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Ich hätte an der Wegbiegung, wo das Bongbapferd starb, schließen können. Die noch übrigen neun Tagereisen sind nur der letzte Abschnitt eines Rückzugs, der von der tibetischen Grenze an durch wohlbekanntes Land geführt hatte. Viele Engländer reisen jährlich auf dieser Straße, und ich habe nichts zu berichten, was nicht schon andere gesehen und geschildert haben. Aber wir wollen doch die Leine auslaufen lassen!
Von der Brücke von Wangtu über dem Satledsch steigen wir 540 Meter nach dem Unterkunftshause von Ratschar hinauf. Während der nächsten Tagereise, am 7. September, sinken wir um einen Eiffelturm auf dem Wege nach Paunda, der bald über freie Abhänge, bald durch herrliche Haine mit Himalajazedern und Ulmenwäldchen führte. Der Verkehr wird lebhafter. Wir begegnen Wanderern und kleinen Herden schwarzen und weißen Viehes, das hübsch und wohlgenährt und teils beladen, teils unbeladen ist.
Am nächsten Morgen stehen neun Kulis vor dem Bungalow in Paunda und warten auf mein arg mitgenommenes Gepäck; in ihrer Gesellschaft ziehen wir zu den Tälern von Soldam hinab, die sich gleich unterhalb der Straße miteinander vereinigen. Hier erhebt sich ein letztes lamaistisches Straßenportal mit den gewöhnlichen Malereien unter der Decke und einer Manimauer an seiner Seite. Tibets Religion brennt in der Tiefe jener Täler mit erlöschender Flamme. Hier tosen Wasserfälle und Kaskaden, hier singen Flüsse zwischen Steinen und Blöcken, hier herrscht eine andere Stimmung als in der stillen, majestätischen Ruhe der tibetischen Klöster und ihrer schweigenden, feierlichen Dämmerung. Wir sind wieder so tief unten, daß der Wald dort nicht mehr gedeiht, aber wir sehen seine dunklen Massen auf den Höhen zur Linken unseres Weges.
Als wir das Soldamtal verlassen, geht es wieder steil zu den Höhen des Waldgürtels empor, und bald treten wir wieder unter schattige, schwarze Gewölbe. Vornübergebeugt, mit langsamen, festen Schritten wandern meine Kulis bergauf, oft ruhen sie aus und stemmen dabei die Lasten, ohne sie abzunehmen, auf Blöcke und Absätze. Bei dem Gasthause des Dorfes Taranda sind wir wieder 2240 Meter über dem Meer.
Am Abend und in der Nacht regnete es tüchtig, und als wir am folgenden Morgen weiterzogen, war die Straße schlüpfrig von Schlamm, und es tropfte von den klatschnassen Bäumen herab. Doch die Luft ist herrlich kühl, und vom Walde her duftet es lieblich. Bald geht es langsam bergab, bald bleiben wir lange auf ein und derselben Höhe. Drei Nebentäler und ein kleiner Paß werden überschritten, ehe wir die Herberge des Dorfes Sarahan erreichen.
Hier überraschte mich ein englisch geschriebener Brief Schumschir Sings, des Radscha von Beschahr, der in artiger Weise anfragte, ob er mir einen Besuch abstatten dürfe. Ich danke! Ein Radscha, der um Audienz bittet! »Eure Hoheit sind herzlich willkommen«, schrieb ich ihm zurück. Und Seine Hoheit kam, aber nicht mit leichten, elastischen Schritten wie ein Fürst der Berge. Er war ein uraltes, vertrocknetes Männchen, das vor Alter und Gebrechlichkeit nicht mehr auf den Beinen stehen konnte, geschweige denn zu gehen vermochte, sondern von beturbanten Dienern auf einer Bahre getragen wurde. Sie halfen ihm nach einem Liegestuhl in meinem Zimmer hin, und nun begann eine höchst merkwürdige Unterhaltung. Der edle Fürst war stocktaub, und um mich ihm verständlich zu machen, mußte ich ihm ins Ohr brüllen. Sein eigenes Englisch war nicht einmal dann, wenn man so gut hören kann wie ich, leicht zu verstehen. Aber dennoch schwatzten wir drauflos, alles bunt durcheinander, und ehe ich noch dazu kam, Gulam einige Befehle zu erteilen, kommandierte der Gast selbst:
»Bringen Sie mir Tee mit Kuchen und setzen Sie mir Tabak vor, denn ich gedenke eine Pfeife zu rauchen.«
Unterdessen besah er sich alles, was an Kleinigkeiten umherlag, und steckte sich, ohne eine Miene zu verziehen oder auch nur ein Wort zu sagen, zwei meiner letzten Bleistifte in die Tasche. Es war ihm gewiß schon zur Gewohnheit geworden, die Gäste des Bungalows auf diese harmlose Weise zu brandschatzen, und ich hätte ihm gern eine ganze Wagenladung Bleistifte geschenkt, wenn es in meiner Macht gelegen hätte.
