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Nach beinahe 10 Grad Kälte in der Nacht blies uns der Westwind am 21. November wach, und von dem Indusufer, wo wir uns im Lager 264 auf 4179 Meter Höhe über dem Meere befunden hatten, führte der Weg wieder in höhere Regionen hinauf. Das gelbgewordene Gras der Steppe steht dicht auf Tongrund, wo sich auch Flugsand in ziemlich reichlicher Menge angesammelt hat und zuweilen Dünen bildet, deren Rücken sich längs der Berghalden im Norden krümmen. Viele Dünen sind jedoch durch die Graswurzeln gezwungen worden, auf ihrer Wanderschaft haltzumachen.
Das Durchbruchstal des Indus bleibt links hinter uns zurück, und der Pfad windet sich zum Passe Tsake-la hinauf. Den wenig steilen Abhang bedeckt grauer und violetter Schutt aus Granit, Porphyr und Quarzit. Hier wächst nichts. Nur Tama-jaghgang ist eine kleine Oase, in der Gras und Buschwerk eine Quelle umgeben.
Das nördliche Gebirge ist aus grünem und violettem Porphyrit aufgetürmt, aber höher droben herrscht grauer Granit vor. Im Süden steigen Rauchsäulen aus einigen Steinhütten des von Gerstenfeldern umgebenen Dorfes Salma. Wir nähern uns dem Tsake-la; doch schon ehe wir den Paß erreicht haben, machen wir im Lager 265 für die Nacht halt an den Quellen von Dunglung, die flache Eisschollen inmitten des üppigen Grases bildeten. Die Höhe betrug 4449 Meter; wir waren also seit dem letzten Lager am Indus um 270 Meter gestiegen. Von hier aus gewahrt man noch in der Ferne die Berge um Demtschok herum. In unendlicher Perspektive erstreckt sich das Industal nach Südosten; sein Boden schillert gelb von der Farbe der Steppe, aber den Fluß sieht man gar nicht, dazu ist die Entfernung zu groß.
Am folgenden Morgen sind wir schon früh droben bei dem mit Hörnern und Wimpeln geschmückten Steinmale des Passes Tsake-la. (Abb. 48), wo die Höhe 4523 Meter beträgt und der Wind bei 5 Grad unter Null in die Haut schneidet. Dann eilen wir abwärts, zu Fuß, um das Blut wieder in Umlauf zu bringen. Täler, Felsvorsprünge und Manimauern folgen einander, und die kärgliche Vegetation, die hier um ihr Dasein kämpft, bildet kleine gelbe Flecke um die Quellen herum. Der hohe, mit Schnee bedeckte Gebirgsstock, den wir schon so lange gesehen haben, ist jetzt in unserer Nähe, aber seine Firnfelder sind durch dazwischenliegende Berge verdeckt (Abb. 49). Der Panggong-tso ist nicht zu sehen, wohl aber einige der Kämme, die sich an seinem Nordufer erheben.
48. Tsake-la. (S. 60.)
49. Unterwegs nach Tschuschul. (S. 60.)
Schon auf dem Passe erblickten wir in der Ferne den vorspringenden Berg, hinter welchem sich unser Lager 266, das Dorf Tschuschul, befand. Aber die Stunden vergingen, und der Tag neigte sich seinem Ende zu, bevor wir dort anlangten. Der Pfad führt an der linken Talseite entlang. Eine Reihe vorspringender Berge zeigt sich jetzt vor uns. Die Sonne sinkt, und die Schatten werden länger. Wieder reiten wir an einem vorspringenden Felsen vorbei. Ist dies nicht der letzte der Reihe? Nein, noch immer zeigen sich neue Vorsprünge in der Richtung des Weges, und der Wind ist jetzt so eisig kalt, daß wir gehen müssen, um warm zu bleiben. Die Dämmerung wird dichter, der Weg immer undeutlicher, der Wind nimmt zu; gelangt man denn auf diesem Wege nie ans Ziel? Vier lange Manimauern und ein kleines Tschorten verkünden die Nähe noch eines Klosters, aber man sieht sie kaum, denn jetzt ist es dunkel.
