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Achtzehntes Kapitel.
Die ersten Engländer am heiligen See.

In seinem » Essay on the Sacred Isles of the West«, der 1808 erschien, hat Hauptmann F. Wilford das mitgeteilt, was er von dem berühmten Purangir gehört, einem Manne, der von Warren Hastings wiederholt als Dolmetscher und Spion in Bhotan und Tibet benutzt worden war und der Bogle und Turner auf ihren Reisen und im Jahre 1779 den Taschi-Lama auf seinem Zuge nach Peking begleitet hatte. Purangir war auch Brahmine und hatte die Wallfahrt nach dem Manasarovar gemacht, wahrscheinlich kurz vor 1773. Bei seinem Besuche dort hatte Purangir gehört, daß der See während der Regenzeit überzutreten pflege und daß der Kanal dann Wasser führe, aber während der trockenen Jahreszeit versiege. Es sei beobachtet worden, daß die Oberfläche des Sees in jedem Jahre steige und falle, daß aber das Bett in einigen Jahren auch während der Regenzeit trocken bleibe.

Purangir glaubte, daß der Ganges seine Quelle auf dem Kailas habe und von dort zum Manasarovar ströme. Er beschreibt den Bergeskranz, er sagt ganz anschaulich und richtig, daß der See die Form eines unregelmäßigen Ovals habe, die sich der Kreisgestalt nähere, er bedarf zur Umwanderung fünf ganzer Tage und besucht am Südufer den vornehmsten Tempel, das heutige Tugu-gumpa. »Der Ganges kommt aus dem See heraus, und während der trockenen Jahreszeit ist sein Wasser kaum fünf oder sechs Zoll tief. Der Fluß geht nicht durch den See, der auf den Karten Lanken heißt, sondern fließt im Südosten des Sees in zwei oder drei Koß Entfernung.«

Hier haben wir also eine Nachricht, daß das Wasser um das Jahr 1770 auch während der trockenen Jahreszeit aus dem Manasarovar herausgetreten ist, und wie gewöhnlich haben wir den Namen Ganges mit dem Namen Satledsch zu vertauschen. Purangir bestreitet, daß der Fluß den Rakas-tal durchfließe. Doch hierin wußte er gerade so wenig Bescheid wie andere Pilger. Man lenkt eben niemals die Schritte nach dem Nachbarsee. Er ist nicht heilig und wird von der Pilgerstraße nicht berührt. Purangir sah daher nicht selbst, in welcher Richtung der Lauf des falschen Ganges ging, und er wußte nicht, daß der Fluß, an dessen Schwelle er stand, keineswegs auf dem Wege nach Benares war, sondern sich einfach ein Bett durch den Himalaja gesägt hatte, um zum Indus hinabzueilen.

Wilford bringt über den Manasarovar einige kühne Behauptungen vor; vielleicht war dies einer der Gründe, die Klaproth zu einer grimmigen Kritik des Werkes veranlaßt haben. Denn Wilford sagt, daß Plinius und Ktesias den See erwähnten und Marco Polo ihn beschreibe, und doch enthalten ihre Schriften nicht ein Wort über den Manasarovar.

Wie gefährlich es ist, aus religiösen Irrtümern und Glaubensartikeln geographische Schlüsse ziehen zu wollen, das sieht man an folgenden Worten Wilfords:

»Die vier heiligen Flüsse, die nach Aussage der Geistlichen in Tibet ihren Ursprung im Manasarovar haben, sind der Brahmaputra, der Ganges, der Indus und der Sita. Der Ganges ist der einzige unter ihnen, der wirklich aus dem See herauskommt, und wenn die drei übrigen es ebenfalls tun, so muß dies durch unterirdische Kanäle geschehen; solche Kanäle, seien sie wirkliche oder nur eingebildete, sind in den Puranas etwas ganz Gewöhnliches.«

Die vier Flüsse, die die Tibeter mit dem heiligen See verknüpfen, sind diejenigen, deren Fluten aus dem Munde des Löwen, des Elefanten, des Pferdes und des Pfaus quellen. Aber der Ganges aus dem Kopfe der heiligen Kuh gehört nicht dazu. Der vierte ist der Gogra oder Map-tschu, der Pfauenfluß. Die Nomaden, die weniger mit lamaistischen Ideen behaftet sind, sagen ganz ruhig, daß aus dem See nur der Satledsch komme und auch dieser nur zeitweise.

D'Anvilles Karte strahlt wie ein Leuchtturm über Tibet hin. Einige ihrer Teile haben sich nach neueren englischen Forschungen unrichtig erwiesen, und dadurch ist ihre Autorität erschüttert worden. Andere Gebiete durften gegen hundert Jahre lang als das gelten, was sie vorstellen wollten. Das Übrige wurde, wie wir gesehen haben, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gänzlich verworfen. Das Merkwürdigste, was D'Anvilles Karte bot, war die Kunde, daß der Ganges aus dem Manasarovar komme; dies war vor hundert Jahren eine brennende Frage.

