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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Ein malerisches Kloster.

Ich beschloß, zwei Nächte im Lager bei Daba zu verweilen; den Tieren war, seitdem wir Toktschen verlassen hatten, noch kein Rasttag gegönnt worden, und wir selber mußten uns um jeden Preis Lebensmittel verschaffen. Andere Weide als die saftigen Gerstenfelder gab es in der Gegend nicht, und unsere Pferde und Maulesel mußten daher festgebunden werden.

Zuerst zeichnete ich der Reihe nach ein Panorama aller der Ritterburgen, Türme und krenelierten Mauern, die ihre phantastischen Fassaden der Gasse des Dabatales zukehrten und durch Regen und Rinnen in den untersten Absätzen des linken Abhanges modelliert worden waren (Abb. 112, 113). Ich war noch nicht damit fertig, als Kutus und Lobsang von einer ersten Rekognoszierung im Dorfe zurückkehrten; sie hatten ihre Bündel voller Reis und Tsamba, dazu auch Gerste für die Tiere. So waren wir denn einstweilen wieder vor Hungersnot bewahrt. Schlechten Tabak hatten sie dort ebenfalls gefunden und sich sofort ihre Pfeifen gestopft; er war jedenfalls immer noch aromatischer als der Yakdung, den sie in letzter Zeit verpafft hatten. Mehrere indische Kaufleute hielten sich in Daba auf; bei ihnen sollten die Nachforschungen nach Lebensmitteln am folgenden Morgen fortgesetzt werden.

112. Wohnungen der Mönche in Daba-gumpa.
Skizze des Verfassers

113. Aus dem Dorfe Daba.
Skizze des Verfassers

Schon bevor ich mit dem Ankleiden fertig war, hatten meine prächtigen Leute unsere Vorräte wiederum vermehrt. Vor Zufriedenheit strahlend zeigte mir Gulam, der Koch, seine Ausbeute, einen halben Sack Kartoffeln, einen Beutel voll jener kleinen süßen Rosinen, die in Turkestan »Kischmisch« heißen, eine ganze Schürze voll getrockneter Pflaumen, zwei Pakete Stearinkerzen und drei wohlgenährte Schafe. So gut waren wir kaum je wieder versehen gewesen, seitdem wir im vorigen Jahre Drugub verlassen hatten. Das beste waren jedoch die Kartoffeln. Bratkartoffeln und Milch in Daba haben mir besser geschmeckt als Austern und Champagner im Grand Hotel zu Stockholm.

In Begleitung meiner ständigen Trabanten Lobsang und Kutus begab ich mich gegen sieben Uhr ins Dorf und blieb dort den ganzen Tag, bis die Dämmerung mich nach Hanse trieb. Ich hätte mich dort wochenlang aufhalten mögen, denn etwas so Verlockendes für den Pinsel und so zum Skizzieren Reizendes hatte ich nicht gesehen, seitdem ich Taschi-lunpos Tempelhöfe hinter mir zurückgelassen hatte. Das Dorf liegt wie ein Vogelnest in der Mündung eines außerordentlich kurzen Zirkustales, einer Nische oder, wie ich diese taschenförmige Einsenkung sonst nennen soll (Abb. 114, 115). Es liegt auf der Geröllterrasse inmitten eines Waldes versteinerter Pyramiden und Kegel, die durch vertikale Klüfte voneinander getrennt werden, die oft so eng sind, daß man nicht in sie hineinkriechen kann. Eine Mauer, die gerissen ist; eine Hintergrunddekoration in wildester gigantischer Skulptur; eine Reihe an der Wand befestigter Säulen in mehreren Etagen; eine Riesenorgel mit dicht aneinander gedrängten Pfeifen. Zwischen den verschiedenen Absätzen tritt hier und dort die ursprüngliche horizontale Lagerung hervor, und es ist nicht schwer zu erkennen, daß man sich hier in einer äolischen Lößlandschaft befindet, die durch fließendes Wasser phantastische Formen erhalten hat.

114. Dorf Daba mit dem Kloster.

115. Dorf Daba

Eine Mauer schützt die Talseite nach der Flußseite hin. Durch ihr Tor, dessen Schwelle ein plumpbehauener Balken bildet, gelangt man auf einen Marktplatz oder, wenn man es lieber so nennen will, in eine breite Basargasse zwischen zwei Reihen bewohnter Häuser und ländlicher Karawanserais. Wie geheimnisvolle Meilensteine erheben sich mitten auf dem Markte zwei Tschorten, und Daba flaggt mit unzähligen Wimpeln, die an einem über dem ganzen Dorfe ausgespannten Tau befestigt sind, so daß in einem vielstimmigen lautlosen Chore Segenswünsche und Wohlergehen über Krämern und Klosterbrüdern flattern.

