Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Capitel.

Die Kunst bei den Römern. Verhältniß Hadrians zu ihr. Die Kunstthätigkeit im Reich. Griechische Künstler in Rom. Character der hadrianischen Kunstepoche.

Durch nichts anderes hat die Zeit Hadrians einen so tiefen Eindruck in der Welt zurückgelassen als durch ihre erstaunliche Kunstproduction. Die Fülle derselben bezeugen Autoren und Inschriften, Ruinen und zahlreiche schöne Werke in den Museen Europas. Die damalige, noch freudig schaffende, wenn auch nicht mehr schöpferische Kunst erscheint wie eine letzte Renaissance des Altertums, und sie bietet durchaus die Parallele zu der neu erstehenden Literatur der Hellenen dar. Sie war kosmopolitisch; denn schon seit Alexander dem Großen besaß die Kunst der Griechen kein Vaterland mehr. Ihre Werke wurden Eigentum der Welt. Ihre Schulen dauerten zwar auch unter der Herrschaft der Römer in hellenischen Städten fort, doch Rom selbst war zum Mittelpunkt der künstlerischen Thätigkeit geworden. Die Monarchie, die Erbin der antiken Kunstwelt, verwaltete deren Schätze und teilte sie allen Völkern in Nachbildungen mit.

Hellenische Kunst war im Römerreich gleich der Literatur ein Luxusbedürfniß. Die Kaiser sprachen und schrieben griechisch, und sie wollten auch Kenner des Schönen sein. Freilich war im ersten Jahrhundert der Kaiserherrschaft das Verhältniß der Römer zur Kunst noch so barbarisch, daß die schönen Werke der griechischen Plastik und Malerei massenhaft nach Rom entführt wurden. Noch Caligula und Nero haben die Plünderungen fortgesetzt, welche Marcellus in Sicilien, Fabius Maximus in Tarent begonnen, und sodann Flaminius, Fulvius Nobilior, Metellus und Cornelius Scipio, Paulus Aemilius und Mummius über die hellenischen Länder ausgedehnt hatten. Dies änderte sich mit den Flaviern; seit ihnen haben die Kaiser bis auf Constantin keine Kunstwerke mehr aus Griechenland geraubt.Die einzigen Kaiser, welche Hellas plünderten, waren Caligula und Nero; Leake, Topogr. Athens, Einl. S. XLV. Ueber diese Plünderungen Petersen, Allg. Einl. in d. Stud. der Archäol. 1829: Sickler, Gesch. der Wegnahme vorzügl. Kunstwerke 1803; Völkel, Ueber die Wegführung der Kunstwerke &c. 1798.

Die Cäsaren hatten den Glanz der Monarchie wesentlich in Rom selbst durch Prachtbauten und Kunstschätze zur Darstellung gebracht. Im Forum Trajans hatte die Stadt den Gipfel ihrer Schönheit erreicht, und gerade dieser große Kaiser rief eine neue Thätigkeit aller Künste hervor. Man darf ihn mit dem Papst Julius II. vergleichen, denn er hat zu künstlerischen Werken mächtige Impulse gegeben, aber zur Kunst schwerlich ein inneres Verhältniß gehabt. Sie war vielmehr für ihn die Dienerin der Monarchie, und ihre Größe und seine Triumfe hat sie verherrlicht; selbst sein größester Prachtbau diente dazu, sein eigenes Grabmal zu umschließen. Dagegen verhielt sich Hadrian zur Kunst wie der Mediceer Leo X. in der Zeit der Renaissance. Er hat sie leidenschaftlich geliebt, von einer geistigen Höhe angesehen und als die monumentale Vollendung der hellenisch-römischen Cultur begriffen. Dies Verhältniß ist in seinem Wesen noch ausgesprochener als das andere zur Literatur; es ließ sich mit den Mitteln des Reichs auch leichter verwirklichen. Ein Schwelger auf allen Gebieten des Geistes, selbst künstlerisch begabt, suchte er den höchsten Genuß des Herrschers in Bauten und Kunstschöpfungen. Die Schönheit selbst hat Hadrian in der Gestalt des Antinous apotheosirt und diese den Künstlern zu einem Idealtypus dargeboten. Nur weil Antinous schön war, durfte er es wagen, ihn zu vergöttern, und unter seinen Zeitgenossen, welche für den neuen Gott Propaganda gemacht haben, sind die Künstler nicht die letzten gewesen.