»Wie alt sind Euer Hoheit?« fragte ich.
»Neunundvierzig Jahre«, behauptete er dreist, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, obwohl er gewiß seine achtzig Lenze über Sarahans herrliche Gegenden hatte hinziehen sehen.
»Wie alt sind Euer Gnaden?« fragte er mich.
»Dreiundvierzig Jahre«, erwiderte ich.
»Da bin ich drei Jahre älter als Sie«, meinte Seine Hoheit.
»Stimmt!« antwortete ich, da ich nicht mit einer armseligen Drei geizen wollte, nachdem er sich selber in so kaltblütiger Weise einige dreißig Jahre abgestrichen hatte. Damit war die merkwürdige Visite zu Ende. Mein Anerbieten, ihm einen Gegenbesuch zu machen, wurde energisch abgelehnt. Früh am nächsten Morgen meldete sich der alte, Radscha wieder an, aber da ließ ich ihm sagen, daß ich ihn leider nicht empfangen könne, und zog schleunigst mit meinen letzten Bleistiften ab.
Die nächste Tagereise führte mich über das Nebental Manglardkard nach dem Unterkunftshause Gaora, das zwar kleiner und unbedeutender war als die vorhergehenden, mir aber lieber und reicher an Erinnerungen ist als sie alle zusammen. Hier brachte mir nämlich ein Bote, den mein ritterlicher Freund Oberst J. R. Dunlop Smith aus Simla geschickt hatte, eine große Tasche voller Briefe aus Stockholm. Nun vergaß ich alles um mich herum; der Himalaja, dessen stolze Höhen rings um mich emporragten, verschwand; ich hatte ja seit einem ganzen Jahre kein Wort aus meinem Elternhause gehört!
In Gaora beträgt die Höhe über dem Meer 1836 Meter, und in der Nacht auf den 11. September sank die Temperatur auf 4,9 Grad. Daher war es am Morgen richtig kalt. Aber im Laufe des Tages sollte es anders werden. Der ganze Weg führte bergab, und ich ging zu Fuß durch dieses unvergleichliche Land. In dem großen Dorfe Rampur am Satledschufer befand ich mich nur 1180 Meter über dem Meer, war also im Laufe des Tages um 800 Meter tiefer gelangt. Jetzt war die Luft so feuchtwarm und schwül wie in einem Treibhause. Der Atem des sommerheißen Indiens schlug mir entgegen. Einige dreißig Meter unter dem Dorfe schäumt der Satledsch, und von neuem hallt sein wohlbekanntes Tosen in den Ohren wider. Der Fluß ist hier imposant. Man glaubt, aus dem dumpfen Rauschen herauszuhören, daß er stolz auf sein Werk ist. Hier hat er die höchsten, wildesten Ketten des Himalaja besiegt; nur kleinere Kämme sind noch zu überwinden. Doch er ist müde von seinen Arbeiten, und er sehnt sich aus dem Gebirge heraus nach den offenen Ebenen des Pendschab und dem grenzenlosen Meere hin – Thalatta, Thalatta!
