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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Der erste Jesuit in Tibet.

Vor mir liegt ein unscheinbares Büchlein aufgeschlagen, von dem ich während der Stunden, die ich meinen eigenen Erinnerungen aus Totling und Tsaparang widme, nur mit Mühe meine Blicke abwenden kann. Das Buch ist nur 31 Seiten stark, und dennoch habe ich in einer holländischen Antiquariatsbuchhandlung 80 Gulden dafür bezahlen müssen. Der pomphafte Titel » Novo Descobrimento do Gram Cathayo, ou Reinos de Tibet, pello Padre Antonio de Andrade da Companhia de Iesu, Portuguez, no anno de 1624. Com todas as licenças necessarias. Em Lisboa, por Mattheus Pinheiro. Anno de 1626«, steht weder zu dem Inhalt noch zu dem Umfang in richtigem Verhältnis.

Glaubt nicht, daß ich es gekauft habe, um es zu lesen. Sein Inhalt ist in andere Sprachen übersetzt, die für den Leser aus germanischem Stamm leichter verständlich sind. Aber ich wollte die ursprüngliche Urkunde in meiner ziemlich vollständigen tibetischen Bibliothek besitzen; ich wollte darin blättern und mir diese vergilbten, rötlich schillernden Blätter gründlich besehen; ich wollte die über den merkwürdigen Worten schwebende Atmosphäre ein atmen und mit den Fingerspitzen pietätvoll über den feinen Staub hinstreichen, der noch nach fast dreihundert Jahren an dem Papiere haftet.

Es ist etwas Seltsames um alte Bücher. Was mich betrifft, betrachte ich sie mit tiefster Ehrfurcht. Sie gleichen redenden Stimmen aus vergangenen Jahrhunderten. Forschende Augen, die über die gedruckten Zeilen hin gefahren sind, haben sich längst auf ewig geschlossen, aber die Bücher leben noch immer. Dieses » Novo Descobrimento« redet noch dieselben Worte und dieselbe Sprache wie in den Tagen, als König Gustav Adolf über das Schwedenreich herrschte. Aber ich betrachte dieses Buch nicht mit den Gefühlen, die Tegner mit den klassischen Worten ausdrückte: »Was mache ich mir aus dem lebenden Lumpenpack, wenn ich die Heroen der Menschheit in meinem Bücherschrank habe«. Ich liebe es, weil Antonio de Andrade sein Verfasser ist und weil es gedruckt worden ist, als der berühmte Jesuit noch lebte und in Tibet weilte; ja, es ging gerade in dem Jahre in Lissabon durch die Presse, als er in demselben Tsaparang, dessen jämmerliche Hütten ich eben dort drunten am Satledschufer flüchtig betrachtet habe, den Grundstein zu einer christlichen Kirche legte. Was tut es, daß Odorico de Pordenone der erste Europäer war, der Tibet besucht hat! Seine Reiseerinnerungen sind viel zu dürftig und verschwommen. Padre Antonio ist der erste, der der Welt zuverlässige Nachrichten von dort gebracht hat! Er ist der erste Europäer, der den Himalaja überschritten hat und von Süden her in Tibet eingedrungen ist, und auch der erste, der dem Ganges des Wischnu bis an die Quelle gefolgt ist. Er steht da wie ein Meilenstein am Wege der Jahrhunderte, eine Grenzsäule im Strome der Zeit, und er bezeichnet den Punkt, mit welchem die Geschichte der tibetischen Entdeckungsreisen in Wirklichkeit beginnt. Ich selbst stehe vorläufig als einer der letzten, vielleicht als der allerletzte an diesem Wege. Wenigstens hörte ich noch von keinem Nachfolger in den Gegenden, die meine eigenen Eroberungen sind. Nur in Tsaparang, jener alten Stadt, deren Name mit dem Antonios so eng verknüpft ist, berühren sich unsere Wanderungen, obgleich dreihundert Jahre zwischen uns liegen. Es ist kein Wunder, daß ich das vergilbte Buch mit besonderer Zärtlichkeit betrachte und voller Andacht einstimme in seine letzten Worte » Laus Deo!«.

