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Zwanzigstes Kapitel.
Ein schwindelerregender Übergang über den Satledsch.

Die Türen des Himmels des Indra standen weit offen, und der Monsunregen goß herab. Wie würde der Satledsch nun anschwellen, nachdem der Erdboden ganz durchnäßt war und das Regenwasser sich ungehindert einen Weg nach den Flüssen hinab suchen konnte) Und dennoch war es bei Tirtapuri noch möglich, den Fluß zu überschreiten. Eine Yakkarawane aus Gyanima hatte auf dem linken Ufer gelagert. Ihre Führer begannen, die Tiere zu beladen; man konnte verstehen, daß sie dem Flusse Trutz bieten wollten, um sich nicht durch fortgesetzten Regen zu einem zeitraubenden Umwege über Döltschu-gumpa gezwungen zu sehen.

Unmittelbar oberhalb des Klosters ist das Flußbett ziemlich breit. Zwei Treiber stiegen auf ihre kräftigsten Yaks und plumpten so in die dahingleitenden Wellen hinein. In einer dichtgedrängten schwarzen Schar wurden die Lastyaks in den Fluß hineingescheucht, von pfeifenden und rufenden Treibern geleitet (Abb. 97). Nur die Köpfe der Jaks, die Reiter und die Lasten waren über der Wasserfläche sichtbar. Die Tiere machten ihre Sache vorzüglich. Sie sind stark, sicher auf den Füßen und verlieren nicht den Grund unter sich, wie sehr die Strömung sich auch bemüht, sie mit fortzureißen. Triefend wie Badeschwämme kletterten die Yaks auf unser Ufer hinauf und wanderten dann weiter.

97. Yaks auf dem Weg durch den Fluß. (S. 217.)

In Tirtapuri beschloß ich, die Hälfte meiner Leute zu entlassen. Die Männer, die während des harten Winters die Kerntruppen der Karawane gewesen waren, Lobsang, Gulam, Kutus, Tubges, Suän und Kuntschuk, sollten mich nach Simla begleiten; Abdul Kerim und die übrigen fünf sollten über Misser und Gartok nach Ladak zurückkehren. Wie gewöhnlich fanden sie sich ohne Murren in ihr Schicksal. Sie erhielten ihre Löhne, außerdem gab ich ihnen eine reichlich bemessene Belohnung, eine Extragratifikation zu neuen Anzügen, und es wurden ihnen auch die Reisekosten ausgezahlt. Nach diesem gründlichen Aderlaß behielt ich nur noch 650 Rupien und mußte daher in Zukunft sparsam sein.

Bevor am 2. August die Sonne aufgegangen war, dankte ich meinen heimziehenden Leuten zum letztenmal für ihre treuen Dienste und sagte ihnen Lebewohl. Sie hatten bis Misser nur zwei Stunden Weges; Kutus und Suän durften sie dahin begleiten und ihre Habseligkeiten auf einigen unserer Maulesel befördern. In Misser hatten die Behörden sich anfangs unfreundlich benommen; aber als ihnen klar geworden war, daß ich nicht mitgekommen war, hatten sie ihre Bedenken fallen lassen und den sechs Männern erlaubt, die Yaks, deren sie bedurften, zu mieten.

Im Laufe des Vormittags wurde unsere sehr verkleinerte Karawane reisefertig. Wie um uns einen Ersatz für das Verlorene zu schenken, kam ein junger Lama aus dem Kloster herab und erbot sich, mir auf dem Wege nach Kjunglung als Führer zu dienen. Er wurde wie ein rettender Engel empfangen, und unser Landstreicher mit dem gestreiften Rücken erhielt seinen Abschied nebst zehn Rupien; er fühlte sich reich.

Das Bündel auf dem Rücken und den Stab in der Hand nähern sich fünf arme Pilger, die mich an die Pflicht erinnern, allen auf der Wallfahrt Begriffenen einen Zoll zu erlegen. Seltsame Menschen! Jahrelang streifen sie umher und leben ausschließlich von Almosen. Ihre Nächte bringen sie auf den Klosterhöfen in Gesellschaft des halbwilden heiligen Hundes oder in den Klostervorsälen unter dem Schutze der Geisterkönige zu. Dort, wo es weder Zelte noch Heiligtümer gibt, suchen sie in Höhlen und Erdrissen Unterkommen und zünden sich mit Stahl, Feuerstein und Zunder ein Abendfeuer an. Den an den Heerstraßen wohnenden Nomaden sind sie eine drückende Last; denn wer hat das Herz, einen Mann unfreundlich abzuweisen, der auf dem Wege nach einem heiligen Orte ist oder von dorther kommt.

Unterhalb Tirtapuris erweitert sich das Tal bedeutend. Über frische saftige Wiesen, die hier und dort unterbrochen werden durch überschwemmte Stellen, wo der Tonschlamm noch naß glänzt, geht unser Pfad längs des Fußes der untersten Erosionsterrasse nach Nordwesten. Der Fluß bevorzugt die linke Talseite; an ihren Abhängen sieht man vier scharf markierte Terrassen, die an Bankreihen in einem Zirkus erinnern. Aus Nordosten rauscht wieder ein Nebenfluß heran; sein Name ist Misser-tschu, seine Quellen liegen am Südabhang des Transhimalaja versteckt, und seine Wassermenge betrug jetzt 16 Kubikmeter in der Sekunde. Im Regennebel ahnt man nur die hohen Regionen zwischen den mit Schnee bedeckten Kämmen, von denen dieser Wasserlauf herabströmt.

