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Dreizehntes Kapitel.
Die Jesuiten. – D'Anville. – Die ersten Engländer. – Ritter, Humboldt und Huc.

Als der große Kaiser Kang Hi (1662–1722) durch die Eroberung der Mongolei, Formosas und Tibets die Grenzen des Reiches der Mitte abgerundet hatte, beschloß er im Jahre 1708, eine Karte seiner unermeßlichen Länder aufnehmen zu lassen. Die Ausführung dieser Arbeit vertraute er den gelehrten Jesuiten an, die sich in Peking aufhielten und sich seiner besonderen Gunst erfreuten. Anfangs begnügte er sich mit den Gegenden um die große Mauer herum; doch als die Jesuiten schon nach einem Jahre eine fünfzehn Fuß lange Karte vor den Augen des Kaisers ausbreiteten, war er so entzückt, daß er sein ganzes Reich auf diese Weise aufgenommen haben wollte. Sie begannen mit der Mandschurei und der Provinz Tschi-li, eine Arbeit, die zwei Jahre in Anspruch nahm. Dann verging kein Jahr, ohne daß dem gewaltigen Werke das Kartenbild einer oder mehrerer Provinzen hinzugefügt wurde. Es gereicht den Chinesen zur Ehre, daß die Jesuiten in jeder Provinz einheimische, vor langer Zeit aufgenommene Karten vorfanden. Nur Tibet war noch nie vermessen worden.

Der hervorragendste der Jesuiten war der Pater Régis, der 36 Jahre in China lebte und in Du Haldes großem Werke über dieses Land Abhandlungen über Korea und Tibet geschrieben hat. Der Kaiser Kang Hi hatte eine Gesandtschaft nach Lhasa geschickt, um die tibetischen Fürsten für Chinas Politik zu gewinnen, aber der Gesandte hatte auch den aussichtslosen Auftrag erhalten, eine Karte aller der Länder, die unter der Herrschaft des Dalai-Lama standen, aufnehmen zu lassen.

Im Jahre 1711 wurde diese Karte dem Pater Régis eingehändigt, der sie unbrauchbar fand. Der Kaiser ließ jedoch nicht nach. Zwei lamaistische Mönche, die in Peking ausgebildet worden waren, wurden beauftragt, das Hochland von Sining bis Lhasa und den Gangesquellen hin aufzunehmen und dem »Sohne des Himmels« aus der Flut jenes heiligen Stromes Wasser zur Erquickung mitzubringen. Im Jahre 1717 war die Karte fertig, und der Kaiser schickte sie seinen Freunden, den Jesuiten.

Nach einigen kühnen Verbesserungen, die aus Rücksicht auf die Schule, aus der die beiden lamaistischen Topographen hervorgegangen waren, vorgenommen wurden, verleibte man die von ihnen aufgenommenen Blätter dem Kartenwerke über China ein, welches dann im Jahre 1718 dem Kaiser vollendet vorgelegt wurde. Eine Kopie dieses Werkes erhielt der König von Frankreich. Nach ihr stellte D'Anville seine berühmte Karte her; aber auch er nahm Verbesserungen vor, die nicht immer gut ausfielen.

Gerade um die Zeit, als die Lamamönche fleißig bei der Arbeit waren, brach in Tibet Krieg aus, indem der Dsungarenchan Tsagan Araptan seinen Heerführer Seren Donduk mit einer Armee aus Chotan nach Lhasa schickte. Es steht in den Annalen der Kriegsgeschichte wohl einzig da, daß ein Invasionsheer 1500 Kilometer weit durch ein meist unbewohntes, fast überall in Montblanchöhe liegendes Feindesland zieht und dennoch Erfolg hat. Auf diesem Heereszuge überschreiten die Dsungaren den Kwen-lun, den Kara-korum und den Transhimalaja, aber von ihren Schicksalen wissen wir wenig oder nichts. Wir wissen nur, daß das Land um Lhasa herum verheert und geplündert worden ist, den Tempeln ihre unermeßlichen Schätze geraubt wurden und daß die Feinde alle Lamas, die sie fingen, in Säcke steckten und so auf Kamelen nach der Tartarei brachten. Es fehlte nicht viel daran, daß es den beiden Lamatopographen ebenso ergangen wäre. Als sie von der herannahenden Gefahr hörten, beschleunigten beide ihre Arbeit und waren vor allem darauf bedacht, sich selber in Sicherheit zu bringen.

