Otto von Greyerz
Sprachpillen
Otto von Greyerz

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Ja auwää!

Ich war bisher der Meinung, dieser echt bernische Ausruf ungläubiger Verwunderung sei bloß eine lautliche Entstellung von Ja allwäg! Und nun muß ich aus Georg Försters «Reise um die Welt in den Jahren 1772 - 1775» (Försters sämtliche Schriften, 1.Band, S. 254) erfahren, daß er von der Südseeinsel Tahiti stammt! Förster erzählt, wie der Kapitän Cook bei Aheatua, dem Herrscher der Eingebornen, seine Aufwartung machte und ihm als Zeichen der Freundschaft verschiedene Gegenstände überreichte: ein Bettuch, eine breite Zimmeraxt, ein Messer, Nägel, Spiegel und Korallen. «Mein Vater», fährt er fort, «gab ihm ähnliche Geschenke, unter andern eine Aigrette von scharlachrot gefärbten Federn, die an einem gewundenen Draht oder Zitternadel befestigt waren. Diese schätzten S. Majestät ungemein hoch, und beim Anblick derselben brach die ganze Versammlung in ein lautes Au-wäh! aus, welcher Ausruf Erstaunen und Bewunderung andeutet.» Daher also!

Aber Spaß beiseite! Etwas Wildes, Naturvölkisches haftet auch unserm bernischen «auwää» an und wirkt auf die Ohren eines alten Stadtberners wie ein Urlaut roher Natur; denn wer gewöhnt ist, «allwäg» mit deutlichem ll zu sprechen, wie es bis vor einem Menschenalter in unsrer Stadt allein üblich war, dem geht dieses tahitische «auwää» auf die Nerven. Besonders alte Bernerinnen sind dafür empfindlich. Als ich neulich mit einer solchen an einem Fußballplatz vorbeikam, wo es lebhaft zuging ums Ziel, wandte sie sich empört zu mir: «Heit-er jitz das ghört?» Und sie gab sich alle Mühe, mit hochgestülpten Lippen zu wiederholen: «Lue doch, d’Bauwe isch ja im Goou, du Lööu!» Ich mußte lachen, besonders über ihre 66 Anstrengung, und sagte: «Was weit-er! Das isch ds Bärndütsch vo hüttigstags. Mir beide hei’s anders glehrt, aber das gilt nümm, das isch bon vieux temps

«Übrigens», versuchte ich zu trösten, «ist ja diese äuwäu-Sprache noch lange nicht allgemein geworden im Berndeutschen. Abgesehen von Bern selbst ist das ganze Oberland beim reinen l geblieben und wehrt die äuwäu mit Entrüstung ab. Und anderseits» — doch ich wollte meine Begleiterin nicht mit Grammatik und Sprachgeschichte langweilen; sonst hätte ich sie darauf aufmerksam gemacht, daß das l nicht nur in Bern um sein Daseinsrecht kämpft; daß es auch in andern Kantonen (Solothurn, Aargau, Zürich z.B.) und weit über die Schweiz hinaus, im Bregenzer Wald, in Bayern, Westthüringen und noch nördlicher die Neigung hat, in einen Vokal überzugehen, bald in u, bald in a oder auch i; letzteres z.B. im Bayrischen, wo Hals zu Hois, Feld zu Feid, Öl zu Eei wird und wo sich unsrem Tüüfu und Himu ein Taifi und Himi gegenüberstellt.

Aber auch in hochgebildeten Sprachen hat das l den Kampf gegen u geführt und längst zu dessen Gunsten aufgegeben. Nicht allgemein, sondern nur in gewissen Stellungen im Wort, besonders vor Mitlauten und im Wortende. Das Französische hat diese Wandlung schon im 12. Jahrhundert durchgemacht. Damals wurde aus lat. alta (die hohe) jenes auta (später haute), das uns von der Schule her aus dem Burgnamen Autafort in Uhlands «Bertrand de Born» bekannt ist. Und so wie dieses «auta, aute», mit a-u, wurde aube (lat. alba), paume (palma), faucon (falco), sauter (saltare) ausgesprochen. Lat. calidum wurde (über caldum) zu chaud, caballos (über chevals) zu chevaux, auscultare (über ascolter) zu écuter, molere (über moldre) zu moudre, colapum (über colp) zu coup, melius (über mielz) zu mieux, bellum (über beal) zu beau usw. Und zwar muß man sich diese an Stelle des l getretenen u in ihrem eigenen Lautwert gesprochen denken. Noch im 16. Jahrhundert schwankte die Aussprache z.B. von chevaux zwischen chevaos und chevo; erst im 17. drang die o-Aussprache durch.

67 Im Holländischen aber, wo die Velarisierung des l (d.h. seine Wandlung zu u) nur nach altem o oder einem o aus älterem a stattfand, und zwar nur vor Mitlauten, hat sich die diphthongische Aussprache von o-u (aus ol) bis heute erhalten. Man spricht also, wie man schreibt: coud (kalt), gouden (golden), oud (alt), woud (Wald), stout (kühn, vgl. stolz), hout (Holz), sout (Salz), houden (halten).

Und wie steht es mit dem l und Doppel-l im Englischen? In Wörtern wie which (welch) und such (solch) ist das l schon in früher Zeit geschwunden; in andern hat es sich nur in der Schrift noch gehalten: I would, should (wollte, sollte). Nach a vor -lk ist es in der Aussprache verschwunden, hat aber den Vokal verdumpft, so in walk, talk, chalk; dieselbe Wirkung hat ll in Wörtern ausgeübt, in denen der l-Laut noch hörbar ist: all, tall, small u.a. In andern wieder ist es in der Aussprache völlig geschwunden, der Vokal aber, ursprünglich kurz, gedehnt worden: half (spr. haaf), calf, palm (spr. paam), psalm (spr. saam), calm, auch in folk.

Wie man sieht, handelt es sich bei der Vokalisierung des l um eine weitverbreitete Erscheinung des Lautwandels, die nur da Widerstand und sogar Unwillen erregt, wo die reine Aussprache des l noch fortbesteht, wie eben z.B. in der Stadt Bern. Wo aber die Vokalisierung durchgedrungen und landesüblich geworden ist, wie im Emmental, stößt sich niemand daran; dagegen findet man die reine Aussprache des l, z.B. in allimal, Bälleli, Bändel, Tüüfel als geziert und zimperlich. Soviel macht die Gewohnheit aus.

Wenn uns alten Stadtburgern das vom Land eindringende äuwäu grob und häßlich erscheint, wollen wir nicht vergessen, daß wir dem sprachlichen Einfluß vom Lande her eine Bereicherung unsres Wortschatzes verdanken, ohne die unsre städtische Mundart verarmen und sich immer mehr mit der Schriftsprache vermischen würde.


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