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Das erste Kapitel

Handelt schicklicherweise von Zeit, Ort und Umständen, auch ein wenig von Menschen

 

Der Herr Bürgermeister Hansjakob Pentenrieder gehört zu den in gelehrten Künsten erzogenen Menschen, mit denen man ganze lange wohlgepflegte Sätze in lateinischer Sprache reden kann. Er weiß auch eine Menge von Gesetzesparagraphen völlig auswendig herzusagen, nach denen Tagdiebe, vagierende Handwerksgesellen und abscheuliche Hausierer durch die Ortsgerichtsbarkeit über ihr schändliches Tun und Treiben aufgeklärt und per poenam geläutert und zu besseren Menschen umgewandelt werden müssen.

Aber außeramtlich trägt der Herr Bürgermeister eine freundliche Glätte auf Stirne und Wangen und hantiert mit honettem Entgegenkommen gegen jedermann in dem großen Ladengeschäft »Melchior Pentenrieder seligen Erben« (das von den Vorfahren her immer vom Vater auf den Sohn vererbt worden ist). Das Geschäft zeigt viele kirschbaumene Stellagen und Schränke, gibt Samt und Seide an die Frau Amtmännin ab und bedruckten Kattun an der Frau Amtmännin Kuchelmagd. Herr Pentenrieder verkauft ditto an den bemittelten Bürger ostindische Gewürze, Kaffee und Rosogliowein, ingleichen an die unbedeutenden Ortseinwohner Salz, Melissengeist und Peitschenschnüre.

Er legt für unerfahrene Menschen Kapitalien auf Zins an, versorgt auf eine gute Tagesreise hin alle kleinen Landkrämer mit Notwendigkeiten und Nützlichkeiten und gilt als der Ratgeber der Unternehmungslustigen. Alle Witwen kommen zu ihm, sich über die Lebensfragen des einschichtigen Standes Aufklärung zu holen.

Die freundlich gerundete Glätte seiner Wangen ist Trost und Beruhigung für alles hilfesuchende Volk. Denn es ist erfreulich, in volle Wangen zu sehen, auf denen nichts eckig Scharfes mit Ablehnung oder Profitbegier lauert. Altbayrische Menschen müssen oval konstruiert sein und sich in Rundlichkeiten bewegen, wenn ihre Ehrbarkeit deutlich sein soll. Dürre Müller sind zu verabscheuen und die Hagerkeit eines Bierbrauers ist nichts anderes denn der verlorene Prozeß dieses ob seiner Hantierung angeklagten Mannes, wehe dem Metzgermeister, der da sein eigenes Gebein klappern hört! Und dreimal wehe dem Bäcker, dem sein eigen Brot nicht zu Wölbungen gedieh, die angesehen und beliebt machen.

Nein, Herr Hansjakob Pentenrieder trägt die Formen der ehrbar runden Lieblichkeit zur Schau.

*

Herr Hansjakob lebt in dem kleinen Städtchen, dessen Namen wir bereits einmal verschwiegen haben (das aber im Regensburger Gau gesucht werden muß), und sein Eintritt in unser Buch geschieht im Jahre eintausendsiebenhundertachtundfünfzig.

Wir werden uns erlauben, Herrn Hansjakob Pentenrieder und seiner Ehefrau Anna (einer geborenen Brimslerin) im Laufe dieses Jahres eintausendsiebenhundertachtundfünfzig nach einer überaus glücklichen siebzehnjährigen Ehe einen Sohn zu schenken und sind des großen Dankes der beiden kinderlosen Menschen im voraus sicher.

Höchste der Freuden, zu schenken! Indes: der Geber besieht sich zuvor den Empfangenden, wägt den Umfang der Gabe hier und das Bedürfnis dort, tut vielleicht noch ein Quentchen mehr auf seine Schale, um die Schale drüben noch höher aufschnellen zu lassen, freut sich dieses Aufschnellens mit gütigem Wackelbauch und schleicht dann davon, um von der Ferne verstohlen die Folgen seiner Glückstifterei zu beobachten.

In dieser Belauschung des fremden Glückes liegen die Wucherzinsen der kleinen und großen Almosen.

Du beguckst also den Empfänger deiner Gabe – unsernfalls Herrn Hansjakob Pentenrieder und seine Frau Anna Pentenriederin.

