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Der Morgen des 25. September brach klar, kalt und windstill an, und die 15,4 Grad Kälte während der Nacht hatten die ruhigeren Stellen des Baches mit Eisbrücken belegt, die an den im Bette liegenden Steinen haltfanden. Doch als wir aus dem Lager 249 zwischen Vorsprüngen und Wänden aus Granit und Porphyr langsam talaufwärts zogen, begegneten wir bald dem neuen Schmelzwasser, das die Morgensonne auf den Höhen aus seinen Banden befreit hatte und das nun die eine Nacht alten Eisschollen hell erklingen ließ.
Hier und dort starrt uns ein Quellauge an, dessen Wasser in der Kälte gefroren ist. Verlassene Lagerplätze zeugen von Besuchen der Nomaden und der Pilger. Manchmal hört das Geröll eine kürzere Strecke auf, Moos oder feines hochalpines Gras bildet einen weichen Teppich unter den Hufen der Tiere, und die Karawane schreitet lautlos dahin. Dort haben die Murmeltiere ihre Höhlen.
Der wilde Yak scheut die öden Gegenden, die wir eben hinter uns zurückgelassen haben. Hier aber, auf den Höhen des Transhimalaja, hat er eine Freistatt und findet die Weide und die Kälte, die ihm zusagen. Ein berühmter Jäger aus Njanda hatte kürzlich auf den Abhängen des Dschukti-Passes einen Yakstier verwundet und hätte dabei beinahe sein Leben eingebüßt. Schäumend vor Wut hatte das Tier den Mann mit seinen Hörnern angegriffen, und es war dem Bedrohten nur mit genauer Not gelungen, sich zwischen zwei Blöcke zu flüchten, deren Zwischenraum zu eng war, als daß der Yak sich hineinzwängen konnte.
Das Tal erweitert sich zu einer steil ansteigenden Mulde. Bei Tschangsang-karpo, wo heller Porphyrit ansteht, wird der Pfad reizend. Ein Riese scheint dort einen Lastwagen voll gewaltiger Blöcke umgeworfen zu haben, um uns den Weg zu versperren. Zwischen den Blöcken schlängelt sich der Pfad im Zickzack zum Passe hinauf. Manchmal können die Tiere sich kaum durch die engen Zwischenräume hindurchzwängen. Einige Stufen sind so steil, daß man es vorzieht, zu gehen. Vergeblich späht man nach den Höhen hinauf, hoffend, daß der Kegel bald ein Ende nehmen werde. Doch beständig erheben sich vor und über uns neue Blockrücken, und mit unaufhörlichen Unterbrechungen schreitet der Zug zum Dschukti-la hinauf.
Meine gemieteten Yaks marschieren leicht und gewandt, und ich muß mich immer wieder wundern, daß die Pferde sich in den tückischen Löchern, die oft schwarz zwischen den Steinen gähnen, nicht die Beine brechen. Zuweilen sehen wir unter einem Felsblocke einen zugefrorenen, grünglänzenden Tümpel von mittlerer Größe. Im Süden schieben sich ein paar steil herabhängende Gletscherzungen zwischen schwarzen Felsschultern im Kamme der Kette vor. Das Eis des Gletscherendes glänzt wie polierter Stahl.
Die Steigung wird geringer, aber noch haben wir einen weiten Weg nach Nordwesten vor uns, ehe wir zwei kleine Steinmale mit flatternden Wimpeln und Schnüren erreichen. Es ist der Höhepunkt des Dschukti-la. Hier sauste der Westwind mit halber Sturmstärke, schneidend und rauh. Die Karawane mußte sogleich ihren Marsch fortsetzen und in das geschützte Tal auf der andern Seite hinunterziehen. Ich selbst blieb mit dreien meiner Leute auf dem Passe, um seine Höhe über dem Meeresspiegel festzustellen. Es war mein fünfter Übergang über den Transhimalaja! Der Dschukti-la war allerdings schon überschritten worden, von Herrn Calvert und den Punditen. Aber ich wollte doch eine genaue Höhenbestimmung mit dem Siedethermometer haben. Es handelte sich jetzt nur darum, das Wasser mit den letzten Spiritustropfen, welche die Lampe noch enthielt, zum Sieden zu bringen.