Hier und dort hat ein Kaufmann sein Zelt aufgeschlagen, während die Nomaden ihre Säcke, die Salz aus den »Tsakas«, den ausgetrockneten Salzseen Westtibets, enthalten, in Würfeln und Mauern aufgestapelt haben. Hoch im Kurs stand augenscheinlich auch Ziegeltee, der aus Lhasa hierher versandt wird, ferner Reis, Gerste, Mehl, brauner Zucker, Dörrobst und andere Waren aus Indien.

Daba ist ein Knotenpunkt des Tauschhandels in diesem Teile der Provinz Ngari-korsum oder Hundes. Einige fünfzig Inder, die meisten aus Niti-rong, einem auf der Südseite des Passes Niti-la liegenden Tale, und aus Garhwal waren jetzt zum Markte im Dorfe Daba angelangt.

Wie Klänge aus der Heimat war es mir, als ich diese kupferbraunen Männer von der Grenze Indiens sich in ihrer Sprache miteinander unterhalten hörte, und ich freute mich, diese lebenslustigen Herolde eines Märchenlandes, nach dessen sonnigen Palmen ich mich hinsehnte, hier zu sehen. Aber welch scharfer Unterschied war doch zwischen ihnen und meinen alten Tibetern, denen ich zu meinem Schmerze bald auf lange Lebewohl würde sagen müssen. Sowohl hinsichtlich des Körperbaues und der Kopfform, der Gesichtszüge und der Kleidung wie auch hinsichtlich der Sprache und der Religion stehen wir vor den Vertretern eines neuen Typus, einer andern Rasse. Ihr Gesicht hat einen feineren Schnitt, es ist harmonischer gezeichnet und proportionaler abgewogen als das der Tibeter, nach arischen Begriffen nämlich, und wir erkennen darin einen Übergang zum reinen indogermanischen Typus. Der Körper ist schlanker und schmächtiger, vielleicht auch um einige Zentimeter höher gewachsen als bei den Söhnen Tibets, die sich durch ihre kräftige Muskulatur, ihren untersetzten, rundlichen Wuchs, ihre abgemessenen, sicheren und niemals eilfertigen Bewegungen, ihre breite, mongolische Kopfform und ihren massiveren Schädel auszeichnen.

Auf dem Scheitel tragen jene Fremdlinge aus wärmeren Tälern mit ihrem rabenschwarzen, in glatten Strähnen herabhängenden Haare ein kleines, rundes, oft mit einfacher Stickerei verziertes Scheitelkäppchen. Die meisten tragen lange, hellgraue Kaftane, die ein Gürtel in der Taille zusammenhält, enge Beinkleider, die die Knöchel straff umschließen, und niedrige Schuhe, die in einer aufwärtsgebogenen Spitze enden. Die ganze Erscheinung eines Inders ist weichlicher und weibischer als die eines Tibeters. Die Söhne des Schneelandes sind Männer, die der Kampf mit einer grausamen Natur und einem bitterkalten Klima abgehärtet hat.

Einige der Häuser am »großen Markt« in Daba sind sauberer und solider gebaut, als wir sie seit unserer Abreise aus der Stadt Schigatse gesehen haben. Ein breiter roter oder blauer Rand zieht sich zu oberst längs des Daches hin, und hellblaue Farbenbänder sind wie Rahmen um die Fenster gemalt. Die Architektur erinnert an Italien. Zuerst erregt das Daba-dsong, das Rathaus, oder, vielleicht richtiger, das » Government house« einer indischen Stadt, unsere Aufmerksamkeit. Es ist ein Gebäudekomplex, der ganz und gar hagebuttenrot angestrichen ist und auf dessen plattem Dache sich viele geisterbeschwörende Wimpel und Stangen mit Bändern zeigen. Ein vor der Fassade stehendes Tschorten verkündet, daß Daba-dsong ebensowohl unter der Herrschaft der »Staatskirche« steht, wie es die Amtslokale der Ortsbehörden enthält. »Dsong« ist die weltliche Bezeichnung. Aber das rote Haus ist auch ein »Labrang« oder der Sitz des Oberlamas des Klosters, der Tugden Nima heißt. In Daba begegnen wir denselben Verhältnissen wie in Selipuk, wo der Abt des Klosters ebenfalls die Zügel der irdischen Macht in seiner Hand hält.