Das Ergebnis ihrer Wanderungen war D'Anvilles Karte aus dem Jahre 1733, die 1737 in seinem Atlas über China veröffentlicht worden ist. (Siehe »Transhimalaja«, II, 363, Abb. 367.) Wir finden auf ihr Seen und Flüsse, die jetzt schwer wiederzuerkennen sind; wir finden Bergketten, die nach allen Himmelsrichtungen gehen, jedoch sich überwiegend von Nordosten nach Südwesten ziehen, obgleich sie in Wirklichkeit von Nordwesten nach Südosten laufen. Da Europas Geographen keine andern Karten über das innere Tibet hatten, mußten sie mit D'Anvilles Darstellung vorliebnehmen. So viel schien jedoch ganz klar zu sein, daß das Land im Norden des Tsangpo ein Gebirgsland war und daß von den Kämmen und Gipfeln jenes Gebirges Flüsse herabrauschten, die sich in abflußlose Seen ergossen. Noch lange konnte man in jedem europäischen Atlas die Spuren der Karte D'Anvilles wahrnehmen. So ist es noch bei dem Blatte Tibet in Stielers Handatlas aus dem Jahre 1875 der Fall. Nachher aber wurde das ganze Feld, worin der mittelste Transhimalaja liegt, in einer Länge von 900 Kilometer und 120 Kilometer Breite ausgelöscht. Man opferte sogar den Tarok-tso und den Tabie-tsaka, zwei Seen, die D'Anville recht gut wiedergegeben hat. Doch wie konnte man wissen, was gut und was schlecht war! Man zweifelte an allem. Kein Europäer war dort gewesen. Das Alte, Unzuverlässige wurde verworfen. Noch 1889 verzichtet Dutreuil de Rhins darauf, irgendwelche tibetische Ketten auf seiner großen Karte Zentralasiens einzuzeichnen, » car la plupart n'ont pas été même entrevues par les explorateurs modernes (denn die Mehrzahl ist von den modernen Forschungsreisenden noch nicht erblickt worden)«. Hier gab es für die Wanderer der Neuzeit Aufgaben genug. Hundertneunzig Jahre nach den ersten chinesischen Forschungen in jenen Gegenden sollte ein wenig Ordnung in dieses Gebirgslabyrinth gebracht werden.

Die tiefeingeschnittenen Täler der indochinesischen Flüsse sind stets zu den schwierigsten Problemen in Asien gerechnet worden. Dazu hat auch das Land im Norden des Tsangpo gehört. Durch die Bemühungen Kang His und seiner Freunde, der Jesuiten, begann ein unentwirrbares Durcheinander von Gipfeln und Kämmen durch die Nebel im Norden hervorzuschimmern. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts scheinen die Geographen Europas zu der klassischen Darstellung größeres Vertrauen gehabt zu haben als zu der chinesischen. Später tauschten beide den Platz, und D'Anville wurde dem Ptolemäus vorgezogen. Andere Quellen waren jedoch nicht vorhanden, und wenn Major Rennell in dem Texte zu seiner 1785 herausgegebenen Karte von Hindostan sagt, daß von der Höhe des Kamba-la » may be seen towards the north a range of still higher mountains covered with snow (gegen Norden eine Kette noch höherer, mit Schnee bedeckter Berge gesehen werden kann)«, so erkennen wir Georgis Worte beinahe buchstäblich wieder.

Als George Bogle im Mai 1774 als Gesandter des großen Generalstatthalters Warren Hastings an den Taschi-Lama Kalkutta verließ, erhielt er unter anderem den Auftrag, die Eingeborenen über die zwischen Lhasa und Sibirien liegenden Länder auszufragen. In seinem Memorandum an den Gesandten sagt Warren Hastings:

»Tibet ist ein kaltes, hochgelegenes und gebirgiges Land. Mir ist gesagt worden, daß ein großer Fluß die Grenze zwischen Tibet und China bilde, die von beiden Ländern aus sorgfältig durch Truppen bewacht werde, und daß Tibet von Kaschmir aus europäische Waren erhalte. Aber ich habe über diese Dinge noch nicht genug erfahren … Die großen Flüsse des südlichen und östlichen Asien scheinen in den Gebirgen Tibets zu entspringen. Es ist daher wahrscheinlich das höchste Land des alten Weltteils, und dieser Umstand nebst der Schwierigkeit, dort eingelassen zu werden, verleiht ihm auffallende Ähnlichkeit mit dem Tal von Quito in Südamerika.«