Antonio de Andrade wurde im Jahre 1580 in Oleiros in Portugal geboren. Mit sechzehn Jahren trat er in den Jesuitenorden ein und wurde im Jahre 1600 nach Goa an der Westküste Indiens geschickt. Dort war er jahrelang im Dienste seines Ordens tätig, und dort drang eines Tages das verworrene Gerücht zu ihm, daß es unter den Völkern Tibets Christen gäbe. C. Wessels sagt von jenen Gerüchten, daß sie in einer »oberflächlichen äußern Übereinstimmung einiger Zeremonien der buddhistischen Kirche mit denen der katholischen« ihren Grund gehabt hätten. Andrade selber behauptete, daß er seine Wanderung nur zur Ehre Gottes unternehme und daß die Portugiesen sich schon längst nach einer Gelegenheit gesehnt hätten, Tibet zu »entdecken«.

Antonio hatte ein Vierteljahrhundert in Goa verlebt, als sich ihm im Jahre 1624 eine Gelegenheit bot, nach den Schneegebirgen im Norden zu ziehen. In Begleitung des Paters. Manuel Marques und zweier christlicher Diener verließ er am 30. März Agra und schloß sich in Dehli einer Karawane an, Hindupilgern, die nach den heiligen Orten am oberen Ganges zu wallfahrten beabsichtigten. Die Reise ging wahrscheinlich über Hardwar, »das Tor des Wischnu«, durch Länder, die dem Radscha von Srinagar gehorchten und noch nie von einem weißen Manne erblickt worden waren. Der Zug schritt auf schlüpfrigen Felsenpfaden und unter dem dichten Laubgewölbe des Waldes hin. In der Tiefe rauschte der Ganges. Der kühne Portugiese fürchtete keine Gefahren, und als er in Srinagar, der Spionage verdächtigt, gefangen genommen wurde, gelang es ihm durch Ruhe und Klugheit seine Freiheit wiederzugewinnen.

In immer höhere Regionen hinauf ging seine Reise an den Ufern des Wischnu-Ganga, auf demselben Wege, den 180 Jahre später Webb und Raper zurücklegen sollten, die keine Ahnung hatten, daß der Portugiese schon dort gewesen war. In seiner vortrefflichen Schilderung des Weges gedenkt Raper mit keinem Worte des Andrade, aber er bestätigt die genauen Beobachtungen, die Andrade gemacht hat. C. Wessels hat in einer vor kurzem erschienenen verdienstvollen Studie, die unter dem Titel » Antonio de Andrade 8. J. Een ontdekkingsreiziger in de Himalaya en in Tibet (1624–1630)« in Heft Nr. 4 des 77. Bandes (1912) von » De Studien, Tijdschrift voor godsdienst, wetenschap en letteren« erschienen ist, Parallelen zwischen den beiden Reisenden gezogen. Seine Schrift ist die beste, die wir über den alten Jesuiten haben. Wessels hat viele Mißverständnisse mit der Wurzel ausgerottet, Mißverständnisse, die ihre Runde in den Beschreibungen Tibets gemacht haben; die absurde Vorstellung, daß Andrade durch Kaschmir gereist sei und auf seinem Zuge den Manasarovar, den Tso-mavang der Tibeter, entdeckt habe, war nicht das kleinste Mißverständnis gewesen. Andrades Srinagar ist nicht die Hauptstadt von Kaschmir, sondern die Stadt gleichen Namens am Alaknanda. Auf den »See«, den er entdeckte und der mit dem Manasarovar verwechselt worden ist, werde ich gleich zurückkommen.