Die Nacht brachten wir auf dem Anger Gerik-jung zu, wo die Höhe 4295 Meter betrug. Eintönig prasselte der Regen auf mein Zelt nieder, alle Flüsse werden noch mehr anschwellen. Am folgenden Morgen zog eine kleine Yakkarawane vorbei.

»Wohin reist ihr?« fragten wir.

»Nach Totling-gumpa, mit Tee.«

»Habt ihr Tsamba oder sonst etwas Eßbares zu verkaufen?« fragten wir wieder, denn wir lebten jetzt von der Hand in den Mund und hatten fast gar keine Vorräte mehr.

»Nein«, antworteten die Yakleute, »nur Tee, er ist aber auch nicht verkäuflich, denn er ist für den Bedarf des Klosters bestimmt.«

»Macht, daß ihr weiterkommt!«

Ein schriller Pfiff, und die Yaks trippeln nach dem engen Hohlwege hinunter, zu dessen finsterm Eingangstor das Satledschtal sich hier verschmälert.

Samtang Rangdol, der junge Lama aus Tirtapuri, reitet auf einem Yak neben mir, um stets bei der Hand zu sein und mir Auskunft zu erteilen.

»Wie heißt diese Stelle?« frage ich bei dem ersten Bergvorsprung, um den der Weg herumführt.

»Palgje-pugu«, antwortete er; »oben auf seinem Gipfel findet man die Spuren alter Burgmauern; dort erhob sich einst ein Königshaus, das Kardong geheißen hat.«

»Sagen Sie mir jetzt den Namen dieses Nebentales!«

»Wir nennen es Tschornak; es kommt von dem Passe Dscharko-la herunter, über welchen die Tasam führt.«

Der Dscharko-la ist ein wichtiger Paß, denn er ist eine Wasserscheide zwischen dem Indus und dem Satledsch. Im Dezember 1904 hatten Ryder und Rawling ihn überschritten. In dem Tale strömte jetzt ein 11 Kubikmeter mächtiger Bach, dessen Wasser so schwarz war, als ob es durch Humus oder Kohle geflossen sei. Gerade gegenüber, an der linken Seite, erhielt der Satledsch einen mächtigen Nebenfluß, den Haltschor-tschu, der aus den Bergen um das Hochplateau von Gyanima kommt. Samtang Rangdol behauptete, dieser Fluß sei reichlich so wasserreich wie der Satledsch selbst und werde daher von einigen als der jetzige Quellfluß des Satledsch angesehen. Ich habe aber in einem der vorhergehenden Kapitel nachgewiesen, daß der Haltschor sich darein finden muß, auch fernerhin Nebenfluß zu heißen. Jedenfalls konnte man die Wassermenge des Satledsch unterhalb der Mündung des Haltschor-tschu auf ungefähr 180 Kubikmeter in der Sekunde veranschlagen, also auf das Doppelte des Volumens, welches der Brahmaputra zu Anfang Juli des vorigen Jahres bei Tuksum gehabt hatte. Aber im Jahre 1907 hatte es beinahe gar nicht geregnet, daher der große Unterschied.

Wir durchwateten den breiten, aber seichten Tschornak-tschu und sahen am Fuß des nächsten Bergvorsprungs zehn verfallene Tschorten, von denen mir Samtang Rangdol erzählte, daß ihre Erbauer »Pembos« gewesen seien, jene Andersgläubigen, die in früheren Zeiten hierher zu kommen pflegten, um irgendwo in dem benachbarten Gebirge ein Götterbild anzubeten. Da aber ihr Gottesdienst in dem orthodoxen Tirtapuri Ärgernis erregt habe, sei jenes Wallfahren verboten worden.

Auch hier rauscht der Satledsch wütend längs der linken Talseite hin. Aber die Erweiterungen haben nun ein Ende, und mit unwiderstehlicher Gewalt schneidet der Fluß sein Bett durch einen engen, gewundenen Hohlweg, wo seinem Laufe nur die Felsentauben folgen können. Die Straße verläßt daher den Fluß und führt in unzähligen steilen Zickzackbiegungen an den Bergen der rechten Talseite aufwärts. Zuerst wird der Eingang eines kleinen Quertales durchschritten; es heißt Tsaldöt und kommt nicht mehr aus dem Transhimalaja herab, sondern von der Ladakkette, der mächtigen Grenzmauer zwischen Indus und Satledsch. Und dann arbeiten wir uns nach der kleinen Schwelle Tsaldöt-la hinauf, wo die Höhe 4495 Meter beträgt.

Der Regendunst ließ keine Fernsicht zu; aber soweit der Blick reichte, war die Landschaft ebenso ungewöhnlich, wie großartig. In der Tiefe unter mir gähnt wie ein Abgrund die gigantische Rinne, welche die mahlenden Wassermassen des Satledsch im Laufe schwindelerregender Zeiträume ausgemeißelt haben. Die Felswände fallen schroff ab, und der Fluß selbst ist gar nicht zu sehen; aber sein Rauschen hallt dumpf und schwer wie grollender Donner zwischen den Bergen wider. Bald werden die Höhen der Ladakkette den Transhimalaja verdecken, aber noch würde ich einige seiner Kämme erblickt haben, wenn sie nicht in undurchdringliche Regenwolken gehüllt gewesen wären. Hinter mir leuchten die grünen Wiesen von Tirtapuri, aber vor mir auf unserm Wege ist alles Grau in Grau.