Warren Hastings war ein klarerer Kopf als Bogle. Dieser reiste nach Tibet, ging über den Tsangpo und in das Tal Schang hinein und begab sich nach dem Kloster Namling, wo er seinen Auftrag ausrichtete. Aber er erkundigte sich gar nicht nach dem weiteren Verlauf dieser Straße, auf welcher gerade hundert Jahre später ein Pundit nach dem Passe Kalamba-la im Transhimalaja hinaufzog, auf dessen Nordseite die Straße langsam nach dem Ufer des Tengri-nor hinabsinkt. Obgleich er eine tüchtige Strecke in Schang, einem der südlichen Täler des Transhimalaja, aufwärts gezogen ist, hat er von dem Vorhandensein dieses mächtigen Systemes keine Ahnung. Und als er Tibets Natur in allgemeinen Ausdrücken beschreiben soll, sagt er bloß, daß »es voller Hügel sei, die man Berge nennen könnte … Doch braucht man nur einige wenige zu überschreiten, weil die Straße durch Täler führt … Das Land ist nackt, steinig und offen; kaum ein Baum ist zu sehen, ausgenommen in der Nähe der Dörfer, aber auch dort wachsen sie spärlich«.

Bogle ist der erste Engländer und einer der wenigen Europäer, die einen Teil des Transhimalaja berührt haben. Dennoch merkt er es nicht. Er konnte sich mit Desideri, Beligatti und della Penna nicht messen.

Im Jahre 1783–84 reiste Samuel Turner in ähnlichem Auftrag – um eine Handelsverbindung zwischen Tibet und Indien anzubahnen – an den geistlichen Hof des Taschi-Lama und brachte eine hübsche Karte seines Weges heim, die erste, die es noch 120 Jahre später gab, als Younghusband nach Lhasa zog. Turner kam nur bis Taschi-lunpo, und von seinen Fenstern im Kloster aus konnte er die Straßen sehen, die nach Bhotan und Bengalen, nach Ladak und Kaschmir, nach Nepal, Lhasa und China führten. Der Straße nach Sining erwähnt er nur mit einigen Worten, die sich nicht einmal annähernd mit Desideris klarer Beschreibung jenes Weges vergleichen lassen. Über den Transhimalaja bleibt er stumm; er konnte auch von seinen Fenstern in Taschi-lunpo aus nichts von jenen Felsenmauern sehen. Doch hätte er die Mönche gefragt, so würde er immerhin etwas über die vom Kamba-la aus » ad Boream« sichtbaren » nivosi montes« erfahren haben, über welche Georgi aus den Quellen der Kapuziner geschöpft hat.

Ebenso blind gegen die sich im Norden ausdehnende Gebirgswelt war der kühne, aber sehr unwissende Thomas Manning, der 1812 aus eigenem Antrieb nach Lhasa zu kommen suchte und dem es auch gelang. Sein Bericht darüber ist ein Wunder an Inhaltslosigkeit und Einfältigkeit. Er kennt nicht einmal den Namen des Kamba-la. In Lhasa hörte er nichts und lernte er nichts. Sein Weg nach der geheimnisvollen Stadt gleicht dem Kurse eines Segelschiffes auf dem Meere, wo die Wellen hinter dem Schiff wieder zusammenschlagen. »Es ist eine kärgliche Beschreibung einer wichtigen Reise«, sagt Younghusband, der hundert Jahre später der Spur Mannings folgte.

In demselben Jahre begab sich William Moorcroft nach dem Manasarovar und zog dort wichtige Nachrichten über den heiligen See ein. Auf seiner Karte zieht sich im Norden des Sees eine Bergkette hin, die Cailas Mountains, die jedoch eher so gezeichnet ist, als ob sie den Rand eines steil nach den Becken der Seen abfallenden Plateaulandes bilde. Dies ist also der Teil des Transhimalaja, über den Desideri berichtet hat. Desideri war hundert Jahre früher dort gewesen, aber seine Beschreibung wurde erst hundert Jahre nach der Moorcrofts bekannt.