Im Jahre 1812 veröffentlichte H. T. Colebrooke einen Aussatz »Die Quellen des Ganges im Himadri oder Emodus«. Da wir über diesen wichtigen Punkt schon so viele falsche Angaben erhalten haben, ist es nicht unangebracht, auch der Entdeckung der Gangesquelle zu gedenken.

Colebrooke hegte starke Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung, welche Kang His Lamas gegeben hatten. Hindupilger pflegten dem Gangeslauf aufwärts bis an den Fuß der Schneeberge zu folgen. Die Lamas Kang His seien bis an die Seen und den Kailas im Westen vorgedrungen. Zwischen diesen Endpunkten aber erhebe sich der gewaltige Himalaja, von dessen Südseite aus es unmöglich sei, die Flußläufe im Norden richtig darzustellen.

Wenn man im Jahre 1906 verschiedene Geographen gebeten hätte, auf einer in großem Maßstab entworfenen Karte von Westtibet die Brahmaputraquelle zu bezeichnen, so würden sie ziemlich verlegen geworden sein und hätten den Zeigefinger wohl alle an verschiedenen Stellen haltmachen lassen. Selbst diejenigen, welche Ryders Resultate kannten, hätten nur unbestimmt antworten können. Niemand, nicht einmal Ryder selbst, hätte die Spitze des Zirkels in einen bestimmten Punkt stechen und »hier« sagen können. Die Lage der Satledschquelle wäre in noch unbestimmterer Weise angegeben worden, und nur diejenigen, denen die Akten darüber bekannt gewesen, würden geantwortet haben, diese Frage sei noch nicht entschieden. Die Indusquelle hätte man mit ziemlich großer Gewißheit einkreisen können, wenn der Halbmesser des Kreises 30 Kilometer betragen hätte; aber kein Europäer hatte es auch nur versucht, dorthin zu gelangen, und Montgomeries Punditen waren zum Umkehren gezwungen worden, als sie noch mehrere Tagereisen von der Quelle entfernt waren.

Erst im Jahre 1907 glückte es mir, den Weg zu den Quellen aller drei Flüsse hin zu finden. Es gelang mir, weil ich sie finden wollte und weil ich mich nicht, wie eine im Winde treibende Spreuhülse, dem Zufall überließ. Beim Brahmaputra und beim Indus folgte ich dem Flußlaufe aufwärts, was die sicherste Methode ist. Beim Satledsch aber ging ich von der Quelle abwärts am Laufe hinunter, und erst dann, als ich das ganze Material gesammelt hatte, konnte ich beweisen, daß das Ende des Ganglung-Gletschers, aus dem der Tage-tsangpo entspringt, die Quelle des Satledsch ist.

Hundert Jahre früher war die Frage der Gangesquelle noch viel unentschiedener. Es liegt natürlich nur an den Schwierigkeiten, welche die Tibeter den Europäern stets in den Weg gelegt haben, und an der Abneigung der indischen Regierung gegen jede Art Verwicklung an der Grenze, daß die Engländer nicht schon längst dorthin gedrungen sind und die Quellen des Brahmaputra, Indus und Satledsch entdeckt haben. Daß es mir glückte, lag an dem Respekte, den Younghusbands Zug den Tibetern beigebracht hatte, und auch daran, daß ich keine Verhaltungsvorschriften von der indischen Regierung annahm. Die Gangesquelle wurde 1808 entdeckt, die der übrigen drei Flüsse im Jahre 1907. Über jene sagt Colebrooke: »Vielleicht muß die Ehre der Nation mit in Rechnung gezogen werden, wenn es gilt, eine Frage nicht länger in Ungewißheit und Zweifel zu lassen, welche zu lösen gerade die Engländer die beste Gelegenheit haben, noch dazu eine so interessante Frage wie die der Erforschung der Quellen eines der größten Flüsse des alten Kontinents, eines Flusses, dessen Wassermassen die britischen Gebiete, die er in seiner ganzen schiffbaren Länge durchquert, fruchtbar und reich machen.«

Die Expedition wurde von Leutnant Webb und den Hauptleuten Raper und Hearsey ausgeführt. Sie folgte der Spur des Antonio de Andrade; zweihundert Jahre früher und ohne es zu wissen, war dieser auf seinem Wege über den Manapaß nach Tsaparang an der Gangesquelle vorübergezogen. Die Quellen des Indus, des Satledsch und des Brahamaputra hatten bis zum Jahre 1907 weder katholische Missionare noch sonst jemand passiert.

In der Instruktion, die » The Supreme Government of Bengal« dem Leutnant Webb erteilte, lautete ein Paragraph: »Es ist festzustellen, ob der Gangotri die äußerste Quelle des Ganges ist, und falls es sich damit anders verhalten sollte, ist dem Flusse so weit wie möglich in der Richtung seiner wirklichen Quelle zu folgen und eine Karte des Laufes aufzunehmen. Besonders ist zu erforschen, ob – wie Major Rennell behauptet – der Fluß in dem See Manasarovar entspringt; wenn sich Beweise, die seinen Bericht bestätigen, erhalten lassen, ist die Richtung und die Entfernung bis zu jenem See so genau als möglich anzugeben.«

Webb führte seinen Auftrag aus And berichtete, daß der Ganges am Südabhang des Himalaja entspringe und daß, wie zuverlässige Eingeborene ihm versichert hätten, »es im Westen des Manas-Sees außer einem Flusse, der Saturur oder Satledsch heiße, keinen weiteren gebe«.