Vom Markt aus gelangen wir in einen viereckigen Hof, wo der ewige Hofhund an einer eisernen Kette liegt und ein wütendes Bellen anhebt, welches das Echo der vom Regen modellierten Kolonnaden des Tales weckt. Wieder ein Tor, eine steile Holztreppe, ein Vorzimmer. Geistliche und weltliche Diener begrüßen die Eintretenden höflich. Ein Lama bittet, in das Arbeitszimmer des Abtes einzutreten, das zugleich Gerichtsstube ist. Ich stiefele mit meinen beiden Trabanten dorthin, und im nächsten Augenblick befinden wir uns in einem größeren Gemache mit einer Säule in der Mitte, das in demselben gediegenen lamaistischen Stile ausgestattet und möbliert ist, dessen wir uns von dem roten Zimmer und andern vornehmen Mönchszellen und Priesterwohnungen in Taschilunpo her noch so gut erinnern.

Dem Eintretenden gerade gegenüber sitzt Tugden Nima mit dem Rücken nach dem großen Fenster, durch dessen dünne Papierscheiben gedämpftes Licht eindringt. Tugden Nima sieht gegen das Fensterlicht gesehen wie eine dunkle Silhouette aus, aber seine Züge sind nicht zu erkennen. Man gewahrt nur, daß er die Toga eines Mönches trägt und kurzgeschnittenes Haar hat, sowie auch, daß auf seinem niedrigen, lackierten Schemeltische zwischen den Schreibmaterialien Briefe und Amtsschreiben in Haufen aufgestapelt liegen.

Als ich bis an den Schemeltisch vorgetreten war, machte ich eine leichte Verbeugung, die der weltliche und geistliche Richter Dabas in genau demselben Winkel erwiderte. Er erhob sich aber dabei nicht von seinem mit einem Teppiche bedeckten Diwan. Lächelnd betrachtet er meine wettergebräunten Züge. Gar oft hatte mein Gesicht in der dünnen Luft die Haut gewechselt, und die letzte Oberschicht, die es erhalten hatte, war zäh wie Pergament und von der scharfen Sonne Tibets dunkel gefärbt. Er musterte auch meinen Anzug. Ein Sahib in tibetischem Gewand! Meine grüne Samtmütze war einst würdig gewesen, das Haupt eines Tatarenchans zu zieren; jetzt hatte sie durch den beständigen Wechsel von Regen und Sonnenschein einen Ton erhalten, für den es in der Sprache kein Wort und in der Farbenskala keine entsprechende Nuance gibt. Um ihren Rand war eine ziegelrote Turbanbinde gewunden. Der blutrote Kaftan, den ein grauer Gürtel in der Taille zusammenhielt, hatte einstmals bessere Tage gesehen. Zu Ehren Tugden Nimas hatte ich mir mongolische Lederstiefel mit festen dicken Sohlen angezogen. Die Trabanten waren ihres Herrn in jeder Weise würdig. In Lumpen vom Kopf bis zu den Zehen konnte Kutus keinen Anspruch darauf erheben, als etwas anderes denn als veritabler Strolch aus Ladak angesehen zu werden. Lobsang trug einen Kaftan von derselben Art wie der meine, jedoch in frischerer Farbe, denn er war in Toktschen neu angefertigt.

»Setzen Sie sich, Sahib«, bat Tugden Nima, nachdem er sich die weitgereisten Wanderer, die so unvermutet in seinen Saal gekommen waren, lange genug angeschaut hatte. Schweigend und regungslos wie Bildsäulen garnierten einige Lamas, Inder und tibetische Laien die Wände, scharf aufpassend, was nun kommen würde. Tugden Nima selbst hatte ein angenehmes Gesicht und gute Manieren, und er war von Anfang an freundlich gegen uns, nicht grob und abweisend wie die Mönche von Dongbo.