Die Missionare setzten ihre mühsame Wanderung fort und gelangten nach Badrinath, wo einer der heiligsten Tempel der Hindus in dieser Gegend des Himalaja große Pilgerscharen anlockt. Bis zum Dorfe Mana am Saraswati, dem Oberlaufe des Wischnu-Ganga, drangen in einer späteren Zeit Webb und Raper vor. Doch Andrade zog unerschrocken weiter, hinauf zum ewigen Schnee und nach dem völlig unbekannten Tibet. Er näherte sich auf dieser Straße dem höchsten Kamme des Himalaja. Auch die Leiden und Entbehrungen der kleinen Schar erreichten hier ihren Höhepunkt. Marques war zurückgeblieben, Andrade hatte nur die beiden Christen und einen Führer aus Mana bei sich. In seinem kleinen Buche wird er wortkarg. Die Geographie des Landes fesselt nicht länger seine Aufmerksamkeit, er ist ausschließlich mit dem Kampfe um den Sieg beschäftigt und erzählt von der magern Speise aus geröstetem, in Wasser aufgelöstem Gerstenmehl, welche die Reisenden auf diesem Wege genießen, und wie sie gequält werden von den aus der Erde aufsteigenden giftigen Gasen.

Am dritten Tag wurden sie von drei Männern aus Mana eingeholt, die ihnen in kräftigen Farben alle Gefahren, den Tod nicht ausgeschlossen, ausmalten, die ihrer warteten, wenn sie den Weg zum Passe hinauf fortsetzten. Andrade und seine beiden Diener ließen sich dadurch nicht abschrecken, aber der Führer kehrte mit den Boten um. Der Weg zum Passe hinauf wurde immer schlechter. Man watete bis an die Knie im Schnee, manchmal versank man darin sogar bis an die Brust oder bis unter die Achseln; sie rutschten oft mit Schwimmbewegungen auf der Schneekruste vorwärts, um nicht im lockern Schnee zu ertrinken. Nachts wurde ein Mantel über den Schnee gedeckt; die drei Männer legten sich darauf und deckten sich mit den beiden andern Mänteln zu. Manchmal fiel der Schnee in so großer Menge, daß man ausstehen und die Mäntel abschütteln mußte, um nicht ganz und gar begraben zu werden. Die Schneedecke blendete die Augen, Hände und Füße wurden in der Kälte gefühllos, aber Andrade zog dennoch weiter. Und schließlich lesen wir in seinem kleinen Buche » Novo Descobrimento« die folgenden bedeutungsvollen Worte, die drei Jahrhunderte hindurch mißverstanden und falsch ausgelegt worden sind: » Nesta forma fomos caminhando atee o alto de todas as serras, onde nasce o Rio Ganga de hum grande tanque, & do mesmo nasce tambem outra, que rega as terras do Tibet.« Er setzte also seinen Marsch »bis an den höchsten Punkt der Felsen« fort, »wo aus einem großen Tümpel der Gangesfluß entspringt, in welchem Tümpel noch ein anderer Fluß seine Quelle hat, der die Länder von Tibet bewässert«.

Man beachte, daß er von einem » tanque« spricht, nicht von einem » lago«. Er meint, wie C. Wessels klar und scharfsinnig beweist, den 370 Meter langen Gletschertümpel Deb Tal, der auf der Höhe des Manapasses liegt und in welchem der zum Ganges fließende Saraswati entspringt. Der andere Fluß, der nordwärts geht und »die Länder von Tibet bewässert«, ist natürlich ein Bach, der aus dem Passe oder in dessen unmittelbarer Nähe seine Quelle hat und der sich bei Totling in den Satledsch ergießt. Der Entdecker Andrade hatte also vollkommen recht, und er kann nichts dafür, daß Markham und andere ihn mißverstanden und ihm die Entdeckung des Manasarovar angedichtet haben. Holdich sucht den Ruhm des Portugiesen zu schmälern und sagt, daß er »nur als zweifelhafte Autorität anzusehen« sei. Es ist merkwürdig, wie leicht es Geographen unserer Zeit wird, in Ländern, die ihr Fuß nie betreten hat, negative Entdeckungen zu machen! Ohne selbst einen einzigen positiven Beitrag zu unserm Besitz an wirklichem Wissen zu liefern, begnügen sie sich damit, das niederzureißen, was andere aufgebaut haben. Wessels hat ein gutes Werk getan, daß er für den Ruhm des Andrade eine Lanze bricht und den alten Heldentaten des Portugiesen jetzt nach dreihundert Jahren volle Gerechtigkeit widerfahren läßt, nachdem die Stimme des Jesuiten längst verhallt ist, während sein kleines Buch noch immer zwischen brüchigen Deckeln die Wahrheit einschließt.

