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Drittes Kapitel.
Noch einmal über den Indus.

Gerade nach Westen führt aus Lager 243 am 19. September unser Tagemarsch.

»Was ist das für eine sonderbare Stelle?« frage ich den stets neben mir gehenden Führer, als wir in der Nähe eines verlassenen Zeltplatzes an zwölf meterhohen, aufrechtgestellten Steinen vorüberritten. Man brauchte kein Archäologe zu sein, um zu erkennen, daß sie von Menschenhand errichtet worden waren.

Der Tibeter wendete den Kopf und antwortete mir: »Es gibt in unserer Gegend niemand, der wüßte, was sie bedeuten.«

Vermutlich stehen sie dort schon seit Menschengedenken und sind Denksteine aus der Zeit vor der Einführung des Buddhismus in Tibet. Dort hatte wohl irgendein mächtiger Häuptling sein Zelt gehabt, oder es waren zwischen jenen Steinen den gefürchteten Geistermächten, die in Bergen und Seen wohnten, Menschenopfer dargebracht worden.

Eine Unterbrechung der Einförmigkeit tritt ein, als wir an zwei vorspringenden schwarzen Felsen aus Porphyrit und vulkanischem Tuff vorüberreiten. Ich hielt in der Linken eine zusammenlegbare Pappe zum Schutze der losen Blätter, auf denen der Weg des Tages mit dem angrenzenden Gelände eingezeichnet wurde. Mit der Rechten notierte ich auf der Karte die zuletzt genommene Peilung. Das Pferd war demnach sich selbst überlassen. Ein heftiger Windstoß fuhr über die Ebene hin, und die Kartenblätter begannen zu flattern und zu klatschen. Der kleine zottigschwarze Wilde aus dem Gjekungtal, den ich ritt, verlor vor Schreck die Besinnung, ging durch und schoß wie ein Pfeil über den Kiesboden. Ich wollte gerade die Kartenpappe zwischen zwei Knöpfen meiner Lederweste in Sicherheit bringen, als ein Einriß im Boden das Pferd zwang, eine scharfe Seitenbewegung zu machen. Dabei drehte sich der Sattel, und ich schoß kopfüber auf die Erde, wobei ich innerhalb des Bruchteils einer Sekunde ein brillantes Feuerwerk sah! Der indische Korkhelm wurde bedenklich platt gedrückt, aber er rettete meinen Schädel. Ich blutete an der linken Schläfe, und meine Korbbrille wurde erdrückt. Als ich nach der ersten Überraschung ein wenig zur Besinnung gekommen war, stand ich vorsichtig auf, streckte die Beine und bewegte die Arme, um mich zu überzeugen, ob ich noch ganz sei. Folgerichtig hätte ich mich eigentlich totfallen oder mir wenigstens ein Bein brechen müssen, um dann, provisorisch eingeschient, in einer Wüste ohne Wasser einen langen Monat zu verbringen!

Atemlos und zitternd, mit Schaumflocken am Zügel und schweißtriefenden Weichen kehrte das Pferd schließlich zu seinen Kameraden zurück. Der Sattel hing ihm lose unter dem Bauch, und die hin und her schlenkernde Geologentasche hatte wohl nicht zur Beruhigung des Tieres beigetragen. Allerdings hatte es getan, was es vermochte, um mich los zu werden, aber wir ritten doch zusammen weiter, als ob nichts geschehen sei. Ein bißchen Kopfweh, ein geschwollenes Augenlid und ein blauvioletter Ring um das linke Auge waren die einzigen Folgen des Purzelbaums.

Ohne Grenzen dehnt sich vor mir die Ebene aus, bestreut mit Steinen aus Lava, Tuff und Porphyrit, die der Wind poliert hat. Von einer löffelförmigen Anschwellung aus lasse ich den Blick rückwärts schweifen über das hoffnungslos öde Land, das wir durchquert haben. Dort zeigen sich die kleinen Seen, schmal und glänzend wie Säbelklingen, inmitten der ausgedehnten Ebenen und ganz im Osten von den Bergen Jumba-matsens in matten, rosigen Farbentönen begrenzt. Sarijol hieß die Quelle, an der wir endlich in später Stunde das Lager 244 aufschlugen.

