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Das sechsundzwanzigste Kapitel

Etwas von starken erzieherischen Sitten und schmerzhaften Bräuchen

 

Und der kleine Pankraz wuchs und gedieh und sein Geist begann, über das Wissen der frommen Frau Rosina hinaus nach Nahrung zu suchen.

Herr Hansjakob sprach seit Wochen andeutungsweise vom Lernen und von Schulen, aber Frau Anna fand, daß der Kleine noch geschont werden müsse. Frau Rosina dagegen war handelseins mit dem Pater Guardian, der den Herrn Vater für den Schulgedanken erwärmt hatte, und bekannte sich innerlich zu einer starken Erziehungsmüdigkeit, die Entlastung verlangte.

Und so reifte der Familienentschluß und Pankraz Corleone Hansjakob erklärte seine freudige Zustimmung zu den neuen Dingen.

Es war nur schwierig, die richtige Schule für den kleinen Mann zu entdecken. In dem Städtchen kam zunächst ein alter Organist in Frage, der ständig an die vierzig Buben und Mädchen zu unterrichten pflegte, recht nett und ganz gut, aber hinter dem Mann stand ein unangenehmes Fragezeichen, das die Matrone Rosina entdeckt hatte und das auch der Guardian kannte und unterstrich. Der Organist stammte nicht aus den bayrischen Landen; er war aus dem Sächsischen eingewandert und allerhand bunte Irrwege hatten ihn eines Tages in ein Jesuitenkloster geführt, in dem man den Musikus mit offenen Armen aufnahm. Nur mußte er sich vorher einer gründlichen inneren Reinigung unterziehen: er kam aus irrgläubigen Gegenden und hatte wunderliche Glaubensanschauungen, die ein gewisser Zwickel verbreitet hatte, (Wenigstens nannte Frau Rosina dem Verführer so. Der Pater hielt dagegen den Namen Zwingli für richtiger.)

Aber die Jesuiten, wie gesagt, reinigten den Mann und schliffen ihn auf ihrer Mühle und verschafften ihm nach langem Dienst im Kloster eine Schulhaltungsgelegenheit im Städtchen. Man hörte nur Freundliches über die Schule erzählen.

Hansjakob schlug seiner Frau vor, daß man es wohl mit dieser Organistenschule versuchen könne; »es sind ganz artige Kinder dort – ich sehe sie wiederholt auf der Straße und sie fallen mir auf, weil sie sich so gesittet benehmen.«

Indes nahm sich die Matrone Rosina als Miterzieherin das Recht heraus, offen und gründlich dagegen zu sprechen. Man könne, leitete sie mit Schärfe ein, von ihr nicht verlangen, daß sie den Mund halte, wenn von einem Menschen die Rede sei, der an einen heiligen Zwickel glaube! Warum wolle man den süßesten kleinen Buben, den sie je einer frommen Wöchnerin in die Arme gelegt habe, nicht gleich durch offenkundige Freimaurer dem Teufel verschreiben lassen? Sei es notwendig, daß zuerst einem lutheranischen Ketzer und Kinderverführer das Sündengeld geopfert werde, damit der Kleine bei ihm die ersten Schritte in den höllischen Rachen lerne?

»Das ist stark!« brauste der Herr Vater auf; die Frau Mutter indes fand die Worte einfältig und klar und gab ihnen gern Eingang in ihre Gedanken. Auch der Guardian widersprach der eifernden Matrone nicht und ließ aus einem Achselzucken erkennen, daß er den Kern der Rede durchaus nicht beanstanden wolle.

»Wo soll denn der Bub sonst hin!« rief Hansjakob ärgerlich.

»Zum alten Samson!« erwiderte die Hebammin stürmisch. Der alte Samson habe tausend Kinder zum Einmaleins auferzogen und auf den Weg des Heils geführt und werde noch tausend kleine fromme Gelehrte machen. Er sei ein Meister der Kinderzucht, das lasse sie sich nicht nehmen.

