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Am 13. November schreitet unser Zug weiter durch das Industal, dessen Gefälle so gering ist, daß es dem Auge unmerklich bleibt. Der Fluß strömt daher ruhig und langsam dahin, und seine bedeutende Breite läßt ihn mächtiger erscheinen, als er in Wirklichkeit ist. Jenseits der Stadt Leh verschmälert er sich in seinem engen Tale und wird dann tief und reißend.
Zahlreiche Quellen treten längs unserer Straße zutage. Ihre Rinnsale sind zugefroren, und die Eisschollen breiten sich über höckerigen, gelb gewordenen Wiesen aus. Gelegentlich zeigt sich ein zu Gerstenbau bestimmtes Ackerstück, das eine Steinmauer umgibt, und es fehlt auch nicht an Manimauern mit ihren versteinerten Gebeten; was in diesem ungeheuer dünn bevölkerten und kargen Lande, dessen nächster Nachbar das üppige Indien ist, fehlt, das sind die Menschen.
Gerade vor uns wird langsam das Kloster Taschi-gang größer und größer. Seine Mauern sind auf den Gipfel eines freiliegenden, aus anstehendem Porphyrit bestehenden Felsen errichtet, der, einer länglichen von Norden nach Süden gerichteten Insel vergleichbar, aus dem ebenen Boden des Industals auftaucht. Das Ganze erinnert lebhaft an das Dorf Jesdekast in Persien und an die befestigten Felsendörfer im westlichen Transkaukasien. Von Osten hat man den besten Überblick über die Klostergebäude; hier liegt auch am Fuße des Hügels das kleine ärmliche Dorf Taschi-gang mit seinen zwanzig niedrigen Steinhütten, die mit Reisig gedeckt sind.
Während die Zelte am linken Indusufer im Lager 258 aufgeschlagen wurden, machte ich einen Spaziergang um die eigentümliche Lamaburg herum (Abb. 38–44). Ihre schmutzig graugelben und roten Mauern neigen sich schwach pyramidenförmig nach innen; zu oberst, unter der Dachleiste, läuft ein breiter hagebuttenroter Rand entlang. Auch die Fenster haben farbige Rahmen, die in Rot gehalten sind. Der Lhakang oder Göttersaal ist ein wenig höher als der übrige Gebäudekomplex, und aus seinem Dache flattern die gewöhnlichen Wimpelbüschel und alle jene Zierate, welche die Geister der Luft besänftigen, die bösen Mächte fernhalten und dem Hause der Götter Frieden bringen.
38. Industal bei Taschi-gang. (S. 39.)
39. Kloster Taschi-gang. (S. 39.)
40. Tschorten bei Taschi-gang. (S. 39.)
41–44. Kloster Taschi-gang. (S. 39.) (
Von Norden, Westen, Ostsüdosten und Süden.) Skizzen des Verfassers.
Vor der östlichen Fassade des Tempels ist eine lange, hübsche Manimauer errichtet, an den Querseiten erheben sich zwei runde, freistehende Türme, und hier und dort zeigen sich rote und graue Tschorten. Ein drei Meter tiefer Graben umgibt das Ganze; nur im Osten ist er unterbrochen, um die Verbindung mit dem Dorfe nicht zu hindern. Auf derselben Seite liegt das Hauptportal. Es führt in einen Hof hinein, der voller Kehricht, Abfall und verwilderter, schmutziger Hunde ist. Ein zweiter offener Platz gleicht dem Hofe eines türkischen Karawanserais mit zwei Stockwerken von Veranden, die auf Holzsäulen ruhen. Der Lhakang hat seinen eigenen kleinen Hof, der auch von Veranden umgeben und auf den Mauerflächen mit Malereien verziert ist.
So viele Mönche, als dort anwesend waren, vielleicht einige zwanzig, folgten mir auf den Fersen, eine schweigende Schar in den gewöhnlichen Gewändern, die römischen Togen gleichen. Mehrere Anzüge waren noch hagebuttenrot, aber viele hatten ihre ursprüngliche Farbe verloren und von Tee und Butter, Schmutz und Fett und Armut spielten sie schon ins Schwarze.
Als ich die Treppe zum Tempelsaal emporstieg, kam Leben in die Mönche; sie riefen mir zu, der Saal sei Fremdlingen verschlossen und dürfe ihnen ohne die Erlaubnis der Herren von Gartok nicht gezeigt werden. Wollte ich mit Gewalt eindringen, so würde ich den Zorn der Götter erregen und Unheil werde Taschi-gang treffen. Ebensowenig könne ich den Manekang, die Kammer mit der großen Gebetmühle, und die Vorratsräume besichtigen, wo die religiösen Maskenanzüge nebst den Trommeln, Posaunen und Zimbeln verwahrt werden, denn der Prior habe die Schlüssel dazu, und er weile augenblicklich in Gartok.