Während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts besuchten mehrere Engländer Nepal. Es wäre grausam, von ihnen irgendeine neue Kunde über die Gebirge im Norden zu verlangen. In seinem prächtigen Werke » On account of the Kingdom of Nepal« (1811) bringt Kirkpatrick so gut wie nichts über Tibet. Aber Francis Hamilton läßt uns wenigstens einen Schimmer des Transhimalaja ahnen, da er sagt, daß drei Ketten vom Manasarovar ausgingen, von denen die beiden südlichen zum Himalaja gehörten, während die nördlichste sich nur bei dem heiligen See Indien nähere und in ihrem mittelsten Teil den Gipfel des Kailas trage. Dies hatten ihm Eingeborene in Nepal erzählt, welche auch wußten, daß die nördlichste Kette im Norden des Indus und des Brahmaputra lag. Er hat es aber nicht gewagt, die Kette auf seiner Karte nach Osten hin auszudehnen. Er hat es anderen überlassen, sich eine fortlaufende Gebirgsmauer bis an den Nientschen-tang-la der chinesischen Karten am Schreibtisch zurechtzukonstruieren. Über den Salzsee Tabie-tsaka, der den Chinesen längst bekannt war, hat Hamilton ein dunkles Gerücht angeführt: »Borax und Salz sollen von einem See hierhergebracht werden, der ungefähr im Norden von Katmandu etwa fünfzehn Tagereisen jenseits des Brahmaputra liegt. Beide Waren kommen nach Nepal auf dem Rücken einer großen Art Schafe, von denen einige vier Hörner haben und die in den Provinzen, die an die Quellen des Indus, Ganges und Brahmaputra grenzen, die gewöhnlichen Lasttiere zu sein scheinen.«

Seitdem sind erst hundert Jahre vergangen! Die Zeit des Ptolemäus war vorbei. Man zweifelte an den chinesischen Quellen. Die Europäer versuchten es, selbst den Vorhang jenes ihnen verbotenen Landes zu heben. Denn noch immer dehnte sich im Norden Indiens und des Himalaja jene » terra incognita« aus, die während des letzten Jahrhunderts ein zugeklapptes Buch geblieben war.

Im Jahre 1895 gab Professor Wasilieff in Petersburg eine Beschreibung Tibets heraus, die ein Mongole namens Minchul Chutuktu verfaßt hatte, welcher 1839 gestorben war, nachdem er in Peking in Lamatempeln beschäftigt gewesen war. Auch dieser ist dunkel und weiß nur zu erzählen, daß es im Norden des Himalaja eine »mit Schnee bedeckte Bergkette gibt, die, wie viele meinen, mit dem Gandise (Kailas) identisch ist; aber mir scheint es richtiger, diesen Namen als nomen appellativum nicht nur dem Gandise, sondern auch vielen tausend anderen Bergen zwischen Kabul und Kam (Osttibet) zu geben«. Er erwähnt auch »eines der vier stürmischen, überschneiten Gebirge, des gNjanchen-tan-lkhai-gans-ri«, des Nien-tschen-tang-la der Tibeter und der Chinesen. Minchul Chutuktu kannte also die beiden Grenzsäulen im Osten und Westen, zwischen denen der Transhimalaja seine mächtigen Runzeln dem Gesichte der Erde aufdrückt.

Einen neuen Zeitabschnitt in der Kenntnis und der Geographie Zentralasiens hat Karl Ritter eröffnet. Er unterscheidet zwei Bergketten im Innern von Tibet, das Khorgebirge, das sich vom Kwen-lun diagonal nach dem Tengri-nor hinzieht, und das Dzanggebirge, das im Norden das Tsangpotal begrenzt, mit der »außerordentlich hohen Gletschergruppe Nien-tschen-tang-la« zusammenhängt und sich im Westen der Stadt Tsiamdo bis weit nach Nordosten hinzieht.

Zu Ritters Zeiten (1833) waren keine anderen Reisen in das Herz Tibets hinein unternommen worden als diejenigen, welche ich eben kurz geschildert habe. Seine Hauptquellen bildeten daher Klaproths Übersetzungen chinesischer Werke. Ritter ist auch der erste, der in einem geographischen Handbuch das chinesische Wissen insofern hat zur Geltung kommen lassen, als er, darauf gestützt, von einer fortlaufenden Kette im Norden des Tsangpo spricht. Aber er nimmt auch einige falsche Angaben, die auf Irrtümer der Lamatopographen zurückzuführen sind, als zuverlässige Kunde auf. Nach Ritter ist die Bergkette Dzang die östliche Fortsetzung des Gangdisri (Kailas), und das ganze System teilt Tibet in zwei Hälften, von denen die südliche das eigentliche bewohnte Tibet und die nördliche das Land der mongolischen Nomaden ist.