Tundup Sonam und Rabsang bildeten mit ihren Pelzen einen Windschirm, und ich zündete den Docht an; das Wasser begann in dem Gefäße zu summen und zu singen, und bald stieg die Quecksilbersäule in dem Rohre des Thermometers. Da erlosch die Lampe! Doch sollte ich hier auch tagelang warten müssen, die Höhe mußte ich haben! Nie wieder würde mich das Schicksal zum Dschukti-la führen, und versäumte ich diese Gelegenheit, so würde ich es nachher bitter zu bereuen haben.
Rabsang hatte gute Lungen. Er mußte der Karawane nacheilen und mir einige Stearinlichtstümpfe holen. Man rennt jedoch nicht auf dieser schwindelerregenden Höhe und zwischen so greulichen Porphyritblöcken! Wir mußten geduldig warten. Ich hatte nur einen Regenmantel als Schutz gegen den mörderischen Wind. Den Rücken nach der Windseite, kauert man sich nieder, wiegt den Oberkörper hin und her, summt ein Liedchen vor sich hin und ist dabei dem Erfrieren nahe. Tundup Sonam und der tibetische Führer hocken dicht nebeneinander, und mein Reitpferd steht mit gesenktem Kopfe halbschlafend da, während sein Schwanz und seine Mähne im Winde flattern.
Eine Stunde verging, und auch die zweite verrann. Diese Stunden sind endlos lang, wenn man das Blut langsam in den Adern erstarren fühlt, bis man schließlich kaum noch ein Glied rühren kann. Endlich lassen sich scharrende Schritte hören, und nach einer Weile war auch der Siedepunkt des Wassers ordnungsmäßig bestimmt. Der Dschukti-hloma-la ist 5825 Meter hoch, mehr als tausend Meter höher als der Gipfel des Montblanc; er war also der zweithöchste aller Pässe, die ich auf dieser Reise überschritten hatte! Der allerhöchste war der Ding-la mit seinen 5885 Metern.
Mit Wohlbehagen packt man nach einem solchen Zusammenstöße mit dem Winde seine Geräte wieder ein (Abb. 22). Ich war zu steif, um reiten zu können, und ging zu Fuß, um meine Glieder wieder geschmeidig zu machen. Schnell kann man hier nicht gehen, denn die Luft wird hier knapp und das Herz klopft, als ob es bersten wolle. Bald nehme ich wieder meine Zuflucht zum Sattel. Der Wind kommt mir gerade entgegen, er stürzt sich wie von einem Sprungbrette herab.
22. Rast unterwegs auf einem Passe. (S. 28.)
Auf der rechten Seite mündet ein kleines Nebental ein.
»Wie heißt jenes Tal?« fragte ich, wie gewöhnlich, den Führer.
»Es ist der Weg vom Dschukti-tschangma-la«, antwortet er. Dort zeigte sich gerade einer der Männer aus Rampur, der mit dem Vortrabe der Schafkarawane angezogen kam.
»Warum haben wir nicht denselben Weg eingeschlagen wie jene Leute?« fragte ich.
»Der Dschukti-tschangma-la ist teilweise mit Eis bedeckt, und Pferde können ihn nicht überschreiten. Und es ist beinahe unmöglich, Schafe zwischen den Blöcken des Dschukti-hloma hindurchzutreiben.«
Auf der linken Seite öffnet sich das Tal Dunglung-tschenmo, in dessen Hintergrund wir Schneefelder und unbedeutende Gletscher erblicken. Wir ziehen an der rechten Seite des Haupttals hin. Der ganze Weg ist mit Blöcken und Schutt aus Granit und Porphyrit bedeckt, die selten kleinen Grasflecken Raum gewähren. Das von den beiden Dschukti-Pässen herunterkommende Tal ist kräftig ausgemeißelt und zwischen wilden, schroffen Felswänden eingeklemmt. Doch es ist leblos wie eine Wüste. Man sieht weder wilde noch zahme Tiere. Der Führer sagte jedoch, daß es in der Gegend viele Wölfe und Luchse gebe.
Nach den schaurigen Höhen mit ihrer Kälte und ihren Winden war es ein schönes Gefühl, in Dunglung-sumbo (5171 Meter) vom Pferde steigen zu können, wo uns das Lager 250 erwartete und das Kohlendecken wohltuende Wärme in meinem Zelte verbreitete (Abb. 16, 17). Wir waren um 654 Meter tiefer gelangt, und gerade hier mündete das Tal Lasar, das sich von dem dritten Passe, dem Lasar-la, herabzieht.