Hauptmann Raper hat eine vorzügliche Schilderung jenes bedeutungsvollen Zuges gegeben. Gangotri war die Gangesquelle. Das Problem eines Zusammenhangs des Ganges mit dem Manasarovar war aus der Welt geschafft. Doch welcher Fluß war nun tatsächlich jener, der schon so lange zwischen den Seen und im Westen des Rakas-tal spukte? Diese Frage blieb noch zu beantworten.

Bei einer spätern Gelegenheit, im Jahre 1816, erfuhr Webb durch einen tibetischen Grenzhäuptling, daß sich mehr als hundert Flüsse in den Manasarovar ergössen, der See aber nur einen Abfluß nach dem Rakastal habe, »einen Kanal, der indessen oft trocken sei«.

William Moorcroft war ein Tierarzt, der sich im Jahre 1808 auf eine Einladung des Direktoriums der Ostindischen Kompanie nach Kalkutta begab. Sein Name ist in Verbindung mit dem Manasarovar berühmt geworden, und seine Beschreibung der Reise, die er mit Hauptmann Hearsey im Jahre 1812 nach dem Nordwestufer jenes Sees unternahm, gehört zum Besten, was wir in der Literatur über den heiligen See besitzen. Dennoch war sein Resultat nach der hydrographischen Seite negativ. So sagt auch Colebrooke in seiner Einleitung zu Moorcrofts Reisebeschreibung: »Er bestätigte das Vorhandensein des Manasarovar und bestimmte annähernd seine Lage; zugleich stellte er die Tatsache fest, daß der See weder der Ursprung des Ganges ist noch irgendeines andern der Flüsse, die dem Gerüchte nach aus ihm abfließen sollen.« Colebrooke fügt aber auch die Vermutung hinzu, daß der See, wenn er genügend anschwelle, sein überschüssiges Wasser an den Rakas-tal abgebe, »in welchem der Satledsch seine Quelle hat«.

Moorcrofts Karte des Manasarovar und Rakas-tal.

Moorcroft zog über die Alpen des Himalaja. Beim Anblick der mächtigen, mit Schnee bedeckten Berge konnte er nicht begreifen, weshalb man sich nicht hatte damit begnügen können, den Ganges ihnen zuzuschreiben, sondern durchaus den Fluß aus einem See hatte ziehen wollen, der ja auch beständig durch Quellbäche gespeist werden mußte. Diese Wahrheiten haben gewisse Gelehrte unserer Zeit vergessen. Es genügt nicht zu sagen, der Manasarovar sei die Quelle des Satledsch. Der größte der Flüsse, die den See speisen, ist der oberste Lauf des Satledsch. Und da der Tage-tsangpo so unvergleichlich viel größer ist als alle andern, dürfte kein Zweifel darüber herrschen können, wo die wirkliche Quelle liegt.

Über den Nitipaß (5050 Meter) gelangten sie nach Tibet. Der Paß war so hoch, daß eine Handvoll entschlossener Männer einer ganzen Armee allein schon durch das Hinabrollen großer Steinblöcke das Überschreiten des Passes unmöglich machen könnte. Die beiden Engländer reisten in Verkleidung und gaben sich für Kaufleute aus. Man kam glücklich an Daba vorüber und gelangte nach Gartok. Der Garpun hatte nichts dagegen, daß sie ihre Reise bis an den Manasarovar ausdehnten. Aber als Moorcroft ihn bat, die Rückreise über einen andern Paß als den Niti machen zu dürfen, lautete die Antwort »Nein«, denn der Garpun werde seinen Kopf einbüßen, wenn die Fremdlinge nicht auf demselben Wege, auf dem sie gekommen seien, wieder abzögen – ganz wie heutzutage!

Moorcroft zieht nach Südosten weiter und findet am Fuße des Felsens, auf welchem das Kloster Tirtapuri erbaut ist, einen »sehr reißenden Fluß, der aus einem See Rawanhrad (Rakas-tal) am Fuß des Himalaja kommen und den Hauptarm des Satudra (Satledsch) bilden soll«. Daß diese im Texte stehenden Worte nicht mit Moorcrofts Karte übereinstimmen, wollen wir nicht weiter berühren. Das Beachtenswerte ist der Umstand, daß nach Angabe der Lamas in Tirtapuri der Satledsch aus dem Rakas-tal kam, obgleich der Kanal zwischen den beiden Seen trocken war und kein Wasser aus dem westlichen See abfließen konnte, wenn nicht auf unterirdischem Wege. Hieraus ergibt sich, daß die Mönche den Satledsch ungeachtet der klimatischen Veränderungen, die das Wasser periodenweise versiegen lassen, ganz richtig aus dem Rakas-tal ableiteten.