Endlich wandern wir an dem letzten Bergvorsprung vorbei, und nun strahlen uns die Lagerfeuer bei Tschuschul entgegen. Der Bach des kleinen Dorfes war zur Hälfte zugefroren. Die Pferde rutschten und glitschten über gewölbte Eisblasen, plumpsten ins Wasser und balancierten im Flußbett, um schließlich mit einem Satz auf den Graswall des andern Ufers hinauf zu gelangen. Müde und durchfroren lenkten wir die Schritte gerade auf die Feuer los und zündeten dort unsere Pfeifen an.
Wir hatten einen Ruhetag verdient, und der Häuptling von Tschuschul tat, was er konnte, um seinen weitgereisten Gästen Ehre zu erweisen. Schon vormittags begannen die Vergnügungen, denen ein Europäer schwerlich entgehen wird, wenn er in einem Dorfe Ladaks zu Gaste ist. Im Juli 1906 hatte man in jedem Dorfe auf dem Wege nach Leh mir zu Ehren Tanz und Musik veranstaltet. Und jetzt bei meiner Rückkehr begannen die ländlichen Feste aufs neue.
In schleppendem, rhythmischem Takt tanzten die zwölf Schönheiten Tschuschuls vor meinen Zelten. Sie waren in grüne und rote Schafspelze gekleidet, allerlei Krimskrams baumelte ihnen in den Locken, und einzelne mit Türkisen verzierte Bänder fielen vom Scheitel herab über den Rücken (Abb. 50–52). Ihre Blicke waren auf den Boden gerichtet, ihr Mienenspiel verriet keine Leidenschaftlichkeit, keinen Frohsinn; bald erhoben sie die rechte Hand, bald die linke und sie drehten sich im Kreise, während sie langsam im Gänsemarsch einherschritten. Schön waren sie nicht, diese » ladies of the mountains«, aber dafür um so schmutziger, schüchterner und anspruchsloser. Beim Ballett im Dorfe Tschuschul hatte man keine Eile. Sie tanzten stundenlang, und der Tanz bot keine überraschenden oder abwechselnden Touren. Ein alter Mann leitete ihn mit seinem Saitenspiel, und da die einzige Trommel des Dorfes geplatzt war, erhöhte mein Küchenpersonal den Glanz des Festes mit Hilfe meiner sonorsten Kasserollen.
50. Sängerinnen in Tshuschul. (S. 61)
Skizzen des Verfassers
51. Singende Schönheiten in Tschuschul (S. 61.)
52. Mädchen aus Tschuschul. (S. 61.)
Skizze des Verfassers.
Tschuschuls Sehenswürdigkeiten sind leicht aufgezählt. Das Dorf besteht aus einigen zwanzig Hütten und zwei Tempeln, deren einer, am Fuße der Hügel, alt und verfallen ist, während der andere, Lundup-Tschüding-gumpa, auf einer Anhöhe erbaut ist, auf Kosten eines wohlhabenden Mannes, dessen Sohn, der Lama Kuntschuk Tingsin, jetzt für den Unterhalt des Klosters sorgt. Man sagte mir, daß dreißig Mönche diesem Tempel dienten, daß aber alle hier und dort zerstreut, jeder in seinem Heime, lebten und daß nur der Oberlama sich im Kloster aufhalte; sein Porträt findet man im zweiten Bande (Abb. 276, Seite 185 und Abb. 290, Seite 209).
