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Das dreiundzwanzigste Kapitel

Wäre vielleicht besser ungeschrieben geblieben; behandelt ein gelehrtes Stiergefecht um Mitternacht

 

Als der Pater Collektor dem Herrn Gastgeber zu Bette verholfen hatte, fühlte er sich selber schwach auf den Beinen, während ihm Kopf und Leib gewichtiger vorkamen als sie sonst zu sein pflegten. Es war inzwischen tiefe Nacht geworden und auch der Pater Guardian hatte einen dickeren und röteren Kopf als gewöhnlich. Er gebot auch nur mehr durch verstärkte Energie über seine Gebeine, sehnte sich nach dem klösterlichen Strohsack und ergriff dankbar den Arm des Mitbruders.

Die frische Nachtluft tat den beiden wohl und belebte sie wieder. Ihre Zungen verloren viel von der Schwere, die der Wein zurückgelassen hatte, die Gedanken sammelten sich leicht, verdichteten sich und strömten dann gewaltsam in gelehrten Gesprächen aus.

Der Pater Guardian empfand einen leichten Obrigkeitsdrang und leitete mit einer sanften Rüge ein: wenn fromme Frauen, wie beispielsweise die Hebammin Rosina, den Reichtum mystischer katholischer Gebräuche zu mehren das Bedürfnis hätten, so seien bremsende Randbemerkungen wohl besser zu unterlassen. Man dürfe des gemeinen Volkes erfinderische Frömmigkeit nie abschrecken, wenn man nicht die Gefahr heraufbeschwören wolle, die gläubigen Massen in jene gefährlichen gottesleugnerischen Kreise hinzudrängen, die – –

»Papperlapapp!« unterbrach der Collektor fröhlich.

»Was papperlapapp!? Wer papperlapapp!?« Der Guardian zog seinen Arm energisch aus dem seines Mitbruders, hemmte seinen Schritt und verlangte abermals Aufklärung über die unwürdige Redensart.

Der Collektor blieb auch stehen und sagte kühl: »Was zu viel ist, das ist zu viel. Dieses dumme Frauenzimmer – –«

»He!?«

»Nun ja, wenn dieses dumme Frauenzimmer eine Andacht zu Ehren der Nachgeburt Mariä hält!!?«

»So!? Was weiter!?«

Der Collektor wurde hitzig und stemmte die Arme in die Hüften: »Gibt's aber nicht und niemals: die Jungfrau Maria hat ohne Nachgeburt geboren!«

»Wer hat!? Was hat!? Das ist doch unglaublich! Die Nachgeburt ist da und erwiesen!«

»Durch die Hebammin Rosina??« höhnte der Collektor.

Der Guardian verbat sich allen Hohn und verwies auf die Offenbarungen Sanctae Brigittae, Buch sieben, Kapitel einundzwanzig: ich sah das glorreiche Kind nackt und glänzend und neben demselben die Nachgeburt, zusammengewickelt, im herrlichen Glanze.

»Beweist gar nix!« schrie der Pater Collektor, »wenn sie's gesehen hat, so ist es ihr bei weitem nicht göttlicherweise geoffenbart worden.«

Der Guardian wehrte mit rudernden Armen die laute Rede ab und sah nach allen Fenstern und Türen, die der Mond erhellte. Das ließ den Collektor ein bißchen erschrecken und ernüchtern und seinen Vortrag behelfsweise im Flüstertone fortführen. Er gab zu, daß der göttliche Heiland vielleicht im mütterlichen Leibe in einer Haut, die man Nachgeburt nennt, gelegen sei – vielleicht! Aber deswegen sei es noch nicht erwiesen, daß er mit dieser sogenannten Nachgeburt geboren sei.

