Otto von Greyerz
Sprachpillen
Otto von Greyerz

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«D’Rettig ligt i der Erhäbig»

«Die einzigi rettig für ds schwizerdütsch ligt im schriftliche gebruuch, i si’r erhäbig zur schriftsprach vo’r alemanische Schwiz.»

So zu lesen in dem Werbeblatt Nr. 2 eines Vereins, der sich «Bund für ne nöui schwizerortografi» nennt und das Bär’sche Einheitsalemannisch befürwortet.

Also denn: die Rettung liegt im Gebrauch und in der Erhebung. Ein Abstraktum liegt in zwei andern. So recht nach dem Geiste der Mundart! Und diese neuen Schweizerwörter: Gebruuch und Erhäbig! In der Schweiz haben wir Bräuche, «Brüüch», gewiß, aber ein «Gebruuch» isch nit der Bruuch, noch weniger eine «Erhäbig». Und dann dieses «ligt» (man sagt übrigens sonst «lyt»), so anschauungslos wie möglich. Man mache bloß Ernst mit dem Wort und stelle sich eine Rettung vor, die liegt!

Der Satz, es tut mir leid, es zu sagen, ist ein wahres Schulbeispiel für schlechtes Schweizerdeutsch. Statt einfach und klar zu 97 sagen, was man meint — und das kann eben unsre Mundart, oft besser als die Schriftsprache — zwängt man den Gedanken in eine abstrakte Redensart (die Rettung liegt in...) und stopft die der Mundart gemässe zeitwörtliche Fassung des Gedankens in drei dingwörtliche Begriffsnamen (Rettig, Gebruuch, Erhäbig).

Wenn ich den Satz in schlichtes Berndeutsch übertrage, so lautet er etwa so:

We me ds Schwyzerdütsch rette wott, so git’s numen eis: me mueß es schrybe, nid nume rede; es mueß di gschribni Sprach vo der ganze Schwyz wärde.

An den Inhalt dieses Spruches glaube ich zwar nicht, aber die Form wäre wenigstens berndeutsch. Und mich dünkt, die eifrigen Befürworter der Mundart sollten mit dem guten, nicht mit schlechtem Beispiel vorangehen. Sonst schaden sie der guten Sache, für die sie sich einsetzen. Sie müßten aber zuerst mundartlich denken lernen, ehe sie mundartlich schreiben wollen.


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