Den Bürgermeister kennst du oberflächlich. Unter dieser Oberfläche liegt ein (in späteren Kapiteln merkwürdig zu beleuchtender) Charakter in Zickzackkurven, ein wetterwendischer Aprilmensch: nicht kalt, nicht warm, sosolala temperiert; auch zu vergleichen dem Barometer im Juni, um Johanni etwa: bald trocken, bald naß, wuppsdich niedrig, wuppsdich hoch; bald um einen Juhschrei zu obenhinaus, bald um einen Seufzer zu tief, wie sich mutmaßlich ein unsinniger Laubfrosch gebärdet.

Wenn Hansjakob männlich auftritt und an seine Herrennatur glaubt, vergreift er sich bestimmt in der Tonlage. Seine Befehle sind zu groß angelegt, sozusagen zu geschwollen, ohne Grund hitzig gemacht, und der Mann scheint uns dann eine entgleisende Majestät zu sein, einer jener mittelmäßigen Donnerer, die das Ohr nur zu verwundern vermögen.

So greift sein befehlendes Wort nicht wie ein Brecheisen oder wie ein Hebebaum ein; es ist eine schlaffe Peitsche und strafft die Rücken nicht. Jedermann ist erstaunt, aus den Befehlen des Herrn Hansjakob keinen Ansporn zu gewinnen, und Herr Hansjakob ist gleichermaßen erstaunt. Der starke Ton seiner Worte verhallt ihm selbst viel zu rasch und die Machtgebärden seines Gesichtes werden augenblicklich wieder von der Glätte der Wangen verschlungen. Dann bleibt ihm immer nur eins: den Kopf mit den schlappen Ohren zu schütteln und ein paarmal halbfriedlich eiei, eiei! zu murmeln. Aber damit ist auch seine Rügekraft betan. Vielleicht, daß er aus seinem Gallebeutelchen noch ein Saggrasaggra! heraufholt, aber eben nicht mehr als dieses verblüffte Flüchchen mit abgehacktem Schwanze. Saggrament! wäre um etliche Zoll männlicher als der ganze Hansjakob Pentenrieder und würde unser Porträt durchaus trüben und undeutlich machen.

Wennschon auch dieses viertelsvoll gefluchte Saggrasaggra! als eine menschliche Unvollkommenheit beanstandet werden muß.

Wir meditieren saggrament! als ziemlich sündhaft, den Todsünden nah verwandt, saggrasaggra! als ein Etwas, das man nur verstümmelt, um dem Teufel den Bissen weniger schmackhaft zu machen. Aber, wie gesagt, auch mit dem Fluchversuch steht leider die erste Unvollkommenheit im Charakter des Herrn Hansjakob Pentenrieder fest.

Die Frau Anna Pentenriederin dagegen ist hochzuloben und einzuführen als eine überaus fromme geistreiche andächtige Ehefrau.

Es erscheint uns nützlich, in diesen Zeiten der bösen und ketzerischen Aufklärung das Wort geistreich zwischen bessere Attribute zu zwängen. Vorne der wachsame Engel Frömmigkeit, hinten der Schutzgeist Andacht, beide bereit, der Arglist und der Versuchung vorzubeugen.

Auch ist das Wortbild überaus treffend; Frau Anna Pentenriederin ist stark im Glauben und stets auf der Hut vor der Arglist.

Das ist's, was sie demütig macht und selten von sich reden läßt. Nun denn, wenn sie ihren guten Namen verteidigen muß: sie tut's, sie spricht, sie handelt. Sie läßt die Zungen nicht nach fremder Ehre stechen.

Sie weiß, daß die Zungen der Menschen böse sind. Sie gibt auch dieses ihr Wissen kund, tritt tapfer auf, ist kräftig im Streit und spart die tadelnden Worte nicht. Und sie ist die Frau Bürgermeisterin und hat christliche Nebenpflichten neben dem Bürgermeister zu erfüllen, weibliche Ortshut, Ehrenwacht und Sittenschau.

Wir brauchen diese starken Frauen!