»Ich habe von Ihnen erzählen hören, Sahib, und ich weiß, daß Sie zu Boot über den Tso-mavang gefahren sind. Seltsam, daß Sie von einem solchen Unternehmen mit dem Leben davongekommen sind. Sie hätten den Zorn der Götter wecken können, und ich vermute, daß Sie mehr als einmal Gefahren ausgesetzt gewesen sind, nicht wahr?«

»Freilich, manchmal überfiel uns Sturm, und das Boot wurde von den Wellen ans Land geworfen. Doch hätte ich je den Unwillen der Götter erregt, so würde ich wohl nicht in diesem Augenblick auf einem Diwan sitzen und mich mit Ihnen unterhalten können, Tugden Nima.«

»Sie sind ein Freund des Pantschen Rinpontsche in Taschi-lunpo, das erklärt alles. Und ich habe auch gehört, daß Sie viele Klöster besucht und mit den Mönchen freundschaftlich und vertraulich verkehrt haben. Welche Klöster haben Sie gesehen?'

Ich trank einen tüchtigen Schluck aus meiner Teetasse und zählte dann die ganze Reihe von Taschi-lunpo bis Tirtapuri auf.

»Sie haben deren ja mehr gesehen als ich!« rief er aus.

»Erzählen Sie mir nun etwas über sich selber, Tugden Nima«, bat ich, nachdem das Band seiner Zunge gründlich gelöst« war und er sich als ein ebenso gemütlicher und sympathischer, wie kenntnisreicher und Interessen besitzender Mann gezeigt hatte.

»Wo stand das Zelt Ihrer Mutter, als Sie geboren wurden, wie alt sind Sie, wo verlebten Sie Ihre Jugend, und was tun Sie hier?«

»Ich bin in Lhasa geboren und trat in sehr jungen Jahren im Kloster Sera als Novize ein. Jetzt bin ich 40 Jahre alt und vom Deva-schung dazu ausersehen, die Angelegenheiten von Daba-dsong und Daba-gumpa zu ordnen und zu leiten. Daher habe ich – wie Sie schon an dem, was auf meinem Tische liegt, sehen können – vollauf zu tun, und Sie müssen entschuldigen, daß ich mich Ihnen nicht so widmen kann, wie ich wohl möchte. Sie wollen das Kloster besehen. Ein Lama hat schon Befehl erhalten, Ihnen alles zu zeigen. Kann ich Ihnen noch sonst irgendwie gefällig sein, so lassen Sie es mich wissen.«

Als ich ihm für seine Güte gedankt hatte, sagte er plötzlich:

»Dies ist ein Glücksjahr. Sie haben selber gesehen, wie es geregnet hat. Die Ernte wird gut ausfallen, das Gras sprießt in den Tälern, und die Nomaden werden es im Winter gut haben. Sie kennen doch das große ›Wasserfest‹ in Lhasa vom Hörensagen? Nun, wenn der Regen ausgeblieben ist, wird, um den Himmel zu erweichen, dieses Fest mit besonderem Pomp gefeiert. In diesem Jahre wird das Wasserfest eine einfachere Feier sein, denn der Regen kommt ja von selbst.«

Ich verstand, was er meinte; bei den Christen heißt es: »Bist du auch im Glück vergessen, in der Not sucht man dich«.

Unsere Unterhaltung wurde unterbrochen durch einige indische Kaufleute und ihre tibetischen Abnehmer, die über eine Handelsvereinbarung in Streit geraten waren. Tugden Nima, der Richter, nicht der Abt, saß schweigend da und wartete, bis die Streitenden den ganzen Vorrat an häßlichen Worten, den die tibetische Sprache besitzt, erschöpft hatten.

Inzwischen konnte ich mich ein wenig in diesem Gemache umsehen, das mir nach den wüsten Gegenden, in denen wir so viele Monate verlebt hatten, geradezu königlich erschien. Die Wände waren verdeckt durch chinesische Malereien auf Papiergrund und durch Bücherbretter, die unter der Last heiliger Schriften beinahe zusammenbrachen. Auf dem Altartische lächelten kleine Götterstatuen in silbernen oder kupfernen Futteralen, und auf ihre Züge fiel der Schein zitternder Opferflämmchen, die in Schalen brannten. Dort fehlte es auch nicht an der gewöhnlichen lamaistischen Ausrüstung, den Klingeln, »Dortsches« oder Donnerkeilen aus Messing, den Gebetmühlen und andern religiösen Gegenständen. Über der Tür hing das Bild Kaiser Wilhelms, ein Farbendruck, der sich auf unerforschlichen Wegen nach Daba-dsong verirrt hatte. Dies führte unser Gespräch auf die Angelegenheiten der europäischen Mächte.