Auf dem äußern Tempelhof stehen eine Wimpelstange und ein Tschorten zwischen dürftigen Hütten, die Lamazellen enthalten. Die Fassade ist weißgetüncht, und der Vorsaal mit den unentbehrlichen Geisterkönigen ist mit einem rot angestrichenen Holzgitter abgesperrt. Der Tempelsaal ist reich bevölkert mit Götterstatuen, teils in natürlicher Größe, teils ein wenig kleiner. Über ihren Köpfen dringt das Sonnenlicht reichlicher als anderswo durch ein viereckiges Oberlicht herein. Um die Gruppe der Götter herum führt ein Gang, der von den Frommen durchwandert wird. Inmitten der Gruppe thront Guru Rinpotsche mit einer grauen Maske in der Hand; um ihn her stehen in unbeschreiblichem Durcheinander Tsepakmet, Tschenresi, Tsongkapa in rotem Mantel und gelber, spitzer Mütze und mehrere Lamastatuen mit nachdenklichen, träumerischen Zügen.
Der Oberlama erzählte mir, daß vor kurzem Diebe in die Lamazellen eingebrochen seien und dort Gegenstände im Werte von etwa zweihundert Rupien gestohlen hätten. Die ausgeraubten Priester wußten sich zu helfen. Um sich schadlos zu halten, brachen sie, einige Edelsteine aus den Götterstatuen aus und verkauften sie an Händler aus der Umgegend. Aber dieser Diebstahl wurde entdeckt, und nun war eine gründliche Untersuchung gegen die frommen Tempelschänder eingeleitet worden.
Abends wurde das Ballett wiederholt. Aber diesmal waren meine Leute an ihren eigenen Feuern die Wirte. Es wurde getanzt, gesungen und auf der Zither gespielt, die Teekessel kochten, und die Tschangkrüge mit dem schwachberauschenden Biere des Landes machten die Runde. Die wackeren Männer waren aufgeräumt und munter; sie waren ja daheim in Ladak, für sie das Schönste auf der Welt, das Land, wo ihre Mütter sie auf dem Arme getragen und ihre Väter den Steinbock und das Wildschaf zwischen den Felsen gejagt hatten. Ihr Heimweh war vorüber, und vergessen waren alle die Prüfungen, die sie ausgestanden hatten. Aber die Lieder waren dieselben wie die an den Winterabenden in Tschang-tang, wo der Sturm um die Zelte heulte und die Flammen der Lagerfeuer wie die Wimpelbüschel auf den Tempeldächern flatterten und klatschten.
Den Tag darauf, am 24. November, ritten wir fort von den Gehöften von Tschuschul und den vereisten Kanälen, die während einer wärmern Jahreszeit die mit Gerste bestandenen Felder des Dorfes bewässern. Auch nach dieser Richtung hin sind zahlreiche Manimauern längs der Straße errichtet, wo sie wie versteinerte Eisenbahnzüge stehen. Der Weg geht hier bergauf nach Nordwest, und zur Rechten erhebt sich der mächtige Schneeberg. Drunten an seinem Fuße trippelt eine Schafkarawane, fünfhundert mit Gerste beladene Tiere, die auf dem Wege nach Rudok sind. Einige von ihnen sind rot angestrichen und sehen wie blutige Opferlämmer aus. Voran marschiert ein Widder, den Blick unverwandt auf den Pfad gerichtet, und gleichgültig, in halbem Schlafe, aber geschickt ihre Gerstenbeutel balancierend, folgt die ganze Herde seiner Leitung. Die Hirten, welche die letzten im Zuge sind, können sich darauf verlassen, daß die arbeitenden Tiere nicht von dem Pfade nach Rudok abweichen.
Wir selber arbeiten uns mühsam zum Passe Kongta-la hinauf, dessen Geröllsattel sich 5061 Meter über dem Meere erhebt (Abb. 53). Vor seinem kegelförmigen Steinmale und seinem aus Hörnern, Stangen, Wimpeln und Zeugfetzen bestehenden Opferhaufen stimmten meine Leute ein schallendes Freudengeheul an.
