarchte, in das Bett zu schaffen.

Auch ließ der Pater Guardian alle Mysterien unwidersprochen hingehen, die die Hebammin Rosina sonst noch empfahl: daß die Frau Mutter den Kuchen in neun Portionen und in neun Stunden verzehren müsse und daß zu jeder der neun Mahlzeiten eine andere Kerze leuchten müsse. Wieso und warum, fügte sie kampfbegierig bei, könne sie nicht verraten, aber wenn der gelehrte Herr Pater Collektor ein abergläubisches Zeug dahinter vermute, so wolle sie ihm schon allerhand ausdeutschen.

Die Frau Mutter aber bat um Frieden und besänftigte Frau Rosina aus dem Geldtäschchen unter ihrem Kopfkissen weit über den landläufigen Preis.

 


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