Vom Paßrücken aus in starker Verkürzung gesehen, erscheint die Oberfläche des wildzerklüfteten Gebirglandes ziemlich gleichmäßig. Man erstaunt beim Anblick des Satledschtales und seiner großen Tributäre, die sich alle sehr steil und sogar senkrecht in die feste Erdrinde eingeschnitten haben, um ein Labyrinth von Graben und Korridoren zu bilden, die den Cañons des Colorado nahe verwandt sind. Man glaubt auf der Grenze zwischen zwei verschiedenen Landschaftsformen zu stehen. Mit den horizontalen Linien, den flachen Wellen und Falten der Erdoberfläche ist es nun vorbei. Jetzt beginnen die vertikalen Linien sich geltend zu machen, die großartige, wilde Plastik, die mit rücksichtsloser Energie in die Tiefe arbeitet. Auf dem Sockel des Plateaulandes stehen die Bergketten wie verwitterte Ruinen da, und das losgelöste Material trägt zum Anfüllen der Bodeneinsenkungen und zum Ausgleichen der Oberfläche bei. Hier aber in dem wunderbaren Lande, das wir jetzt betreten, werden die Verwitterungsprodukte durch die beständig strömenden Flüsse fortgeschwemmt.

Langsam und vorsichtig schreitet die Karawane längs der steilen Wände hin. Bald sind wir hundert Meter über dem Flußspiegel, bald zweihundert; wir steigen, wir sinken, wir biegen nach links ab, wir wenden uns nach rechts, und zwischen Geröll und kleineren Blöcken hindurch arbeiten wir uns mühsam über kleine, zeitraubende Rinnen hinüber. Manchmal reiten wir am Rande eines Abgrundes entlang, wo ein einziger Fehltritt uns in die Tiefe hinabstürzen würde.

Vor mir reitet der Lama Samtang Rangdol auf seinem schwarzen Jak, in seine rote Mönchstoga gehüllt und ein Tuch um den Kopf gewunden. Meine Fragesucht macht ihm Spaß, und er erteilt mir auch dann Auskunft, wenn ich ihn nicht frage. Jetzt führt er uns nach dem Sattel einer neuen Schwelle hinauf, und wieder bleibt man stehen, stumm vor Bewunderung und Erstaunen über den kühnen, eigenartigen Aufbau des Himalaja. Die Wolkenmassen des Südwestmonsun schweben wie ein düsterer Thronhimmel über der Stirn des Himalaja und lassen hellere Regendraperien herabhängen, gerade über dem Tale, in dessen Tiefe der Satledsch seinen Trauermarsch in lauten, ewig brausenden Orgeltönen spielt.

Zwischen den grauen, verschwommenen und vom Regen berieselten Bergen schimmert in der Ferne ein grüner Fleck – die Wiesen beim Kloster Kjung-lung. Eine Tagereise trennt uns noch von jenem Orte, der doch so nahe zu sein scheint. Die Zeit der geraden Linien und der langen Tagemärsche ist vorüber; hier schlängelt sich der Pfad ebensoviel senkrecht wie wagerecht weiter. Ein Ziel kann ganz nahe erscheinen, und dennoch ist der in allen Richtungen krumme Weg dorthin hoffnungslos lang.

Schließlich führt der Pfad abwärts, über ein Gewirr einzelner Landrücken und felsiger Ausläufer aus Glimmerquarzit, die durch kräftig ausgemeißelte Täler und Rinnen voneinander getrennt sind. Manchmal reitet man zuerst, auf der linken, dann auf der rechten Seite eines Kammes and hat in beiden Fällen an seiner andern Seite einen tiefen Talgang. Über eine letzte Halde schreiten wir nach einer Talerweiterung hinunter und schlagen einen Meter vom Satledschufer und einen Meter hoch über dem Flusse das Lager 462 auf. Wir sind hier 4268 Meter über dem Meer. Von Tirtapuri aus sind wir nur um 77 Meter, vom Langaktso um 321 Meter herabgestiegen. –

Unmittelbar oberhalb dieses herrlichen Lagerplatzes endet jener enge Korridor, der uns zum Erklimmen der Höhen gezwungen hatte. Stolz und mächtig wie ein König unter den Flüssen tritt der Satledsch aus seinem Felsentore heraus und dehnt sich in der Talerweiterung in der Breite aus (Abb. 98). In einer einzigen Masse stürzt sein Wasser dicktrübe und bräunlichgrau in schäumenden Wellen und schwer und dumpf rauschend aus dem Hohlwege. Bei dem Lager konnte man die Breite auf 60 Meter und die Geschwindigkeit in der Mitte des Stromstriches auf zwei oder drei Meter schätzen. Die Tiefe mochte zwei Meter betragen, in der tiefsten Rinne des Flußbettes vielleicht drei oder sogar vier. Unser Lama erzählte, daß gerade hier eine Furt sei, die sich in der trockenen Jahreszeit benutzen lasse. Dann ziehe man es vor, nach dem linken Flußufer hinüberzugehen, anstatt wieder über die Berge des rechten weiterzuklettern.