Aber Tugden Nima hatte wie ich an anderes zu denken. Ich stand auf, verabschiedete mich und ging wieder auf den Markt hinaus, wo ich ganz unvermutet wieder an Deutschland erinnert wurde. Ein Inder trat auf mich zu, verbeugte sich und sprach:

»Salam, Sahib! Wollen Sie mich in Ihren Dienst nehmen! Ich bin bereits früher bei Europäern angestellt gewesen.«

»Nein, danke; ich habe gerade sechs Diener entlassen und brauche keine neuen.«

»O nehmen Sie mich doch! Ich werde Ihnen ein Zeugnis zeigen, das mir ein Europäer, dem ich lange gedient habe, gegeben hat.«

Damit zog er ein zusammengefaltetes vergilbtes Blatt hervor. Ich las es schnell durch und fragte ihn dann: »Wie alt bist du?«

»Vierzig Jahre.«

»Nun, dieses Zeugnis ist aber seinem Datum nach vor 53 Jahren ausgestellt worden!«

»Ja, sehen Sie, eigentlich hat mein Bruder es erhalten, und er ist. viel älter als ich.«

»Willst du mir das Zeugnis verkaufen, so kannst du einige Rupien verdienen.«

»Nein, Sahib, ich werde es nie verkaufen; es ist ein sehr wertvolles Papier.«

Er hatte recht. Ich hatte es mir als Autograph aufbewahren wollen. Einige Zeilen auf Englisch enthielten einen Dank an einen gewissen Manee, der eine europäische Expedition mit ausgezeichneten, tüchtigen Kulis versorgt hatte. Und die klassischen Namen, die unter dieser Schrift standen, waren » Adolph and Robert Schlagintweit, Badrinath, September 5th 1855«. Das Zeugnis war also zwei Jahre vor Adolph Schlagintweits Ermordung in Kaschgar ausgestellt worden.

Nun mühen wir uns ab, um durch eine enge, steile Rinne in dem launenhaften Abhange des Geröllbettes nach der ebenen Terrasse vor Daba-gumpa hinaufzugelangen (Abb. 117, 118). Ein alter Lama kommt mir entgegen; er ist beauftragt, mir das Kloster und die Tempelsäle zu zeigen. Zuerst geleitet er mich in einen Vorhof, der nur teilweise ein schützendes Dach hat. Hier sehe ich die gewöhnliche Anordnung wieder, das Portal des Lhakang mit seinen roten Türfüllungen, die mit eisernen und Messingbeschlägen verziert sind, die blauen, an der Wand befestigten Säulen an den Seiten und zu oberst gelbe und rosenrote Draperien.

117. Klostermauer in Daba-gumpa. (S. 248.)
Skizze des Verfassers.

118. Terrasse in Daba-gumpa. (S. 248.)

Der Lama will sofort aufschließen und mich weiterführen. Aber ich halte ihn davon zurück und greife zu meinem Skizzenbuche und dem kleinen Malkasten (s. bunte Tafel). Das Portal und seine Umgebungen sind zu ansprechend. Die vier Geisterkönige vernachlässigen ihren Dienst nicht. Die Bilder sind grob gemalt, wenig künstlerisch und, nach den ausgeblichenen Farben und den fehlenden Feldern, die herabgefallener Kalkputz mitgenommen hat, zu urteilen, auch ziemlich alt. In der Ecke zur Linken liegen ganze Haufen ausrangierter Wimpel, Tempeldraperien, Kadachs und bunter Zeugbahnen, alle verstaubt und vom Zahne der Zeit benagt, von den Winden des Hochlandes zerrissen oder durch stechende Sonne gebleicht. Eine zersprungene Trommel steht verstummt in ihrem Rahmengestelle da; ein morscher Tisch vermag keine schweren Götterstatuen mehr zu tragen; zwei Schemel, die ein Bein verloren haben, sind auf immer der Vergänglichkeit überliefert worden, und einige Tempelgefäße aus Kupfer und Messing halten nicht länger gegen Grünspan stand.

Der Vorraum zum Kloster in Daba.
Aquarell des Verfassers.