16. Tibetische Führer. (S. 21.)
17. Mein Zelt. (S. 24.)
Der 26. September ist mein letzter Tag auf dieser Exkursion. Wir sollten nun nach Gartok hinab, wo mich eine Postsendung aus Indien erwartete und wo ich endlich Nachricht aus dem Elternhause und aus Schweden erhalten würde! Daher wurde früher als gewöhnlich aufgebrochen, und in raschem Tempo ritten wir in dem ziemlich engen Tale abwärts. Die Felsen der rechten Seite fallen steil ab, und an ihrem Fuße rieselt der Bach der drei Pässe hin. Nach einer Weile weichen die letzten Kulissen zur Seite, und durch das Tor der Talmündung erschließt sich die Aussicht über das gewaltige Tal, welches der südliche Indusarm, der Gar-tschu oder Gartong, in nordwestlicher Richtung durchströmt. Im Hintergrunde jenseits des Flußbettes erheben sich mächtige Bergmassen, die zum Himalaja gehören.
Bei Hlande-tsogsa sind an den Seiten des Weges vier kegelförmige Steinhaufen aufgestapelt, aber kein einziges » Om mani padme hum« spricht aus ihnen. Der Führer sagt, die Stelle sei verrufen als der Aufenthalt böser Geister.
Wir befinden uns in der Talmündung, wo Porphyrit in vertikalen Bänken ansteht. Jetzt zeigt sich Gartok, das 4467 Meter hoch liegt, die »Hauptstadt« von Westtibet und Residenz der beiden »Garpune« oder Vizekönige. Das Ganze ist ein Dorf allereinfachster Art, einige weiße und schwarze Zelte nebst mehreren bescheidenen Hütten. Doch wenn man wie ich aus den Wüstengegenden um die Indusquellen herum kommt, wirkt Gartok doch wie eine Hauptstadt. Vierzehn Grad Wärme! Ein Genuß nach all der Kälte, die wir in den letzten Tagen ausgestanden haben. Zelte und Hütten vergrößern sich langsam, der Dschukti-Bach verschwindet auf unserer linken Seite. Wir sind drunten auf dem ebenen Talboden, zottige Hunde empfangen uns mit ihrem Gebell, und bald sitze ich im Lager 251 in meinem großen, bequemen Zelt und lese meine heißersehnten Briefe.
Dagegen waren die neue Ausrüstung und die Kisten mit Silbergeld, die ich in Indien bestellt hatte, noch nicht angelangt. Eine die Geduld auf die Probe stellende Wartezeit stand mir bevor. Der Herbst war da, bald würde in Tibet der Winter eintreten, und ein Tag nach dem andern ging hin, aber die Sendung aus Indien ließ nichts von sich hören. Ich las meine Briefe immer wieder und studierte die ein Jahr alten Zeitungen durch, ohne auch nur die Anzeigen und die Fahrpläne darin zu überschlagen. Ich zeichnete und photographierte, saß über meinen Karten und schmiedete neue Pläne. Man wollte mich verhindern, die Hauptlinien des Transhimalaja vollständig zu ziehen. Nun gut, ich würde es doch tun. Man verbot mir, in das unbekannte Land zurückzukehren. Ich würde doch hineinziehen. Sogar der Winter würde mir Hindernisse in den Weg legen. Dann muß also die neue Karawane durch Schneemassen hindurchmarschieren, um ihr Ziel zu erreichen und die weißen Stellen auszufüllen, die noch den mittleren Teil der Karte des Transhimalaja bedecken.
In meiner freien Zeit besuchte ich neue und alte Freunde (Abb. 23). Der hauptsächlichste unter den letzteren war der große Kaufmann Gulam Rasul, dem ich später beim Vizekönig von Indien den Ehrentitel Khan Bahadur auswirkte. Er war es, der meine neue Karawane zusammenstellte und mir sowohl Leute wie Tiere und Proviant besorgte. In Gartok hatte er mehrere geräumige Zelte, die mit Teppichen und Diwanen möbliert waren und mit eisernen Öfen geheizt wurden; sie standen voller Zeugballen und hatten als Wandgarnitur große, mit Eisen beschlagene Kisten, die chinesisches Silbergeld, indische Rupien, Goldstaub und Türkisen enthielten. Ein kleineres Zelt war seine Moschee; darin brachte er die Gebetstunden zu. Um die Zelte herum erhob sich eine Mauer eingenähter Ballen mit Ziegeltee. Jeder solcher Ballen ist siebzig Rupien wert, und Gulam Rasul hatte deren Hunderte.