98. Im obern Satledschtal. (S. 222.)

Wohl ist der Weg, dem wir über den Himalaja folgen, eine Hochstraße, eine Reichsstraße, wenn man ihn so nennen will, aber er ist keine » great trunk road«, keine Heerstraße, wo sich indische und tibetische Krämer mit ihren Waren begegnen, um die Korallen und Perlen des warmen Meeres gegen die Schafwolle und die Yakhäute des Schneelandes auszutauschen. Wir begegneten während des ganzen Tages keiner lebenden Seele, nicht Wanderern, nicht Tieren, seien, es wilde oder zahme. Nur gelegentlich erblickt man eine berußte Felsplatte, die Asche eines Dungfeuers oder die Steine, die eine Feuerstätte erkennen ließen, über deren Flammen sich das schwarze Prisma eines Zeltes erhoben hatte.

Hier herrschte Frieden. Der mächtige Fluß regierte in majestätischer Einsamkeit. Ich konnte meine Augen nicht von seinen braunen Wasserblasen abwenden, die auf ihrem überstürzten Zuge nach Indien an mir vorübereilten. Wir würden ihnen bald nachkommen. Ich liebte diesen Fluß, dessen eigentliche Quelle vor mir noch nie ein weißer Mann erblickt hatte. Mit zunehmender Spannung und steigender Sehnsucht sollte ich seinem Laufe nach dem Meere hin folgen. Schön war es, bei seinem dumpfen Rauschen einzuschlafen und es wieder zu hören, wenn ich erwachte.

Während der Nacht stieg der Fluß um 4 Zentimeter. Die Temperatur war nicht unter 6,4 Grad Wärme heruntergegangen; sie mußte nach und nach steigen, in dem Maße, wie wir in größere Tiefen hinabkamen. Noch aber lag das Land der warmen Nächte in weiter Ferne.

Vom Lager aus führt der Pfad bergauf über die Terrassen und Hügel des rechten Ufers, und nach kurzer Zeit befinden wir uns an einer ungemütlichen Stelle, auf die mich Samtang Rangdol schon vorbereitet hatte. Hier zog ich meine eigenen Füße denen des Pferdes vor.

Gleich einer Wandleiste klebt der Pfad an dem jähen Abhange. Die Straße kriecht in jede Schlucht und Kluft der Bergwand hinein, sie windet sich um jeden Felsvorsprung, sie steigt und fällt und benutzt stets die launenhaften Formen des anstehenden Gesteines (Abb. 100, 101). Sie läuft unförmliche Treppenstufen in nacktem, kalkhaltigem Sandstein und Quarzit hinauf und hinunter, wo sich nie eine menschliche Hand erhoben hat, um ein Hindernis aus dem Wege zu räumen oder eine Unebenheit auszugleichen. Das Zurücklegen einer Strecke, die wenig länger war als hundert Meter, nahm zwei volle Stunden in Anspruch. Die Lasten wurden abgeladen und von den Männern getragen. Nur zwei energische Maulesel legten den Weg mit den Säcken und Zeltteilen, mit denen sie beladen waren, ohne Unfall zurück. Die schlimmste Stelle war eine steilabstürzende Platte, eine Schichtfläche ohne Risse oder Unebenheiten, worin man festen Fuß hätte fassen können. Die Tiere mußten mit steifen Beinen diese Rutschbahn hinunterglitschen, während ein Mann sie an der Halfter führte und zwei andere sie am Schwänze packten, um zu bremsen.


100 u. 101. Schwierige Stellen auf dem Marsche. (S. 223.)

Dann werden die Tiere wieder beladen, und über zwei tiefe Rinnen hinweg ziehen wir nach dem Flusse hinab. Der Pfad führt zwischen dem Ufer und dem Fuße der untersten Erosionsterrasse entlang. Längs der steilen Wände des linken Ufers sieht man alte Terrassenabsätze, die oft Leisten und überhängende Platten bilden und sich 70 oder 80 Meter hoch über dem Talboden erheben. In ihren Abschnitten treten verschiedenfarbige Bänder von Kies, Sand und Ton hervor. Dem Pfade wird hier während der Regenzeit nicht viel Platz gelassen, und selten ist Raum genug zu einem Streifen genügsamen Grases vorhanden. Am linken Ufer entsteht im Eingänge eines größeren Nebentales eine Erweiterung, in welcher ein schreiend grünes Gerstenfeld zur Ernte heranreift. Menschen aber erblickt man nicht. Wahrscheinlich ist der Besitzer jenes Feldes in Kjung-lung zu Hause, wohin am linken Ufer ein an zwei großen Manimauern vorüberführender Weg geht.