Vergeblich erzählte ich ihnen, daß ich bereits ohne Schwierigkeit in etwa dreißig Klöster in Tibet eingelassen worden sei.
»Nun gut,« antworteten sie, »Taschi-gang sieht ungefähr ebenso aus wie die andern, und Sie können daher ruhig darauf verzichten, es sich anzusehen.«
Sie hatten wirklich recht, ich konnte sehr gut ohne Taschi-gang fertigwerden.
»Wenn Sie morgen wiederkommen, Herr, werden die fünfzig Mönche des Klosters Sie fortjagen«, erklärte ein hochgewachsener Lama.
»Eben sagten Sie ja, daß in Taschi-gang nur fünfundzwanzig Mönche seien«, antwortete ich und ritt nach meinem Lager hinunter, das zweihundert Meter vom Kloster aufgeschlagen am Flußufer stand.
In der Dämmerung fingen meine Ladaki eine großartige Schlägerei an mit der Dorfeinwohnerschaft und der Geistlichkeit. Zwei der Meinen hatten gebeten, dort Stroh für unsere Maulesel kaufen zu dürfen, aber die Dorfhäuptlinge hatten ohne vernünftigen Grund nein gesagt. Da hielten die Ladaki Kriegsrat, bewaffneten sich mit Knütteln und Zeltstangen und gingen in geschlossener Truppe auf die Bewohner von Taschi-gang los. Ich schrieb gerade in meinem Zelt, als ich vom Dorfe her lautes Geschrei und Kampfgeheul hörte. Ich ging hinaus, um mit dem Fernglase zu erkunden, was denn los war. Siehe da, die Schlägerei war in vollem Gang, und sie sah wirklich nach etwas aus. Es hagelte Steine, Knüttel tanzten in der Luft, und die Söhne Ladaks und Tibets schlugen in einem dichtverschlungenen Knäuel, der dann und wann in einer Staubwolke verschwand, nach Herzenslust aufeinander los. Es wäre schade gewesen, sie jetzt, da sie so fleißig bei der Arbeit waren, zu stören! Manchmal flog ein Kerl kopfüber aus dem bunten Durcheinander heraus, stand aber schnell wieder auf und stürzte sich von neuem in das Kampfgewühl hinein. Nachdem sie einander drei Viertelstunden im Handgemenge durchgeprügelt hatten, schienen sie des Spiels überdrüssig zu werden, denn sie zerteilten sich in kleinere Gruppen, die über einen unerschöpflichen Vorrat an Schimpfwörtern verfügten. Endlich wurde es still, und die ganze Gesellschaft marschierte nach unserm Lager.
Atemlos, schweißtriefend und mit zerrissenen Anzügen nahmen die Helden vor meinem Zelte Platz und suchten einander mit ihren Anklagen zu überschreien. Meine Leute aus Ladak beteuerten, die Tibeter hätten angefangen, aber diese schwuren bei den Göttern Taschi-gangs, daß die Fremdlinge sie mit Hieben und Schlägen überfallen hätten. Ich schlug ihnen vor, erst Tee zu trinken und eine Stunde auszuruhen, um dann den Zwist vermittelst einer neuen Schlacht im Mondschein zu schlichten. Die dann siegende Partei habe die Wahrheit auf ihrer Seite und werde ihren Lohn erhalten. Doch dazu halten sie nicht die geringste Lust, Sie standen betroffen auf und gingen ihres Weges. Ein Tibeter, der sich einen blutigen Kopf geholt hatte, erhielt ein Pflaster auf die Wunde und eine Rupie in die Hand. Die Fehde hatte den großen Vorteil, daß die Maulesel alle miteinander Stroh erhielten.
Es liegt ein flüchtiger Schimmer Volkspsychologie in dem an und für sich so unbedeutenden Ereignis. Rabsang hatte es am tollsten getrieben, denn er war der Stärkste und Wildeste und hatte keine Spur von Religion. Daher erhielt er auch das, was ihm gebührte, als ich meinen Leuten die Leviten las.
