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Das fünfunddreißigste Kapitel

Worin Herr Hansjakob Distanz zu den Dingen sucht und es mit der Angst zu tun hat

 

Die Magd wollte die leeren Kannen holen, aber Herr Hansjakob schickte sie fort und ging selbst in den Keller. Bei jeder Stiege knickten ihm die Knie stärker ein und der kühle Kellerraum konnte ihm die Schweißtropfen nicht nehmen.

Er seufzte und ging an sein berühmtes Sicksackerfaß, um seinen Mut zu heben und die beiden Schergengemüter zu versöhnen.

»Pankraz!« sagte er plötzlich laut und flehend und sah sich ängstlich um, weil er fürchtete, von einem grauen Klosterbart gehört zu werden. Dann trug er seine Kannen ohne die alte Zecherfreude wieder hinauf und raffte vor der Türe ein fröhliches Gesicht für seine Gesellschaft zusammen, seinem Pankraz zuliebe.

»Vielleicht kosten Sie einmal von diesem Saft,« sagte er ermunternd, »er wärmt weiße Haare und schmilzt Gichtknoten.«

»Gichtknoten!« echote der Pater Mulonius und kostete von dem Getränke, als wäre er von der unförmlichen Glatze über den Bauchhang hinweg zu seinen ansonderlich verkrüppelten Zehen ein einziger kuttenbehangener schmelzsüchtiger Gichtknoten.

Der Pater Tantlaquakapatschius aber hatte mit dem bösen Podagra nicht zu schaffen und wärmte also seine weißen Haare durch eine Menge kurzer Züge, deren jeder sein Gesicht etwas erhellte.

»Auf meinen Pankraz!« rief Herr Hansjakob freundlich und hob den Krug.

»Es ist Ungar,« bekannte der Pater Mulonius, als er wieder aus der Kanne kam.

Der Pater Tantlaquakapatschius nickte sehr, kostete aber vorsichtshalber noch einmal und bestätigte wieder. »Es ist ein guter Ungar. Mille deogratias!«

Herr Hansjakob: »Ach ja. Mein lieber Pankraz!«

»Die ungarischen Weine,« begann der Pater Mulonius.

»Auch die süßen griechischen!« unterbrach der andere Graubart mit erwachenden Erinnerungen.

»Gewiß. Aber die ungarischen – –«

Hier fiel Herr Hansjakob mit einer plötzlichen Verzweiflung ein: »Quälen Sie mich nicht, meine lieben Herren. Ich bin Vater und Sie haben einem Vater Sorgen gebracht. Sie sind mit Zweifeln und Ahnungen ins Haus gekommen!«

Die beiden Mönche sahen sich erstaunt an, besannen sich und ließen ihre Bärte verneinend wallen.

»Sorgen??«

»Wir?? Und Zweifel??«

»Ja,« antwortete Hansjakob betrübt. »Sie glauben nicht, wie mich das trifft: ich habe nur dieses eine liebe Kind.«

»Nun ja.« Der Pater Tantlaquakapatschius schickte einen weisen Blick ins Leere und vergrämte seine Stimme: »Es sind schon kaiserliche Häuser ausgestorben, kurfürstliche und fürstliche Häuser, wie's Gott will. Den einen trifft's früher, den anderen später, wenn man nur gut vorbereitet ist.«

»Wenn man aber auf die Vorbereitung vergißt über Studieren und Studieren und noch einmal Studieren!!« leitete der Pater Mulonius ein und ließ den Rest des Satzes in einen beileidsvollen Blick auf den Herrn Vater ausklingen.

»Studieren!« Herr Hansjakob bekleidete den Ausruf mit einer wegwerfenden Gebärde. »Ich will keinen Gelehrten aus ihm machen!«

»Um kurz zu sein: er soll also Geistlicher werden?« frug der Pater Tantlaquakapatschius.

»Nein!« rief der Herr Vater. »Denken Sie: mein einziger Sohn!!«

Da begegneten sich die Klosterbärte traurig und stumm. Es überfiel sie wieder ein Nicken, das kein Nicken war, eher ein wehmütiges Erbarmen im Geiste. Wir haben es immer gesagt, erinnerte dieses Nicken, wir haben immer gewarnt, aber unsere Stimme galt nicht. O wie trübe ist diese Welt und wie heiter könnte sie sein! Und die Bärte knickten noch viele Male auf der Brust zusammen.

»Warum sollte er auch!?« verteidigte sich Hansjakob.

Und die Bärte nickten weiter: warum sollte er auch?? Aber sie nickten Entfremdung, Ablehnung, Kummer.

»Was soll ich denn mit dem Jungen!?« rief Hansjakob.

Der Pater Tantlaquakapatschius hatte sich jetzt müde genickt und griff lieber wieder zum Wort. Er tat's sehr ernst, sehr nachdrücklich und prägte aus seinen Erfahrungen heraus einen unwiderlegbaren Satz: wenn die Menschen studieren, so geschehe es, um sie vollkommen werden zu lassen, welcher Stand sei vollkommen? Nur der geistliche. Ergo: die da studieren und nicht Geistliche werden, wenden sich nicht der Vollkommenheit zu, sondern der Unvollkommenheit. Unvollkommen sein heißt aber in Irrtum, Welteitelkeit und Ketzerei verfallen sein, einem geistigen Tode unterlegen zu sein. Ob der Herr Vater das wolle??

Potztausend, der Herr Vater wollte das unter Fußstampfen nicht.