Zwischen hellen Felsenplatten, Höckern und Schwellen, die sehr launenhafte Formen zeigen, schließt sich das Tal wieder zu einer engen, wilden Schlucht zusammen (Abb. 99). Wir befanden uns gerade an seinem Anfänge, als ein Mann uns mit lautem Rufen nachgelaufen kam. Endlich ein Mensch in diesem leblosen Lande! Oder war es vielleicht der Vorläufer einer Schar, die uns zwingen sollte, auf den Weg der Pflicht zurückzukehren? Nein, keineswegs! Als der Mann näher gekommen war, erkannten wir in ihm unsern gestreiften Freund, den Landstreicher von Tschiu-gumpa, der atemlos herantrabte und seinen Knüttel schwang, um sich der Hunde zu erwehren, denen er stets sehr verdächtig erschienen war.

99. Der Satledsch in einer wilden Schlucht. (S. 223.)

»Was willst du, Bettler? Hast du nicht deinen Lohn erhalten und bist ein für allemal verabschiedet worden?«

»Ja, Herr; aber gerade, als Ihr fortgezogen wäret, kamen ein Gova und seine Leute nach Tirtapuri, und die Mönche verklagten mich bei ihm, weil ich Ihnen den Weg nach dem Kloster gezeigt habe. Da drohte mir der Gova, daß er mich gefesselt nach Gartok bringen lassen werde, wo ich dem Garpun Rede stehen müsse und Rutenstreiche erhalten solle.«

»Wie bist du denn entwischt?«

»Es gelang mir in der Dämmerung, mich aus Tirtapuri wegzuschleichen, und nun habe ich mich halbtot gelaufen, um Sie einzuholen.«

»Und nun willst du wieder mit uns ziehen?«

»Ja, Herr, lassen Sie mich mit Ihnen nach Indien gehen. Kehre ich wieder nach Tibet zurück, so werde ich ohne viel Umstände totgeschlagen.«

»Nun, dann komm einstweilen mit!«

Doch jetzt hatten wir an anderes zu denken. Vor uns gähnt der enge Hohlweg, den der Fluß in seiner rasenden Wut durch anstehendes Gestein gesägt hat, das, wie fachmännische Bestimmung lehrt, aus Glimmerquarzit und Konkretionen von kohlensaurem Kalk besteht. Welch ein Unterschied gegen die Flüsse, die ich droben in Tibet kennen gelernt hatte! Lautlos und ruhig hatte ich sie in ihrem Bette dahingleiten sehen. Hier dagegen sah ich einen Fluß, der seine ganze Energie sammelte, um sich wie ein Sägeblatt durch die Felsen nach unten zu fressen und sich aus einem aus lauter festem Gestein bestehenden Gefängnisse zu befreien. Es ist kein spülendes, plätscherndes Rauschen mit hellklingendem Echo mehr, es ist ein dumpfes, gedämpftes Getöse, welches das enge Tal füllt, jenes Tal, von dessen Seiten alles lose Verwitterungsmaterial weggeschwemmt worden ist und wo man fühlt, wie der felsige Grund unter dem Gewichte der 180 Kubikmeter Wasser in der Sekunde zittert.

Doch wo ist der majestätische Fluß, den wir eben noch sahen, geblieben? Der Satledsch ist zu einem Nichts zusammengeschrumpft; er ist hier kleiner als der Tokbo-schar. Ach, es ist nur eine Sinnestäuschung; die Geschwindigkeit ist ungeheuer groß, die Tiefe muß kolossal sein. Betrachtet diese empörte, wilde Flußoberfläche, die in unveränderlichen Wellen geht, deren Form und Lage unverbrüchlich durch die Unebenheiten, Krümmungen und Ausbuchtungen des Felsenbettes vorgeschrieben sind. Seht jene plumpe Wasserglocke, die der Form nach einem Propellerblatte gleicht und die beständig an derselben Stelle kocht! Und dennoch schäumt in siedenden Flocken ein Kamm, der an die Erdschollen erinnert, welche die Pflugschar aufreißt. Und seht diese Reihe Wellen, die anmutig ihre Rücken krümmen und wie Delphine und Tümmler in fröhlichem, ausgelassenem Spiele dahinschießen.

Alles dieses Wasser ist dick wie Erbsensuppe durch das feste Material, das der Regen fortgespült und die Kraft der Erosion losgerissen hat und das den Fluß noch mehr befähigt, sein Bett immer tiefer auszuhöhlen. Hier, bei Kjung-lung, hat der Fluß eines seiner ersten schwierigen Hindernisse, eine Querschwelle, zu bekämpfen (Abb. 102). Es werden auf dem Zuge, der uns bevorsteht, wohl noch mehrere dieser Art kommen! Sie nehmen auf dem Wege abwärts nur an Größe zu, wie der Fluß an Umfang. Eines der schönsten, imposantesten Durchbruchstäler der Erde ist das Tal, das der Satledsch durch den Himalaja geschnitten hat. Unsere Spannung wird mit jedem Tage größer. Wir sehen auf die Karte und fragen uns, ob der Fluß sein Vorhaben wohl glücklich durchführen werde.

102. Querschwelle im Satledschtal bei Kjung-lung. (S. 225.)

Wir sind drunten an der Brücke von Kjung-lung, wo es zum ersten Male nicht durch, sondern über den Satledsch geht. Hier erhebt sich neben dem Brückenköpfe des rechten Ufers ein rot und weißes Tschorten. Mit der Brückenkonstruktion hat es nicht mehr zu schaffen als die kleine kioskartige Kapelle, die am rechten Brückenköpfe der Petersburger Nikolaibrücke steht und in der Bauern und Bürger niederknien und sich vor den Heiligenbildern bekreuzigen. Der Unterschied ist nur, daß das Tschorten von Kjung-lung, vielleicht einmal erneuert und verbessert, schon viele hundert Jahre, ehe Petersburg gegründet wurde, als schützendes Bollwerk neben seiner Brücke gestanden hat.