Radsch Sahib Mangat Ram, einer der Beamten des kleinen Staates, war mir schon auf halbem Wege entgegengekommen, und während ich auf der Veranda des Bungalows an dem großen Tische saß und schrieb, ließ er auf dem Fußboden auf einem Teppich zwölf Schüsseln auftragen, die hochaufgetürmt Reis, Gewürze, Zuckerbrot und Früchte enthielten; obendrein schleppte ein Diener noch ein widerspenstiges Schaf herein. Ich bedankte mich für die Aufmerksamkeit, fest entschlossen, den vollen Wert des Geschenkes zu vergüten. Denn Beschahr ist ein armer Staat, und seine Beamten haben es wirklich nicht dazu, allen weißen Gästen, denen es einfällt in Rampur zu erscheinen, noch Obst und Erfrischungen zu schenken. Die Staatseinkünfte sollen sich auf 30 000 Rupien belaufen. Als bei Poo, wo wir unter dem schrecklichen Kabel über den Fluß geschwebt waren, eine neue Brücke gebaut werden sollte, konnte man auf den Bau nicht mehr als 1800 Rupien verwenden. Man wollte wohl die neue Brücke gleich wieder denselben Weg gehen lassen wie ihre Vorgängerin. Das Budget hat auch mit andern Einbußen zu rechnen; so bezieht der »Staatsminister« für die unschätzbaren Dienste, die er dem Reiche leistet, monatlich 200 Rupien, und für den kleinen Radscha, der die Bleistifte so sehr liebt, kann wirklich nicht viel übrig bleiben.
Dennoch konnte der Radscha es sich leisten, in Rampur in einem Schlosse namens Schische Mahal oder der »Glaspalast« zu wohnen, einem banalen Gebäude in unreinem orientalischem Stil, mit bunten Glasfenstern, schlecht gemalten Porträts des Besitzers und anderer Fürsten und wohlfeilem glitzerndem Kram an den Wänden und in den Veranden. Der Hof hatte den anspruchsvollen Namen »Top-chaneh« oder Artilleriehof, dort standen in der Tat zwei alte rostige Vorderladekanonen. Das Ganze trug den Stempel des Heruntergekommenseins, des Verfalls und der Geschmacklosigkeit. Da lobe ich mir die Klöster in Tibet, ihre solide Architektur und ihren reinen, unverfälschten Stil!
Im übrigen besitzt Rampur nicht viele Sehenswürdigkeiten. Ja doch! Eine Brücke über den Satledsch, eine Basargasse mit Läden und Werkstätten ganz wie in Indien, ein Posthaus, eine Schule und zwei Hindutempel, die mit einem lamaistischen Kloster erfolgreich um die Seelen der Bevölkerung kämpfen. In dem letzteren zeigte mir ein einsamer Lama den großen Gebetzylinder, dessen 187 000 Manis gerade von einem Gläubigen gedreht wurden. Er erzählte mir auch, daß dieses Kloster das letzte auf dem Wege aus Tibet sei. So lebt denn wohl ihr Mönche mit eurem ewigen » Om mani padme hum«!
Am folgenden Morgen stellten sich alle die Würdenträger zur Abschiedsvisite ein, jetzt aber noch durch den Postmeister, den Schuldirektor und einen dicken Punditen namens Narayan Dutt verstärkt. Nachdem alle, die mir gefällig gewesen waren, reichlich bemessene Trinkgelder erhalten hatten, wollte ich die gestern erhaltene Bewirtung und das Schaf bezahlen. Die Rupien wurden auf den Tisch gezählt, aber die edlen Herren erklärten großmütig, die Eßwaren seien eine Staatsangelegenheit, eine Bewillkommnungsgabe im Namen Seiner Hoheit des Radscha von Beschahr gewesen und von irgendwelcher Vergütung könne keine Rede sein. Da dankte ich ihnen denn für die große Gastfreiheit, ließ den Radscha bestens grüßen und bestieg den großen Rappen, den ich hier gemietet hatte und der mich nun anstatt meines treuen weißen Freundes aus Kamba Tsenams Zelt nach Simla tragen sollte.
Die guten Herren und Männer aus Beschahr begleiteten mich in Prozession, als ich Rampur verließ. Auf der Straße waren die Schulknaben in zwei Reihen aufgestellt, und als wir vorbeizogen, salamten sie kichernd. »Laßt es euch gut gehen, ihr Buben!« rief ich ihnen zu, und dann bat ich die Prozession, sie möchten sich doch ja nicht meinetwegen ihre Schuhsohlen abnützen. Froh, des Höflichkeitszwanges ledig zu sein, verbeugten sich alle tief und kehrten nach dem Dorfe zurück.