Nach zwei weiteren Tagereisen gewahrte Moorcroft im Süden »einen gewaltigen Wasserspiegel von überraschend blauer Farbe, den Rawanhrad, aus welchem, wie man sagt, der Hauptarm des Satledsch entspringt und der durch einen Kanal mit dem Manasarovar, von den Eingeborenen Mapang genannt, in Verbindung stehen soll«. Moorcroft näherte sich daher dem heiligen See in der Überzeugung, daß das Wasser beide Seen durchströme. Daß der Ganges von dieser Seite her keinen Tropfen Wasser erhielt, war schon durch Webbs Expedition bewiesen worden. Jetzt sollte Moorcroft ausfindig machen, wie sich die Sache mit dem Satledsch verhielt.

Am 6. August 1812 wanderte Moorcroft längs des Ufers des Manasarovar vom Kloster Langbo-nan nach Tschiu-gumpa, auf dessen Südseite er die Hügel bestieg. Vergebens spähte er nach einem Abflusse umher. Soweit sein durch das Fernglas verschärfter Blick nach Süden reichte, gab es zwischen den beiden Seen keine Einsenkung, keine Unterbrechung der Hügel. Er sandte Kundschafter nach dem Südufer. Sie kehrten zurück mit dem Bescheid, daß kein Abfluß dem See entströme.

Er begab sich wieder in sein Lager zurück, überzeugt, daß keine Flüsse den Manasarovar verließen. Und doch hatte er auf seiner Wanderung bei Tschiu-gumpa zweimal das trockene Bett überschritten, ohne zu beachten, daß es wenigstens zeitweise als Abfluß dienen konnte. Um seine eigenen Beobachtungen bestätigen zu lassen, schickte er am Tage darauf wieder einige Leute am Westufer entlang. Als diese zurückkehrten, versicherten sie, daß sie nicht einmal ein Anzeichen eines alten aus getrockneten Bettes hätten finden können.

Ein alter Pundit namens Harballabh, der Moorcrofts Begleiter auf dieser Reise war, hatte schon, ehe sie noch den See erreichten, versichert, daß ein Wasserarm vom Manasarovar ausgehe, sich in den Rakas-tal ergieße und diesen See am Westufer als Satledsch wieder verlasse. Harballabh ärgerte sich über die erreichten Resultate, die einen Schatten auf seine Glaubwürdigkeit zu werfen schienen. Er behauptete mit größter Bestimmtheit, daß er vor 16 Jahren, also 1796, den vom östlichen nach dem westlichen See gehenden Arm nicht hätte überschreiten können, wenn es nicht unterhalb des Klosters Tschiu-gumpa eine Brücke gegeben hätte. Außerdem erzählte noch ein Mann aus Ladak, daß er vor acht Jahren, also 1804, den aus dem See tretenden Flußarm gesehen habe, der nachher versiegt sei, worauf dann das Bett allmählich ausgetrocknet sei und sich mit Sand angefüllt habe.

Wieder schickte Moorcroft Kundschafter aus, die mit demselben negativen Resultat wie vorher zurückkehrten. Schließlich konnte er sich die Erscheinung nicht anders erklären, als daß dort durch ein Erdbeben Veränderungen vor sich gegangen seien. Und doch lag die Erklärung viel näher! Jener Arm war eine periodische Erscheinung, deren Wechsel auf der Regenmenge beruhte, die, bald ergiebig, bald knapp, durch die Wolkenmassen des Südwestmonsun in das Gebirge hinaufgetragen wurde.

Moorcroft glaubte, in der Ferne einen Fluß zu sehen, der vom Westufer des Rakas-tal ausging; aber leider verhinderte ihn ein Fieberanfall, ihm genauer nachzuspüren. Hierin hat er sich durch die Angaben der Eingeborenen leiten lassen, denn es ist über jeden Zweifel erhaben, daß auch der Kanal vom Rakas-tal im Jahre 1812 ausgetrocknet war.

Nachdem Moorcroft, wie er glaubte, das Problem der Seen und des rätselhaften Flusses gelöst hatte, trat er die Rückreise über Daba und den Nitipaß an und freute sich, als er auf der Südseite des Himalaja die ersten Bäume wiedersah. In Kumaon erweckten die Fremdlinge Mißtrauen, weil sie sich wieder in europäische Tracht kleideten, und sie wurden auf einen aus Katmandu, der Hauptstadt Nepals, angelangten Befehl in brutaler Weise gefangen genommen. Jedoch gelang es Moorcroft durch seinen Mut und sein energisches Austreten nach einiger Zeit die Freiheit wieder zu erhalten, und im November 1812 erreichte die ganze Expedition glücklich englisches Gebiet.