Was bedeutet dieses Tschorten? Dasselbe wie das Wimpelmal auf einem Passe oder die Manimauer neben einer Landstraße: eine Opferhandlung, eine Huldigung, ein Anrufen der Geistermächte in dem Flusse, daß sie von ihrer physischen Überlegenheit keinen Gebrauch gegen ohnmächtige Menschen machen. Es steht dort als ein sprechender Beweis, daß die Brücke sich unter dem Schutze der Götter befindet und daß der Wanderer ihren schwankenden Brettern sein Leben ruhig anvertrauen kann. Würde aber das Tschorten von Kjung-lung entfernt, so würden die Geistermächte des Langtschen-kamba zürnen und ihr Opfer in Menschengestalt fordern; die Brücke würde unter dem Gewichte des Wanderers einstürzen, und der Unglückliche käme in dem siedenden Strudel um.

Unweit des Ufers steht eine Reihe rotangestrichener Manimauern und Tschortenpyramiden. Wohl hundert Meter über dem Flusse schwebt das Kloster Kjung-lung wie das Nest einer Felsenschwalbe auf der Höhe einer seltsam modellierten Geröllterrasse (Abb. 104). In ihrer außerordentlich steilen Front hat das Regenwasser Kegel und Pfeiler, Mauern und Türme ausgewaschen. Ganz oben auf dieser anscheinend zerbrechlichen Unterlage thront Kjung-lung, das dem Flusse eine ziegelrote Fassade zukehrt und an Lama-juru in Ladak erinnert, obwohl es viel kleiner ist. Ein Gebäude auf einem tieferliegenden Absätze dürfte Mönchszellen und Vorratsräume enthalten. In den lotrechten Wänden der Terrasse gähnen schwarze Löcher und Scharten, die auf Höhlenwohnungen schließen lassen. Eine herrliche Lage, eine wunderschöne Aussicht! Für architektonische Schönheit und gediegene Einfachheit der Linien und der äußeren Dekorierung haben die tibetischen Lamas einen scharfen Blick und zeigen darin einen fein ausgebildeten Geschmack. Die Brüderschaft von Kjung-lung besteht aus acht Personen, und gleich den meisten anderen in der Gegend gehören sie zu den Gelukpa, der orthodoxen Sekte.

104. Kloster Kjung-lung. (S. 225.) Skizze des Verfassers.

Lama Samtang Rangdol hat sich von mir verabschiedet und sich ins Kloster hinaufbegeben. Während meine Ladaki die Tiere abladen, sehe ich mir die Brücke, die von der gewöhnlichen asiatischen Art ist, genauer an (Abb. 103, 105).

103. Transport über die Satledschbrücke bei Daba. (S. 226.)

105. Satledschbrücke bei Kjung-lung. (S. 226.)

Dort, wo der Fluß am schmälsten ist und zwei vorspringende Felsen sich einander auf nur 13 Meter Abstand nähern, hat man die Brücke über den Satledsch gespannt. In den einander zugekehrten senkrechten Mauern der Brückenköpfe sind vier Lagen kurzer Balken eingemauert, deren oberste Lage, die auf den drei untersten ruht und durch sie Festigkeit erhält, am längsten ist und schräge aufwärts gerichtet ist. Auf ihrer Spitze ruhen die beiden runden und bedenklich schwankenden Baumstämme der Schwebebrücke, die ihrerseits die Holzplanken tragen. Was die Axt unterlassen hat, als es sich darum handelte, die Gangbahn der Brücke eben zu machen, das haben an ihrer Stelle die Abnutzung, der Regen und der Sonnenschein getan. Das Holzwerk ist grauweiß, abgeschält und spröde, und das ganze Gerüst schaukelt unter den Schritten. Es heißt mit dem Leben spielen, wenn man nicht weiß, wann die Grenze der Elastizität erreicht ist.

Die Breite der Brücke beträgt nur 1,2 Meter; ein schützendes Geländer ist nicht vorhanden. Die Tiefe des Flusses mußte hier bedeutend sein, die Breite betrug ja wenig mehr als dreizehn Meter, aber die Stromgeschwindigkeit war schwindelerregend. Auch wenn wir im Besitze genügend langer Stangen zum Messen gewesen wären, hätten wir sie hier nicht benutzen können. Der Druck der kompakten Wassermasse hätte sie wie Binsen zerknickt. Unmittelbar oberhalb der Brücke ragen einige Höcker aus anstehendem Gestein und weiße Felsenzähne aus dem Wasser; zwischen ihnen wirbelt und kocht wütend der Fluß, ehe er mit betäubendem Getöse und unter zischenden Schaumbüscheln und braungrauen Spritzwasserstrahlen sich in den engen Graben unter der Brücke hineinzwängt.

Ein Tibeter kam am andern Ufer angelaufen. Er machte mit den Armen abwehrende Bewegungen, und man konnte sehen, daß er etwas laut schrie, denn etwas anderes zu hören als das Tosen des Flusses war unmöglich. Wir machten ihm Zeichen, daß er zu uns herüberkommen solle, und er kam.