53. Auf dem Kongta-la. (S. 62.)
Durch schwarze Porphyritfelsen bricht sich das Tal Ar einen Hohlweg von Südwesten her, den bald Blöcke anfüllen und der bald Fußpfaden auf den Ufern eines gewundenen, bis auf den Grund gefrorenen Baches Raum gewährt. In den Bergen auf der Nordostseite des Passes herrscht der graue Granit. Vom Kongta-la ist das Gefälle nach Nordwesten unmerklich. Wir waren an sechs Zelten und zwei weidenden Schafherden vorübergekommen, bevor wir an dem Felsenvorsprunge von Lung-kongma unser Lager 267 aufschlugen.
Der Tag war trübe, grau und kalt gewesen, aber beim Sonnenuntergang klärte sich der Himmel im Westen auf, und die gewaltige Masse des Granitberges funkelte wie rotes Gold.
Wieder graut ein Tag über der Erde, die Zelte werden zusammengelegt, die Lasttiere erhalten ihre Bürden, die Pferde werden gesattelt, und wir setzen unsere lange Wanderschaft fort. Das Tal fällt steiler ab, und sein Boden ist voller mühsam zu überschreitender Granitblöcke, zwischen denen ein Bächlein unter seinem kristallklaren Eisdache rauscht. Es wächst allmählich und erhält Tribut von allen Quellen des Tales, um sich schließlich mit dem Schejok, dem großen Nebenflusse des Indus, zu vereinigen. An einer Stelle, wo wir den Bach überschritten, war die Eisdecke so dünn und durchsichtig wie Glas, trug aber trotzdem die Pferde, als sie auf einem Sandwege, den wir gestreut hatten, vorsichtig und einzeln hinübergeführt wurden.
Der Tag naht sich seinem Ende, und wieder hüllt sich das Tal in tiefen Schatten, während die Sonnenstrahlen noch die hohen Gipfel in unserer Nähe vergolden. Dort lagert eine gewaltige Schafkarawane, deren Besitzer die Gerstenbeutel zu wahren Mauern aufgestapelt haben; im Schutze dieser Mauern flammen die Abendfeuer munter und gemütlich. Eine zweite Karawane hatte sich nicht die Mühe gemacht, den Schafen die Lasten abzunehmen; die Tiere mußten die Nacht mit den Beuteln auf dem Rücken zubringen. Auch wir schlugen in ihrer Nähe das Lager 268 in einer Gegend auf, die Sara heißt. Hier besiegte der Kriegerhäuptling Soravar Sing die Tibeter, als er vor einigen siebzig Jahren dem Maharadschah von Kaschmir Ladak eroberte.
Täglich merkte ich, daß ich mich der Zivilisation näherte. Bei jedem Lager trafen wir Reiter mit Nachrichten von meiner neuen Karawane, deren Sammelplatz Drugub war. Sie brachten auch hochwillkommene Beisteuer zu unserem Proviant, Hühner, Eier und Äpfel, und einer von ihnen übergab mir einen liebenswürdigen Brief von meinem alten Freunde, dem Obersten Sir Francis Younghusband, der jetzt Resident in Kaschmir war.
Am 26. November war ich zum letztenmal in Gesellschaft meiner alten Diener. In gewöhnlicher Marschordnung folgten wir dem Bache abwärts. Der Pfad klettert jedoch allmählich zu einer kleinen Schwelle empor und bleibt dann in bedeutender Höhe über dem Talgrund. Die Landschaft ist wild und imposant. Zu unsern Füßen kriecht der Bach unter seiner Eishaut. Mit Schutt und Blöcken bedeckt läuft der schmale Pfad wie eine Wandleiste an dem jähen Hang entlang. Während einer kurzen Rast rollten wir einige lose Blöcke über den Wegrand. In mächtigen Sprüngen donnerten die Polterer sich drehend die steilen Wände hinunter und zertrümmerten mit lautem Getöse das Eis des Baches.