Die weniger klaren Vorstellungen der chinesischen Geographen sind also von Ritter gleichsam umgeformt und systematisiert worden. Er hat die orientalische Auffassung begreiflich und auch den Völkern des Abendlandes genießbar gemacht. Er gibt jedoch willig zu, daß die damaligen Kenntnisse über unsern Transhimalaja, den er »die gänzlich unbekannte Nordkette« nennt, mit Mängeln behaftet sein müssen.

Seit dem Jahre 1833 können wir also von der Tatsache ausgehen, daß der größte Geograph, den es damals gab, von dem Vorhandensein einer fortlaufenden Kette im Norden des Tsangpo fest überzeugt war, obgleich auch er sie, mit Ausnahme der Gebirgsstöcke Kailas und Nientschen-tang-la, für ganz unbekannt hielt.

Der nächste bedeutende Mann ist der große Alexander von Humboldt. Er läßt vier gewaltige Bergwellen sich in ostwestlicher Richtung durch ganz Innerasien erstrecken: Altai, Tien-schan, Kwen-lun und Himalaja. Wie Ritter verlegt er in das Hochland zwischen Kwen-lun und Himalaja die beiden Bergketten Khor und Dzang und sagt von der letzteren, daß sie das lange Tal des Tsangpo begrenze und sich von Westen nach Osten in der Richtung des Nien-tschen-tang-la, eines sehr hohen Gipfels zwischen Lhasa und dem Tengri-nor, hinziehe.

In allem diesen erkennen wir Ritter wieder. Die beiden deutschen Geographen haben dieselben Quellen benutzt, nämlich die Darstellung der Lamatopographen und andere chinesische Werke. Viele davon hatte Klaproth übersetzt, aus dessen Arbeiten Ritter und Humboldt geschöpft haben. Humboldt zeigte (1844), daß die chinesischen Quellen zuverlässiger waren als die griechischen, römischen, arabischen und indischen. Dazu trugen mehrere äußere Umstände bei, wie Chinas Kriege mit Völkern am Westrande des Reiches, die großen Pilgerzüge im buddhistischen Asien, die religiöse Ehrfurcht, mit der alle hohen Berge betrachtet wurden, und schließlich der Kompaß. Und dennoch war den Chinesen nie der ausgeprägte Parallelismus aufgefallen, der ein Charakterzug aller Ketten Tibets ist. Dadurch ließ auch Humboldt sich dazu verleiten, im Osten des Manasarovar einen meridionalen »Rücken«, eine Wasserscheide zwischen dem Indus und dem Satledsch im Nordwesten und dem Tsangpo im Osten, anzunehmen.

Humboldt findet Asiens Gebirgsskelett sehr einfach und regelmäßig, und auf seiner Karte sind die verschiedenen Systeme auch mit der größten geometrischen Gesetzmäßigkeit gezogen. Anstatt des verwickelten Gebirgsknotens Pamir hat er eine meridionale Kette, den Bolor, der lange in den Karten von Asien spukte. In seiner Übersicht der großen Gebirgssysteme fehlen Kara-korum und Transhimalaja, aber auf seiner Karte sind sie wenigstens in Bruchstücken zu finden. Er hatte kein rechtes Vertrauen zu D'Anvilles Darstellung und meinte, daß sie aus einer Zeit stamme, in der über die hohen Gebirge der Tartarei die verwirrtesten Begriffe herrschten und man angenommen habe, daß sie sich ohne bestimmte Ordnung nach allen möglichen Richtungen hinzögen. Und dennoch war D'Anville im großen und ganzen der Wahrheit näher als Humboldt!

Um nicht den roten Faden in der Kenntnis des Transhimalaja zu verlieren, müssen wir uns erinnern, daß sowohl Ritter wie Humboldt das Gebirge Dzang im Norden des Tsangpo als fortlaufende Kette darstellen. Diese ganz verkehrte Auffassung ist später eigensinnig beibehalten worden, obgleich sie, mit D'Anvilles Bild des südlichen Tibet verglichen, ein Schritt rückwärts ist.

Bei meiner Rückkehr im Jahre 1909 überraschte mich eine Notiz im Geographical Journal, weil darin behauptet wurde, daß man meinen Transhimalaja bereits seit länger als einem halben Jahrhundert kenne. So hieß es, daß »ihn z. B. Brian Hodgson auf seiner Karte als Nyenchen-Thangla-Kelte zeige und im Text dazu sage: trennt das südliche vom nördlichen Tibet«. Die übrigen Autoritäten, die zu jener Entdeckung beigetragen haben sollten, waren Nain Sing, Ryder, Wood, Rawling, Markham, Saunders, Atkinson und Burrard.