Längs des Satledschufers ritt ich weiter. Der majestätische Fluß ist ruhiger und tobt weniger als früher. Das Tal erweitert sich etwas, die Steilheit der Gehänge nimmt ab, die Straße liegt zehn bis zwanzig Meter höher als die Wasserfläche, und auf der Brücke, die über den Nebenfluß Nogri führt, bewundern wir wieder smaragdgrüne, schäumende Wassermassen, die im Schoße des Satledsch verschwinden. Jenseits des Dorfes Date-nagar macht der Fluß eine scharfe Biegung, und an einer schmalen Stelle hängt eine Netzbrücke zwischen den Ufern. Zuverlässig sieht diese lange Hängematte gerade nicht aus, aber, mit dem Kabel bei Poo verglichen, ist sie immer noch prachtvoll.
In Nirit befinden wir uns in 1115 Meter Höhe und lesen um ein Uhr mittags 31 Grad ab. Demjenigen, der zwei Jahre in Tibet gelebt hat, erscheint dies drückend heiß. Hier drunten bringt nicht einmal die Nacht Kühlung, da das Minimum auf 21,1 Grad stehen bleibt.
Aus Nirit muß ich eine lustige kleine Episode erzählen. Als ich beim Schreiben saß, trat Gulam, aufgebracht und kochend vor Wut, an die Veranda heran, um mir zu melden, daß ihm, der überall hinter uns zurückblieb, um das Letzte einzupacken, als er Rampur habe verlassen wollen, ganz unvermutet eine Rechnung vorgelegt worden sei. Die guten Wirte verlangten Entschädigung für das Schaf und die andern Delikatessen, die bezahlen zu dürfen ich vergeblich gebeten hatte. Da Gulam kein Geld bei sich hatte, habe man ihm den Revolver nehmen wollen. Schließlich habe man sich dahin geeinigt, daß einer der Männer ihn nach Nirit begleiten und seine Forderung bei mir eintreiben solle. Dort erschien er auch schon, der Unglücksrabe, und als Gulam ihn erblickte, entflammte sein Zorn von neuem. Er gab ihm ein paar so tüchtige Maulschellen, daß der Mann ins Gebüsch purzelte und dann schnell die Flucht ergriff. Erst nachdem Gulam sich in die Küche zurückgezogen hatte, kehrte der unerwartete Gläubiger zurück und erhielt von mir eine Entschädigung, und zwar nicht nur für die mir zuteilgewordene Bewirtung, sondern auch für die Prügelsuppe, die er selbst erhalten hatte. Das Schaf durfte er behalten; das Merkwürdige war, daß das Schaf durch diese Geschichte am Leben blieb. Bei Geschenken soll man im Orient vorsichtig sein.
Der 13. September war ein Sonntag, und ich hatte einen herrlichen Ritt nach Kotgar hinauf. Es galt ja von 1115 Metern in Nirit zu den 1710 Metern in Kotgar hinaufzusteigen, also sich um zwei Eiffeltürme in kühlere Regionen emporzuschwingen. Jedoch zieht sich die Straße noch eine Weile am Ufer des berühmten Flusses hin. Sein Lauf wird immer ruhiger. Freilich sieht man hier und dort Stromschnellen, aber das trübgraue Wasser schäumt und tost nicht mehr so heftig wie weiter oben. Der Satledsch ist müde nach seinem Werke; die gewaltigen Wassermassen brauchen nicht länger zu arbeiten, sie gleiten träge in die Ebenen hinunter, sie singen nicht laut und triumphierend wie früher, sondern summen nur ihre alten Lieder. Zuweilen ist der Fluß ganz stumm, dann aber erhebt er in neuen Stromschnellen wieder seine Stimme. Ich höre ihn noch einmal und sehe ihn zum letzten Male hinter den Hügeln verschwinden, als ich vom Ufer fort zu den Tanadar umgebenden Höhen hinaufreite.
Wie schön ist es, das stickige Tal und die eingeschlossenen Dünste hinter sich zu lassen! Die Luft wird kühler und frischer, je höher wir gelangen, und weiße Wölkchen werfen ihre Schatten über die Erde. In der Ferne zeigen sich wieder die Kailasgipfel, die Wohnsitze des ewigen Schnees.
