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Das achte Kapitel

Welches den Abbruch liebreicher Beziehungen meldet und Meditationen über ein Nachtabenteuer niederlegt

 

Es ereignete sich aber eines Morgens, daß Herr Hansjakob schwer bedrückt in seinem Kontor saß, blaß, ratlos, unglücklich über die Maßen und klein verzagt, wie ihn niemand zuvor gesehen hatte.

Er kaute an einer Gänsefeder und schien also einen Fall zu überlegen. Er brauchte eine Weile, seine Gedanken ein wenig zu sammeln, und dann begann er, eine Reihe von Fragen zuerst in seinem Kopfe festzusetzen. Es handelte sich aber um Fragen, die er dem Guardian noch im Laufe dieses Vormittags vorlegen wollte. Es schien ihm tunlich, sie zuerst sauber auf Papier zu bringen und dann dem Gedächtnis für einen freien Vortrag einzuprägen.

Es handelte sich um Schwieriges, Heikles und höchst Unerfreuliches.

Auch schien die Form der Fragestellung nicht leicht lösbar. Vielleicht war es besser, Tatsachen mitzuteilen und dann erst kurze Fragen hinterher zu schicken.

Er schnitt sich eine frische Feder zurecht und überlegte dabei seine Pläne noch einmal. Die Sache, sagte er sich, ist sehr privaten Charakters; sie kann einem Gewissensbeirat vorgelegt werden, nur einem delikaten Menschen – aber vielleicht muß sie ihm nicht vorgelegt werden.

Ich könnte dem Pater sagen: es sind Mißstimmigkeiten entstanden. Es ist ein Mangel an Zärtlichkeit da – ihrerseits. Es war früher nicht die Rede davon. Im Gegenteil, es gab kurz vorher eine Steigerung der Gefühle, ein pikantes neues Sichnäherkommen – und nun plötzlich das Ende von alledem. Es kam ganz unerwartet. Es kann eine vorübergehende Mißlaune sein, gewiß, aber es ist eine deutliche Mißlaune, sie ist sehr ernsthafter Art, und sie ist betrübend für einen Ehemann.

Es ist ein Zurückstoßen für mich, eine peinliche Ablehnung von Recht und Pflicht, eine merkliche Antipathie, die gegen die Sympathie meinerseits gesetzt wird. Es ist eine offenkundige Verweigerung der ehelichen Sitten und des notwendigen Brauches.

Es ist aus dem Grunde erstaunlich, weil kein äußerlicher Anlaß vorausging, wir zankten nicht, es war keinerlei Uneinigkeit da, kein Mißverständnis der Anschauungen über irgend etwas – aber sie stieß mich mit der geballten Faust zurück und sagte etwas Abscheuliches. So sehr stieß sie mich zurück, daß mir die Schlafmütze vom Kopf fiel und daß ich quer über mein Bett sank.

Es war aber all die Nächte vorher gänzlich anders gewesen!

Hansjakob prüfte sein Gedächtnis für den Vorfall nach, stellte die genaue Zeit für das Ereignis fest (halb elf Uhr nachts, kaum zwei Minuten darüber) und ging sämtliche Geringfügigkeiten durch, die dem Ereignis vorausgegangen waren: der Eintritt in das eheliche Schlafzimmer, das Anzünden der Kerze, das Auskleiden und andere eigentlich belanglose Geschehnisse der familiären Gewohnheit, um aus ihnen vielleicht die Ursache für den Schlußeffekt zu finden – aber es war nirgend eine Geringfügigkeit vorhanden, die als Anstoß betrachtet werden konnte, die zum Zorn gereizt hätte und schließlich in Lieblosigkeit ausarten mußte.

Warum stieß sie mich zurück? frug er. Er ging einige Male in seinem Kontor auf und ab. Das erleichterte ihn einigermaßen und bei jedem Schritt verlor die Angelegenheit ein Teilchen ihres persönlichen Charakters. Sie wurde ihm fast zu einer juristischen Sache und der Groll, mit dem er am Morgen das Bett verlassen hatte, wurde schwächer. Aber immerhin blieb ein starker Kummer zurück, über den er den Kopf schütteln mußte.

Es schreckte ihn plötzlich ein Schatten aus seinen Gedanken, der auf das Pult fiel; er sah zum Fenster und sprang augenblicklich auf und bedeutete dem Manne am Fenster mit winkenden Armen, hereinzukommen.

Und der Guardian kam, kühl, ruhig, ein wenig fremde Verwunderung im Gesicht.