23. Thakur Iaj Chand (X), der englisch-indische Agent in Gartok,
von einigen seiner Diener umgeben. (S. 30.)
Über seinen Handel erzählte mir Gulam Rasul allerlei Interessantes. Seine Karawanen bringen Perlen, Korallen und Türkisen, englische Baumwollstoffe und andere Waren nach den Messen in Gartok und Gyanima und nach Lhasa. Teppiche, Filzdecken, russische Wollstoffe, Seidenzeug und Nephrit werden in Ostturkestan aufgekauft und über den Kara-korum-Paß nach Leh und Tibet befördert. Aus Lhasa exportiert er nach Ladak Ziegeltee, tibetische Wollstoffe, lamaistische Medikamente und andere Waren. In Tok-dschalung kauft er Goldstaub auf, der nachher in Leh und Lhasa weiterverkauft wird. Während der Handelsmessen in Gartok und Gyanima, die in den drei Sommermonaten stattfinden, verkauft Gulam Rasul Waren im Werte von 25 000 Rupien. Seine Ausfuhr nach Lhasa soll 40 000 Rupien betragen und seine Einfuhr von dort 35 000 Rupien. Gulam Rasuls Familie besitzt das »Loptschak-Monopol«, eine zwischen Kaschmir und Lhasa geltende Handelsgerechtsame, mit welcher freie Transporte auf tibetischem Gebiet verbunden sind. Die Tibeter erfreuen sich eines ebensolchen Monopols in der entgegengesetzten Richtung. Von Leh bis Gartok rechnet man 22 Karawanentage, von Gartok nach Schigatse 45 und von dort nach Lhasa 11.
Kleinere Krämer aus Ladak begeben sich nach Gartok mit gedörrten Aprikosen und Rosinen, die auf Eseln befördert werden. Schafwolle ist die Münze, die sie dafür eintauschen.
Dava Schah war ein vornehmer Großhändler aus Leh, der jetzt im Begriffe stand, nach Lhasa weiterzureisen. Er besuchte mich in meinem Zelte und sprach die Bitte aus, mir dreitausend Rupien, die in barem Gelde seine Kiste beschwerten, leihen zu dürfen. Aber ich hatte mir schon Geld in Indien bestellt und brauchte daher seine Güte nicht in Anspruch zu nehmen. Ihm wäre es angenehm gewesen, sich von dem Risiko und der Last des Transportes zu befreien, und er wußte, daß er die geliehene Summe bis auf den letzten Anna wiedererhalten hätte.
Einmal begab ich mich nach dem kleinen Tempel von Gartok, dem Gar-jarsa-gumpa, einem Kloster, das mit seinen acht Mönchen unter der Herrschaft von Taschi-gang steht. Der Tempelsaal ist ein kleiner dunkler Verschlag. Vor dem Altare hängt eine rotbemalte »Tanka« herab, und die Statue des Palden Hlamo verschwindet zwischen Büscheln langer Bänder und Lumpen. Die mit Wasser gefüllten Messingtassen auf den Altartischen waren bis auf den Boden gefroren; andere Opfergaben wurden den Göttern in diesem kalten Heiligtume nicht gespendet.
Da war es bei Gulam Rasul doch weit gemütlicher! Inmitten seines größten Zeltes saß er auf seinem Diwan, rauchte seine silberbeschlagene Wasserpfeife und empfing seine Gäste in liebenswürdiger Weise. Wir sprachen persisch und scherzten und lachten vergnügt. Der Tee wurde in chinesischen Porzellanschälchen gereicht, und die dazu gebotenen Rosinen, Aprikosen und Brotschnitten lagen auf Zinntellern aus Leh. Ein Reisigbündel nach dem andern wurde in den Ofen geschoben, der glühend rot knisterte und lebhafte Wärme im Zelte verbreitete. Einige dicke, schmierige und gemütliche Krämer aus Lhasa hockten in einer Ecke, wo sie auf dem Teppiche ihre in Haufen geordneten Silbertengas nachzählten. Am Tage darauf wollten sie nach der heiligen Stadt zurückkehren, und nun beabsichtigten sie erst noch ihre Schulden zu bezahlen. Zwei Hindus machten ebenfalls dem großen Pascha in Gartok ihre Aufwartung. Sie waren eingefleischte Revolutionäre und gossen die Schalen ihres Zornes über die Engländer in Indien aus. Ich ließ sie eine Weile schwatzen, wies sie dann aber gehörig zurück, und sie baten mich nun flehentlich, ihre Offenherzigkeit um Himmels willen nicht zu verraten. Die politischen Schwätzer, die sich Herolde der Freiheit nennen, sind doch in allen Ländern gleich!
