Otto von Greyerz
Sprachpillen
Otto von Greyerz

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naadisch

«Es isch naadisch nid zum Derbysy!» «Das het doch naadisch ekei Gattig!» «Du bisch naadisch doch de-n-e Guete, daß de däm das nid nahtreisch.» «Nei, naadisch, sövli schlächt sy mer doch de nid.»

Wie man steht, spielt die Bedeutung des Wortes zwischen «nachgerade» und «wahrlich», so wie auch «schier» und «fast» sich zwischen den Bedeutungen von «beinahe» und «sehr» bewegen. Nur daß der Bedeutungswandel hier den umgekehrten Weg geht: «schier», als Adverb, heißt ursprünglich bald, schnell und erst nachträglich beinahe; «fast» (alte Adverbialform zu fest) geht ebenfalls von der bejahenden, bekräftigenden Bedeutung zu der abschwächenden über. «Naadisch» hingegen, aus «nach des», «nah-dis» abzuleiten, scheint vom Sinn der Annäherung erst später zu dem der Versicherung übergegangen zu sein. «Es scheint», müssen wir sagen; denn die Geschichte des Wortes, das erst vom 18. Jahrhundert an bezeugt ist, steht nicht außer Zweifel. Für die Ableitung von «nach des» spricht erstens die Beteuerungsformel naadisbott (eigentlich naadis-Gott! also = bei Gott!), ferner die Tatsache, daß in der ältern Sprache auch andere Vorwörter (Präpositionen), die sonst den Dativ nach sich haben, in adverbieller Verbindung mit dem Genetiv vorkommen: so «vor-des», «sît-des», «after-des», «eh-des»; zwei Verbindungen dieser Art sind noch heute gebräuchlich: in-des (neben indessen) und unterdes (wie z.B. noch Schiller schreibt) neben dem vorherrschenden unterdessen. «Naadisch», richtiger «nahdisch» geschrieben, wäre also = nahedem, nahezu; denn «nach» und «nahe» sind im Grunde eins.

Um den Übergang von «nah-des» zu «nahdis», «nahdisch» zu erklären, braucht man nur an «einisch», «mängisch», «ds sälbisch» 140 zu erinnern. Unser «einisch» ist nachweislich der Genetiv des sachlichen «ein», welcher «eines» lautete und als Adverb «einmal» bedeutete. So heißt es im «Tristan» (mittelhochdeutsch): sie sungen eines unde zwir, das heißt einmal und zweimal. Nicht nur das e, sondern auch andere Vokale können in unbetonter Silbe zu i werden: aus «barfueß» kann «barfis», aus «Bifang» kann «Bifig», aus «Hochstraß» «Hochstris» werden. Ganz wie «einisch» hat sich «mängisch» (manches, nämlich Mal) gebildet, und so wohl auch «sälbisch» (selbes Mal).

Ob bei diesen Wörtern, die alle auch mit einem Endungs-t vorkommen, das sch sich schon vor oder erst nach der Verbindung mit -t gebildet hat, bleibt fraglich. Wir haben in unserer Mundart Beispiele genug für nachträglich angehängtes, «unorganisches» -t: geschtert (neben geschter), suscht, süscht und süschtert (aus mittelhochdeutschem «sus»), angfärt (aus âne gefâr), näbet (neben), ussefert (aus ussen-vür), anderscht (anders), eifacht (eifach), eiget (eigen), pärforscht (par force), Burscht (Bursch); sogar Zollt (für Zoll) und Göllert (für Göller, collier) kommen vor.

Das -t in einischt ist jedenfalls alt. Schon im mittelalterlichen Minnesang findet man «des jâres einest»: einmal im Jahr.


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