»So!? Wo ist sie dann hingekommen?« Der Guardian stampfte mit dem Fuße auf das Pflaster und brauchte seinen besten Willen, um seine Erwiderung nur halblaut vorzubringen. »Ist sie vielleicht durch ein Mirakel verschwunden? Und sollen wir wegen der Nachgeburt noch ein neues Mirakel fordern? Glauben Sie, der Papst sitzt schon erwartend auf seinem Stühlchen, nur um zu einem neuen Wunder Ja und Amen zu sagen? Der hat die Nase langsam voll von den Dingen! Wo die Geburt ohne Schmerzen und ohne Verletzung der Jungfernschaft ohnedies etwas Mirakulöses ist, wo würde dann das noch hinführen!? Ein Mensch, der so dumm argumentiert, der spinnt und gehört dahin, wo die anderen Verrückten wohnen.«

»Hört, hört!« schrie der Collektor.

»Pssst, pssst!« zahnte der Guardian wütend.

»Dann weiß ich,« schimpfte der Collektor gedämpft, »wer ins Tollhaus gehört: die hochheiligen Herren Epiphanius, Gregorius Nanzianzenus, Cyprianus und Augustinus, welche alle gelehrt haben, daß Maria ohne Nachgeburt geboren habe, die gehören ins Tollhaus. Und dann gehört ins Tollhaus die hohe Gemeinde der Theologen, die Herren Suarez, Faber, Scribonius und unzählige andere, die uns Gott sei Dank über die wichtige Frage aufgeklärt haben. Der Pater Virgilius Sedlmaier von Wessobrunn zitiert sie alle bei seinem zweiten Artikel über die Frage, ob die Jungfrau Maria ohne oder mit – – o, ihr großen Kirchenlehrer, ihr müßt alle ins Tollhaus! Und die anderen haben recht und dürfen infolgedessen die heilige Nachgeburt in einem Reliquienkasten auf den Altar stellen.«

Der Pater Guardian sah so aus, als ob er Feuer speien möchte, aber der Collektor blieb tapfer in seiner Sache.

»Ich weiß wohl,« sagte er, »daß einst der böse Gebrauch im Schwange war, die Nachgeburt zu verehren. Aber die Väter der Trullonischen Synode haben diese Verehrung verboten. Also gibt's keine Nachgeburt.«

Der Guardian knirschte vor Wut und stemmte die Fäuste ein dutzendmal drohend von sich, aber er hüllte sich von nun an in ein Schweigen des bittersten Trotzes.

Und so schwieg auch der Collektor und ging verbissen neben dem Mitbruder her. Und fühlte sich Sieger, obwohl er seine Waffen noch lange nicht alle gebraucht hatte.

*

Als sie im Kloster angekommen waren, verfügten sie sich in ihre Zellen, ohne einander viel Abschiedskomplimente zu machen.

Aber der Pater Guardian vermochte nicht einzuschlafen, weil es in seinen Pulsen toste und brauste und weil seine Zähne immer wieder auf langen Flüchen herumknirschten: da sprang er plötzlich von seinem Strohsack auf, rannte zum Pater Collektor und forderte das Buch des Wessobrunner Theologen über die Frage der Nachgeburt. Der Pater Collektor holte es mit einem diebischen Lächeln hervor, schlug den seelenersprießlichen Artikel auf und setzte den Zeigefinger hin wie ein Feldherr auf die Kriegskarte.

Der Pater Guardian prüfte das Buch finster nach, sah, daß es dem Herrn Kardinal Tamburin dediziert war, daß sechs katholische Theologen ihre Approbation cum laude darunter gesetzt hatten – er nahm es wütend unter den Arm und verließ die Zelle mit dem stummen Eid, das Wessobrunner Werk unter die ketzerischen Bücher zu setzen, um die Nachgeburt der Jungfrau und die Ehre der Hebammin Rosina zu retten, die als Schwester der dritten Ordensregel immerhin ihre Verdienste hatte.

Und sperrte den Schmöker ein, um ihn nie wieder in die Hand eines Ordensbruders gelangen zu lassen, und schlief dann ruhig und verklärt bis an den hellen Tag.

Wir küssen mit Ehrfurcht die Erde, auf welcher solche geistreiche Männer gewandelt sind!

Männer, die sich würdigten, derlei tiefen Geheimnissen nachzuprüfen, und die arme Welt, die sonst in tausend Irrtümer verfallen wäre, zur Verbesserung der Sitten und Veredlung der heiligen Gottesfurcht weislich des Wahren zu belehren.

 


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