Außer diesem gerühmten Meister Samson aber kam dann eigentlich nur noch ein armer Schuhmacher auf dem Gries in Frage, der im Nebengewerbe eine kleine Schweinemästerei betrieb und Schule hielt. Jedoch war er schon mehrere Male als Säufer und wegen häufiger sehr übler Behandlung seines Weibes mit Karbatschenhieben abgelohnt und an den Pranger gestellt worden – der Herr Bürgermeister schied die Schule des armen Schuhmachers mit einem Nachdruck aus, der nicht bekämpft werden konnte.

So fiel der Schuster ebenso gründlich durch wie der Organist und es konnte sich nur mehr um die letzte der drei Möglichkeiten des Städtchens handeln, um die Schule des Magisters Samson.

Der Bürgermeister forderte, daß er sich diese Schule erst einmal besehen müsse. Als seine Frau diese Zauderseligkeit mit einem geringschätzigen Aufschürzen ihrer Lippen rügte, bat er den Guardian, mitzugehen und mitzubegutachten und der Plan fand Genehmigung. Nur verlangte die Matrone Rosina, daß man an einem Samstag hingehen müsse. Da hielte der Magister Samson seine große Lektion ab und man würde Wunder hören und sehen.

»Wollen wir den nächsten Samstag hernehmen?« frug der Pater.

»Nächsten Samstag,« sagte der Bürgermeister.

*

Und es war also Samstag geworden und als sich die beiden dem Haus des Magisters näherten, fiel ihnen ein Schreien und Heulen auf, das von ihrem Wegziele herkam.

»Was ist das?« sagte der Herr Vater beklommen.

»Ein gutes Zeichen,« antwortete der Pater Guardian; »der Mann hält Zucht.«

Im Hausflur der Schule saß ein starker Kerl und band frische Ruten in Bündel.

Sie grüßten ihn und fragten ihn nach seinem Tun und Lassen. Er bekannte stolz, daß er des Schulmeisters Gehilfe sei, und bedauerte, daß die Herren augenblicklich nicht zum Herrn Magister kommen könnten – er halte im oberen Schulzimmer seine Samstaglektion.

So warteten sie und lauschten dem Kindergeschrei, das den Pater mit sittlichem Ernst und den Herrn Hansjakob mit Furcht erfüllte.

Und der Schulgehilfe machte seine Rutenbündel fertig und trug sie zu dem Magister Samson. Er meldete zugleich die Gäste und der Magister entschuldigte sich, daß er nicht augenblicklich erscheinen könne, er wäre im schweren Amte tätig.

So mußten der Pater Guardian und der Herr Vater mit dem Schulgehilfen vorliebnehmen und ließen sich von ihm die Gewohnheiten und Meinungen des Herrn Magisters erzählen. Aber der starke junge Mann liebte die langen Wege und begann mit seinen Erinnerungen und den Erlebnissen, die ihn zu Herrn Samson geführt hatten.

Er grollte seinem Schicksal und der Planetenkonstellation, das und die ihn von einem höheren Ziele abgetrieben hatten. Bis zu seinem dreiundzwanzigsten Jahre habe er sich den Studien gewidmet, und die geistlichen Herren, die sein heißes Bemühen leiteten, seien über seine Hartnäckigkeit gerührt gewesen und hätten ihn stets ermuntert. Er sei nah an der Pforte gewesen, die zum priesterlichen Stande führte, da habe das Unheil einen weltlichen Herrn kurfürstlichen Kommissarius herbeigeführt, der in der überlegen tuenden Art der Freigeister und mit der Grobheit eines aufgeklärten Flegels in der hohen rhetorischen Schule examiniert, gewütet und gesiebt habe.

Von droben klang klägliches Geheul herab und der Herr Schulgehilfe ballte seine sehnige Faust und wandte sich an den Pater Guardian mit der Frage, ob es nicht für alle Welt ein Unheil sei, wenn Weltleute es wagen, sich in die Kinderzucht hineinzumischen, der hohen Geistlichkeit den Weg abpassen und ihnen die Schulregierung nehmen wollen!?