Sogar in Sagen und Legenden fand ich Trost in diesen Tagen der Sehnsucht. Vor uralten Zeiten trafen sich eines Tages ein Lama der Pembosekte und ein orthodoxer Lama am Fuße des Kang-rinpotsche, des heiligen Berges. Dort wetteten sie miteinander. Derjenige von ihnen, welcher am folgenden Morgen den Gipfel des Berges in dem Augenblick erreiche, wenn die Sonne die Spitze vergolde, solle auf immer Besitzer des Kang-rinpotsche bleiben. Der andersgläubige Lama eilte sofort auf dem Südhange bergauf, während der orthodoxe sich schlafen legte. Als der Tag graute, gewahrte sein Diener den Nebenbuhler seines Gebieters in unmittelbarer Nähe des Gipfels und er weckte den Schlafenden. Dieser antwortete lächelnd: »Sei ruhig, laß erst die Sonne aufgehen!« Und als die Sonne über dem Horizonte aufstieg, kletterte der rechtgläubige Lama an dem Sonnenstrahle selbst nach dem Gipfel hinauf, während der Pembolama noch mühsam durch den Firnschnee stapfte!
An der südlichen Seite des Berges sieht man noch heutigentags eine schwarze vertikale Linie nackten Gesteines im Schnee. Sie bezeichnet die Spur des Irrgläubigen und reicht nicht ganz an den Gipfel hinan. Denn als der Klimmende seinem Ziele nahe war, warf er einen Blick nach der Spitze des Berges hinauf und sah den andern Lama schon droben stehen. Da war er so verdutzt, daß er den Abhang hinunterstürzte und dabei seine Gebettrommel verlor, die der Nebenbuhler ergriff, um damit sein Siegeslied zu begleiten. Der Besiegte demütigte sich und bat, ihm doch wenigstens ein Andenken von dem heiligen Berge zu schenken. Da nahm der Sieger eine Handvoll Schnee vom Kang-rinpotsche und warf sie nach dem Gipfel des im Norden des Tso-mavang aufragenden Pundiberges hinüber. Der Pembolama aber begab sich gehorsam dorthin, und seit jener Zeit gibt es immer einen kleinen Schneefleck auf dem Pundi. Wenn dieser Schnee einst am Ende der Zeiten verschwindet, dann wird auch der Schneemantel des Kang-rinpotsche wegschmelzen, und dann wird die Welt untergehen! –
In Gar-jarsa, wo wir uns jetzt aufhielten, bringen die beiden Garpune den Sommer zu. Im Winter wohnen sie in Gar-gunsa, das einige kurze Tagereisen flußabwärts liegt. Obgleich der Höhenunterschied nicht mehr als 180 Meter beträgt, hat doch Gar-gunsa (4287 Meter) ein bedeutend milderes Klima und gewöhnlich nur wenig Schnee.
Der Abwechslung halber beschloß ich, mein Lager nach Gar-gunsa zu verlegen. Zu einer Abschiedsvisite bei den Vizekönigen kam es nicht. Der eine war krank, der andere hatte es nicht für nötig gehalten, mir meinen Antrittsbesuch zu erwidern. Mit Lastyaks (Abb. 24) mußte er mich jedoch versehen, und zwei seiner Leute sollten mich auf dem ganzen Wege nach der Grenze von Ladak begleiten, um aufzupassen, daß ich nicht auf verbotenen Wegen durchbrannte!
24. Lastyaks. (S. 32.)
Es ist schön, einzupacken, den Staub von seinen Füßen zu schütteln, wieder zu Pferd zu steigen und aus dem kleinen jammervollen, windigen Gartok wegzureiten, wo bald nur noch zwei Familien den Winter über in ihren Hütten wohnen werden.
Unweit der Stadt Gartok reiten wir über den in viele Arme geteilten Gartong. Ein paar seiner Arme sind ganz klein, einer ist bis auf den Grund gefroren, und die Pferde glitschten über das Eis; die andern Arme kämpften noch gegen die nächtliche Kälte an und haben bloß an den Ufern Eisstreifen. Das Bett ist also breit, wenn auch in dieser späten Jahreszeit arm an Wasser. Man sieht jedoch deutlich, daß es einen ordentlichen Fluß beherbergen kann, wenn im Spätsommer viel Regen fällt. Längs des linken Ufers zieht sich eine vier Meter hohe Erosionsterrasse hin. Auf ihre Höhe führt der Weg hinauf, und der Fluß entschwindet uns auf eine Weile aus dem Gesicht.