»Warum dann den Jungen weiter studieren lassen??« frug der Pater Mulonius mit bewölkter Stirne.

»Warum den frühen Tod wählen, den geistigen und den körperlichen?«

»Nein!« schrie Herr Hansjakob.

*

Herr Hansjakob stand wieder vor seinem Sicksackerfaß, weil die erregte Unterhaltung die Kannen stärker beansprucht hatte. Er versuchte beim Abfüllen seine Gedanken zu klären, aber es wollte ihm nicht recht gelingen. Es huschte ihm nur rasch durch den Kopf, daß der Junge mit recht bleichen Wangen heimgekommen sei, und die Hand an der Kanne zitterte. Er war den beiden Klosterbärten bös, aber da sah er die bleichen Wangen vor sich und mußte sein Urteil mildern: wie, wenn sie in braver Absicht gesprochen und wenn sie recht hätten!?

Als er die Gefäße wieder auf den Tisch stellte, hatte er sich soweit gefaßt, daß er den Gästen eine Falle stellen konnte: »Sie haben doch auch studiert – und sind nicht an der Gescheitheit gestorben!«

Der Pater Tantlaquakapatschius holte seine Antwort tief aus dem Sicksacker heraus: »Wir sind nicht Juristen geworden, die ander Leut um Hab und Gut bringen!«

Und der Pater Mulonius: »Und keine Ärzte, die ander Leut um das Leben bringen!«

»Wir haben den geistlichen Stand erwählt – –«

»Und sind darum nicht in die Gefahr gekommen, Ketzer zu werden und des geistigen Todes zu sterben.«

Sie tranken beide wieder und Hansjakob sah Weinperlen über ihre grauen Bärte rinnen. Ihre Worte waren an seinem Ohr vorbeigegangen trotz Würde und Salbenton – er sah nur die bleichen Wangen seines kleinen Pankraz.

Der Pater Tantlaquakapatschius legte plötzlich seine Hand auf die Schulter des Herrn Vaters und bekundete damit, daß er in aller Freundschaft raten und helfen wolle: »wenn er doch nicht Geistlicher werden soll – weg vom Studium! Gleich weg und sein junges Leben erhalten!«

Von der anderen Seite beschwor des Pater Mulonius Rechte die Schulter: »Und es besteht keine Gefahr, daß er ein Ketzer werde!«

Hansjakob atmete schwer und sah ins Weite.

Auch hatte er den heimtückischen Sicksacker viel zu rasch getrunken.

*

Als die beiden Graubärte gegangen waren, holte er sich noch eine Kanne, um sich die Sache richtig überlegen zu können. Der Fall wurde ihm klarer und sein Entschluß festigte sich und war fertig, als Frau Anna wieder ins Zimmer trat. »Gott sei Dank, daß die zwei Kuttenstinker weg sind!« sagte sie mißgelaunt.

»Jaja,« gab Hansjakob zerstreut zurück, während er in Gedanken dem bleichen Buben die Wangen rötete, seine Brust weitete und ihn an allen Ecken und Enden zu einem breiten Mannsbild auswachsen ließ, während er aller seiner Weisheit ein Ende setzte und den Burschen frischweg wieder ins Leben rief und zu seinem Stammhalter ernannte und ermannte – »Nandl!« schrie er, »der Bub hat ausstudiert, das sag ich dir.«

Frau Anna fand in ihrem raschen Erschrecken keine Worte.

»Meinst, ich denk nicht dran: gescheite Kinder sterben früh, Nandl, das ist bewiesen in der Welt und muß so bleiben. Und mir ist ein weniger gescheiter Sohn mit lebendigem Leib lieber als der gelehrteste Tote.«

»Hansjakob!!«

»Jaja. Da gibt's nichts dawider. Das ist bewiesen in der Welt und muß so bleiben. Einen Geistlichen laß ich ihn nicht werden – was soll er denn weiterstudieren?!«

»Hansjakob!!«

»Nein, nein. Und als Jurist tät er mit ander Leut um Hab und Gut bringen und als Arzt um Leib und Leben. Und soll er vielleicht vor lauter Studieren ein Ketzer werden?!«

»Du!!« schrie Frau Anna wütend.

»Hör du dir nur einmal weise alte Leute an, was die dazu sagen: den Pater Tantlaquakapatschius mußt du hören und den Pater Mulonius – allen Respekt vor ihren grauen Bärten!«

Frau Anna bekam allmählich soviel Luft, daß sie ihm erwidern konnte. Sie schrie und weinte und argumentierte, aber sie vergaß an die Kannen zu denken, die Hansjakob geleert hatte. Es half ihr keine Entrüstung und kein Jammern. Hansjakob blieb dabei: »Es ist ausstudiert. Fertig, Amen.« Er war völlig ungerührt von ihrem Jammer und hatte sogar eine gewisse Heiterkeit in seinem Gesicht, die von pfiffigen Zukunftsgedanken ausgestrahlt wurde.

Außerdem mußte Frau Anna während einer längeren Kampfrede gelegentlich stilgemäß zu durchbohrenden Mutterblicken greifen, und da erkannte einer dieser durchbohrenden Blicke, daß er in keiner Form von Herrn Hansjakob erwidert wurde.

Denn der Herr Bürgermeister schlief längst in seinem bequemen Sessel.

»Du!!« knirschte Frau Anna, als sie aus der Stube ging, »du und recht behalten!! Der Bub muß, muuuuuß!! Und die zwei Kuttenstinker und Bartträufler sollen an mich denken!«

 


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