Am folgenden Morgen lag ein dichter Nebelschleier wie ein Flor über dem Lande; er dämpfte alle Farben und machte alle Konturen verschwommen und unklar. Wir reiten über Geröllabhänge und nähern uns wieder der Wasserscheide des Indus, die wir bald auf dem 5178 Meter hohen Passe Bokar-la überschreiten. Hier verlassen wir demnach das abflußlose Land, in welchem wir einige Tage geweilt haben, und betreten einen Boden, der nach dem Meere hin entwässert wird. Auf dem Passe umfaßt der Blick gewaltige Räume. Noch immer schaut man vergeblich nach Zelten und Herden aus. Außer Steinen, die bald als anstehendes Gestein, bald als Geröllabhänge, bald als Verwitterungshaufen und bald als Talfüllungen auftreten, ist hier nichts zu sehen. Kein Grün schmückt die Hänge, keine Flüsse blitzen in der Sonne. Hier ist es leer, tot und dürr, und man versteht, weshalb der Quellarm des Indus, der seinen Saft aus dieser Gegend saugt, so wasserarm ist.

Vom Bokar-la ziehen wir zuerst steil, dann auf unmerklich abwärtsführendem Pfade nach einem Tale hinunter, wo sich das Wasser einiger Quellen zu einem gewundenen Bächlein vereinigt. Das Tal verschmälert sich allmählich zwischen seinen aus Quarzporphyr bestehenden Felswänden, und auf seinen Seiten erheben sich mehr oder weniger ununterbrochene Erosionsterrassen, die manchmal sechs Meter hoch sind und von ergiebigeren Niederschlägen in vergangenen geologischen Perioden zeugen. In der Nähe des Punktes, wo dieses Nebental in das Industal einmündet, lagerten wir auf einer Wiese an einer Quelle (Lager 245), und es fehlte uns auch dort nicht an dem gewöhnlichen Brennmaterial, das die Herden der Nomaden zu liefern pflegen.

Wir hatten auch Nachbarn. Einer unserer Wegweiser führte Ische zu einem versteckt liegenden Zeltlager, und er kehrte bald mit zwei Eingeborenen und einem herrlichen Vorräte süßer und saurer Milch zurück.

Hier waren wir wieder in bekannten Gegenden. Im Jahre 1867 hatten zwei der Punditen des Oberst Montgomerie diese Gegend erforscht, und 1906 hatte Herr Calvert im Auftrage der indischen Regierung das Land auf seiner Reise von Gartok nach Tok-dschalung durchquert. Das Gebiet um den obersten Indus herum heißt Singtod, weiter abwärts liegt ein anderes, Singmet, d. h. oberer Indusdistrikt und unterer Indusdistrikt, denn Singi-tsangpo ist der tibetische Name des Indus, und Singi-kabab ist die Quelle des Löwenflusses. Eine Tagereise flußaufwärts gibt es einen kleinen Tempel, den nur im Winter ein einsamer Lama bewohnt. Er muß ein Philosoph sein, der arme Mann! Wie verlassen und trostlos ist sein Leben, wenn der Frost in den Felsen knackt und der Schneesturm um die Ecken seiner Wohnung heult! Aber einmal wird es ja doch Frühling, und dann darf er wieder hinaus. Es ist ein Trost, zu wissen, daß er dort nicht in der Dunkelheit eingemauert ist wie die Mönche in den Grotten von Linga.

Während der Nacht flüchteten unsere durch Wölfe gehetzten Karawanentiere talaufwärts. Es wurde Alarm geschlagen, die Männer folgten der Spur und kamen noch zu rechter Zeit, um Pferde und Maulesel zu retten. Zwei Stunden später wurden sie wieder beladen, und der Zug schritt nach dem zwischen ziemlich hohen Bergen eingeschlossenen Industale hinab. Die Felsen der linken Talseite sind steil, und an ihrem Fuße zieht sich der von unserm Wege aus noch unsichtbare Fluß entlang. Hier und dort überschreiten wir eine Quellader, die zum Indus hinabrieselt. Ein Zelt zeigt sich am Flusse, ein wenig weiter entfernt stehen sieben dicht nebeneinander und dann wieder drei. Hier gibt es wenigstens Menschen!

Am Abhang werdet eine Yakherde. Was haben die Tiere da zu fressen? Ich kann dort nicht einmal einen grünen Schimmer sehen. Zwischen den Steinen verbirgt sich das sammetweiche Yakgras, sowie auch Moose und Flechten, die sie mit ihrer Zunge, die kräftig ist wie ein Reibeisen, auflecken.