*

Die sorgsam geschnittene Feder des Herrn Bürgermeisters hatte noch nichts geschrieben und es blieb dem gepeinigten Menschen nichts anderes übrig, als seine Selbstgespräche und Gedankenreihe nochmal zutage zu bringen. Es gelang sehr schwer, mit großen Pausen, und der Pater mußte wiederholt Brücken schlagen, auf denen die Zunge des Bürgermeisters mählich auf die richtige Redestraße fand.

»Hm,« sagte der Pater, »und was weiter?« Seine Stimme klang sehr gleichgültig.

Der Bürgermeister schüttelte bekümmert den Kopf und ließ den Pater aus seiner Trostlosigkeit lesen, daß nun alle Hoffnung dahin wäre.

Er staunte, daß der fromme Mann ein höchst freies Lächeln dagegen setzte. Er streckte die beiden Arme hilflos zum Himmel, um auszudrücken, daß er Beistand brauche.

Aber der Guardian schlug ihm plötzlich die schwere Rechte auf die Schulter, daß Herr Hansjakob zusammenknickte, und kicherte: hehehe! mit einem ganz unverhohlenen Vergnügen. »Halb elf Uhr, sagten Sie?«

»Halb elf,« wiederholte der Bürgermeister mit großem Ernst.

»So wissen Sie also genau, wieviel's geschlagen hat!« sagte der Pater und ging.

*

Als der Guardian aus dem Kontor in die Wohnstube trat, sah er Frau Anna in nervöser Haltung seiner warten. Er grüßte seinen frommen, volltönenden Gruß und wunderte sich ihrer hastigen Antwort. Sie sah bleich und müde aus und trug eine launenhafte Ungnade zur Schau, die er nicht an ihr gewohnt war.

»Was ist Ihnen, Frau Anna?«

Da ballte sie die beiden Fäuste in einem grundlosen Zorne, während ihr Gesicht zuckte und Tränen unterdrücken wollte, die doch im Augenblick über die Wangen schossen.

»Aber, liebe Frau Anna!«

Sie sank auf einen Stuhl und schluchzte haltlos und bitter ein Leiden heraus, das kein Menschenkind deuten konnte. Der Guardian mühte sich um sie, zog sie empor und suchte sie mit sanften Händen zu trösten. Er beruhigte ihre fetten Wangen und ihre Tränen wurden stiller. Sie ließ sich von ihm führen und gewann an der offenen Tür wieder die Haltung, die notwendig war, um die neugierigen Züge einer Hausmagd mit zwei Dutzend Worten in den Ausdruck offenster Angst zu wandeln. Sie raffte sich auch zu einem drohenden Schritt auf, der die Magd in aller Eile Besen und Schaufel zusammenraffen ließ und zum schnellen Rückzug zwang.

So kam die Frau Bürgermeisterin vor der Außenwelt zur Ruhe; aber als der Pater sie in ihre Stube geführt hatte, brach sie wieder zusammen, und nur die starken Arme des Begleiters schützten sie vor einem derben Fall.

*

Der Bürgermeister verharrte in einem stumpfen Brüten und versuchte, sich durch wiederholtes Kopfschütteln auf andere Gedanken zu bringen. Er maß sein schweres Nachterlebnis gegen das leichte Lachen des Guardian ab und fand ein ungeheueres Mißverhältnis zwischen diesem und jenem.

Er stellte abermals den Tatbestand fest, mit der größten Schärfe der Erinnerung, und konnte als neu nur die Tatsache dazu tun, daß Frau Anna das Türchen ihres Nachtkästchens auffallend stürmisch zugeschlagen hatte, ehe sie ins Bett stieg. Es konnte darin eine Art Vorwetter erblickt werden, oder auch ein leichtes Anzeichen erregter Gemütsstimmung, aber auch hierfür bestanden keine tieferen Gründe.

Es ließ sich überhaupt logisch nicht zu dem Endergebnis kommen, das doch in Wirklichkeit feststand.

Dem Bürgermeister erwuchs ein Vergleich: auch das Lachen des Paters entbehrte jeder Logik. Der Tatbestand, vor den er gestellt war, rechtfertigte kein Lachen. Hansjakob hatte eine gerunzelte Stirne erwartet, zum mindesten ein Erstaunen, allerallerwenigstens ein stärkeres Vertiefen in den sonderbar gelagerten Fall, für den beiderseits Interesse vorhanden sein mußte. Wie konnte der Pater zu dem versprochenen Wunder kommen, wenn der Hauptkontrahent an der Ausübung des Vertrages durch liebloses Zurückstoßen verhindert wurde?

