Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Jetzt kamen spannende Tage!
Ein schnell vorübergehender Hagelschauer prasselte gerade auf die Bergabhänge herab, als wir am 24. August die Zelte abschlugen und zum letzten Male tibetische Hirten mit ihren Schafen auf die Weide gehen und ihre Yakkühe zum Melken zusammentreiben sahen. Über eine langsam ansteigende Kiesebene hinweg schritten wir zum Passe dieses Tages hinauf. Zur Rechten der Straße rieselt der Bach Näribke, und jenseits der Gegend Kongkong-la erhebt sich die hohe Bergkette mit ihren Schneestreifen. Schließlich geht der Weg zu dem Passe Dungmar-la hinauf, dessen höchsten Punkt ein zierliches Steinmal bezeichnet, das mit seinen rotbemalten Stangen, Wimpeln und Hörnern einem den Heidengöttern geweihten blutigen Opfersteine gleicht.
Nach Süden schweift der Blick frei über die mächtige Himalajakette hin, die wir bald auf dem Passe Schipki-la überschreiten werden, und diesseits ihrer steilen Wände ahnen wir das tiefe, wilde Tal des Satledsch. Im Westen erhebt sich in geringer Entfernung ein Kamm mit Firnfeldern und grauen Zinnen. Dann und wann hört man an den zunächstliegenden schroffen Hängen Steine und Blöcke abrutschen; es sind die Stimmen der Verwitterung, die auch Bergmassen aus härtestem Granit das Gesetz der Vergänglichkeit verkünden.
Bei der Steinpyramide des Dungmarpasses befinden wir uns 4858 Meter über dem Meere. Nun aber kommt es anders! Unser Weg führt nach Südwesten, und kopfüber geht es endlose Abhänge hinunter. Welch wunderbare Aussicht! Man fühlt sich so hilflos, klein und verloren in dieser großartigen, wild ausgemeißelten Landschaft. Tagha und Sching-tschigma sind Namen, die mir der Führer ins Ohr flüstert. Tschangtang mit seinem Nomadenleben liegt weiter hinter uns. Wir nähern uns ackerbautreibenden Dörfern und Menschen, die ihren Stammverwandten droben auf den Höhen in allem gleichen, nur nicht in den aus Indien stammenden mohammedanischen Begrüßungsworten »Salam Sahib«. Und dennoch sind sie ebenso gute Lamaisten wie nur irgendein Bürger der Stadt Lhasa; davon zeugen die guterhaltenen Manimauern und die Wimpelmale, die meinen Weg einsäumen.
Schritt vor Schritt gelangen wir von den großen Höhen in tiefere Regionen. Ich stütze meine rechte Hand auf Lobsangs linke Schulter, so geht es schneller und sicherer über Kegel aus tückischen Granitblöcken, durch Schutt und Sand, der unter dem Fuße nachgibt, und auf erdigen Abhängen, die spärlich mit Gras und Stauden bestanden sind. Ich fühle, wie die Luft sich verdichtet und wärmer wird. In der Taltiefe unter uns erblicke ich den Tomlang-tsangpo wie einen regungslosen, lautlosen Faden, blaugrün und mit schäumenden Stromschnellen weiß durchwebt.
Doch weiter geht die Reise! Wir ziehen die letzten Böschungen hinab und sind nun drunten an einem Bewässerungskanale, der Flußwasser nach den hoch über dem Talgrund auf einem plattformartigen Abhang liegenden Gerstenfeldern des Dorfes Tangmet leitet. Zwischen rundgeschliffenen Blöcken aus hellem Granit tosend zwängt der Tomlang-tsangpo weißschäumend seine 10 Kubikmeter Wasser in einem einzigen dichten Strahle zwischen die am Lande befestigten Steinmauern, die eine kleine, ungemütliche Brücke tragen (Abb. 135). Sie besteht aus zwei schlanken Baumstämmen, zwischen denen ein Fußbreit Abstand ist und die einfach mit einer Reihe flacher Steinplatten bedeckt sind. Fest mag dieses kleine, boshaft aussehende Gestell schon sein; aber es ist doch am Klügsten, immer hübsch die Mitte des Steinpflasters einzuhalten, denn sonst senkt sich der eine Baumstamm mehr als der andere, und man kann kopfüber in das hochaufspritzende grünweiße Sprühwasser hinunterpurzeln. Meine Leute trugen, einander stützend, das Gepäck hinüber, und die Tiere wurden weiter abwärts, wo das Wasser ruhiger war, durch den Fluß getrieben.