Der Platz, wo wir unsere Lasten wieder abluden und im Lager 246 unsere Zelte errichteten, hieß Hlagar. Gerade hier macht der Indus einen scharfen Bogen und biegt zwischen wilden, malerischen Porphyrfelsen nach Norden ab. Meine luftige Behausung wurde unmittelbar an der Wasserlinie des rechten Ufers aufgeschlagen, und ich konnte mich im Zelt an dem Anblicke des stolzen Flusses freuen, dessen kristallklare Flut sich lautlos zwischen den Bergen fortringelte.

Einen Steinwurf weit von uns standen zwei Zelte, deren Bewohner (Abb. 11–13) gar nicht wußten, was sie uns alles Gutes erweisen sollten. Ich lebte auch wie ein Prinz in dieser wilden, naturschönen Gegend, die mir um so entzückender erschien, weil ich in der letzten Zeit nichts anderes als Wüsten gesehen hatte. Ein feistes Schaf wurde sofort erstanden und geschlachtet, und alle Tibeter der Nachbarschaft lud ich zu einem großartigen Schmause ein. Die Hunde, bei denen lange genug Schmalhans Küchenmeister gewesen war, wurden nicht vergessen. Tundup Sonam lieferte ein ganzes Bündel Rebhühner in die Küche, und ich zog sie dem ewigen Schaffleisch vor. Saure Milch war büttenweise vorhanden, und Brot wurde in der Asche von Yakdung gebacken – konnte man es in einem Land wie diesem wohl besser haben?

11–13. Freundliche Nachbarn. (S. 20.) Skizzen des Verfassers.

Der Tag war herrlich, die Luft in dem tiefen Tale warm und still, 13,1 Grad um 1 Uhr, und 12,4 Grad im Flusse. Nur gelegentlich kam ein Windstoß von dem nächsten Grate heruntergesaust.

Mit ausgestreckter Zunge und höflicher Verbeugung erschienen vor meinem Zelte drei Häuptlinge, die den Titel »Gova« führten (Abb. 14).

14. Einer der Häuptlinge. (S. 20.) Skizze des Verfassers.

»Es freut mich, euch zu sehen; nehmt Platz«, begrüßte ich sie.

»Wir sind gekommen, um Ihnen nach besten Kräften zu dienen, Herr; Sie haben nur zu befehlen, und wir gehorchen.«

»Gut. Die Männer, die uns mit Pferden und Yaks aus Jumbamatsen hierher geleitet haben, kehren morgen wieder zu ihren Zelten zurück. Ich bedarf daher neuer Pferde und Yaks und auch neuer Führer, die die Gegend auf dem Wege nach dem Dschukti-la genau kennen.«

»Herr, es tut uns leid, Ihnen dies sagen zu müssen; aber gestern ist der Serpun von den Goldgruben in Tok-dschalung hier durchgekommen, und er hatte es sehr eilig, nach Gartok zu gelangen. Wir mußten ihm daher alle vorhandenen Pferde geben. Wollen Sie aber zum Reiten und zum Lasttragen mit Yaks vorliebnehmen, so sollen Sie so viele haben, wie Sie wünschen.«

Das Anerbieten, mir Yaks zu stellen, nahm ich mit Dank an, und in ein paar Minuten waren wir vertraut wie Jugendfreunde. Sie erzählten gern und hatten keine Geheimnisse. Ich fürchte indessen, daß ihre Erzählungen den Leser nicht so sehr anziehen werden, wie es mich interessierte, als die Tibeter von Hlagar von ihren Lebensgewohnheiten und ihren Wanderungen sprachen. Dann und wann ziehen sie nach dem Salzsee Tsak-tsaka, der fünf Tagereisen weit im Nordosten liegt. Dort brechen sie Salz, packen es in Säcke, beladen ihre Schafe damit und kehren nach Hlagar zurück, um sich dort erst auszuruhen und dann den neun Tagereisen weiten Weg nach Gyanima zurückzulegen.