Was ich als eine der größten Entdeckungen, die man in Asien machen konnte, angesehen hatte, das war also in England seit mehr als fünfzig Jahren bekannt gewesen!

Schon in dem Jahre, als ich geboren wurde, 1865, reiste der große Pundit Rain Sing den Tsangpo hinauf und er gibt auf seiner Karte unterbrochene Gebirge im Norden an. Von einem fortlaufenden Gebirgssystem im Norden des Flusses sagt er aber kein Wort und er hat es auch nicht auf seiner Karte eingezeichnet. Ryder, Rawling, Wood und Bailey unternahmen 1904, nach dem Zuge nach Lhasa, eine besonders vom topographischen und trigonometrischen Standpunkt aus glänzende Expedition. Sie folgten der Spur Nain Sings und halten keine Gelegenheit, das Tsangpotal zu verlassen und Abstecher in das unbekannte Land im Norden zu machen. Was die übrigen Autoritäten anbetrifft, so war keiner von ihnen je in Tibet gewesen!

Die letzte Ausgabe des Blattes Tibet in Stielers Handatlas, vor meinem letzten Eindringen in das verbotene Land, zeigt im Norden des Tsangpo nichts anderes als weiße Stellen, und zur gleichen Zeit bedeckte dieses Gebiet auf der Tibet-Karte der Royal Geographical Society nur das Wort » Unexplored«. Und dennoch war das Land seit mehr als fünfzig Jahren bekannt! War es denkbar, daß dem Verfasser jener kleinen Notiz Quellen zur Verfügung standen, die der Royal Geographical Society unbekannt waren, und daß die geographische Anstalt von Justus Perthes in Gotha, die hervorragendste der Welt, den Schnitzer gemacht hatte, gerade die Urkunden zu vergessen, mit denen sich die weißen Stellen der Karte hätten ausfüllen lassen?

Die kleine Notiz nahm sich wirklich bestechend aus, und sie machte auch die Runde durch die Weltblätter, nicht zum wenigsten in Schweden, wo sie gerade an dem Januartag, an welchem ich heimkehrte, in den Zeitungen stand. Was sollte das Publikum nun glauben? War ich blind drauflosgegangen und hatte ich mir eine Priorität zugeschrieben, die andern zukam?

Schritt für Schritt sind wir den Forschungen am Außenrande des Transhimalaja bis Humboldts Zeit gefolgt und haben bisher keine andern festen und sicheren Punkte gefunden als den Kailas und den Nien-tschen-tang-la. Jetzt stehen wir an der Schwelle der Periode, in der man Hodgson als Bannerträger ausgerufen hat. Da wird es sich der Mühe verlohnen, die Quellen genau anzusehen und die Angaben, die mit Anspruch auf Wahrheit vorgebracht worden sind, nachzuprüfen. Mir ist dies eine Ehrensache. Ich habe drei Jahre damit gewartet. Aber es erfordert Zeit, sich in die Bibliotheken zu vertiefen.

Brian Hodgson ist im Jahre 1800 geboren; er ging 1818 nach Indien und begab sich zwei Jahre später nach Nepal, wo er in den Jahren 1825–33 als Vizeresident und von 1833–43 als Resident tätig war. Nachdem er sich längere Zeit in Dardschiling aufgehalten hatte und im ganzen vierzig Jahre in Indien gewesen war, kehrte er in seine Heimat zurück und starb dort 1894 nach einem Leben rastloser Pionierarbeit sowohl als Forscher auf dem Gebiete humanistischer und naturwissenschaftlicher Zweige wie auch als Diplomat und Politiker.

Zwei Jahre nach Hodgsons Tod gab Sir William Hunter in einem beinahe 400 Seiten umfassenden Buch seine Lebensbeschreibung heraus. Ich habe das Buch von der ersten bis zur letzten Seite gelesen. Es sind darin Verzeichnisse der unzähligen Artikel und Abhandlungen über alle nur denkbaren Stoffe, die Hodgson mit freigebiger Hand in Zeitschriften verschiedener Sprachen ausgestreut hatte, ausgenommen worden. Doch in diesem Gedenkbuch, das auch die feinsten Nuancen einer glänzenden Laufbahn widerspiegelt, wird des Nien-tschen-tang-la mit keinem Wort gedacht, und es enthält keine Zeile über das Gebirge im Norden des Tsangpo!

Nun gut; es kann sein, daß der Biograph das wichtigste Glied einer sonst vollständigen Kette übersehen hat. Es bleibt daher keine andere Wahl, als Hodgsons eigene Schriften vorzunehmen.