135. Brücke über den Tomlang-tsangpo. (S. 325.)
Hier herrscht munteres Leben, hier arbeiten die Erdgeister und schlafen nicht wie auf den Höhen von Tschang-tang. Hier stürzt das Wasser durch steile Täler und sehnt sich nach dem Meere hin. Seht jenen Bach, der sich schon von dem hohen Berge im westlichen Hintergrund an eine Schlucht ausgewaschen hat und sich nun durch ein enges Felsentor munter in den Tomlang-tsangpo stürzt. Wie auf einer Wandleiste liegt das Dorf Pera über dem Tal, inmitten seiner Felder, Manimauern und Tschorten. Die Landstraße führt am Dorfe entlang. Sie ist unwegsam und halsbrecherisch und führt uns aufwärts, zu der kleinen Schwelle Puge-la, von deren Scheitel es in scharfen Zickzackkrümmungen sehr steil bis in die Nähe des Talbodens hinabgeht, auf welchem das Dorf Puge auf einer Terrasse gleicher Art wie die, auf denen Tangmet und Pera liegen, Platz gefunden hat. Die Gerstenfelder erstrecken sich bis an den äußersten Rand der Terrasse, und schwellende, schwere, zur Ernte heranreifende Ähren nicken über dem Tal.
Wir halten uns nicht auf; wir ziehen an Puges Steinhäusern vorüber, deren Erker und angebaute, auf Pfählen ruhende Altane einen Vorgeschmack der im Himalaja vorherrschenden Architektur geben. Zwei dichtbelaubte Weidenbäume erhöhten den Reiz des kleinen Dorfes. Die Männer aus Ladak wurden hier an ihre Heimat erinnert und stimmten ein helles Lied an, als wir vorbeizogen. Schüchterne Dorfbewohner waren herausgekommen, um uns anzugaffen; die Hunde bellten sich beinahe heiser und gerieten mit Takkar und Kleinpuppy in die Haare, der Fluß toste drunten im Tale: es war wirklich ein fröhliches Leben, ein Vorgeschmack der Tage, die auf dem Wege nach Simla unser warteten.
Jenseits des Dorfes wird der Pfad ungemütlich, denn nun zieht er sich wie eine schmale Leiste längs eines steilen, mit Blöcken aus scharfkantigem phyllitischem Schiefer und hellem Gneise übersäeten Abhanges hin, aber bald geht es wieder bergab nach dem Dorfe Jer, einem dichten Knäuel steinerner Hütten auf der linken Userhalde eines von rechts her einmündenden Nebentales. Die Religion Buddhas steht bei den Leuten von Jer hoch in Ehren, das konnte man allen den stummen Denkmalen und redenden Steinen ansehen. Drei Tschorten erhoben ihre Pyramiden mitten auf einem Acker, und aus der Asche in ihrem Innern strömte Segen über das üppige, in saftigem Grün prangende Getreide.
Eine erbärmliche Brücke führte über den Bach des Nebentales. Takkar, der die Brücke bei Pera mit größter Vorsicht überschritten hatte, fand die Brücke von Jer unter aller Kritik und zog ihr die 8 Kubikmeter wirbelnden Wassers, die ihn vom andern Ufer trennten, vor. Als die ganze Karawane glücklich drüben angelangt war, stürzte er sich heldenmütig, aber jämmerlich heulend in die wütenden Wellen und wurde in einem Augenblick nach einem Blocke hingeschwemmt, auf den er, schon ganz schwindlig geworden, mühsam hinaufkroch. Dort saß er nun sehr melancholisch und einem bösen Geschicke preisgegeben; bald hustete und räusperte er sich nach allen den kalten Trunken, die er hatte schlucken müssen, bald heulte er bei dem Anblicke des Wassers, das auf beiden Seiten des Blockes schäumte und kochte. Wir schlugen das Lager am rechten Ufer auf und amüsierten uns, eigentlich recht herzlos, unbeschreiblich über die bedauernswerte Situation, in die der große Hund geraten war. Nachdem sich Takkar lange genug lächerlich gemacht und für seine Brückenangst genug hatte büßen müssen, rutschte er kläffend ins Wasser hinab, kämpfte tapfer mit den Wellen und wurde von neuem pudelnaß, ehe er mit heiler Haut aufs Trockene kam.