Jetzt geht es tüchtig bergab. Immer besser ist der alle Nebentäler des Indus charakterisierende, wildzerklüftete, vertikale Aufbau wiederzuerkennen. Ein Haufen Hütten, inmitten ihrer Äcker, magerer Pappeln und der gewöhnlichen Sinnbilder des Lamaismus in Stein, trägt den berühmten Namen Herat. Tschilam ist ein Dorf etwas weiter abwärts, wo unsere Yaks nur mit Bitten und Drohungen dazu vermocht werden konnten, sich einer schwankenden Brücke anzuvertrauen, die aus flachen, über zwei Baumstämme gelegten Steinen bestand.
Immer wilder und entzückender wird das Tal, je weiter es abwärts geht. Die einförmigen flachen Formen des Plateaulandes haben aufgehört; wir befinden uns in Gegenden, wo die Flüsse sich mit Erfolg eine Bahn durch die gewaltigen Hochgebirgsmassen brechen, die sich ihnen in den Weg stellen. Immer öfter erblicken wir Spuren des Kampfes der Menschen gegen die unbändige Natur. Der Pfad ist deutlicher ausgetreten, wenn er in tausend Windungen zwischen den hinderlichen Blöcken hindurchgeht, die Ackerstücke nehmen an Zahl und Umfang zu, und die unvermeidlichen Manimauern und Tschorten rufen aus der Tiefe des Tales den Himmel an. Hier und dort haben an jähabstürzenden Wänden gefährliche Bergrutsche stattgefunden, zu unserer Linken münden in einem Bündel drei Nebentäler, die alle pflichtschuldigst die Wassermenge des Hauptbaches verstärken. Die Erosionsterrassen sind kräftig entwickelt; ihre untersten Absätze überragen die Bäche wohl um zwanzig Meter. Man hört und sieht, wie diese Wasserläufe unermüdlich daran arbeiten, ihre Bahnen in die feste Erdrinde einzuschneiden und die Täler zu vertiefen.
Wir sind an einem wichtigen Punkte angelangt. Die Ladakkette, die wir solange zur Linken gehabt haben, bleibt hinter uns zurück, und der Bach biegt scharf nach Nordosten ab, um die Kette, die uns vom Gebiete des Panggong-tso trennt, in einem Quertale zu durchbrechen. Dieses Durchbruchstal ist malerisch zwischen hohen, steilen Granitfelsen eingeklemmt, und sein Gefälle ist so stark, daß sich auf den beständig schäumenden Stromschnellen noch kein Eis hat bilden können. Nur hier und da ist dort Raum für eine Hütte und ein Stückchen Ackerland.
An einer solchen Stelle hatte Tundup Sonam sein Heim. Er war vorausgeeilt, um seine alte Mutter und seine Brüder zu begrüßen, und die ganze Familie strahlte vor Freude über die Heimkehr des tapferen Jägers. Sie standen alle am Wege, als ich vorbeiritt, und erhielten für ihre aus getrockneten Aprikosen und Schüsseln mit Milch bestehenden Bewillkommnungsgeschenke indisches Silbergeld.
Zwischen gewaltigen Granitblöcken erscheint eine Reiterschar. Dort kommen sie, meine alten Freunde Anmar Dschu und Hiraman, die nun zum viertenmal Augenzeuge meines Einzugs in Ladak sind und mir ihre Dienste anbieten. Sie kommen im Auftrag des »Tesildar« von Leh (Abb. 58).
58. Der Tesildar. (S. 65.)
Immer enger wird das Tal. Es ist so eng wie ein Hohlweg. Der Pfad windet sich im Zickzack bergauf und bergab über die Schuttkegel. Auf einem Felsblock sind zwei Tschorten errichtet. An einer sehr engen Stelle sind zwei ungeheure Blöcke abgestürzt und haben sich wie eine Brücke über den Fluß gelegt, der unterhalb beider ein tiefes Becken dunkelblauen Wassers bildet.