»Solange wir mitten in Tibet waren,« sagte ich zu ihnen, »verhieltet ihr euch stets friedfertig und gesittet und tatet keinem Tibeter etwas zuleide. Nun aber, da wir uns an der Grenze befinden, schon im vorletzten Dorfe und bei dem allerletzten Kloster sind, nehmt ihr euch auch nicht ein bißchen zusammen und betragt euch wie Räuber.«
»Sahib,« antwortete Rabsang für sich und seine Kameraden, »wir haben uns so oft geärgert, wenn die Tibeter Ihnen den Weg versperrt haben, daß wir nur auf eine Gelegenheit gelauert haben, um sie einmal windelweich zu prügeln.«
»Weshalb sollten die armen Leute in Taschi-gang für die Sünden der andern büßen? Hier hat man uns keinen Weg versperrt und uns nichts zuleide getan. O nein, ich kenne euch! Drinnen in Tibet wagtet ihr es nicht, euch aufzuspielen, aber hier an der Grenze Ladaks und in einem kleinen, jämmerlichen Dorfe, das sich keine Nachbarn zu Hilfe rufen kann, hier habt ihr Mut.«
»Sahib,« stammelte Rabsang, »es war unsere letzte Gelegenheit, und die Hauptsache war, daß die Leute Tibeter waren.«
»Ihr seid feige Kerle, nichts weiter. Packt euch!«
Und so zogen die Helden denn ab zu ihren Lagerfeuern, wo sie noch bis tief in die Nacht hinein zusammensaßen und mit ihren Taten prahlten. Keiner versäumte es, den andern zu erzählen, wieviele Tibeter er gehauen hatte – und wo.
Ob nun das Scharmützel einen tiefen Eindruck auf die Mönche gemacht hat oder ob andere Kräfte ihren Sinn erweicht hatten, genug, ich erhielt am folgenden Morgen Nachricht, daß ich – ohne Ladaki – im Kloster willkommen sein werde; aber ich müsse mich beeilen, damit ich in den Tempelsaal hineinschauen könne während die Sonne noch die Fassade bescheine, denn nur von der Schwelle aus dürfe ich den Blicken der Götter begegnen.
Ich trat in den kleinen Hof ein. Auf der Steintreppe und im Vorsaal mit den schwarzen Draperien standen alle Mönche wie eine Schutzwache. Ich bat sie, mir ein wenig Platz zu machen, damit ich die Geisterkönige und einzelne Bilder anderer Tempelstädte sehen könne, welche al fresco die Wände zierten.
Vor den Türen hingen graue Zeugbahnen. Ernst und zögernd trat ein älterer Mönch vor, um sie zurückzuschlagen. Die massiven Türen mit ihren malerischen Messingbeschlägen und ihren eisernen Ringen waren verschlossen, aber der Mönch hatte den Schlüssel mitgebracht und öffnete ein gewaltiges Schloß. Nachdem er mir den Platz angewiesen hatte, wo ich mich auf der Schwelle niederkauern konnte, ließ er die Türen in ihren Angeln kreischen, und das Dunkel des Allerheiligsten gähnte mir entgegen.
Ich schüttelte den Kopf. Der Mönch lächelte und sagte: »Geduld!« Nun zeigten sich einige Lichtflammen, und als ich mich erst an die dürftige Beleuchtung gewöhnt hatte, unterschied ich die Einzelheiten. Es war ein kleiner Tempelsaal, der in all seiner Einfachheit gut gehalten war. Ein ganzer Wald bemalter Tanka-Tücher mit Götterbildern hängt von der Decke herab und erinnert an die Regimentsfahnen in einem Zeughaus oder an die Trophäen in einem Waffensaal. Die Tankas verstärken noch die drinnen herrschende Dämmerung.
Zum Altartisch führt, wie gewöhnlich, mitten durch den Saal ein Gang, den auf beiden Seiten vier rote, mit Bändern und bunten Zeugbahnen behängte Säulen abschließen. Dort sind auch rote Diwane aufgestellt, auf denen die Mönche sitzen, wenn sie den lamaistischen Gottesdienst feiern und die täglich wiederkehrenden Gebete murmeln. Im Hintergrund des Ganges steht vor dem Altarrunde ein pyramidenförmiges Regal voller Opferschalen aus Messing und kleiner Lampen, deren Dochte mit Butterstücken gespeist werden und deren flackernde Flämmchen hoffnungslos mit der Dunkelheit kämpfen.