Es war lange her, daß eine so entzückende Landschaft meine Zelte umgeben hatte. Sie standen auf einem schmalen Landstreifen zwischen einer senkrechten Felsenwand und dem rauschenden Bach. Laue Lüfte flüsterten in den Kronen der Weiden und ließen die schreiend grün gegen die grauen Gesteinplatten abstechenden Gerstenfelder wogen; die Gebetwimpel flatterten träge an ihren Stangen, halbnackte niedliche, artige kleine Kinder spielten auf den platten Dächern der Hütten, und ihr helles Lachen hallte zwischen den Bergen wider. Dann und wann ertönte das Bellen der Dorfköter, und unveränderlich singt der Fluß sein sehnsuchtsvolles Lied von dem unendlich langen Wege nach dem Meere.
Vom Dungmar-la nach Jer waren wir im Laufe zweier Stunden um 1080 Meter herabgestiegen. Wie schön war es, diese dichte, warme Luft zu atmen! Das Thermometer zeigte um ein Uhr mittags 21,5 Grad gegen 6,7 Grad am vorigen Tag. Und das nächtliche Minimum bleibt auf 8,9 Grad stehen. Wohl sehnen die Weißen sich aus Indiens stickiger Sommerhitze nach der kühlen Luft in Simla oder irgendeiner andern » hill station« am Südabhange des Himalaja. Aber noch herrlicher ist es, aus Tibets kalter, dünner Luft in die Wärme tiefer Täler hinabzugelangen. Es ist ein Gefühl wie das der Genesung nach einer Krankheit, wie das des Ausruhens nach anstrengender Arbeit und wie ein schönes Hinträumen auf blumigen Wiesen an linden Sommertagen an einer Meeresküste. Sogar die Nacht ist herrlich; man braucht seinen Leib nicht mit warmen Pelzen und Filzdecken zu beschweren, und man liegt lange wach, nur um sich des Atmens so recht zu erfreuen, denn das Atemholen ist jetzt ein Genuß, nicht mehr eine körperliche Anstrengung. Der Schlaf ist himmlisch, das Aufwachen etwas Angenehmes. Und wenn man auch nicht so viele Stunden schläft wie dort droben, so hat man doch größeren Nutzen von der Nachtruhe.
Meine Spannung nimmt in dem Maße zu, wie die Höhen abnehmen. Mit Tibets grenzenlosen Flächen und weiten Aussichten ist es nun vorbei; ich befinde mich in einem Lande, wo der Horizont gleich einem zackigen Ringe über unsern Scheiteln schwebt. Wenn ich des Morgens in den Sattel meines Schimmels steige, so weiß ich schon, daß eine Reihe Überraschungen meiner wartet. Dies war auch der Fall, als wir aus Jer fortritten. Schon bei der ersten Talbiegung ziehen wir während langer Zeit längs der Äcker des Dorfes Tsar und zwischen den Weidenbäumen auf einem kleinen Hügel hin. Noch eine Biegung, und Schinggun-gumpa, das Dorf Pude und seine dichtbelaubten Haine bleiben hinter uns zurück. Ein Nebenfluß kreuzt unsere Straße und wird ohne Brücke überschritten; in der Gegend des Dorfes Niru verlassen wir wieder den Talgrund, um die Höhen zu ersteigen.