»Was ist denn los?« fragten wir ihn.

»Die Brücke trägt das Gewicht eines Pferdes nicht, aber die Maulesel können vielleicht hinüber, ohne daß die Balken brechen.«

»Glaubst du denn, daß wir unsere Pferde hier lassen werden?«

»Sie können weiter abwärts durch den Fluß schwimmen. Sie sehen ja, daß der Langtschen-kamba bald an Breite zunimmt und ruhig wird.«

»Wenn die Brücke die Maulesel trägt, dann trägt sie die Pferde auch. Wir werden es ja sehen. Ich will nur hoffen, daß sie nicht gerade dann zusammenkracht, wenn die halbe Karawane hinüber ist, so daß wir getrennt werden.«

»Ich rate Ihnen, vorsichtig zu sein. Die Brücke ist morsch und schlecht.«

»Wie alt ist sie denn?«

»Vor zehn Jahren ist sie zuletzt erneuert worden. Die Brückenköpfe sind aber vor dreißig Jahren gebaut.«

Die Ladaki sind von ihrer Heimat her an gefährliche Brücken gewöhnt. Sicher und breitbeinig gehen sie mit ihren Lasten auf dem Rücken hinüber. Nur immer ein Mann auf der Brücke! Mit einem Gefühle der Erleichterung sah ich, wie die letzte Last am andern Ufer hingelegt wurde, ging darauf selbst hinüber und stellte mich neben den linken Brückenkopf hin.

Jetzt sind die Tiere an der Reihe. Wir hatten zehn Ziegen gekauft, die mich mit Milch versahen. Laßt sie zuerst die Brücke erproben! Ziegen sind mit Verstand nur schwach ausgerüstet. Die ganze Schar bleibt wie angewurzelt dastehen, wo der feste Brückenkopf in die Planken übergeht. Sie wollen umkehren, weil sie etwas Unheimliches wittern. Der Fluß kocht unter ihnen. Hier muß eine Falltüre sein, die irgendeine Kanaille ihnen zum Verderben auf den Weg gelegt hat!

»Hinaus mit euch, ihr Viehzeug!« ruft Tubges, der Hirt.

Wenn sie nur so viel Verstand gehabt hätten, einzeln hinüber zu gehen, aber sie mußten es natürlich dicht aneinander gedrängt tun, auf die Gefahr hin, sich gegenseitig von der Brücke hinabzustoßen. Hinüber kamen sie, aber nur mit genauer Not.

»Einer der Maulesel voran!«

Ein kleiner aus Lhasa wird Hinaufgetrieben. Er hat sicherlich schon früher Brücken gesehen, denn er bleibt ganz ruhig, und fängt die Sache klug an. Ohne Zögern betritt er die Planken und pariert ihr Schwanken mit weichen, elastischen Kniebewegungen. Er senkt den Kopf auf die Brücke herab und beschnuppert sie beim Hinübergehen; er hält genau die Mittellinie ein. Mit derselben Selbstbeherrschung gehen seine Kameraden hinüber.

Pferde sind dümmer als Maulesel, wenigstens beim Überschreiten von Brücken. Unsere waren alle aus Tschang-tang und hatten in ihrem Leben noch nie eine Brücke gesehen. Das erste, das hinaufgetrieben wurde, scheute, machte kehrt und ging durch. Nummer zwei folgte seinem Beispiel. Nun mußten sie hinübergeführt werden. Damit aber das vergrößerte Gewicht die Balken nicht zu sehr belaste, wurde die Zugleine gerade so lang gemacht wie die Brücke, zwei Männer ergriffen sie und zogen aus Leibeskräften, während zwei andere von hinten auf das Tier losprügelten, bis das widerspenstige Pferd sich auf die Planken hinauswagte und, bebend wie diese, plump und gedankenlos hinübertrabte.

Nun blieben noch die beiden Schimmel übrig, die ich dem Räuberhauptmann Kamba Tsenam abgekauft hatte. Der eine, ein großes, kräftiges Tier, bäumte sich und zog der greulichen Brücke Hiebe und Schläge vor. Vielleicht konnten die Ziegen ihn beruhigen! Sie mußten den Spaziergang noch einmal machen. Da faßte das Pferd Mut und rannte, um so schnell wie möglich wieder auf festen Boden zu gelangen, in solcher Eile über die Brücke, daß es dabei um ein Haar eine Ziege totgetreten hätte. Zuletzt kam die Reihe an mein Reitpferd, das mich die achthundert Kilometer von Kamba Tsenams Zelt hierhergetragen hatte und zweimal über den Transhimalaja durch die Berglabyrinthe von Bongba, an Seen vorüber und durch Flüsse gegangen war. Ich betrachtete es als Gehilfen und Freund, der seinen Anteil an den gemachten Entdeckungen hatte. Es war schneeweiß und in bestem Zustand, viel zu gut, um im Satledsch zu ertrinken.