»Und da sagte also dieser Freigeist zu mir: gehe Er zum Teufel und werde Er Schuster oder Schneider, aber um Gottes Willen kein Priester! Und sagte das einfach darum, weil ich seine tückischen Fragen nicht beantworten konnte. Denken Sie: ich, der ich das ganze heilige Neue Testament völlig in lateinischer Sprache aufsagen kann, der ich die Schriften der frommen Väter gelesen habe – ich soll Auskunft geben über Dinge, die nur im Bereich weltlicher Neugierde liegen, ich soll auf den Äckern jenes frechen und gotteslästerlichen Wissens pflügen, das zur Abtrünnigkeit führt und aller Eitelkeit voll ist. Aber« – hier rollte der starke Mensch seine Augen und ließ die Zähne knirschen – »aber ich habe es dem Herrn richtig gegeben!«

Jetzt schrie ein Büblein mit ganz herzzerreißender Stimme und Hansjakob schrak schwer zusammen und wußte nicht, ob's in verfrühter Sorge um seinen Pankraz geschah, oder ob er für den Herrn kurfürstlichen Schulkommissarius fürchtete. Er frug vergleichsweise den Schulgehilfen, was er mit dem gestrengen Herrn angefangen habe.

Der Schulgehilfe funkelte Herrn Hansjakob mit zornigen Augen an, um zu erkennen zu geben, wie er sich damals seinem Feind gegenüber verhalten habe. »Ich erklärte ihm rundweg, daß ihn das nichts anginge, sondern nur mich und meinen Beichtvater. Der Heilige Geist habe uns beide erleuchtet und mich zum geistlichen Stande berufen, basta. Und da griff auch der verehrungswürdige Pater Präfektus ein und unterstützte mich dem weltlichen Herrn Prüfungsmann gegenüber und sagte ihm in edlem Zorn, es sei eine Schande für alle neun Musen, wenn ein absolvierter Rhetor wie ich eine Nadel oder eine Ahle in die Hand nehmen würde, in eine Hand, welche schon so lange die gelehrte Feder führte, nehmen und das schwarze Brot eines Handwerkers essen sollte. Der geistliche Stand wäre der vollkommenere. Und also wären auch die meisten Menschen dazu berufen. Und wenn nun ein Jüngling wie ich durch eine harte ungerechte Schickung zufällig nicht geistlich werden sollte, so müsse er doch auf anderen Wegen als bei einer schmählichen Hantierung sein Brot verdienen. Und wenn ich auch ein Esel sei im Examen, so sei ich nicht der größte Esel, denn ich wäre nicht der Allerletzte und nicht der Vorletzte in der Schule, sondern ich hätte mich unter hundert Mitschülern bis zum siebenundneunzigsten hinaufgearbeitet und hätte mich gegen das vorige Jahr, wo ich der Vorletzte gewesen sei, merklich gebessert.«

»So leuchtete mein ehrwürdiger Herr Pater Präfektus dem rohen Manne heim,« sagte der Schulgehilfe und machte eine Pause des verklärten Nachdenkens, während die Schreie der Kinder wieder gellender wurden.

»Aber der weltliche Herr Kommissarius (welcher, wie gesagt, ein Freigeist war) gab auf den ehrwürdigen Herrn Pater, auf mich, meinen Beichtvater und den Heiligen Geist keinen Pfifferling acht, er strich mich und etliche zwanzig andere, die noch dazu vor mir waren, aus der Liste und aus der Laufbahn der Weltpriester. So fügte er dem Pater Präfektus eine tiefe Herzenswunde bei, weil die Zahl der Studenten und also auch die Zahl der Bewerber zum geistlichen Stande merklich abnehmen mußte. Aber der Heilige Geist wird ihn für die ruchlose Tat zur Verantwortung ziehen!« schimpfte der Schulgehilfe und bedrohte den Herrn Vater abermals mit funkelnden Augen.