Es gilt, den Zipfel des mächtigen Kammes, der sich wie eine Mauer zwischen unserm Tal und dem des Satledsch erhebt, abzuschneiden. Es soll auch drunten in der Tiefe einen Weg geben, aber nur Fußgänger können ihn benutzen. Also bergauf, über neue Ausläufer hinweg und an steilen Abhängen empor, über Platten aus anstehendem Gestein mit natürlichen Treppenstufen, zwischen Blöcken hindurch und im Geröll aufwärts! Oft ist der Pfad außerordentlich steil, und greulich ist er immer. Wir erheben uns immer höher über dem Talgrund, und das Rauschen des Flusses verhallt unter uns. Endlich sind wir droben auf dem Passe Rongtotke-la, dessen Steinmal 4173 Meter über dem Meere liegt.
Starr vor Staunen über den erhabenen Anblick, der hier mein Auge trifft, bleibe ich eine Weile bewundernd neben dem Steinmal stehen. Unter mir in der Tiefe liegt wie ein Graben das Satledschtal, und von Südosten her kommt der berühmte Fluß. Eingeklemmt zwischen schroffen Felsen, die Kulissen und gewaltige steinerne Säulen bilden, liegt er in Windungen da wie ein grünweißes Band, aber scheinbar ganz unbeweglich und grabesstill. Die horizontalen Entfernungen erscheinen unbedeutend, die vertikalen sind schwindelerregend. Nach dem Dorfe Schipki im Südwesten glaubt man hinrufen zu können, so deutlich zeichnen sich seine Hütten, Terrassenfelder und Obstgärten ab. Oberhalb des Dorfes erhebt sich der mächtige Kamm, der so lange auf unsere Schritte hat warten müssen; nun aber kommen wir bald! In seinen Grat ist der Schipki-la eingesenkt, und gleich rechts davon erblickt man das ungeheuer tief eingeschnittene Durchbruchstal des Satledsch. Leider ist die großartige Aussicht ein wenig getrübt durch leichte Regendünste und weiße Wolkenfetzen, die wie Kriegsschiffe um die Kämme herum und unter ihnen segeln. Aber der Schipki-la ist nicht so nahe, wie ich glaube. Erst müssen wir noch so tief hinunterklettern, wie man im Tale hinabgelangen kann, bis zum Satledschspiegel, um dann an der andern Seite zu schwindelerregender Höhe emporzusteigen. Der Gedanke, daß der Schipka-la der letzte Paß auf dem ganzen Wege nach Simla ist, tröstet mich jedoch, und nach außergewöhnlich langer Rast überlassen wir den Rongtotke-la der Willkür der Winde und beginnen den endlosen Abstieg.
Nun folgen zahllose Zickzackbiegungen, die an steilen Wänden und Böschungen abwärts führen, tiefeingeschnittene, keilförmige Schluchten und runde Bogen um Bergschultern aus Glimmerschiefer, und es geht sehr steil an Abhängen hinunter, die mit scharfkantigem Schutt bestreut und für meine tibetischen Stiefel das reine Verderben sind. Ein kleiner Bach hat sich eine Kluft im Gestein ausgemeißelt, und an ihrer rechten Seite hängt die Straße wieder wie eine Wandleiste über der Tiefe. Sind die Lasten ihnen zu breit aufgepackt, so können die Tiere sich selbst über den Rand hinausstoßen. Dann kommen neue jähe Hänge voller Blöcke und Geröll. Noch ist es weit, aber das Rauschen des Flusses dringt doch schon wie ein schwaches Säuseln an unser Ohr. Drunten in der Tiefe erblickt man die Brücke von Loptschak. In der Vogelperspektive sieht sie greulich aus, schwach und zerbrechlich wie ein Streichholz.
Ein schroffer Hang nach dem andern bleibt hinter und über uns zurück. Wir gelangen immer tiefer hinunter. Der Fluß erscheint größer, das Rauschen ertönt in der sich verdichtenden Luft und dem sich verschmälernden Tale immer lauter. Und dann rutschen wir wieder eine Strecke abwärts, um ein neues Hundert zurückgelegter Meter verringern wir die Höhe über dem Flusse, und dann um noch eines, und so geht es Schritt vor Schritt dem großen Flusse entgegen. Die Aussicht schrumpft zusammen, immer höher ragen ringsumher die Bergmassen empor. Jetzt erfüllt das Echo des Flußrauschens das ganze Tal. Die Brücke ist noch immer der Mittelpunkt dieser Landschaft; über ihre schwankende Hängematte geht der Weg nach Schipki.