Mehrere Europäer hielten sich gerade in Kotgar auf, und ich wurde außerordentlich gastfrei aufgenommen. Unter ihnen befand sich Missionar Bentel, der 38 Jahre seines Lebens als Prediger gewirkt hatte. Ich wohnte dem Abendgottesdienst in der kleinen englischen Kirche bei und lauschte wieder einem christlichen Gottesdienst. Die Karawane langte später als gewöhnlich in dem Hofe des Bungalows von Kotgar an. Eines der Pferde aus Tschang-tang hatte vergeblich versucht, die Abhänge von Tanadar zu erklimmen; es war eine steile Wand hinuntergestürzt und war auf der Stelle tot gewesen. Unter meinen zehn Tieren hatte die Straße von Toktschen nach Simla drei Opfer gefordert.
Der 14. September, noch 80 Kilometer! An einer Wegbiegung begegnete ich sechs Läufern mit einem leeren Rickscha. Eine angenehme Abwechslung, in dem leichten, zweiräderigen Lehnstuhl Platz nehmen zu können und über die hochliegende Oberfläche domförmiger Kämme und Rücken hinzusausen. Ich rauche Zigaretten, schreibe meine Aufzeichnungen nieder und lasse den Blick frei über tiefe Täler und in unendlich weite Fernen hinschweifen. Ich brauchte auch keine Besorgnis zu hegen, daß meine Läufer ermüden würden. An jedem Bungalow erwartet mich ein neues Gespann, und ich kann so lange weiterfahren, wie es mir gefällt. In Narkanda befinden wir uns in größerer Höhe, als wir seit Rogi gewesen sind, 2680 Meter über dem Meer. In Theog halte ich Rast, um Mittag zu essen, fahre dann aber mit Laternen auf der Deichsel im Dunkeln weiter. Die Räder kreischen, die nackten Fußsohlen meiner Leute klatschen auf der harten, ebenen Straße, und der Lichtschein zittert lustig vor der dahineilenden Schar her. Aber es war schade, die schöne Aussicht einzubüßen, und da ich nicht mitten in der Nacht in Simla ankommen wollte, schlug ich in dem Bungalow des Dorfes Fagu zum letztenmal auf dieser langen Reise mein Lager auf.
Der letzte Tag bricht an! Der Morgen ist frisch und klar, und in früher Stunde begann ich den Marsch nach dem schönen Orte, der die Lagernummer 500 trägt. Meine Läufer sausen wie der Blitz dahin, und schnell rollt das Rickscha auf dem langsam abfallenden Kamme, der bis Simla geht. Schnell vergrößern sich die heitern, weißen Sommerhäuser auf dem Zedernhügel, und bald saust das Gefährt durch den üppigen Nadelholzwald, dessen Kronen sich über tiefen Tälern wölben.
Oft und gern schaue ich aus meinen Fenstern in dem gastfreien Viceregal Lodge. Bald vom Sonnenschein überflutet, bald durch regenschwere Wolken beschattet, entrollt der Himalaja rings um mich seine Wunder. Ich bin auf einer Klippe in einem aufgewühlten Meere gestrandet. Jenseits der Kämme im Osten ahne ich den heiligen Berg, wo Brahma in seinem Himmel thront und Siwa in seinem Paradiese weilt. Und jenseits des Sagendunkels läßt mein königlicher Transhimalaja seine mit Schnee bedeckten Ketten zur Sonne emporragen.
Nach Westen hin aber sinken die Kämme des Himalaja zu niedrigen Hügeln hinab, die schließlich in die endlosen Ebenen des Pendschab übergehen. Am Rande des Horizonts verschwimmen diese Wellen wie eine versteinerte Brandung an der Küste eines Wüstenmeeres. Mitten in dem gelben Nebel am Fuße des Gebirges zeigt sich in der Ferne ein dunkleres Band, das sich an Firazpur vorbei nach dem Indus schlängelt. Es ist der Satledsch! In meinen Ohren saust die Erinnerung an rauschendes Wasser, und ich glaube noch immer den stolzen Fluß von seiner Sehnsucht nach dem Meere singen zu hören.
Westtibet. Gezeichnet von Leutnant C. I. Otto Kjellström. Maßstab: 1 : 1500 000.
Druck von F. A. Brockhaus,
Leipzig.