Der Weg zwischen Tok-dschalung und Gartok ist eine Tasam, eine Poststraße für Reiter, wie die Nomaden mir sagten. Deshalb wohnen sie auch das ganze Jahr hindurch in Hlagar, um vornehmen Reisenden Pferde zu stellen. Eine andere Straße folgt dem Industal abwärts, an dem Zeltdorfe Pekija und der Mündung des Langtschuflusses vorbei bis an den Punkt des Zusammenflusses mit dem Gartong, dem südlichen Indusarme. Auf dem ganzen Wege hat der Indus nur schwaches Gefälle; keine Wasserfälle und keine Stromschnellen stören seinen ruhigen Lauf. –

Bei Hlagar, dessen absolute Höhe 4672 Meter beträgt, friert der Indus schon zu Anfang des Winters zu, aber das Wasser ständiger Quellen rinnt doch stets unter der Eisdecke. Um die Mittwinterzeit schneit es gelegentlich so, daß der Schnee eine Spanne hoch liegt. Die Kälte ist schneidend, aber weniger grimmig als in Tok-dschalung. Selten fallen so heftige Sommerregen, daß der Fluß über seine Ufer tritt und sich nicht durchwaten läßt. Bei meinem Besuche war der Singi-kamba, wie man den Indus hier nennt, in zwei Arme geteilt, die zusammen kaum sechs Kubikmeter Wasser in der Sekunde führten. Der größte Arm war höchstens 41 Zentimeter tief, und seine Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 66 Zentimeter in der Sekunde.

Am Morgen des 22. September grunzten sieben starke Yaks im Lager (Abb. 15). Einige wurden beladen, die andern sollten geritten werden, und ich selbst erhielt ein ausgeruhtes Pferd. Die Rupien klimperten in den schwarzen Tatzen der wettergebräunten Bergbewohner, die Nomaden von Gjekung zogen ihres Weges, um wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Ich sagte allen freundlich Lebewohl und mit zwei jungen Führern (Abb. 16) patschten wir durch den ruhmreichen Fluß, der hier, in der Nähe seiner Quelle, so bescheiden und dort, wo seine ungeheueren Wassermassen über die Ebene am Fuße des Himalaja hinrollen, so gigantisch ist.

15. Meine Lastyaks. (S. 21.)

16. Tibetische Führer. (S. 21.)

Wirft man einen Blick nach Nordnordwesten, so sieht man das Industal verschwinden, verdeckt durch seine eigenen Bergkulissen. Unsere Straße nach Gartok führt bergauf durch das Nebental Terruk. Der Marsch wird anstrengend dadurch, daß der Boden dicht mit scharfkantigem Porphyritgrus bedeckt ist. Man ist daher froh, zu finden, daß das Tal nur kurz ist und daß der Weg unmerklich auf den Paß Terruki-la (4874 Meter) hinaufgeführt hat, in dessen Sattel der Granit ansteht. Auf der Paßhöhe hatte der Wind freien Spielraum, und die Wimpel des Paßmales klatschten wie Peitschen.

Hier ist das Land außerordentlich zerschnitten. Das nächste, zuerst in Porphyrit und höher droben in Granit eingesenkte Tal führt zu einem neuen Passe, dem Särtsoki-la. Und jenseits einer Talmulde haben wir noch einen dritten Paß, den Dotsa-la (5045 Meter). Unweit seiner Schwelle wurde an der Quelle Dotsa das Lager 247 aufgeschlagen.

Ein großartiges Panorama zieht im Südwesten und Westsüdwesten den Blick unwiderstehlich auf sich. Dunkel und finster, aber doch durch die Entfernung gedämpft, erhebt sich wie ein Theaterhintergrund unter der sinkenden Sonne eine mächtige Bergkette, deren flach pyramidenförmige Gipfel ewiger Schnee krönt. Es ist der Transhimalaja! Die Sonne sinkt. Die Schneefelder, die eben noch wie Metall glänzten, verschwinden in der scharfgezeichneten Kontur des Kammes.

Das Abendrot ist erloschen. Von Osten her schleicht eine neue Nacht heran. In prachtvoller Majestät gießt der Mond sein kaltes Silberlicht über das schweigende Land. Der Hintergrund des Transhimalaja ist nur noch als schwacher Nebeldunst sichtbar, aber die vom Monde bestrahlten Firnfelder scheinen wie weiße Wölkchen am Rande des Horizontes zu schweben.

Der Wind hat aufgehört. Es ist mir, als ob etwas Gewohntes fehle. Schwer liegt das Schweigen über den Bergen. Der Weltenraum, die unendliche Leere wacht draußen vor meinem Zelt. Noch unterhalten sich meine Leute mit halblauter Stimme. Die Yaks (Abb. 14) stehen an einem Taue angepflöckt und knirschen ab und zu mit den Zähnen gegen die hornigen Schwielen. Gelegentlich ertönt Hundegebell, und manchmal knistert es in der Dungglut, wenn das Feuer wieder aufflackert.