So legen wir wieder einige hundert Meter zurück und eilen die letzten Schuttabhänge hinunter. Die Steilheit nimmt ab, und schließlich sind wir drunten auf einer ebenen Wiese am rechten Satledschufer in einer Gegend, die gleich der Brücke Loptschak heißt. In der Nähe des beneidenswerten Dorfes Korang werden die Zelte aufgeschlagen. Man denke nur, beständig den Genuß einer solchen Aussicht zu haben! Zu sehen, wie der Fluß während der Regenzeit steigt und im Herbst und Winter langsam fällt, bis er seinen tiefsten Stand erreicht hat; den Kampf des Wassers gegen die Kälte verfolgen zu können und zu beobachten, wie der Eissaum an den Ufern immer breiter wird, während der Schnee sich auf all den Talabhängen anhäuft, die nicht zu abschüssig sind, um ihm Halt zu gewähren. Schließlich spannt sich eine Eisbrücke über den Fluß, und die weiße Decke nimmt überhand. Dann kommt der Frühling; Schnee und Eis schmelzen, und der Fluß schwillt an; die Pässe, die der Schnee lange versperrt hat, öffnen ihre Sättel wieder dem Verkehr. Der Satledsch lebt, Korangs Bewohner können seinen pulsierenden Lauf einen Monat nach dem andern verfolgen.
Vom Rongtotke-la bis an die Brücke von Loptschak waren wir in zwei Stunden um 1191 Meter tiefer gelangt, denn der Satledsch liegt hier 2982 Meter hoch.
Während die Leute das Lager in Ordnung brachten, betrachtete ich mir die Brücke genauer. Wie bei Kjung-lung und Totling hat auch hier die Natur das Meiste getan. Ein mächtiger Felsblock liegt am rechten Uferrand, und am linken steht Gestein an. Zwischen beiden ist das Flußbett auf 22,5 Meter Breite zusammengeklemmt. Eine breite Steintreppe führt zur oberen Platte des rechten Brückenkopfes hinauf, wo ein Durchgang oder Portal aus Steinen ein kleines weißes Tschorten trägt. Die gewölbte innere Decke des Portals ist reich verziert mit frischen Gemälden und Gebetformeln zur Erbauung derjenigen, die ihr Leben den über dem Flusse schwebenden erbärmlichen Planken anvertrauen. Die gewöhnlichen Baumstämme, die der eigentlichen Brücke als Stütze dienen, sitzen fest in der Cyklopenmauer des Brückenkopfes. Die senkrechte Steinmauer des linken Brückenkopfes ist auf einer schrägen Gesteinplatte errichtet und sieht aus, als ob sie jeden Augenblick in den Fluß hinuntergleiten könne. Auch in diese Mauer sind Baumstämme fest eingefügt; dadurch wird die Spannweite der Brücke um verschiedene Meter verkürzt. Im übrigen haben wir auch hier die gewöhnliche Konstruktion, zwei Balken mit Holzlatten, Planken und Ästen in unregelmäßiger Form. Diese werden in ihrer Lage durch Stangen gehalten, die an den unter den Holzlatten befindlichen Balken festgemacht sind. An den Brückenköpfen sind die Balkenenden mit Steinblöcken befestigt, welche die Belastung erheblich und unnötigerweise erhöhen (Abb. 136).
136. Loptschak-Brücke. (S. 330.)
Ich fasse da Posto, wo der schwebende Teil der Brücke beginnt, und sehe, daß das ganze Gerüst infolge seiner eigenen Schwere einen ungemütlichen Bogen bildet. Unter mir tost der gewaltige Fluß in seinem wilden Saugen zwischen den Brückenköpfen. Ist man nicht vollkommen sicher auf seinen eigenen Füßen, so läßt man das Betreten dieser Brücke besser bleiben. Denn sie ist schmal und hat kein Geländer, und durch die Ritzen zwischen den Holzplanken sieht man das Wasser sieden und hat das Gefühl, daß die Brücke flußaufwärts stürme. Zuckt man dann unwillkürlich zusammen, so kann man hinunterpurzeln. Ein gewandter Schwimmer würde sich aber wahrscheinlich wieder herausarbeiten können. In der Mitte der Brücke schwebt das Holzwerk 7,9 Meter über der Wasserfläche.