Doch nun ist das Ziel nahe! Dort liegt Tanksi in seinem Talkessel, und dort stehen die Pappeln, in deren Schatten Muhammed Isa im August des Jahres 1906 das schwarze Zelt nähte und die Packsättel der Maulesel flickte. Das ganze Dorf kommt uns entgegen. Alles ist sich gleichgeblieben, nur ist ringsum alles kalt, gefroren und entlaubt, und der prächtige Karawanenführer schlummert in seinem Grabe bei Saka-dsong.
Hier schloß sich der Ring, den ich in fünfzehn Monaten um das innere Tibet gelegt hatte, hier lösten sich alle Bande, meine alten Diener wurden in ihre Hütten entlassen, und ein neues, ernstes Kapitel begann!
Einige Tage später befand ich mich in dem benachbarten Dorf Drugub (Abb. 54–57, 59) inmitten neuer Leute. Mit ihnen begann ich die schwerste Reise, die ich in Asien je ausgeführt habe. Am 4. Dezember brachen wir nach dem Kara-korumgebirge auf, überstiegen mitten im Winter bei 40 Grad Kälte die höchsten Höhen von Tschang-tang und wurden am 24. April 1908 durch Dortsche Tsuän, den Gouverneur von Saka-dsong, und seine Leute angehalten. Nach vielem Wenn und Aber erhielt ich die Erlaubnis, meine eigenen Wege zu gehen; diese führten mich natürlich kreuz und quer über den weißen Fleck, wo die zentralen Ketten des Transhimalaja ihre Kämme erheben. Tibetische Soldaten geleiteten mich nach dem Tarok-tso, wo ich ein Zusammentreffen mit dem Karawanenführer Abdul Kerim und sechs meiner Leute aus Ladak verabredet hatte. Mich begleiteten nur fünf Ladaki, Gulam, Lobsang, Kutus, Tubges und Kuntschuk (Abb. 60–63). Diese an und für sich unpraktische Anordnung war mir von den Tibetern aufgezwungen worden, weil sie mich dadurch besser in ihrer Hand hatten.
54. Drugub. (S. 65.)
55. Tschorten in Drugub. (S. 65.)
56. Musikanten in Drugub. (S. 65.)
57. Kaufleute aus Kaschmir in Drugub. (S. 65.)
59. Kaufleute aus Rudok in Drugub. (S. 65.)
60–63. Meine treuen Diener, die Ladaki
Gulam, Tubges, Kutus und der Tibeter Lobsang. (S. 65.)
So zog ich denn westwärts am Teri-nam-tso vorbei über den 5570 Meter hohen Paß Lunkar-la und drang schließlich am Nganglaring-tso in Gegenden ein, über welche die Punditen nur einige außerordentlich dürftige, unbestimmte Gerüchte gesammelt hatten. Das Kloster Selipuk ist der Hauptort in diesem Teile Tibets.
Dort hatte ich im zweiten Bande dieses Buches den Leser seinem Schicksal überlassen. Der mir zu Gebote stehende Raum war gefüllt, und ich konnte die Reise durch das Satledschtal nach Simla nicht mehr schildern. Und doch verdient dieser Weg beschrieben zu werden, denn er ist einer der schönsten, wildesten und großartigsten, die es auf Erden gibt. Der gewaltige Fluß hat sich quer durch die Ketten des Himalaja sein Tal geschnitten. Wohl ist die berühmte Straße von Rawal-pindi nach Leh, die dieselben Bergketten durchquert, unendlich reich an entzückenden Bildern. Aber sie ist durch Menschenhand angelegt und verbessert, und über die Flüsse führen, feste Brücken. Der Weg durch das Satledschtal dagegen ist meistens sich selbst überlassen, und seine Schönheit steigert sich mit jeder Tagereise, um welche man sich vom Manasarovar, dem heiligen See, entfernt.
Dem Wege zwischen Selipuk und Simla sind die folgenden Kapitel gewidmet.