Aber schon Jahrhunderte früher war Andrade mißverstanden worden. In seinem berühmten Werke » China illustrata« (Amsterdam 1670) hat der gelehrte Jesuitenpater Athanasius Kircher einige merkwürdige Angaben über Andrades Reise gesammelt. Andrade war, wie Kircher sagt, so glücklich gewesen, in Tibet mehrere bewunderungswürdige Entdeckungen zu machen, unter anderm die der Quellen des Ganges und des Indus. Dies war Kircher von einem getauften Hindu namens Joseph mitgeteilt worden, der sich als Sechsundachtzigjähriger in Rom aufhielt und der den Pater Andrade auf allen seinen Reisen begleitet hatte. Auch Pater Henrik Roth hatte Kircher in Rom alles erzählt, was ihm über den portugiesischen Missionar bekannt war.

Man höre nun, was Kircher zu berichten hat: »Es gibt auf den höchsten, stets mit Schnee bedeckten Bergen von Tibet einen großen See, in welchem Indiens größte Flüsse entspringen; denn aus diesem Tümpel treten der Indus, der Ganges, der Ravi und der Atech heraus. Der Ganges fließt nach einem Abgrunde hin, wo sein Wasserfall schreckliches Getöse macht, worauf der Fluß ein anmutiges Tal bewässert und dann seine Fluten weiter nach dem Meere hinwälzt, in welches er sich hineinbegibt. Was den Indus und die andern Flüsse anbetrifft, so strömen sie langsam längs des Gebirges hin, wie uns die Karte zeigt.«

An einer andern Stelle seines Buches sagt Kircher von Pater Antonio, daß er von Tsaparang aus »einen hohen Berg« überschritten habe, »auf dessen Gipfel es einen großen See gibt, der, nach dem, was er darüber sagt, und nach dem, was er sehen konnte, die Quelle des Indus, des Ganges und der andern größten indischen Flüsse ist«.

Es würde zu weit führen, wenn wir uns hier auf eine Diskussion über dieses interessante Problem einlassen wollten. Es genüge, wenn ich erkläre, Wessels Auffassung hier nicht ganz teilen zu können, sondern glaube, daß Kircher wirklich den Manasarovar gemeint hat, von dessen Existenz Joseph und Roth gerüchtweise gehört haben. Kircher hat nachher aus seiner eigenen Vorratskammer die Mitteilungen dieser beiden mit Andrades eigener Reisebeschreibung vermengt, die doch kein Wort enthält, welches andeutet, daß er auch nur die geringste Kenntnis von jenem See gehabt habe. Es ist undenkbar, daß Andrade jahrelang am Satledschufer hätte leben können, ohne zu wissen, woher der Fluß kam. Genug, er sagt nichts darüber!

Doch Kircher geht noch viel weiter. Er läßt den Pater Andrade von dem rätselhaften See aus seinen Weg über Rudok und durch die Länder der Tanguten und Tataren bis China fortsetzen. Er läßt ihn in zwei Monaten ganz Asien durchziehen! Der Titel des kleinen Buches, das vor mir auf dem Tische liegt, trägt wohl die Schuld an Pater Kirchers Irrtum. » Novo Descobrimento do Gram Cathayo …«, denn » Gram Cathayo« ist das »große China«. Seltsamerweise hat der gelehrte Orientalist J. Klaproth diese Angabe ruhig hingenommen, denn er schreibt ganz ungeniert:

»Im Jahre 1624 unternahm der portugiesische Jesuit Antonio de Andrade die Reise von Tibet nach China. Er brach von dem Reiche des Großmoguls aus auf, nahm den Weg durch Garhwal, durchquerte Tibet und gelangte glücklich nach China.«