Die Brücke war gewiß nicht so übel damals, als sie noch jung und als die beiden Balken noch ziemlich gerade waren. Nun aber ist sie alt und schon arg mitgenommen und hängt in beunruhigendem Grad schief. Ihr Holzwerk ist von vielen heftigen Regengüssen überflutet, durch die Sonne erhitzt und ausgetrocknet und zur Winterszeit überschneit und vom Froste zernagt und bei einer nur ein bischen zu schweren Belastung müssen die beiden Balken wie Glas zerspringen. Das Schlimmste ist, das der flußabwärts schauende Balken einen stärkeren Bogen bildet als sein Nachbar, weshalb die ganze Brücke, vom rechten Ufer aus gesehen, sich nach rechts neigt. Man läuft daher Gefahr, auszugleiten und zu fallen, umsomehr, als mehrere Querplanken durch Abnutzung ganz glatt geworden sind.
Die Bewohner des Dorfes Korang, die wohl für das Instandhalten der Brücke verantwortlich sind, erzählten, daß sie während des letzten Tiefstandes des Flusses die Absicht gehabt hätten, das Holzwerk zu erneuern; sie seien aber nach reiflicher Überlegung doch zu dem Entschluß gelangt, sich noch ein Jahr auf den schutzspendenden Tschortenturm zu verlassen. Ich argwöhne, daß die Brücke eines Tages selber wird streiken müssen, wenn sie den Verkehr nicht mehr auszuhalten vermag. »Komme nur ich glücklich hinüber, so mag es nachher werden, wie es will«, denkt gewiß jeder Wanderer. So dachte auch ich, als ich dort droben saß und mir die morschen Planken besah, die über dem unwiderstehlichen Satledsch hingen und sogar in der schwachen im Tale wehenden Brise schaukelten und sich hinundher wiegten.
Ich zeichnete wohl eine Stunde lang (Abb. 138). Doch niemand kam. War der kritische Augenblick so nahe, daß man sich nicht mehr hinüberwagte? Ja doch! Jetzt ertönen trippelnde Schritte auf der Steintreppe. Zwei Tibeter treiben fünfzig mit Salz beladene Ziegen zur kleinen offenen Plattform des Brückenkopfes hinauf. Die Männer schreien und stoßen gelle Pfiffe aus, aber die Ziegen wollen nicht vom Flecke. Und wenn Ziegen sich etwas in den Kopf gesetzt haben, dann ist mit ihnen nichts anzufangen. Nun packt der eine Mann zwei Ziegen bei den Hörnern und schleppt die widerspenstigen, springenden und sich bäumenden Tiere auf die Brücke hinaus, während sein Kamerad einige andere hinterdrein scheucht. Durch diesen Anblick ermutigt, drängt sich die ganze Schar auf einmal über die Tiefe hinweg (Abb. 137). Es war ein Wunder, daß keiner der vierbeinigen Wagehälse über den Rand hinausgestoßen wurde. Die Brücke aber schwankte auf und nieder; es hätte gewiß nur noch einer einzigen Ziege bedurft, um die Balken zum Brechen zu bringen. Ich seufzte erleichtert auf, als die ganze Gesellschaft drüben angelangt war und in einer Staubwolke zwischen den Hügeln des andern Ufers verschwand. Abbildung 139 ist vom linken Ufer gleich unterhalb der Brücke aufgenommen. Meine Karawane ist soeben glücklich über das gefährliche Bauwerk hinübergekommen. Besonders zu beachten ist der mittlere Teil der Brücke, der auf den äußersten Enden der Balkenlage ruht.
138. Brücke über den Satledsch. (S. 331.)
Skizze des Verfassers.
137. Ziegen auf dem Weg über die Loptschak-Brücke. (S. 331.)