Herr Hansjakob aber lenkte den jungen Mann ab: »Und so wurden Sie also Schulgehilfe?«

»Noch lange nicht!« überbrüllte der Jüngling ein verzweifeltes Kinderheulen. »Ich ging zu meiner Frau Mutter, die bei dem Herrn Präfektus zur Beichte zu gehen pflegte. Sie beichtete oft und viel, denn sie hatte nicht nur allein ihre Sünden aufzuzählen, sondern auch die Sünden vieler Studenten, welche ich ihr mitgeteilt hatte und zur Besserung meiner Kameraden durch diesen Kanal an den Pater Präfektus laufen ließ. Sie suchte also bei ihm Rat in ihrer Not und so kam es, daß der Herr Pater Präfektus mich an den Herrn Magister Samson empfahl. Er meinte, daß ich hier zum deutschen oder lateinischen Schuldienst ausgebildet werden könne und dann könne er mich in einer Dorfschule unterbringen, weil ich die Orgel spielen kann und mein Gloria und mein Credo so laut zu singen verstehe, wie nur irgendeiner.«

»Und das machte mich wieder ruhig,« versicherte der Schulgehilfe, indem er den Herrn Bürgermeister anstarrte und ihn zwang, seine Ohren wieder dem Kindergebrüll etwas zu verschließen.

»Der Herr Magister Samson suchte einen kräftigen Kerl, hatte man gesagt, und der war ich. Und was für einen Haufen Zeugs ich lateinisch aufzusagen wußte!«

Er versank in Selbstbewunderung und sah so aus, als ob er das Neue Testament lateinisch, von vorne oder von hinten, aufsagen wollte, aber er besann sich wieder auf den Gang seiner Erzählung. »Ich war also, wie gesagt, zufrieden, aber meine Mutter! Sie weinte fast Tag und Nacht und verlobte mich allen Heiligen in der Welt, daß ich aus dem ungeistlichen Stand der Schule nicht sündhaft hervorgehen möge. Insbesondere hatte sie deswegen eine besondere Andacht zum heiligen Aloysius und steckte ein Licht nach dem anderen an seinem Altar für mich auf, daß ich ja nicht heiraten und die Keuschheit verlieren möge.«

Der Herr Bürgermeister war hier wieder so von den verzweifelnden Kindern abgelenkt worden, daß er eine ungestüme Frage einwerfen mußte: »warum schreien diese armen Kleinen?!«

»Warten Sie!« sagte der Schulgehilfe verweisend und drehte sich dem aufmerksamen Pater zu; »ich gab also beim Herrn Magister Samson das Empfehlungsschreiben des hochwürdigen Herrn Präfektus ab und er küßte es, klopfte mir freundschaftlich auf die Achsel und sagte: er werde Vater an mir sein und hoffe einen gehorsamen Sohn an mir zu finden. Sogleich befahl er mir auch – –«

»Es ist mir entsetzlich, dieses Schreien!!« stöhnte Herr Hansjakob.

»Sogleich befahl der Herr Magister,« donnerte der Schulgehilfe empört, »mir auch Erdäpfel und Salz zu reichen und bedauerte, daß ich nicht früher gekommen sei, weil Suppe, Fleisch und Gemüse schon aufgegessen waren. Dieser Empfang gefiel mir und es ging mir auch in der Folge wundergut. Ich durfte aus einer Schüssel mit dem Herrn Magister, seiner Frau und einem sehr ansehnlichen Hauskater essen und hatte fast nichts zu tun, als alle Freitage einen Schubkarren voll Besenreiser zur Schule zu liefern, mir von den Kindern die Lektionen aufsagen zu lassen, Vorschriften zu schreiben und mit den größeren Mädchen zu rechnen, was meine Freude ist.«

»Hören Sie nur!« schrie Herr Hansjakob bleichen Gesichts und packte den Guardian beim Ärmel, »klingt dieses Schreien nicht entsetzlich?« Aber der Pater bedauerte mit einem Achselzucken und behielt sich sein Urteil über das Kindergeheul und seine Ursachen vor. Auch war der Schulgehilfe wieder böse geworden und ballte abermals seine Fäuste, obwohl er von seiner Zufriedenheit gesprochen hatte. Sein Gesicht verzog sich wütend, als Herr Hansjakob mit angstvollen Gesten nach oben zeigte, und der Pater hatte Mühe, den einen zu bändigen und den anderen zur Aufmerksamkeit zu zwingen.

Und zwischendurch gellten die Kinderschreie und machten vorbeigehende Menschen auf der Straße frieren und fürchten. Der Schulgehilfe aber fror nicht und fürchtete nicht und zeigte eine fromme Zufriedenheit mit seinem Lose.

*

 


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