Nun mußte der Schimmel sich in sein Schicksal finden. Was sollte er machen, wenn die Männer mit vereinigten Kräften am Stricke zogen und zwei andere ihn von hinten antrieben! Sein Blick war unglücklich und verängstigt, und an allen Gliedern wie Espenlaub zitternd begab sich der Schimmel auf die trügerischen Planken hinaus. Alles wäre gut abgelaufen, wenn er nur weiter gegangen wäre. Er hatte ja gesehen, daß die Brücke alle die andern Tiere getragen hatte, und er hätte sich doch, wie gewöhnlich, nach ihrer Gesellschaft sehnen müssen. Als er aber bis in die Mitte der Brücke gelangt war, überwältigte ihn die Angst. Gefühllos gegen den Strick an seiner Halfter blieb er stehen und schwenkte nach links um, so daß er nun quer auf der Brücke stand und flußaufwärts blickte. Er schaute in den heraneilenden Wirbelstrom hinunter. Seine Augen leuchteten, seine Nüstern blähten sich, er schnaubte laut, und dann tat er den Todessprung in die siedenden, kochenden Wellen hinab!

Die Hinterhufe schlugen gegen den Brückenrand, so daß der Schimmel in der Luft einen Purzelbaum schlug und mit dem Rücken aufs Wasser aufschlug. Natürlich wird er in kleine Stücke zermalmt, dachte ich. Ein Glück, daß ich nicht über diese vorzügliche Brücke geritten bin! Den Sattel hatten wir gerettet, das einzige, was verloren ging, war der Strick, den die Männer losgelassen hatten, als sie sahen, welchen Ausgang die Sache nehmen würde.

In demselben Augenblick, als das Pferd die Oberfläche des Flusses berührte, wurde es von der wilden Strömung ergriffen und verschwand auf der Stelle. Wir stürmten vom Brückenkopf hinunter, um zu sehen, ob der zerschellte Kadaver durch die sich dahinwälzenden, rollenden Wassermassen wieder an die Oberfläche getragen werden würde.

»Da ist er ja!« rief Lobsang.

»Unmöglich! Ja, wirklich!«

Dort taucht, etwa siebzig Meter weiter abwärts, sein weißer Kopf aus den Wellen auf! Der Satledsch ist an dieser Stelle viel breiter geworden, als ob er sich von seiner Anstrengung ausruhen wolle.

»Er lebt, er schwimmt!« ruft Kutus. Niemand kümmerte sich um die übrigen neun Tiere.

»Bravo, er schwimmt nach dem linken Ufer hin!«

»Ja, sonst hätte er noch einmal springen müssen.«

»Denkt nur, sich einen solchen Umweg zu machen, wenn man nur noch die halbe Brücke, kaum zehn Schritte, zurückzulegen hat!«

»Er war natürlich verrückt!«

Indessen hatte der Schimmel seine Energie durchaus nicht eingebüßt. Einige kräftige Schwimmbewegungen brachten ihn ans Ufer, und mit zwei elastischen Sprüngen war er auf dem Trockenen, wo er gleich so munter zu grasen begann, als ob nichts vorgefallen sei. Er schnaubte ein paarmal und schüttelte sich das Wasser ab, aber er hatte noch alle seine Glieder, und keines seiner Beine war gebrochen. Das Bad schien ihn im Gegenteil aufgeheitert zu haben.

Ich eilte zu meinem vierbeinigen Freunde hin, strich ihm die Wassertropfen aus den Augen und liebkoste ihn. Er war mir jetzt doppelt teuer. Der Satledsch hätte uns trennen können, nun aber werden wir doch noch auf dem Wege nach dem warmen Indien Gesellschaft aneinander haben. Ich bewunderte seinen gedankenlosen Mut, hatte aber keine Lust, mit ihm an Kühnheit zu wetteifern. Augenscheinlich war das Pferd von der gesamten Wassermasse ergriffen worden. Es war ein Teil dieser geworden und wurde in die Erweiterung hinausgetragen, ohne gegen einen einzigen Vorsprung zu stoßen. Die Geister des Langtschen-kamba waren ihm gewogen gewesen. Da sieht man den Vorteil, den das Errichten eines Tschorten neben einem Brückenköpfe bringt!

Vom Hohlwege aus waren es nicht mehr viele Hundert Meter nach der nächsten Wiese. Die Tiere wurden wieder beladen, und wir brachen auf. Da vermißten wir die Hunde. Sie standen noch am rechten Ufer, und man sah, wie sie bellten. Sie beschnupperten den Fluß; er war ihnen zu wild, und die Brücke wagte keiner von ihnen zu betreten, auch wenn er dadurch sein Leben hätte retten können. Da ging Kuntschuk hinüber und nahm Kleinpuppy auf den Arm. Aber als er in der Mitte der Brücke angekommen war, setzte er ihn in dem Glauben nieder, daß das kleine Vieh die andere Hälfte allein zurücklegen werde. Ja Prosit! Kleinpuppy machte es allerdings nicht so wie der Schimmel, aber er legte sich auf den Bauch, drückte sich fest gegen die Planken, heulte erbärmlich, wagte nicht, eine Pfote zu bewegen, und war vor Entsetzen ganz versteinert. Dort wartete er, bis er die andere Hälfte auch noch hinübergetragen wurde. Aber er war so verängstigt, daß er den noch übrigen Rest des Tages einen bösen Schlucken behielt. Takkar aber wurde von harten Händen unbarmherzig über die Brücke gezogen.


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