Frau Anna Pentenriederin ist eine grundgläubige Natur und pflegt ihr Christentum mit einer Sorgfalt, um die wir sie beneiden müssen. Sie ist längst über das Buchchristentum hinausgewachsen: ihr Hausaltar ist groß geworden und den Raum, in dem er steht, magst du als eine weihevolle Kapelle anerkennen; du triffst sie zu allen Tageszeiten für viele Augenblickchen in dieser Kapelle; du findest sie aber auch in der Pförtnerstube der hochwürdigen Patres Kapuziner öfter als andere Frauen; viele viele Male siehst du sie im Beichtstuhl und an der Kommunionbank; nie fehlt sie bei den Messen für die armen Seelen Verstorbener, denen sie mit der Macht ihres Gebetes beisteht, mögen auch von Fall zu Fall ihre Gedanken, ihr großes örtliches Wissen und ihre Erfahrung gleichwohl bekümmert sagen: zu spät, du grundschlechte Seele Mayer, umsonst, du grundschlechte Seele Huber, zu spät für dich, du arme sündige Seele.

Und wenn du verstohlenerweise die Frau Bürgermeisterin bei ihrem monatlichen Bade belauschen könntest, die Augen würden sich dir feuchten: sie trägt am nackten Leib den Bußgürtel jener frommen Frauen, die ihrem Gott in den Regeln des dritten Ordens des heiligen Franziskus dienen und ihren Leib abtöten, um die Unzucht vom ehelichen Stande abzuwehren.

Und dabei ist sie eine geschäftige Frau im Hause, die immer anzuordnen weiß, flinkfüßig schaltet und der Trägheit immer auf dem Nacken sitzt. Ihre Augen sehen von den Kellern die Fußböden durch bis zum Speicher und ihr Arm rüttelt die Mägde in den heimlichsten Augenblicken. Sie kennt den ehrbarsten aller ehrbaren Grundsätze: Arbeit kontra Müßiggang, das ist, die Arbeit ist der Riegel gegen die Laster der gemeinen Menschen. Nein, sie duldet kein Laster im Hause.

Und wenn die Frauen ihrer Zeit im Sumpf des Aberglaubens stehen bis zu den Brüsten: sie weiß die Spreu vom Weizen zu unterscheiden. Nur: wenn sie ein altes Weiblein sieht, das der barmherzige Gott mit einem Höcker gekennzeichnet hat, eine mit roten Augen und verfilzten Haaren, zahnlucket, langnägelig, nasentröpfelig, so ergreift sie ein Schauer der Ahnungen. Die Zeit leidet noch sehr unter den Hexensabbaten, und Fitzliputzli und Putzlifitzli wirken bitter verderblich.

Wie sie dieses Hexenvolk verabscheut! Sie kämpft unter den Frauen ihrer Freundschaft mit allen Machtmitteln gegen das satanische Treiben und verbreitet heilige Amulette gegen Teufelei und Hexerei weit über das Städtchen hinaus in die Ställe dankbarer Bauern hinein.

Das Kloster ist erfreut über dieses ihr geistliches Wirken und unterstützt sie nach Kräften. Die hochwürdigen Herren Kapuziner gehen im Bürgermeisterhause ein und aus, beraten gerne mit der gescheiten Frau, nehmen ihre Anregungen und ihre Berichte entgegen und sparen nicht mit geistlichen Geschenken; was sie an gesegneten Kräutern, an heiligen Druckzetteln und artigen Bildchen mitbringen, ist staunenswert.

Lauter hochgeweihte Sachen natürlich, dünne Papierblätter von einer unirdischen Kraft, welkes Laub, mit dem du Teufelsfäuste zu Kinderhändchen ermattest, Ablaßbildchen, die aufgerissene Höllenschlünde wieder zuklappen machen.

Das ist allerhand.

Aber wenn du so die blitzblanke Feindlichkeit gegen das Laster vor deinen Schritten herträgst, so geht dein Weg durch die ungewaschenen Mäuler der Welt. Wenn der Esel schmutzig ist, scheuert er sich an weißgetünchten Hauswänden, das muß man wissen! Ach, Klatsch und Tratsch und Trallawatsch sind die Nattern auf den Pfaden der Tugendfreunde.

O über euch ungewaschene Mäuler!

Aber aufrechten Kopfes geht Frau Anna Pentenriederin an der Bosheit der Menschen vorüber.

 


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