Ein seltsames Geschick scheint diesen ersten Engländer am heiligen See verfolgt zu haben. Nach seiner berühmten, außerordentlich verdienstvollen Reise dorthin richtete er vom Seeufer aus den Blick noch weiter in das Herz Asiens hinein, auf jene Welt unbekannter Berge, die seit der Zeit des Marco Polo und des portugiesischen Missionars Benedikt Goës unbekannt und unbesucht dalagen und die eine Scheidewand bildeten zwischen den indischen Ländern und den Brennpunkten des unermeßlichen Reiches, das einst der siegreiche Timur Lenk mit eiserner Hand regierte. Im Jahre 1820 finden wir Moorcroft in Leh; aber nachdem er dort zwei Jahre lang vergeblich auf eine Gelegenheit, nordwärts reisen zu können, gewartet hatte, kehrte er nach Kaschmir und ins Pendschab zurück, um sich über Kabul auf unbekannten Wegen nach Buchara zu begeben. Auf dem Rückweg von dort starb er in Andchoi am Fieber, wie es hieß, am 4. oder 5. August des Jahres 1825. Doch da auch sein Landsmann Trebeck und seine asiatischen Reisegefährten sämtlich umkamen, hat man allen Grund zu der Vermutung, daß sie das Opfer feindlicher Anschläge geworden sind. Man ist zu dieser Annahme umsomehr berechtigt, als die Expedition in Timurs Land von Völkern und Fürsten feindselig ausgenommen worden ist. Moorcroft war der erste, der starb; es ist noch ein Brief von Trebecks Hand da, der den Todesfall bestätigt.

Es erregte daher kein geringes Erstaunen, als Pater Huc in seinem im Jahre 1853 erschienenen berühmten Buche » Souvenirs d'un voyage dans la Tartarie, le Thibet et la Chine« erzählte, daß er während seines Aufenthalts in Lhasa eines Tages von dem Oberhaupte der kaschmirischen Kaufleute besucht worden sei, der ihm einen seiner Untergebenen namens Nisan vorgestellt und ihm gesagt habe, daß dieser Mann Moorcroft während seines Aufenthalts in Lhasa viele Jahre gedient habe.

Huc hatte noch nie etwas von Moorcroft gehört; nun wurde ihm aber von mehreren Seiten versichert, daß der englische Reisende im Jahre 1826 in der Hauptstadt des Dalai-Lama angelangt sei. Er sei aus Ladak gekommen, sei wie ein Mohammedaner gekleidet gewesen und habe nur persisch gesprochen. Er habe sich ein Haus gemietet und dort zwölf Jahre mit seinem Diener Nisan gewohnt. Yaks und Ziegenherden, die er gekauft, seien durch tibetische Hirten im Gebirge gehütet worden, und unter dem Vorwande, ihre Pflege zu überwachen, habe jener Moorcroft ungehindert in den Gebirgsgegenden umherreisen, Auszeichnungen machen und Karten zeichnen können. Als die zwölf Jahre vergangen gewesen, habe der Fremde seinem Diener Nisan einen Brief gegeben und ihm gesagt, sein Glück werde gemacht sein, wenn er diesen Brief in Kalkutta vorzeige. Daraus habe er Lhasa auf der Straße nach Ladak, die an dem von ihm so meisterhaft beschriebenen Manasarovar vorbeiführe, verlassen. In der Nähe des Sees sei er aber durch Räuber überfallen und ermordet worden. Auf Befehl der tibetischen Regierung sei die Räuberbande verfolgt und überwältigt worden. Man habe das Eigentum des Toten nach Lhasa gebracht, und dort hätten die geographischen Karten, die Aufzeichnungen und die Instrumente verraten, daß der vermeintliche Kaschmiri ein Engländer gewesen sei.

Vergeblich sucht Huc das Problem zu entwirren, denn mach seiner Ankunft in Frankreich erfährt er, daß in Ritters »Asien« der 1825 in Buchara erfolgte Tod Moorcrofts angegeben ist. Dasselbe geschieht in dem 1841 veröffentlichen Buche des Professors Wilson über Moorcroft. Auf seiner Reise nach Buchara im Jahre 1832 hat Leutnant Burnes sogar das Grab besucht.

Perceval Landon, der Berichterstatter der »Times« auf dem Zuge Iounghusbands nach Lhasa, spricht die Vermutung aus, daß Moorcrofts Papiere nach seinem Tode in Buchara durch Kaschmiris nach Lhasa gelangt seien und daß ihr Besitzer nachher auf seiner Heimreise an dem heiligen See ermordet oder ausgeraubt worden sei. Der vermeintliche Moorcroft wäre demnach ein Mann aus Kaschmir gewesen. Dies ist wohl die richtige Erklärung. Aber Huc hat ja selbst mit dem Manne, der dem Fremden zwölf Jahre gedient hat, gesprochen, und er fragt mit Recht, welchen Grund die Bewohner Lhasas, Tibeter und Kaschimiris, hätten haben können, ihm solche Anekdoten aufzutischen. Jedenfalls ist Moorcrofts Schicksal in Dunkel gehüllt. Nach der ersten Version starb er, allein, 1825 in Buchara, nach der zweiten ist er 1838 in der Nähe des Manasarovar erschlagen worden.