Jigde heißt der vornehmste Gott, dessen Lob in diesem Tempelsaale gesungen wird. Auf eine Tanka gemalt, thront er über dem Altare, und sein Gesicht verschwindet in einem Dickicht von »Kadach« genannten Opferbinden. Zu seiner Linken, vom Beschauer aus gesehen, steht eine gegossene Statue des Reformators Tsongkapa mit milden, träumerischen Zügen. Zur Rechten sind die unergründlichen Schriften auf festen Bücherbrettern aufgestapelt. Die Lhakang von Taschi-gang, hier »Tsokang« genannt, war nur spärlich mit Götterbildern bevölkert, aber die Stimmung war die gewöhnliche, den Kultus des Lamaismus charakterisierende, dunkel und mystisch.
Wenn die Mönche mit schwindelerregender Schnelligkeit und in halbsingendem Tone im Lhakang ihre Gebete murmeln, sitzt ein Lama im Manekang und dreht dort die große Gebetmühle, aus deren Innerem unzählige » Om mani padme hum« die Barmherzigkeit der ewigen Mächte anrufen.
In der Klosterküche kochte der Teekessel auf dem gemauerten Herde, und die geistlichen Köche erschienen wie Nebelgestalten in dichten Dampfwolken. Auf dem Hofe draußen vor der Küchentür steht ein »Hla-tamtschen«, ein Reisigbündel, an welchem jedes Zweiglein mit bunten Lappen behängt ist und jeder Fetzen die heiligen Silben trägt. Das Bündel, das einer Fastnachtsrute ähnelt, wird durch eine würfelförmige Nische geschützt, deren Wände grellfarbige, bescheidene Malereien zieren.
Der vornehmste Lama von Taschi-gang trägt den Titel »Umsed«, welches Wort eigentlich »Leiter des Chorgesangs« bedeutet. Vor drei Jahren war er aus dem großen Kloster Sera bei Lhasa hierhergekommen, und er hatte noch ein Dienstjahr hier in dem fernen Westen Tibets auszuharren. Die übrige Brüderschaft rekrutierte sich aus Totling, Tschumurti und andern Gegenden in der Nachbarschaft. Man sagte mir, daß Taschi-gang früher zu Ladak gehört habe, daß aber vor nicht langer Zeit ein Austausch vorgenommen worden sei. Infolgedessen stehe Taschi-gang nun unter der Herrschaft von Sera, und der Maharadscha von Kaschmir habe anstatt dessen eine Art Besitzrecht auf das zwischen Gartok und dem Rakastal liegende Misser erhalten.
»Wovon lebt ihr Mönche hier?« fragte ich.
»Wir vermieten hundert Yaks und ebensoviele Schafe zu Transporten, und außerdem sind die Garpune verpflichtet, uns mit unserm ganzen Bedarf an geröstetem Gerstenmehl (Tsamba) zu versorgen.«
»Ihr lebt also sorgenfrei und ruhig?«
»Nein, Taschi-gang hat einst bessere Zeiten gesehen und Vermögen besessen. Damals hatte man die nötigen Mittel zur Erhaltung seiner Gebäude. Nun nehmen wir notdürftig ein, was wir zu unserm Unterhalt gebrauchen, aber das Kloster selbst müssen wir verfallen lassen. Der heilige Jigde ist jedoch ein grausamer, hartherziger Gott; sein Dienst darf niemals vernachlässigt werden, und man muß ihn beständig versöhnen. Die Vizekönige fürchten seine Macht und besuchen ihn jährlich einmal mit Opfergeschenken. Sie vernachlässigen auch nie ihre Pflichten gegen uns, die wir die Diener des Gottes sind.«
Der äußere Verfall gibt Taschi-gang den Anstrich einer Ritterburg aus dem Mittelalter, die, auf der Grenze zwischen einem starken Kastell und einer Ruine, noch stolz auf ihrem Felsen thront, ein Andenken aus dahingeschwundenen Zeiten. Mit jedem Jahr, das über die Burg des Gottes Jigde hineilt, hinterläßt die Zerstörung neue Spuren und Lücken in den großen Mauerflächen. Von dem breiten Rande droben unter der Dachleiste strecken lotrechte Streifen ihre Blutzungen nach dem Erdboden hinab. Sie sind ein Werk der Sommerregen, welche die Mauern so zugerichtet haben, daß sie bald ziegelrot, bald in Rosa schillern. Hier und dort hat sich der Kalkbewurf losgelöst, und Steinsplitter sind herabgefallen; da ist es die Verwitterung, der Wechsel zwischen glühendem Sonnenschein und schneidendkaltem Frost, welcher die Klostermauer um einen kleinen Schritt auf dem Wege der Vergänglichkeit weitergeführt hat. Auf dem Dache flattern die Wimpel in kaum noch zusammenhängenden Fetzen; dort ist es der Wind, der der Herrscher über das Heim der Götter ist.