In einem Artikel ( Journal of the Asiatic Society of Bengal, 1853, S. 121), dessen Inhalt hauptsächlich linguistischer Art ist, sagt Hodgson über den Nien-tschen-tang-la:

»Dieser wichtige Zug in der Geographie Tibets wird durch den Nian-Isin-tangla in Ritters Hochasien und durch Hucs Tanla angedeutet. Dem Beispiel eingeborener Autoritäten folgend, habe ich einen Namen, mit welchem jene Verfasser ein beschränktes Gebiet bezeichnen, in ausgedehnterer Bedeutung benutzt. Ich habe recht daran getan, denn die Ausdehnung, der Verlauf und die Höhe dieser Kette sind nicht zu bezweifeln.«

Dies ist alles! Kein Wort über das hinaus, was Ritter zwanzig Jahre früher ausführlicher und systematischer ausgesprochen hatte. Im übrigen spricht Hodgson bloß von der Eigenschaft der Kette als Grenzmauer zwischen dem nördlichen und südlichen Tibet und von den türkischen und mongolischen Stämmen, die auf ihrer Nordseite wohnen sollen. Hodgsons ganze Originalität besteht darin, daß er Ritters Beschreibung in andere Worte gekleidet hat. Sein Irrtum, den Nien-tschen-tang-la Ritters mit Hucs Tanla in Verbindung zu bringen und die beiden durch zwei Breitengrade voneinander getrennten, miteinander parallellaufenden Systeme zu einer Kette zu verschmelzen, war ein höchst unglücklicher Mißgriff, den schon Ritter mehrere Jahre vor Hucs Reise begangen hatte.

Im Jahre 1856 sprach Hodgson die Vermutung aus, daß Karakorum und Nien-tschen-tang-la einunddasselbe System seien. Aber denselben Gedanken hatte Humboldt, mit welchem Hodgson in Briefwechsel stand, schon im Jahre 1831 ausgesprochen. Im Jahre 1853 sieht Hodgson im Nien-tschen-tang-la einen würdigen Nebenbuhler des Kwen-lun und des Himalaja, aber drei Jahre später nimmt er Humboldts vier Systeme, Altai, Tien-tschan, Kwen-lun und Himalaja, an, ohne des Nien-tschen-tang-la überhaupt zu erwähnen. Die Erklärung, daß diese Kette das nördliche Tibet von Südtibet scheide, ist wortgetreu Ritter entnommen.

Im Jahre 1857 veröffentlichte Hodgson die Karte, die auf Seite 368 des zweiten Bandes dieses Buches wiedergegeben ist. Sie ist in allem, was die Gebirge im Norden des Tsangpo anbetrifft, von Anfang bis zu Ende ein vollständiges Phantastegebilde. D'Anville hatte uns 124 Jahre früher nach chinesischen Quellen ein Kartenbild gegeben, das wenigstens tat, was es konnte, um den wirklichen Konturen zu folgen, und worin einiges auffallend richtig war, besonders das Land um den Manasarovar herum. Doch alles, sowohl das Richtige wie das Fehlerhafte, hat Hodgson gründlich verdorben.

Hier haben wir es mit einem neuen Schritt rückwärts in unserer Kenntnis jenes geheimnisvollen Gebirges zu tun. Das Wenige, was man in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts über den Transhimalaja wußte und was größtenteils die Etikette » made in Germany« trug, hat Hodgson verdreht, falsch ausgelegt und nach England importiert. Wenn er sich die Mühe genommen hätte, einen Blick auf Stülpnagels Karte von Indien und Tibet in Stielers Handatlas aus dem Jahre 1849 zu werfen, so hätte er dort ein Bild von Südtibet erblickt, das ebenso vorteilhaft von seinem eigenen absticht wie D'Anvilles Karte von der des Ptolemäus.

Der Verlauf ist demnach so: Klaproth übersetzte die Chinesen, seine Schriften werden von Ritter und Humboldt zitiert. Diese beiden deutschen Geographen werden von Hodgson als Quellen benutzt, aber er möbliert am Schreibtisch den Raum nach seinem eigenen Kopfe um. Man kann auf theoretischem Weg und ohne einen Schimmer von Beweisen eine Bergkette auf den weißen Stellen einer Karte entwerfen, falls man von ihrem Vorhandensein überzeugt ist. Aber niemand hat das Recht, sich auf ein solches Verfahren wie auf ein Evangelium und ein Dogma zu berufen, am allerwenigsten zu einem Zeitpunkt, da es endlich bewiesen worden ist, daß eine solche Bergkette nicht existiert, und da der mittelste Transhimalaja in ein Labyrinth verschiedener Ketten aufgelöst worden ist.