Nun öffnen sich die roten Türen, und uns entgegen strömt die dumpfige, eingeschlossene Finsternis des Lhakang oder Tschamkang, wie dieser vornehmste Göttersaal genannt wird. Auf beiden Seiten einer Tschambastatue sind Tschorten aufgestellt, der linke heißt Pötschöge-kudung, der rechte ist mit Gold überzogen. In wahren Schützenlinien, tadellos ausgerichtet, stehen andere Götterbilder auf Tischen und Wandbrettern zwischen Opfergefäßen und Lichtschalen aufgereiht Auf dunklen Blättern liegen die Wahrheiten des Lamaismus zwischen ihren alten Holzdeckeln eingeklemmt, in grüne und blaue Tücher gewickelt (Abb. 120). Die heiligen Legenden sprechen auch in bunten Bildern aus einem Walde von Tankas, und um die Säulen herum sind die üblichen Zeugbahnen gewunden.

120. Aus dem Tempel von Daba-gumpa. (S. 249.) Links Regal mit den heiligen Büchern.
Skizze des Verfassers.

Ein kleinerer Tempelsaal heißt Lama-lhakang, nach dem Jabjan Schin Tibi, einem Geistlichen, der das Kloster zu derselben Zeit gegründet haben soll, als Taschi-lunpos Mauern aufgeführt wurden. Wie dem auch sei, jedenfalls soll seine Asche in dem großen Tschorten namens Lami-kudung, der in der Mitte des Saales steht, enthalten sein. Meterhohe Statuen des sitzenden Tsongkapa beschirmen den Staub des entschlafenen Heiligen, und diese werden ihrerseits durch den Anblick buntfarbiger, künstlicher Blumen in Vasen erfreut. Auch hier stehen gegossene Götter in dichten Reihen, und unter den Tempelgefäßen fallen vier mit einem Fuße versehene silberne Becher auf.

Ich zweifle stark daran, daß mein ehrlicher Lobsang fest im Glauben ist. Aber man sehe, wie demütig er seine Runde in dem irdischen Walhalla des Lamaismus macht und wie er sich vor jedem dieser goldenen Götzenbilder niederwirft, so daß seine Stirn den festgestampften Lehmfußboden berührt. Er bittet sogar unsern Lama, ein zerrissenes »Kadach« behalten zu dürfen, um in dessen Segensatmosphäre eine glückliche Reise nach Indien zu haben. Mein lieber Lobsang war geistig viel zu gesund, um an diesen Hokuspokus zu glauben. Aber er wollte dem alten Lama keinen Kummer bereiten, deshalb beobachtete er die äußeren Formen und Vorschriften seiner von den Eltern ererbten Götterlehre.

Ein dritter Tempelsaal, der Dukang, war verschlossen, und der Lama, der den Schlüssel dazu hatte, befand sich gerade in irgendeinem benachbarten Tale, wo er für das Seelenheil eines sterbenden Nomaden so gut als möglich sorgte.

Daba-gumpa gehört zur gelben Sekte, den »Gelukpa«, und seine Brüderschaft besteht aus fünfzehn Mönchen. Sie sind aus den Rangklassen der »Gelong« und »Getsul«; nur Tugden Nima hat den Rang eines »Kanpo-lama«.

Obwohl es nur klein ist, erinnert das Kloster doch lebhaft an Taschilunpo. Wie dort finden wir einen Komplex steinerner Häuser, die ein anmutig wirkendes Ganzes bilden. Die Mauern sind rot angestrichen, nur hier und da bringen weiße Felder einige Abwechslung hinein. Über dem Tschamkang erhebt sich ein Dachbau mit geschweiften Ecken in chinesischem Stil. Den größten Teil seiner ursprünglichen Vergoldung haben die Monsunregen abgewaschen. Doch auf den Dächern flattern die Wimpel, und an allen vorspringenden Ecken hängen Glocken, an deren Klöppeln Federn festgebunden sind. Auch die schwächste Brise, die über Daba-gumpa hinfährt, lockt aus diesem Glockenspiel eine Frieden atmende, melodisch klingende Symphonie hervor.

Wie gern verweilt man stundenlang in diesem merkwürdigen, malerischen Kloster! Von welcher Seite man es auch betrachtet, immer entrollt die Perspektive neue Überraschungen. Adlerhorsten vergleichbar schwebt eine Reihe weißer Häuser mit roten und graublauen Streifen um die Dachfriese und die Fenster über dem Dorfe drunten in der Tiefe des Tales; in ihnen hat die gelbe Brüderschaft ihre Zellen. Die graugelbe Geröllterrasse mit ihren unzähligen Pfeilern und Pyramiden bildet einen wirkungsvollen Hintergrund der farbenreichen Häuser. Scharf und kräftig treten die von der Sonne beleuchteten Partien hervor, während die Schatten infolge des Reflexes von allen Seiten her nur blaß sind; nur die tief eingeschnittenen, senkrechten Rinnen gähnen schwarz zwischen den Säulen.