Doch bald erstirbt das Leben. Die Männer werden müde und legen sich schlafen. Die Yaks schlummern ein und träumen. Die Hunde rollen sich so zusammen, daß die Schnauze unter dem Schwanze versteckt ist, und das Feuer erlischt aus Mangel an Nahrung. Das Schweigen wird erdrückend und unheimlich. Eine solche Nacht hat etwas Erhabenes. Man schläft wie in einem Tempelsaale ein, um an der Schwelle der Ewigkeit zu erwachen.

Am 23. September lenkten wir die Schritte noch immer westsüdwestwärts durch eine zerrissene, verwitterte Landschaft, in der Quarzporphyrit, Porphyr und Basalt ein Gewirr kleiner Kämme, Landrücken und Schwellen bildeten. Hier und dort ist von abgetragenen Felshügeln nichts übriggeblieben als grobkörniger weißer Sand. Aber im Norden dehnt sich eine weite Ebene aus, die infolge des Gruses, der ihren Boden bedeckt, so dunkel ist wie die Wüste Kewir in Persien. Fern im Norden wird diese Ebene durch die Bergketten begrenzt, welche das Tal des Singi-kamba einrahmen.

Hlari-kunglung ist ein dunkler Kegel, Lumbo-sädschu ein mächtigerer Berg von rötlicher Färbung, beide im Süden. Sie erheben ihre Scheitel wie Wegweiser oder Leuchttürme hoch über dem unregelmäßigen Lande, und es dauert viele Stunden, ehe man an ihnen vorbeigelangt ist. Im Südwesten thront wieder der Transhimalaja wie eine ungeheuere Mauer; verächtlich blickt er auf dieses verwitterte und ausgetrocknete Schlachtfeld herab, wo ehemalige Berge vergeblich gegen die Einwirkung der Atmosphäre gekämpft haben und wo nur noch vereinzelte Hügel aus härterem Gestein der alles ausebnenden Zerstörung standhalten.

Wir machen einen langen Tagemarsch, um diesen neuen Wüstengürtel so schnell als möglich hinter uns zu haben. Der Boden ist gerade fest genug und mit feinem Kiese und grobem Sande bedeckt; eine bessere Reitbahn kann man sich nicht wünschen. Nach Wasser schaut man vergeblich aus, Pflanzen- und Tierleben fehlt auch; nur hin und wieder huscht eine genügsame Eidechse über den Sand. Es sind 15 Grad Wärme. Am Himmel segelt nicht ein Wölkchen. Kein vom Winde aufgewirbelter Staub trübt die Aussicht. Soweit der Blick reicht, steht das Gebirge scharf und deutlich gezeichnet da.

Jetzt ist das Terrain in der Richtung des Weges so eben wie eine Wasserfläche. Vor der Karawane schreitet der eine Führer her, ein zerlumpter, gemütlicher Greis. Er hat uns eben mit der Nachricht erfreut, daß diese Wüstenebene nie ein Ende nehme, wenn man auch noch so eifrig drauflos marschiere. Nun gut, dann können wir ja gern eine Viertelstunde Rast halten und uns an der kalten Milch erfrischen, die in einer Kanne mitgenommen worden ist. Ich untersuche den Horizont mit dem Fernglas. Nichts Lebendes zeigt sich. Die Wildesel haben keine Fährten in diesem Boden hinterlassen, Antilopen zeigen sich nicht mehr. Wir sind die einzigen lebenden Wesen in dieser Wüste; sogar die Raben scheuen sie.

Wir folgen keinem Wege. Dort, wo unser Zug vorwärtsschreitet, ist noch nie jemand gegangen. Der Alte an der Spitze sagt, es sei einerlei, wo man gehe, wenn man nur nicht die kegelförmigen und pyramidenförmigen Berge, die sich im Süden erheben, aus den Augen verliere. Die zerstreuten Spuren der Reisenden seien schnell durch die Stürme verweht. Der Name der Wüste sei Tschaldi-tschüldi.

In der Ferne erhebt sich ein dunkler Hügel, das Ziel des Tages. Er scheint unerreichbar zu sein; die Stunden vergehen, und er wird nur langsam größer. Aber Geduld überwindet allen Widerstand; wir reiten an dem Hügel vorbei und gewahren auf seiner andern Seite eine Oase, Njanda-nakbo, wo üppiges Gras um einen kleinen Sumpfsee herum wächst. Der Rauch steigt einladend aus den Spalten eines halben Dutzend schwarzer Zelte, und zwei indische Wollkarawanen halten auf dem Platze Rast.