Unter den Namen, die mit dem Manasarovar verknüpft sind, steht der Moorcrofts obenan. Er hat freilich nur das Westufer des Sees berührt. Ich habe mich dort an Ort und Stelle überzeugen können, wie genau und zuverlässig seine Beobachtungen gewesen sind. Seine Landsleute haben ihn nicht immer hoch genug geschätzt. Verschiedene Versuche sind gemacht worden, um auf mehr oder weniger wahrscheinliche Weise den Grund zu erklären, weshalb er das Flußbett bei Tschiu-gumpa nicht gesehen hat. Es ist indessen, wenn der See einige Jahre lang niedrigen Wasserstand hat, gar nichts Wunderbares, wenn jenes Bett bis zur Unkenntlichkeit versandet. Moorcrofts Versäumnis, durch Fieber veranlaßt, bestand darin, daß er nicht einige hundert Meter über das Kloster Tschiu hinausging; denn dann wäre ihm die Sache in einem Augenblick klar geworden. Wenn Harballabh und der Ladaki, deren Worten zu glauben er sich nicht entschließen konnte, ihn nur zur Brücke hingeführt hätten, würde er sich gesagt haben, daß zeitweise reiche Fluten unter ihren Balken hinströmen mußten.

Drei Jahre nach dem Zuge Moorcrofts nach dem Manasarovar drang sein Landsmann James B. Fraser nach der Jumnotri, der Quelle des Jumna, vor und benutzte die Gelegenheit, Erkundigungen über die Gegend einzuziehen, in der der Satledsch seine ersten Wassertropfen sammelt. Die Eingeborenen konnten nur melden, daß der Fluß aus weiter Ferne komme und seine Quellen »hinter der Himalajakette« habe. Genauer wußten sie darüber nicht Bescheid. Er selbst glaubt, daß der Fluß hauptsächlich durch schmelzenden Schnee aus den Bergen gespeist werde, deren weiße Gipfel er auf allen Seiten emporragen sah. Die Beschreibung seiner Reise erschien zwei Jahre nach der Moorcrofts. Aber er kennt das Buch seines Landsmanns nicht und scheint kaum von dem ersten Engländer, der den westlichen Himalaja überschritten hat, gehört zu haben. Sonst hätte er wohl mit einem Worte der zwei Jahre vorher gedruckten Karte gedacht, die den Rakas-tal als Quelle des Satledsch angibt.

In den Jahren 1817 und 1818 durchreisten die Brüder Hauptmann Gerard und Dr. Gerard den westlichen Himalaja und trugen in verdienstvoller Weise zu unserer Kenntnis jenes Gebirges bei. Sie drangen freilich nicht ganz bis an unsern See vor, zogen aber bei den Eingeborenen Erkundigungen über ihn ein. Hauptmann Gerard erzählt, daß er »mehr als hundert Personen« getroffen habe, »die am Satledsch hinaufgezogen sind, allerdings nicht bis an die eigentliche Quelle, aber doch bis zu einem Punkt, der nur noch 10 bis 12 englische Meilen von ihr entfernt liegt und an welchem die Straße nach dem Manasarovar abbiegt. Alle Berichte stimmen darin überein, daß der größte Arm aus der Westecke des Rawun Rudd (Rakas-tal) oder Langa komme, und man versichert, daß er auch während der trockenen Jahreszeit in der Nähe dieses Sees 30 Fuß breit und 1¼ Fuß tief, sowie sehr reißend sei.«

Aus dieser Kunde können wir den Schluß ziehen, daß die Niederschläge von 1812 bis 1817 zugenommen und damals ein Maximum erreicht haben, das beide Seen übertreten ließ. Diesem Schlusse wird jedoch später in Hauptmann Gerards Berichte widersprochen, worin es heißt, daß die Eingeborenen aufs bestimmteste behauptet hätten, der Manasarovar habe vor ungefähr zwanzig Jahren einen Flußarm westwärts entsandt, den man auf Brücken habe überschreiten müssen, der nachher aber versiegt sei. Aber die Mönche, die an den Ufern wohnten, hätten doch zu wissen geglaubt, daß der Abfluß noch immer stattfinde, wenn auch auf unterirdischem Weg.

Besonders interessant ist Gerards Angabe, daß ein sich von Osten her in den Manasarovar ergießender Fluß bei den Eingeborenen Satledsch heiße und daß er aus dem Guntschu-tso komme. Hierin hat er jedoch seine Gewährsmänner mißverstanden, denn der Fluß, welcher aus dem Talboden des Guntschu-tso Zufluß erhält, ist der Samo-Isangpo, während derjenige, in welchem der oberste Lauf des Satledsch zu sehen ist, der Tage-tsangpo ist. Der Guntschu-tso hat keinen Abfluß; der See ist salzig, und es ist kaum glaublich, daß er vor hundert Jahren nach dem Manasarovar hin Abfluß gehabt habe.

Ein anderer der großen Pioniere des Westhimalaja ist Hauptmann J. D. Herbert, der 1819 am Laufe des Satledsch entlang reiste und eine Karte desjenigen Teiles des Flusses, der zum britischen Gebiete gehörte, aufnahm. Über das Grenzdorf Schipki hinaus konnte er nicht vordringen. Gleich den Brüdern Gerard wurde er an der tibetischen Grenze zur, Umkehr gezwungen. Der Argwohn der Behörden scheint nach Moorcrofts Besuch erwacht zu sein; sogar Eingeborenen wurde manchmal die Erlaubnis zum Überschreiten der Grenze versagt, weil man fürchtete, daß sie verkleidete Europäer seien. Daher konnte Herbert nichts zur Lösung des Problems beitragen. Er mußte sich ebenso wie die Brüder Gerard damit begnügen, die Eingeborenen auszufragen; sie erzählten ihm unter anderm, daß während der Regenzeit eine Verbindung zwischen den beiden Seen bestehe.