Das Tal ist breit und mächtig. Zur Rechten haben wir den Transhimalaja, zur Linken die tibetischen Abhänge des Himalaja. Kleine, kräftig eingeschnittene Nebentäler öffnen auf beiden Seiten ihre Tore. Flache Schuttkegel breiten sich wie Fächer vor ihren Mündungen aus, und seichte, jetzt ausgetrocknete Rinnen schlängeln sich nach dem Flusse hinunter.
Das Tal verschmälert sich. Himalaja und Transhimalaja reichen einander die Hand. Vor uns zeigt sich ein schmaler Durchgang, den der Fluß ausgeschnitten hat. Nima-lung heißt diese Passage; dort schlagen wir im Lager 252 unsere Zelte auf (Abb. 25, 26). Hier hatten sich alle Arme zu einem Flusse vereinigt, dessen Wasser zwischen 20 und 30 Meter hohen Terrassen unter langsamem Saugen in den Engpaß hineinglitt. Wenn der Fluß sich nicht unterhalb der engen Stelle wieder zersplitterte, könnte ich mit dem Strome nach Gargunsa hinuntertreiben. Der junge Eurasier Alexander Robert, der mich in Gartok erwartet hatte, war auf dem heiligen See ein geschickter Bootsmann geworden (Abb. 27). Er konnte das Boot steuern, während ich den Flußlauf auf meiner Karte eintrug. Eine Kartenaufnahme des Tales war schon von Engländern gemacht worden, aber der Fluß mit allen seinen Windungen war darin nicht angegeben.
25. Lager im Industal. (S. 33.)
26. Kleinpuppy hält Wache. (S. 33.)
27. Roberts Probefahrt auf dem Indus. (S. 33.)
Zuerst wollten wir eine kleine Probefahrt machen. Das Boot wurde zusammengesetzt und bemannt, und langsam und gemütlich führte uns die Strömung nach dem engen Hohlwege hin. Schon an seinem Eingang kam es anders. Hier strichen wir pfeilschnell an den Ufern vorüber und setzten über die Stromschnellen hinweg; aber nun war es zu spät, andern Sinnes zu werden, und wir mußten mit hinein, als das Wasser wie in einem Trichter eingesogen wurde. Jeder hielt mit einem Ruder von den drohenden Blöcken ab, über denen das klare Wasser sich in blanken oder schäumenden Glocken wölbte. In einer scharfen Biegung konnten wir das Boot nicht schnell genug in der Stromrinne festhalten, sondern sausten in voller Fahrt auf einen abgerundeten Felsblock hinauf, wo wir auf ein Haar gekentert wären. Doch ehe wir uns dessen versahen, hatte die Strömung das Hinterende des Bootes losgemacht; wir wurden wieder flott, weil das Boot sich drehte, und weiter sausten wir auf unserer tollen Fahrt durch den wilden Hohlweg.
Nun hörte man eine Stromschnelle brausen. Mit aller Macht versuchten wir uns mit den Rudern aufzustemmen, aber die Strömung war zu stark, und mit schwindelerregender Geschwindigkeit näherten wir uns der Gefahr. Ein Blick genügte, um uns davon zu überzeugen, daß es unmöglich war, mit heiler Haut zwischen den Blöcken hindurchzugelangen, die in einer das Bett durchquerenden Reihe eine Schwelle bildeten. Für ein Zeugboot war dieses Fahrwasser nicht geschaffen. Das Boot wäre entweder umgeschlagen oder zerrissen worden.
Gerade oberhalb der Stromschnelle war die Strömung weniger reißend und ließ uns Zeit, das Boot durch festen Druck hinter einem Block ans Ufer zu drängen, worauf Robert ins Wasser sprang und unser Schifflein an Land zog. So viel hatte uns diese Probefahrt wenigstens gelehrt, daß es am klügsten war, einstweilen auf dem Trockenen zu bleiben!
Während der Nacht hatten wir starke Wachen ausgestellt, denn in dieser Gegend wimmelte es von Wölfen; in Gartok war einer unserer Maulesel das Opfer eines Rudels Isegrime geworden.