Sobald mein Zelt im Lager 248 fertig ist (Abb. 17–21), lasse ich mir die Hindus zur Befragung rufen. Sie sind aus Rampur und haben in Gerke Wolle gekauft. Diese sollte auf 500 Schafen, die sie ebenfalls in Gerke erstanden hatten, nach Garlok und Indien befördert werden. Für jedes Schaf hatten sie zwei Rupien bezahlt. Es sollen jährlich ungefähr sechzehn indische Karawanen Wolle aus Gerke holen, und ohne Zweifel verdienen sie gut bei der Reise.

18. Lager im Transhimalaja. (S. 24.)

19. Reityak. (S. 24.)

20. Gäste bei meinem Zelt. (S. 24.)

21. Mein Zelt wird eingepackt. (S. 24.)

Der Gova von Njanda erzählte uns eine Räubertat, die vor zwei Wochen an einem aus sieben Zelten bestehenden Nomadengemeinwesen verübt worden war. Mit Messern, Säbeln und Flinten bewaffnet hatten acht Schurken unter dem Schutze der Dunkelheit das Dorf überfallen. Die Bewohner hatten nicht einmal versucht, sich zur Wehr zu setzen, sondern waren Hals über Kopf ins Gebirge geflohen. Als die Bande abzog, nahm sie alles mit, was nicht niet- und nagelfest war, alle Eßwaren, alle Kleidungsstücke, dreißig Töpfe, Kannen und Schüsseln und dazu noch 740 Schafe und 69 Yaks. Sie ließen kaum etwas mehr als die kahlen Zelte und die Hunde zurück. Die ausgeplünderten Nomaden lebten in der entsetzlichsten Armut und wanderten als Bettler in der ganzen Gegend von Zelt zu Zelt. Aber die Rache schlief nicht! Sechzehn Reiter hatten die Spur der Räuberbande verfolgt. Große Yak- und Schafherden können unmöglich spurlos in den Bergen verschwinden. Man würde die Friedensstörer schon erwischen. Dann aber wird von Pardon keine Rede sein. Die Köpfe und Hände der Verbrecher werden nach Lhasa geschickt.

Am nächsten Morgen kamen vier Frauen der ausgeplünderten Zeltgemeinde auch zu mir und waren dankbar für die Gaben, die ich ihnen spenden konnte.

Ein kurzer Tagemarsch führte durch wegloses Gelände nach dem Ufer des Baches Dschukti-loän-tschu; dieser kommt von dem gewaltigen Passe im Transhimalaja herab, der uns noch von Gartok schied. Man hat die Wahl zwischen drei Pässen, erklärten unsere Führer, zwischen dem Dschukti-hloma, dem Dschukti-tschangma, dem südlichen und dem nördlichen Dschukti-Passe, und dem Lasar-la, der ein wenig nördlich davon liegt. Die über sie hinüberführenden Wege vereinigen sich jedoch bald auf der südlichen Seite des Kammes. Mitte Dezember versperrt der Schnee alle drei, und dann ist es vier bis fünf Monate lang unmöglich, den Transhimalaja in dieser Gegend zu überschreiten.

Es gibt aber andere Auswege, deren sich diejenigen bedienen können, die aus Njanda nach dem unteren Gartok wollen. Sie ziehen nordwestwärts längs des Fußes des Gebirges und benutzen den niedrigen, sandbedeckten Paß Pele-rakpa-la, den der Schnee nie unzugänglich macht. Der Lapta-la ist ein fünfter Paß, der noch weiter nordwestwärts liegt. Und schließlich kann man immer durch das Durchbruchstal des Indus hindurchkommen, wobei man alle Berge vermeidet.

Es ist deutlich erkennbar, daß die Hauptkette des Transhimalaja, die sich hier zwischen den beiden Indusarmen erhebt, beinahe all die Feuchtigkeit sammelt, die von dem Südwestmonsun herangeführt und nicht von den Regionen des Himalaja aufgefangen worden ist. Ich habe selbst gesehen, daß das Land im Nordosten des Transhimalaja eine echte Wüste ist, und es erregt nicht länger meine Verwunderung, daß der Singi-tsangpo, der Quellarm des Indus, auch kurz nach Beendigung der Regenzeit nicht imstande ist, mehr als sechs Kubikmeter Wasser in der Sekunde zu sammeln.


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