Jetzt herrscht Sommer in Dabas Tälern. Der Sommer ist die Zeit des Lebens und der Bewegung. Da bringen die Hindus aus Nitirong ihre Waren über das Gebirge und treiben auf den Märkten der Tibeter Handel. Im Laufe des Spätherbstes erstirbt das Leben. Dann folgt der Winter, der die Himalajapässe unzugänglich macht. Damit ist jegliche Verbindung abgeschnitten und Daba der Einsamkeit überlassen. Die Klosterbrüder verleben ihre einsamen Tage in den weißen Häusern und halten Gottesdienst in den dämmerigen Tempelsälen. Sie sehen den Schnee in dichten Flocken fallen und lauschen dem mystischen Zwiegespräch, das der Wind und die Glocken miteinander führen. Aber zu ihren Ohren dringt nicht der lärmende Wortwechsel zwischen dem tiefen Felsenbette und dem Satledsch, ihrem Langtschen-kamba oder Elefantenflusse.

Der Abend naht; wir beginnen den Abstieg, aber noch einmal müssen wir an der steilen Wand verweilen, da, wo ein halbes Dutzend hoher Tschorten steht, die in ihrer Form schön und ehrwürdig sind und infolge ihres beginnenden Verfalles ein antikes Gepräge tragen (Abb. 116, 119). Ein würfelförmiges, mit Leisten und Ornamenten verziertes Fundament trägt eine zusammengedrückte Kuppel mit zwiebelförmigem Türmchen, das mit einem vergoldeten Halbmond um eine runde Scheibe endet. Sie sind zum Teil rot, weiß und graublau angestrichen, und auf den Seiten des einen sind zwei Pferde abgebildet.

116. Tschorten in Daba-gumpa. (S. 251.)

119. Tschorten in Daba-gumpa, von oben gesehen. (S. 251.)

Die Abendschatten senken sich schon früh auf das Dorf Daba herab; über seine Fassaden und Gruppen fällt ein fahles Licht, während die östliche Seite des Tales noch eine Stunde von dem Scheine der Westsonne überflutet wird.

Daba-dsong gerade gegenüber haben die Inder ihre ständige Wohnung in einem kleinen Hause mit einer offenen Plattform auf dem Hofplatze vor dem Gebäude. Dort hatten sich die Leute aus Niti versammelt, und stimmungsvoller Gesang entzückte unser Ohr, als wir in der Dämmerung nach Hause gingen.

»Kommen Sie eine Weile zu uns heraus, Sahib, hören Sie sich den Gesang an und schauen Sie dem Tanze zu!« lud uns einer unserer neuen Freunde ein. Herzlich gern! Ein Teppich wurde für mich hingelegt, und man überreichte mir als Bewillkommnungsgeschenk zwei mit Reiskörnern und Zucker hochaufgetürmte Schüsseln, die ich mit barem Geld überreichlich bezahlte. Zwei Männer sangen unverständliche Worte und begleiteten sich selber auf Trommeln, die wie Stundengläser aussahen und die die Sänger mit ihren eigenen Fingern bearbeiteten. Vor ihnen tanzte ein hübsches, braunes junges Mädchen mit glattgekämmtem schwarzem Haar, schwarzen, träumerischen Augen und silbernen Ringen in den Nasenflügeln einen wirbelnden, kreisenden Tanz. Sie hatte sich einen rosenroten, durchsichtigen Schleier nachlässig über das Haar geworfen und trug eine schwarze Jacke, einen weißen Rock, der wie ein aufgespannter Sonnenschirm von ihren Hüften abstand und enganliegende Beinkleider, die an den Knöcheln festgebunden waren. Ihre hübschgeformten, nackten Füße drehten sich schnell und anmutig im Tanz.

Die Dunkelheit überfiel uns. Drunten am Ufer verbreitete das Lagerfeuer ein klares Licht. Alle Armen Dabas warteten getreulich meine Rückkehr ab und erhielten eine kleine Gabe. Zuletzt tanzte noch Suän um das Feuer, und der Gesang der Ladaki hallte munter in dem kühlen Tale wider.


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