Hansjakob stand empört auf und ging in die Wohnstube, um die Verhandlungen weiter zu führen. Aber als er die Tür geöffnet hatte, war es ihm augenblicklich angenehm, daß er den Pater nicht vorfand. Denn er hätte wiederum tatsächlich nicht gewußt, mit welcher Frage er hätte beginnen sollen. Das Problem war verwickelt, verhaspelt und kaum entwirrbar. Möglich, daß dieser starke Geist die Lösung fand, möglich, daß er jetzt schon auf Frau Anna einsprach und ihrem Starrsinn das Geheimnis entwand.

Er mußte sie außerdem auf das Unbotmäßige ihres Benehmens aufmerksam machen und ihr die heiligen Gesetze erklären, die für diesen Fall maßgebend waren. Herr Hansjakob bedauerte, daß er vergessen hatte, den Vorfall mit dem kräftig zugeworfenen Nachttischtürchen in die Folge der Geschehnisse einzureihen. Es wäre vielleicht ein Fingerzeig für den Guardian gewesen – vielleicht aber war's auch ganz gleichgültig.

Das wichtigste war jedenfalls die Härte des Zurückstoßens.

Und das unbegreiflichste! Waren sie beide nicht vorher zusammen auf dem Kanapee gesessen? Und Hansjakob hatte mit seinem rechten Arme ihre fleischigen Schultern umspannt und mit der linken Hand einem losgewordenen Knopf ihrer Jacke eine lustige Rüge erteilt.

Er schüttelte noch viele Male den Kopf, ging hin und wieder auf den Hausflur, um nach dem Pater zu sehen, trat wieder unentschlossen in sein Kontor und stieg endlich aus Langerweile in seinen Keller, um einigen Trost heraufzuholen.

Er zitterte ein wenig, als er sein Glas eingoß und zum erstenmal in seinem Leben geschah es, daß er auf das grüne Tuch seines Schreibtisches Wein vergeudete. Das machte ihn noch trauriger und er trank ein Glas wie einer, der seinen eigenen Kümmernissen zutrinkt. Dann sank sein Haupt plötzlich auf den Tisch und seine Augen schlossen sich nach dieser schlaflos vollbrachten Nacht in allem Frieden zu.

Aber ein kummervoller Traum ließ ihn die ganze Nacht wieder durchleben und auch der Morgen im Kontor wiederholte sich mit aller Treue; er schnitt wieder Federn, er stellte hundert Fragen, beklagte sich über ein furchtbares Zuschlagen eines Nachttischtürchens und schreckte auf, als die derbe Hand des Paters auf seine Schultern schlug und als alle seine schweren Klagen nur ein Lachen als Antwort fanden. Es kam ihm im Traume vor, als ob die derbe Hand noch einmal zerrend auf seiner Schulter ruhe und er sagte in der lallenden Sprache der Schläfer: dieses hätte nicht sein dürfen; es ist gegen die heiligen Gesetze.

Aber dann schien es ihm, als ob der Traum durch Wachzustände abgelöst worden sei; er versuchte die Augen zu öffnen und sah die Weinflecken auf dem grünen Schreibtisch. Auch rüttelte ihn wieder jemand und er rekapitulierte: »Pater, sie schlug das Türchen ganz entsetzlich zu, ich hatte es vergessen.«

Der Pater schüttelte den Kopf. »Sie haben auch vergessen,« sagte er fröhlich, »daß zu einer heiteren Trinkgelegenheit ein zweites Glas gehört.«

Der Bürgermeister bemühte sich von seinem Tische auf und rieb an den Augen herum, bis er ein Glas fand. »Die Trinkgelegenheit,« stammelte er, »ist nicht heiter.«

»Es war keine je so fröhlich!« rief der Pater und ließ sein Glas an das andere klingen. »Merken Sie nicht, wieviel die Stunde geschlagen hatte, da es halb elf war in der Nacht?!«

Nein, der Bürgermeister merkte es nicht.

Da stellte der Guardian ärgerlich sein Glas nieder und sagte kurz: »Vermögen Sie die Anzeichen nicht zu deuten?«

Nein, er vermochte es nicht.

»Dann gehen Sie zu einer Hebamme!« zürnte der Pater und verließ den armen Mann ohne Gruß.

 


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