Doch ich vergesse mich! Wir haben ja den guten Pater und seine beiden Christen auf dem Manapasse im Stiche gelassen. Von der Höhe dieses Passes blickte er, wie seine Worte lauten, über das Königreich Tibet hin. Alles lag weiß da, unter tiefem Schnee. Die schneeblinden Augen konnten keinen Weg entdecken. Die beiden Diener waren vor Ermattung zu Tode erschöpft und mußten notgedrungen umkehren. Andrade erbarmte sich ihrer und begleitete sie, damit sie nicht im Schnee umkämen. Nach drei Tagen begegneten sie glücklicherweise Spähern aus Bhotan, die aus Mana abgeschickt worden waren, und nach drei weitern Tagemärschen schlugen sie das Lager in einer Grotte auf, wo Marques, der Lebensmittel mitbrachte, sich wieder zu der Schar gesellte. Nun ruhte man einen Monat aus, während die Sommersonne den Schnee auftaute. Dann zogen die Missionare mit besserem Glücke bergauf, überschritten den Paß und wurden bald von den Gesandten des Königs von Tsaparang empfangen. In den ersten Augusttagen des Jahres 1624 langten sie in der » Cidade Real«, der Königsstadt, unterhalb von Totling an, wo heute nur noch sechzehn Eingeborene in verfallenen Hütten leben.

Der König und die Königin überhäuften Pater Antonio mit Beweisen ihrer Gastfreundschaft, und er erfreute sich größerer Freiheiten als irgendeiner der Reisenden, die während fast dreier Jahrhunderte seiner Spur gefolgt und auf tibetische Abenteuer ausgegangen sind. Er blieb jedoch nur einen Monat in Tsaparang, über welche Stadt er nichts weiter zu sagen weiß, als daß sie an einem Flusse liege. Anfang November finden wir ihn wieder in Agra, und dort schrieb er das Büchlein, von welchem ich erzählt habe und das vom 8. November 1624 datiert ist.

Schon im folgenden Jahre brach er zu seiner zweiten Reise nach Tsaparang auf, und während der nächsten 25 Jahre folgten wohl achtzehn andere Missionare seinem Beispiele. Noch im Jahre 1642 weilte Marques in Tsaparang, und Cacella starb 1630 in Schigatse; sechs Jahre später starb Alano dos Anjos in Tibet. C. Wessels hat uns einen Aufsatz über ihre Schicksale versprochen, von denen nur ein spärliches Echo bis in unsere Zeit gedrungen ist.

Wie lange Andrade während seines zweiten Besuchs in Tsaparang geblieben ist, weiß man nicht. Er erreichte die Stadt am 28. August 1625. Am 11. April 1626 legte er den Grundstein zu der ersten christlichen Kirche Tibets. Am 15. August desselben Jahres datiert er die Beschreibung seiner zweiten Reise in Tsaparang. Noch im September 1627 war er dort, wie aus Briefen von ihm hervorgeht. Aber im Jahre 1630 weilte er in Goa, und im Jahre darauf schickte er vier Missionare nach Tsaparang. Zu Anfang des Jahres 1634 rüstete er sich selbst mit sechs Kameraden zu einer dritten Reise nach dem Schneelande im Norden, wurde aber am 19. März durch den Tod abgerufen und in Goa beerdigt. Man glaubt, daß er an Gift gestorben sei.

Zweihundert Jahre verstrichen, ehe wieder ein Europäer nach Tsaparang kam. Kircher und D'Anville hatten die Stadt auf ihren Karten eingetragen, und in späterer Zeit hörten englische Reisende von ihr erzählen. Im Jahre 1855 wurde Tsaparang von Adolph Schlagintweit besucht, der an dem berühmten Orte fünfzehn Häuser vorfand.

Nun hole ich von meinem Bücherbrett ein anderes Büchlein, das ebenso alt und vergilbt ist wie das erste. Es enthält die Schilderung der Erfahrungen Andrades auf seinen Reisen und ist, wie erwähnt, vom 15. August 1626 datiert. Es ist aber 1629 in Paris gedruckt, und sein Titel lautet: » Histoire de ce qui c'est passé au Royaume du Tibet«. Zu jener Zeit hatte Lhasa seinen jetzigen Ruf noch nicht erlangt, Hundes galt als Tibet, und Tsaparang war die größte Stadt des Landes.