So verhält es sich mit der Behauptung, daß Hodgson jenes Gebirge schon über fünfzig Jahre vor meiner Reise gekannt habe!

Auf ihrer berühmten Reise im Jahre 1845-46 von der Mandschurei nach Lhasa durchquerten die beiden Lazaristen Huc und Gabet ganz Osttibet und überschritten dabei auch den östlichen Teil des Transhimalaja. In der Nähe des Koko-nor schlossen sie sich mit mehreren mongolischen Karawanen einer heimkehrenden tibetischen Gesandtschaft an. Der ganze Zug zählte zweitausend Tibeter und Tataren; alle Reiter waren bewaffnet, und bis an die tibetische Grenze wurde die Gesandtschaft durch fünfhundert chinesische Soldaten begleitet. Fünfzehntausend Yaks und zwölfhundert Kamele trugen das Gepäck, und zwölfhundert Pferde waren zum Reiten da. In seiner unübertrefflichen Schilderung der Reise ruft Huc aus: »Wie mußten jene endlosen, schweigenden Wüsten sich wundern, als sie plötzlich durch eine so große, lärmende Schar überrascht wurden!«

Man ließ den Koko-nor hinter sich zurück und begab sich nach dem Hochlande Tibets hinauf, wo sich die Schwierigkeiten bald auf dem Wege des hin und her wogenden Zuges anhäuften.

»Die Wüsten Tibets sind entschieden das schrecklichste Land, das man sich denken kann. Der Boden scheint in einem fort anzusteigen, der Pflanzenwuchs nimmt immer mehr ab, je weiter wir Vordringen, und die Kältegrade gehen entsetzenerregend herunter. Nun begann auch der Tod über unserer armen Karawane auf der Lauer zu liegen. Der Mangel an Wasser und Weide erschöpfte bald die Kräfte der Tiere. Täglich mußte man Lasttiere zurücklassen, die sich nicht weiterschleppen konnten. Später kam die Reihe auch an die Männer.«

Auf den gewaltigen Höhen im Süden des Murui-ussu oder oberen Jang-tse-kiang starben Pferde, Maulesel und Kamele massenweise, und vierzig Männer mußten zurückgelassen werden. Pater Gabet wurde dort von einer Krankheit ergriffen, die seinem Leben ein Ende machte, ehe er Frankreich wiedersah.

»Dann begannen wir die gewaltige Kette des Tang-la-Gebirges zu erklimmen. Nach sechstägigem Emporsteigen längs der Abhänge mehrerer amphitheatralisch hinter- und übereinander liegender Berge erreichten wir endlich jenes berühmte Plateau, das vielleicht die höchste Gegend der Erde ist. Vom Rande des herrlichen Plateaus aus erblickten wir zu unsern Füßen Spitzen und Gipfel, die sich auf verschiedenen gigantischen Gebirgsstöcken erhoben, deren äußerste Verzweigungen sich am Horizont erhoben.«

Naktschu am Saluen war das erste tibetische Dorf. Dort gab es sowohl schwarze tibetische Zelte wie mongolische Kibitken. Wir nähern uns dem östlichen Flügel des Transhimalaja und warten gespannt auf das, was ein gebildeter Europäer, der das System in der Quere überschreitet, davon erzählen wird; er muß doch etwas darüber zu sagen haben. Doch Huc erwähnt jener Berge kaum und nur in folgenden Worten ahnen wir ihr Dasein: »Die von Naktschu nach Lhasa führende Straße ist im allgemeinen steinig und sehr mühselig, und wenn man die Kette des Koïrangebirges erreicht, ist sie außerordentlich anstrengend.« Dieses Koïrangebirge ist die östliche Fortsetzung des Nien-tschen-tang-la, also ein Teil des Transhimalaja; es hat auf Pater Huc augenscheinlich keinen tieferen Eindruck gemacht.

Bald wird der Weg besser, Dörfer und Felder treten immer häufiger auf, und nach einem letzten anstrengenden Passe ziehen die beiden Lazaristen am 29. Januar 1846 in die Stadt des Dalai-Lama ein. Huc ist eine der glänzendsten sympathischsten Persönlichkeiten, die je ihren Namen auf Asiens Stirn geschrieben hat.


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