In den Schilderungen der Himalajareisen aus jener Zeit vermißt man oft den Namen Moorcroft. Er war doch die erste Autorität hinsichtlich der Gegend um die Seen. Man fragt sich, wozu mehr oder weniger glaubwürdige Eingeborene einem Kreuzverhör unterworfen werden, wenn ein Engländer erst kürzlich eine so genaue, ins Einzelne gehende Beschreibung der Herkunft des Satledsch und seines Oberlaufs herausgegeben hat. So verhielt es sich auch mit Francis Hamilton, der 1814 auszog. und sein vortreffliches Buch » An account of the Kingdom of Nepal« im Jahre 1819 erscheinen ließ. Darin hat er eine Menge einander widersprechender Angaben ausgenommen, die er von einem gewissen Hariballabh erhalten hat; in diesem glauben wir mit gutem Grunde Moorcrofts alten Punditen Harballabh wiederzuerkennen. Der Pundit berichtete, daß aus jedem der Seen ein Fluß komme, und Hamilton findet im allgemeinen, daß die Berichte mit der Darstellung auf der Karte D'Anvilles übereinstimmen. Weshalb zog er aber nicht Moorcrofts Karte zu Rate, die doch viel neuer war und von einem Engländer herrührte?

Während der 34 Jahre, die zwischen Moorcrofts erster Reise und Henry Strackeys Besuch am Manasarovar vergingen, drang beinahe gar keine neue Kunde über Westtibet nach Europa. Die Gelehrten sprachen sich wohl einmal über den heiligen See aus; er huschte in der geographischen Literatur flüchtig vorüber. Mintschul Chutuktu schrieb seine Schilderung Tibets, die jedoch erst viel später ins Russische übersetzt wurde und worin der Lauf der vier berühmten Flüsse auf phantastische Weise beschrieben worden ist.

Im » Journal Asiatique« wird inzwischen die Entdeckung der Satledschquelle zum Gegenstand eines Streites um die Priorität gemacht. Die großen Geographen Saint-Martin und Klaproth glaubten beweisen zu können, daß Tieffenthaler und Anquetil du Perron schon 1784, also 28 Jahre vor Moorcrofts Reise, das Problem gelöst hätten, weshalb die Ehre dieser Entdeckung Deutschen und Franzosen gehöre, keineswegs aber Engländern. Daß der Manasarovar die Quelle des Satledsch sei, finde man, meinten sie, deutlich erkennbar auf Tieffenthalers Karte dargestellt. »Aus diesem See entspringt der Fluß Langtchou oder Satledsch, der westwärts strömt, um den Langasee, den die Hindus Ravanhrad nennen, zu durchfließen. Demnach existiert eine Verbindung zwischen den beiden Seen, was Moorcroft ohne Gründe und Beweise bestritten hat; die erste Quelle des Satledsch befindet sich in dem See Manasarovar und nicht im Ravanhrad.« Deshalb meinen die beiden Gelehrten, daß es an der Zeit sei, den Deutschen und Franzosen den ihnen rechtmäßig gebührenden Entdeckerruhm wieder zuzuerkennen.

Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu. Schon Ritter hat gesagt, eine einzige an Ort und Stelle gemachte Beobachtung ist mehr wert als alle die wohlfeilen Hypothesen, die man zu Hause aufstellen kann. Hier haben wir die gründliche, anspruchslose, auf Autopsie gebaute Beobachtung einerseits und andrerseits theoretische Spekulationen zweifelhaften Wertes. Zuallererst hatten Kang His Lamatopographen vor langer, langer Zeit die Seen vermessen und deren engen hydrographischen Zusammenhang mit einem Flusse nachgewiesen, der der Satledsch war, obwohl sie ihn irrtümlicherweise für den Ganges hielten. Ihnen gebührte also der Entdeckerruhm, auch wenn es Moorcroft Vorbehalten war, nachzuweisen, daß der Name jenes Flusses Satledsch war. Das Bedenkliche an der Sache war, daß zwei Männer wie Saint-Martin und Klaproth gegen Moorcroft die Autorität ihres berühmten Namens in die Wagschale legen konnten und einen Schatten auf eine Entdeckung warfen, die alles, was Tieffenthaler und Anquetil du Perron über den Manasarovar geschrieben hatten, hundertfach aufwog. Nur Ritter verteidigte Moorcroft als »einzigen Augenzeugen«, und er sprach flüchtig den scharfsinnigen Verdacht aus, daß der Abfluß des heiligen Sees vielleicht periodisch sein könne. Doch er hat Verständnis für die Mühen und Gefahren, denen die eingeborenen Topographen ausgesetzt gewesen sind, und für das Risiko, das der in Verkleidung reisende Moorcroft lief, um seine Eroberungen zu machen. Wie bequem und ungefährlich war es dagegen, sich an den Schreibtisch zu setzen und in einer kategorischen Behauptung seinen Bannstrahl gegen die wahren Entdecker zu schleudern, die Land, Flüsse und Seen mit eigenen Augen gesehen hatten, und gegen sie Autoritäten anzurufen, die niemals die Grenzen Tibets überschritten hatten.