Meine Liebe zu diesem Buche ist nicht geringer als die, mit welcher ich Andrades erstes Buch betrachte. Vielleicht sogar größer, denn ich kann es ungehindert immer wieder lesen. Hier erzählt Andrade, daß er – im Gegensatz zu mir! – einen Paß des Großmoguls »an die kleinen Könige im Gebirge« erhalten und die Reise ihm leichter gefallen sei als das erstemal. In Tsaparang wurde ihm in unmittelbarer Nähe des Palastes, in welchem der Sohn des Königs wohnte, ein Haus zur Verfügung gestellt.

Das Büchlein ist voller spaßhafter Beschreibungen der Lamamönche Tibets, ihrer Sitten und Gebräuche, ihrer religiösen Anschauungen und ihrer vergeblichen Meinungsaustausche und Wortstreite mit dem sattelfesten Pater.

»Wenn sie sich zum Beten anschicken,« berichtet er, »pflegen sie Metalltrompeten zu blasen; aber es gibt auch Trompeten, die aus menschlichen Schenkel- und Armknochen angefertigt sind, und sie bedienen sich auch solcher Rosenkränze, deren Kugeln Totenschädel darstellen, und als ich sie nach dem Grunde fragte, antwortete mir der Lama, welcher der Bruder des Königs ist, daß sie sich solcher Trompeten bedienten, damit die Leute, wenn sie das Blasen hörten, des Todes gedächten, und daß sie manchmal auch aus den Schädeln tränken, um den Tod in lebhaftem Andenken zu behalten.«

Als er eines Tages einer Feier beiwohnte, äußerte Andrade zu dem Bruder des Königs sein Erstaunen darüber, daß die Lamapriester tanzten, und sagte, daß die katholischen Geistlichen »so ernst und würdevoll seien, daß sie sich um alles in der Welt nicht in einem so unanständigen und des Berufes, dem sie sich geweiht, so unwürdigen Aufzuge sehen lassen würden. Wundert euch hierüber nicht, erwiderte der Lama, denn in diesem Treiben stellen die jungen Lamas Engel vor; und er fügte hinzu, daß ebenso wie wir (die Europäer) unsere Engel singend und Musikinstrumente spielend abbildeten, sie (die Lamaisten) die Engel darstellten – daß sie tanzten, sei ja nur nebensächlich –, und er sagte, daß er ein kleines Bild der Geburt Christi gesehen habe, auf welchem verschiedene Engel abgebildet gewesen seien, die in ihrer Freude über die Geburt des Erlösers gesungen und Musikinstrumente gespielt hätten.«

Pater Antonio hatte für alles, was die Religion anging, ein offenes Auge und vergaß darüber, künftigen Jahrhunderten von dem geheimnisvollen Lande zu erzählen, dessen hohe Schneeberge rings um ihn emporragten, und von dem gewaltigen Flusse, dessen Wasser er tagtäglich sich ins Tal hinabwälzen sah und rauschen hörte. Nur folgende Zeilen lassen ein Tempelfest in Tolling-gumpa ahnen:

»Vor nicht langer Zeit begab ich mich nach einer Stadt, die ungefähr eine halbe Tagereise von Tsaparang liegt; ich begleitete den König, der seine Mutter, die Königin, besuchen wollte, die eine Wallfahrt nach diesem Orte, wo es mehrere Tempel und fünfhundert Lamas gibt, unternommen hatte; weil aber an jenem Tage die Leute von allen Seiten in Massen herbeiströmten, stieg ihre Anzahl auf zweitausend. Als wir anlangten, fanden wir diejenigen, welche dem Könige aufwarten sollten, in guter Ordnung vor; immer zwei und zwei im Gliede, wie unsere Geistlichen bei einer Prozession; und sie nahmen eine beträchtliche Strecke ein, alle nach ihrer Sitte singend, und die Vornehmeren tragen verschiedene Fahnen in der Hand. Als der König sie erblickte, stieg er sofort vom Pferd, und auf einem langen Seidenteppich, den Lamas vor ihm hingelegt hatten, machte er der ganzen Versammlung drei Verbeugungen, wobei er sich mit Kopf und Händen bis auf die Erde bückte; hierauf machte die ganze Gesellschaft dem Könige sechs ähnliche Verbeugungen, was zeigt, welch große Ehrerbietung dieser Fürst den Lamas erweist, wenn sie als Körperschaft auftreten, während er sie, wenn er sie einzeln sieht, überhaupt nicht grüßt, ausgenommen natürlich ihr Oberhaupt, das jetzt der Bruder des Königs ist.«

