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Das fünfzehnte Kapitel

Darf wegen seines erbaulichen Inhalts nicht überschlagen werden

 

Die interessante Zeit beugte des Guardians hohe Macht im Kloster ein wenig: eines Tages verlangte der Pater Carminifex beispielsweise über seinen Kopf hinweg nach dem Tischgebet im Refektorium Gehör für ein künstliches Genethliacum oder freudenreiches Wiegenlied. Er stand frechlings auf und skandierte trotz vieler ärgerlicher Handbewegungen des Guardians das ellenlange Loblied: Phidia, Zeuxes

Er war nach dieser Entladung beglückt und erregt und nickte nach allen Seiten Dank; denn es war ihm, als ob ein freundliches Beifallsmurmeln rings um die Tafel ging. Ein verzeihlicher Irrtum; er hatte Augen und Ohren von leerer Trunkenheit und sah und hörte nicht, wie der Pater Reimschmidius mit dem letzten Trochäus aufgesprungen war und sich deutscher Verse zu entledigen begann. Der brave Mensch bediente sich dabei vortrefflich seines linken Armes, der ausziehend und niederhackend jeden Vers begleitete und damit kundgab, daß es sich um ein Gedicht handelte.

Es hatte seine Schönheiten:

»O wonnevoller Tag! O wunderschönes Hoffen!
Es wird ein Kindlein uns. – Nun steht der Himmel offen.
Beglückte Eltern Ihr! O welch ein frohes Los!
Dein Schöpfer segnet dich, gebenedeiter Schoß – –«

Hier gab es (vom Dichter unbemerkt) eine kleine Störung: der Pater Carminifex schrak eben aus seiner Verlorenheit auf, erblich und entdeckte die Substanz des vermeintlichen Beifallsgemurmels … Verse deutschester Ärmlichkeit! Er fiel jäh aus seinen Himmeln und ging in seiner Empörung mit keineswegs gedämpften Schritten aus dem Refektorium. Die Schar der Patres hatte sich übrigens schon stark gelichtet, wie er zu seinem Erstaunen bemerkte und eine kleine Schadenfreude gegen den deutschen Reimschmid machte ihn fröhlich; aber nur für Momente – er überlegte, ob diese vielen unbesetzten Patresstühle nicht schon während seines Vortrags, vielleicht gar schon vor den köstlichen Versen 127-219 (die horazische Flüssigkeit mit ovidischem Inhalt und juvenalschem Geist vereinten), ob diese unbesetzten Stühle nicht schon damals – –?

Er schlich bedrückt abseits; da hörte er am großen Eingang zum Refektorium ein unterdrücktes Kichern. Ein Dutzend Patres spähten gaudiert in den Speiseraum: dort stand jetzt nur mehr der weltentrückte Pater Reimschmidius ganz einsam hinter seinem Stuhl, hackte unentwegt mit dem linken Arm und las von dem langen Papierstreifen seine üppigen deutschen Kapuzinerverse ab, die in ihrer Unerschöpflichkeit grandios waren.

Aber es lag in Gottes Rat, daß einer unter vielen Versen der letzte sein mußte und dann ergab sich die Komödie der Komödien: der Mann schien, wenn auch seine Linke noch einige nicht sofort hemmbare Verstakte weiterschlug, plötzlich zu versteinern. Sein fahles Gesicht verriet ein Leid, das in demselben Verhältnis an Größe gewann, als das Lachen an der Tür ausartete.

Dem Pater Carminifex drückte dieses Lachen einen Lorbeerkranz aufs Haupt und er wandelte in Frieden in den Klosterpark, um Vers 127-219 seines Genethliacums ganz allein, ganz für sich an das Laub uralter Pappeln hinzuschwätzen.

*

Auch der Pater Collektor war dem Guardian in manchen Dingen unbotmäßig und nahm keinen Einspruch gegen den Eifer an, mit dem er über die ganze Provinz die These des Wunders verkündete, das unverkennbar geschehen war. Er gab es als sichtliches Doppelwunder bekannt: das durch hohe geistliche Mittel bewirkte Mirakel der Empfängnis und das Mirakel der unerhörten Geburtserleichterung durch die Fürbitte eines der glänzendsten Heiligen des Ordens des großen Hieronymus von Corleone zu Palermo.

Voll brennenden Eifers hatte sich der Collektor mit diesem Heiligen bekannt gemacht; er saß nächtelang über dem frommen Buch des Paters Emmerich von Perlach, bis er den weiland Ordensgenossen in tiefster Seele erfaßt hatte. Aber dann wußte er der Provinz einen Heiligen hinzulegen, daß seine Qualitäten den Gesprächen der ganzen Gegend anflogen und in den Wirtshäusern, in den Spinnstuben und selbst mitunter am Kammerfenster die platte Alltäglichkeit der Gespräche verdrängt wurde und der große Heilige das Stoffliche und die Redewendungen hier und dort beherrschte.

Der Collektor spannte auch die Neugierde seiner Hörer über die Maßen für die großen Kirchfeierlichkeiten des nächsten Sonntages und für die Predigt, die der hochberühmte Pater Eulogius in der Klosterkirche halten werde. Er erwähnte nebenbei, daß der Herr Bürgermeister Pentenrieder ein Lob- und Dankamt gestiftet habe, und daß dieses und die Predigt des Paters Eulogius dem heiligen Hieronymus von Corleone gelten solle.

Des ferneren rutschte der Collektor mit zwei behenden jungen Fratern viel im Dachgestühl des Klosters umher, bis er aus dem Staube eines Winkels endlich das Bild eines mastigen alten Kapuziners hervorzog, das er mit scharfem Blick als das lebenswahre Konterfei des teuren Bruders von Palermo erkannte. Er bestimmte, daß es für das große Festamt auf dem Hauptaltar ausgestellt werden müsse; aber hier blieb der Guardian unnachgiebig und die Gläubigen mußten sich an einem kleinen Seitenaltar zusammenpferchen, wenn sie den gewaltigen Bart des Wundermannes sehen wollten.

Es war überhaupt ein entsetzliches Gedränge an diesem besonders feierlich gemachten Sonntage. Die Frauen kämpften sich in einer Menge an, daß die Männer aus ihren Kirchenstühlen weichen mußten und die Ministranten nur mehr auf dem engsten Raum ihren Dienst verrichten konnten. Gleichwohl hatte der Pater Collektor acht Opferstöcke mehr in der Kirche aufgestellt; sie waren aber durch Eisenbänder und starke Eisenschrauben gegen jeden Unfall gesichert.

Der Pater Eulogius sprach Worte, die in der ganzen Provinz nie vergehen werden. Er übertrumpfte die Schilderungen, die der Pater Collektor über den Palermer Mönch gegeben hatte, himmelhoch und fand Übergänge zu diesem jüngsten und schönsten Ereignis, die geradezu wie lebendige Geschichte sich in die Köpfe einhämmerten. Er vergaß dabei nicht, den Wert des Gelübdes zu betonen und ausführlich alle Schenkungen und Versprechungen der Frau Bürgermeisterin aufzuzählen; er erwähnte der angelobten Immerkuh in so ergreifenden Worten, daß alle Frauen schluchzten und die schwangeren an Ort und Stelle das gleiche Gelübde sich zu eigen machten. Ja, so es nicht in ihrem Vermögen lag, trächtige Kühe zu spenden, boten sie dem heiligen Corleone den eigenen Leib zu seiner himmlischen Erlustierung an.

 


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