Leutnant I. D. Cunningham, der 1844 schrieb, sammelte die neuesten Angaben über die Seen und vervollständigte sie durch Nachrichten die er selbst von Eingeborenen erhielt. Er gelangte zu dem Schlüsse, daß, selbst wenn einst ein Flußlauf beide Seen miteinander verbunden gehabt habe, dieser Lauf jetzt nicht mehr vorhanden sei und aus dem Rakas-tal kein Fluß mehr herausströme.

Kurz darauf, im Herbst des Jahres 1846, führte Leutnant Henry Strackey seine berühmte Reise nach dem vielumstrittenen Seenlande aus und lenkte zuerst seine Schritte nach dem Rakas-tal, der am wenigsten bekannt war und der ihm schon aus dem Grunde interessanter erschien, weil behauptet wurde, daß aus seiner nordwestlichen Ecke der Satledsch heraustrete. Seine Forschungen überzeugten ihn, daß kein sichtbarer Wasserarm von dem See ausgehe und daß der einzige Abfluß, den er finden konnte, durch den porösen Boden stattfinde. Dennoch bestreitet er nicht die Möglichkeit, daß reichliche Niederschläge den Seespiegel bis zu dem Grade heben könnten, daß das überschüssige Wasser durch das im Nordwesten noch sichtbare Bett abfließe. Er stellt auch die Frage auf, ob nicht der Darma-jankti, ein Nebenfluß, der aus Süden kommt und sich mit dem Satledsch von Tirtapuri vereinigt, der eigentliche Quellfluß des Satledsch sein könne. Die Entscheidung dieser Frage überließ er jedoch genaueren Messungen. Ohne Zweifel kann der Darma-jankti zu gewissen Zeiten mehr Wasser führen als der Flußarm von Tirtapuri. Sollten wir jedoch die Quelle, je nach dem Volumen des einen oder des andern Flusses, von einem Punkte zum andern verlegen, so wäre es besser, das ganze Problem als unlösbar aufzugeben. Von der Quelle des Tagetsangpo an gerechnet ist der Arm von Tirtapuri der längste. Aber der entscheidende Gesichtspunkt ist doch die Auffassung der Tibeter und der Chinesen, nach der die beiden Seen wie aufgereihte Perlen auf der Schnur der Satledschquelle sitzen. Erst dann, wenn der Rakas-tal rettungslos vom Satledsch abgeschnitten ist und sein Wasser salzig zu werden beginnt, müssen die beiden Seen als ein besonderes hydrographisches System betrachtet werden.

Nun folgt die überraschende Entdeckung, die Strackey am 5. Oktober 1846 machte, als er die nordöstliche Bucht des Rakas-tal hinter sich zurückgelassen hatte und ostwärts wanderte. Nur eine englische Meile vom Seeufer gelangte er an »einen großen Fluß, hundert englische Fuß breit und drei Fuß tief, der mit heftiger Strömung von Osten nach Westen durch einen scharf begrenzten Kanal floß: dies war der Abfluß des Manasarovar«.

Damit hatte Henry Strackey bewiesen, daß die Darstellung, welche Kang His Lamas gegeben hatten, durchaus richtig war. Nur Moorcroft hatte keinen Kanal sehen können, und wieder fiel der Schatten des Zweifels auf seine Bemühungen. Strackey sucht es so zu erklären, daß das abfließende Wasser einen aus Sand und Kies bestehenden Uferwall durchdringe und von ihm verdeckt werde und daß es sich erst jenseits dieses Walles zu einem Flusse sammle. Denn sonst hätte Moorcroft das abfließende Wasser gewahren müssen.

Dennoch trat der Kern des Problems nie so deutlich hervor wie jetzt. Einige Jahre führte der Kanal Wasser, in andern war er ausgetrocknet. Sein Wasser war also eine periodische Erscheinung, und Moorcroft hatte seine Beobachtungen ebenso zuverlässig ausgeführt wie die Abgesandten des Kaisers Kang Hi oder wie Henry Strackey, obwohl er diese Gegenden zu einer Zeit besuchte, als die Monsunregen spärlich fielen und Tiefstand in den Seen verursachten.

Zwei Jahre später, im Herbst 1848, gelang es Henry Strackeys Bruder Richard, sich einen Weg zu den verbotenen Seen zu bahnen. Er zog am Südufer des Rakas-tal entlang und ging auf der Landenge zwischen diesem See und dem Manasarovar nordwärts, bis er bei Tschiugumpa an eine Anhöhe gelangte, von der aus er »auf den Strom, der den Manasarovar mit dem Rakas-tal verband, hinabblickte«. Auch damals hatte also der östliche See Abfluß nach seinem westlichen Nachbarn.


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