Er spricht von der großen Freundschaft des guten Königs mit den Jesuiten und von dessen Ehrfurcht vor der alleinseligmachenden Kirche, die er mit viel größerer Wärme umfaßt habe als die Religion seines eigenen Landes. Auf einem Ausflug erwies der König dem Pater Andrade viel größere Ehre als seinem Gaste, dem Könige von Ladak, dem »Herrscher eines Nachbarreichs«. Und als man sich der Stadt näherte und die schaulustige Menge ihnen entgegenkam, stieg der König wieder ab und setzte sich auf einen Teppich. An seiner linken Seite ließ er seinen Sohn sitzen und an seiner rechten Andrade. Als der Missionar sich bescheiden weigerte, Platz zu nehmen, während die Königin und alle andern standen, sagte der König: »Ihr seid Priester und unser Vater, sie nicht«. Alles dies und die angebliche Sehnsucht des Königs nach der Taufe und dem Christentum lassen eine pia fraus des Missionars argwöhnen, der Geld aus der Heimat haben wollte, um seine Tätigkeit fortsetzen zu können. Und man muß den beiden hohen Lamas verzeihen, die dem Könige vorwarfen, daß er sich in sechs Monaten habe dazu bringen lassen, dem Glauben seiner Väter den Rücken zu kehren und einen andern anzunehmen. Doch Andrade legte ihnen diesen Schritt als »Finessen des Teufels« aus; er betete und fastete, um die Seele des Königs zu gewinnen, und arrangierte in höchsteigener Gegenwart Seiner Majestät eine Disputation mit den Buddhapriestern. Hierbei führte er sie aufs Glatteis. Sie vermochten nicht zu antworten, versuchten, sich mit Umschweifen herauszuwinden, und verhöhnten den Jesuiten.

»Ein andermal,« erzählt Andrade, »fragte ich einen Lama in Gegenwart des Königs, zu welchem Heilmittel ein Mensch, welcher gesündigt, greifen müsse, um wieder vor Gott Gnade zu finden, und er antwortete mir, daß es genüge, diese Worte › Om mánj patmeonrj (om mani padme hum)‹ auszusprechen, was ganz dasselbe sei, als wenn man sage: wieviel ich auch gesündigt habe, ich werde doch in den Himmel kommen. Wenn das wahr ist, entgegnete ich, so nehmt einen Dolch und stoßt ihn irgendeinem beliebigen Menschen ins Herz, raubt dem König die Perlen, die er trägt, beleidigt uns mit unerhörten Schmähreden und sagt dazu bloß › Om mánj patmeonrj‹, so seid ihr sofort erlöst und rein von allen Sünden. Meint ihr, daß dies vernünftig ist?«

Der Pater erklärte dem Lama, daß er ohne gute Werke trotz aller seiner schönen Reden zum Höllenfeuer verdammt sein werde. Da wandte sich der König zu den Anwesenden und verspottete den Lama derart, daß Andrade ihn bitten mußte, nicht zu verraten, daß er, der Jesuit, ihm, dem Könige, die Kenntnisse, die er besitze, beigebracht habe. Darauf fragte Andrade die tibetischen Mönche, was denn die Formel, die sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit immer auf den Lippen führten, eigentlich bedeute; hierauf konnte keiner von ihnen antworten. Da sagte Andrade: »Da ihr diese Worte herplappert wie Papageien, die nicht verstehen, was sie sagen, so wisset, daß › Om mánj patmeonrj‹ ›Herr, vergib mir meine Sünden‹ bedeutet«. Und von dieser Stunde an legten alle Mönche die von Andrade gegebene Bedeutung in die geheimnisvollen Worte hinein!

