Otto von Greyerz
Sprachpillen
Otto von Greyerz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Anthoupt

Im Vergleich mit «Kopf», das aus den romanischen Sprachen (mittellat. cuppa) eingedrungen ist, empfinden wir das germanische «Haupt» (urverwandt mit lat. caput) als den edleren Ausdruck. Nur Haupt, nicht Kopf, dient zur Bezeichnung eines Menschen, der als Leiter einer Gemeinschaft obenansteht: Haupt einer Familie, einer Gemeinde, eines Staates; daher auch Hauptmann, Häuptling. Man fühlt den Wertunterschied auch, wenn man «Berghäupter» gegen «Bergkopf» stellt oder Redensarten wie «das Haupt erheben» und «den Kopf verlieren» miteinander vergleicht. Aus dem patriarchalischen Verhältnis des Landmanns älterer Zeiten zu seinen Haustieren erklärt es sich wohl auch, daß er nicht nur «seine Lieben» (wie in Schillers Glocke), sondern auch sein Vieh nach Häuptern zählt und von so und soviel «Haupt», die er im Stalle habe, redet.

Daneben finden wir aber «Haupt» auch in der bildlich verallgemeinerten 46 Bedeutung von «oberster Teil, Endstück». So schon in einer Aufzeichnung von 1405: «von Sempach vor dem haupt des seewes über unz gen Rußwyle» (von Sempach nah am Ende des Sees bis hinüber nach Ruswil). So erklärt sich auch der Ortsname Seeshaupt (am Starnbergersee) und, in italienischer Sprache, Capolago (am Luganersee). Dieses «capo» gehört zu den Wörtern mit polarer, d.h. zwischen zwei entgegengesetzten Begriffen wechselnder Bedeutung, wie in unserm Beispiel Anfang und Ende: da capo heißt bekanntlich von Anfang an (noch einmal), da capo al fondo von Anfang bis zu Ende, dall’ un capo all’ altro hingegen von einem Ende zum andern.

In diesem Zusammenhang lernen wir unser bernisches «Anthoupt» besser verstehen. Es wird meist «Anthout» gesprochen oder auch, mit sinnloser Entstellung «Amthout» (wie z.B. Hutmacher in seinem «Göttibatze» S. 94 schreibt) und bedeutet das dem Pflüger gegenüberliegende Ende des Ackers, im weiteren Sinne auch den Streifen Land, auf dem der Pflug gewendet wird.

Dieser Streifen kann auf dem eignen Grunde liegen, er kann aber auch (da, wo zwei Nachbaräcker aneinanderftoßen) auf dem des Nachbars liegen. Zum alten bäuerischen Nachbarrecht nämlich gehörte auch das Pflugwenderecht, das zum Teil noch heute vorkommt und darin besteht, daß der Bauer seinen Pflug auf dem anstoßenden Acker des Nachbars wenden darf. Das Anthoupt ist in diesem Falle erst recht das Gegenhaupt, weil es vom Standpunkt des Pflügenden zum gegenüberliegenden, sozusagen zum «Gegenacker» gehört.

Der Begriff des Gegenüber steckt in der Vorsilbe ant-, die mit lat. ante und griech. anti urverwandt ist. Wir kennen sie aus dem schriftdeutschen «Antwort», das eigentlich Gegenwort, Gegenrede bedeutet, aus «Antlitz» (etwa = das Entgegenschauende) sowie aus einigen nur noch bayrischen Wörtern: «Antlaß, Antles», dem ein hochdeutsches, aber nicht vorhandenes «Entlaß» entsprechen würde und das Erlaß von Sünden, also Ablaß bedeutet; ferner «Antheiß» (Versprechen, Gelübde, zu heißen), das man auch bei unserm Berner Chronisten Justinger noch findet, und «Antwerch» (Vorrichtung, Maschine, Werkzeug), das zuweilen mit Handwerch verwechselt wird.

47 «Anthaupt» ist nur im Alemannischen (auch außer der Schweiz) und im Schwäbischen gebräuchlich.

Ob auch das aussterbende schweizerdeutsche «Anthebi» (Griff, Halter) hierher gehört, ist nicht ganz sicher; jedenfalls läuft ihm das durchsichtigere «Handhebi» den Rang ab.

Die alte Vorsilbe ant- hat sich in abgeschwächter Lautform als ent- erhalten; so in entlasten (vgl. oben Antlaß), empfangen (aus entfangen, vgl. mittelhochd. antvanc = Empfang), entsagen (mhd. antsage = Lossagung) u.a.m.


 << zurück weiter >>