Eine kleine Anzahl Fenster und einige Scharten unterbrechen auch die nach Westen liegende Mauer. An der südlichen Querseite sind die Fenster unsymmetrisch angebracht, und hoch über dem Erdboden schwebt ein kleiner Balkon und bietet einen ruhigen, friedlichen Platz in diesem sonst so wüsten, finsteren Kloster. Hier ist der »Labrang«, hier wohnt der Abt.
Das ganze Kloster bildet einen langgestreckten, unregelmäßigen Komplex von Gebäuden und Mauern um gleichfalls längliche Höfe herum. Diese sind voneinander durch kleinere Mauern im Innern getrennt. Sie sind aber auch durch Türen verbunden, und zu diesen gelangt man gewöhnlich auf Steintreppen, denn die Oberfläche des Felsens ist uneben. In den peripherischen Gebäuden haben die Mönche ihre Zellen, und das Ganze überragt der Lhakang, der Göttersaal, in vielseitiger Form.
In stattlichen, überwältigenden Massen, in Absätzen, Graten und Gipfeln steigt das Gebirge in Nordosten und Südwesten aus dem Tale auf. Violett und gelbbraun schillernd tritt zu allen Stunden des Tages sein Relief scharf und lebhaft gezeichnet hervor. Im Sonnenuntergang erglänzt das Kloster hellgelb. Dann klettern die Schatten an den Abhängen empor, bis nur noch die höchsten Spitzen in Purpurglut strahlen. Das Industal hinauf, in der Richtung nach Garlok, und abwärts, nach Ladak hin, ist die Aussicht unendlich; man atmet tiefer vor den schwindelerregenden Entfernungen und hat das übermächtige Gefühl, zwischen zwei ungeheueren Falten der Erdrinde, dem Himalaja und dem Transhimalaja, zu verschwinden.
Infolge seiner Breite und seines langsamen Gefälls macht auch der Fluß einen majestätischen Eindruck. Wir steigen auf unserm Wege nach Nordwesten von der früheren Höhe herab. Daher zeigt sich nicht viel Treibeis, nur hier und dort längs des Ufers ein schmaler Saum. Stellenweise hört man Wildenten schnattern, aber die Wildgänse haben jetzt keine Lust auf Tibet, und sie wollen in diesem Jahre ihren Aufenthaltsort nicht mehr wechseln.
Das helle Bild mit den klaren Farben und den scharfen Linien trübte sich am Nachmittage infolge eines heftigen Sturmes aus Westen, der über das Tal hinjagte und große Staubmassen aufwühlte. Das Kloster schimmerte wie ein Gespensterschloß durch den Staubnebel. Die Oberfläche des Flusses erhob sich zu weißen Schaumköpfen; eintönig und feierlich schlug die Brandung gegen das Ufer.
So verfloß unser zweiter Tag in Taschi-gang. Unter die Mönche wurde ein reichlich bemessenes Geschenk an Silberrupien verteilt, Silberrupien mit dem Bilde der gekrönten Königin; die neuen Königsrupien ohne Krone wollten sie nicht haben. Ich mußte die Grobheit, die sich meine Ladaki am Abend vorher hatten zuschulden kommen lassen, auf diese Weise wieder gutmachen, und ich fühlte auch Mitleid mit der entsetzlichen Einsamkeit der Priesterschaft in den grauroten Gefängnismauern. Hätte mich ein ungütiges Geschick gezwungen, das Mönchsgelübde abzulegen und meine Tage in Taschi-gang zu verbringen, ich stürbe vor Langweile und vor Entsetzen über die unerschütterlichen Dogmen und ihre Feindseligkeit gegen jeden Freidenkenden. In dem Höhlendunkel des Tempelsaales qualmen die Dochte der Butterlampen, während draußen die Sonne strahlt. Ich würde sogar der Aussicht von dem der Sonne zugewandten Balkon überdrüssig werden. Die Freiheit des Himalaja und das wilde Satledschtal im Süden würden unwiderstehlich meine Sehnsucht entflammen. Im Sommer ginge es wohl noch an, wenn das befreite Induswasser auf seinem Wege nach dem Meere durch das Tal gleitet. Wie aber im Winter, wenn der Fluß zugefroren und stumm daliegt, wenn der Schneesturm klagend um die Ecken der Klostergebäude heult, und wenn es in den Fensterluken kreischt und pfeift, als ob dort Spukgestalten und Geister ihr Spiel trieben?