Der gute Jesuit fährt fort: »Sie erweisen unsern Heiligenbildern die größte Ehrfurcht, und unsere Kirche ist ganz voll solcher Bilder. Dorthin begeben sich die Vornehmen, beten sie an und werfen sich vor ihnen zu Boden, denn sie sind daran gewöhnt, Heiligenbilder auf diese Weise anzubeten. Unaufhörlich bitten sie, daß wir ihnen das heilige Buch (so nennen sie das Meßbuch) über den Kopf halten, denn dadurch würden wir die Kraft erhalten, ihnen die Mysterien der Evangelien zu erklären. Als der König sich vor nicht langer Zeit mit einer großen Schar Gefolge in unserer Kirche befand, mußte ich ihm erklären, was Jesus am Kreuze, dessen Bild wir vor uns hatten, bedeutete, und es war ein seltsamer Anblick, als er sich zu allen Anwesenden wendete und sagte: ›Hier seht ihr, daß es wahr ist, daß Gottes Sohn ein lebendes Buch ist, im Gegensatz zu dem, welches die Lamas lesen und das nicht Gott ist und nicht Gott sein kann …‹ Einige Eingeborene aus der Stadt Utsang (Lhasa), wo es viele Kirchen gibt, haben mir gesagt, daß man in jenen Kirchen viele den unserigen ähnliche Heiligenbilder sehe. Wer kann da bezweifeln, daß es der Wille des Himmels ist, daß sie bald der Verehrung des wahren Gottes zugänglich sein werden?«

Einmal kam der Lama, der Bruder des Königs, in Andrades Kirche, schenkte ihm sieben Kupferschalen und sagte dabei, daß in ihnen dem Gotte der Christen täglich Wasser dargebracht werden müsse. »So pflegen sie es selbst zu machen und sie glauben, daß dies auch bei uns Brauch sei.« Der Abendmahlskelch erregte besonders sein Interesse, und er bat, die Zeremonien bei Andrades Gottesdienst sehen zu dürfen. »Nachdem der Lama alles gesehen hatte, sagte er mir, daß der Großlama in Utsang (der Dalai-Lama) Brot und Wein in kleinen Mengen opfere und daß er selbst davon esse und trinke und den Rest an andere Lamas verteile, und daß er über den Wein, den er Gott darbringe, blase und mit dem Munde hauche, was nur er allein, aber kein anderer tun dürfe. Und er fügte hinzu, daß dieser Großlama auf dem Kopfe eine Tiara trage, die der meinen gleiche, aber viel größer sei.«

Pater Antonio de Andrade hegte über die Möglichkeit, die Tibeter bekehren zu können, größere Hoffnungen als Pater Gerbillon, der von den mongolischen Lamaisten sagt: »Ich glaube, daß sie glühende Christen geworden wären, wenn sie die wahre Religion angenommen hätten; nun aber sind sie, um die Wahrheit zu sagen, durch ihre Lamas und deren Irrlehren so verstockt gemacht, daß wenig Hoffnung auf die Möglichkeit, sie zum Glauben zu bekehren, vorhanden ist.«

Unter Bezug auf das vergebliche Suchen Andrades nach Spuren eines alten Christentums im südwestlichen Tibet spricht Ritter in »Asien« (II, S. 447) die Ansicht aus, daß die Berichte, welche die katholischen Missionare in Hindostan erhielten, wohl auch hier, wie sonst so oft, die Zeremonien des Lamakultus mit denen der katholischen Kirche verwechselt hätten.

Indem wir nun Andrade und seine naiven, aber dennoch so interessanten Mitteilungen verlassen, werden wir durch sie ungesucht zu der Frage hingeführt, welche Ritter in den eben angeführten Worten flüchtig streift.


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