Die Renaissance der Antike erscheint als einer der stärksten Züge in der Geistesrichtung Hadrians; der Pol seiner Neigungen lag daher in Athen. Wenn er dort den olympischen Tempel vollendet und die Stadt des Perikles wieder zum Vorort Griechenlands macht, so sieht es so aus, als habe er den hellenischen Genius am Ilissos aufzuerwecken gehofft. Er täuschte sich darin. Der Unterschied zwischen seiner Zeit und jener spätern Renaissance der Italiener ist der zwischen jugendlichem Wachstum und Verfall. Bei diesen war eine lange Barbarei vorausgegangen und endlich überwunden worden. Ihre Kunst bewegte sich in aufsteigender Linie; von Nicola Pisano bis zu Michelangelo, von Cimabue bis zu Rafael und weiter entfaltete sie sich in einer Fülle von glänzenden Geistern, deren Schöpferkraft eins der erstaunlichsten Phänomene des Culturlebens ist. Nicht in der Plastik wie das Altertum, sondern in der Malerei fand die moderne Renaissance ihr fruchtbarstes Gebiet; sie nahm den Ausgang von der überirdisch verklärten Schönheit des Weibes im Madonnenideal, während die letzte heidnische Renaissance mit der Wiederholung des antiken Ideals der Mannesschönheit abschloß, im Dionysos-Antinous.

Hadrian hat alle Städte besucht und geehrt, in denen einst der Genius der Hellenen seine Werkstätte gehabt hatte, aber er vermochte keinen Phidias und Polignot mehr ins Leben zu rufen, noch die Formen des Altertums durch neue Ideale zu beseelen. Wenn es auch irrig ist, seine Epoche den besten Zeiten Griechenlands anzureihen, so ist es doch wahr, daß die Kunst in ihr noch eine letzte Nachblüte gehabt hat. Sie war kurz genug, denn unter den Nachfolgern Hadrians ist die stoische Philosophie zur Herrschaft gekommen, und diese hat sich gegen die Schönheit gleichgültig verhalten. Winkelmann urteilte, daß Hadrian der Kunst nicht mehr aufhelfen konnte, da der Geist der Freiheit aus der Welt geschwunden und die Quellen zum erhabenen Denken und zum Ruhm versiegt waren.Gesch. der Kunst XII, 309, c. 1, § 22. Nur in der geistreichen Benutzung classischer Motive konnte jene Zeit der Universalität glänzen. Sie träumte vielleicht noch von der Sonne Griechenlands bestralt zu sein, aber dieses erborgte Licht war nur das Abendrot des Unterganges. Sie deshalb gering zu schätzen, wäre ungerecht, da auch unsere heutige plastische Kunst der hadrianischen ähnlich ist, weil auch sie in den höchsten idealen Gattungen kaum mehr naiv sein kann. Wenn Hadrian in seinem Bemühen, die Künste wieder zu beleben, gescheitert ist, so lag die Schuld am Unvermögen der Zeit. Er selbst glich darin dem Kaiser Julian, der eine Restauration der antiken Religion versuchte; doch war er glücklicher als dieser. Man darf sagen, daß er den Verfall der Kunst für ein halbes Jahrhundert aufgehalten, ja noch mehr, daß er als Kunstenthusiast auch der antiken Götterwelt diesen Dienst geleistet hat. Seine Verdienste um die Antike hat der Kaiser Julian nicht erkannt, als er in den »Cäsaren« sein Porträt zeichnete.

Zur Zeit Hadrians hatte die bildende Phantasie den Vorrat der schönen Formen längst erschöpft, aber sie war noch immer antik, und den gesammten antiken Bilderkreis verband noch die Religion mit dem Menschengemüt und seinen idealen Bedürfnissen. Künstler, die im zweiten Jahrhundert einen Apollo und Zeus, eine Diana und Venus bildeten, konnten noch an die Macht dieser Götter glauben, und daher der mythologischen Naturwahrheit näher kommen, als jeder Künstler christlicher Zeiten, der seine akademischen Machwerke mit irgendwelchem antiken Götternamen benennt. Ihr größtes Unglück war, daß sie zur Nachahmung verdammt waren, während der Wert ihrer Schöpfungen an den noch zahlreichen Meisterwerken der Blütezeit Griechenlands gemessen wurde. Ihre Mitwelt scheint sie wenig beachtet zu haben. Wir kennen die Namen vieler selbst mittelmäßiger Gelehrter, Dichter und Sophisten der Epoche Hadrians, aber nur ein paar Namen von Künstlern. Plinius hat den Verfall der Künste zu seiner Zeit beklagt,Plin., H. N. XXXV, 2, 2. Die Malerei, eine ersterbende Kunst, XXXV, 11. und Pausanias nirgend von Meistern seiner Gegenwart geredet. In seiner Schrift »der Traum«, wo sich die Bildhauerkunst und die Sophistik um ihn streiten, hat auch Lucian davon Zeugniß abgelegt, daß die Künstler keine Achtung genoßen.Enhypnion c. 9. Sie waren nicht mehr original; ihre Kunst war Reproduction.

Von dieser massenhaften Nachbildung der Antike geben die Museen Roms einen deutlichen Begriff, und vielleicht keines mehr als das Torlonias, dessen reicher Inhalt ein Auszug des römischen Vorstellungskreises zum Zweck plastischer Decoration von Villen ist. Im Ganzen aber trägt die Kunst im Zeitalter Hadrians doch den Stempel des Weltbewußtseins des Römerreichs, und schon ihre alles umfassende Thätigkeit blendet als bloßer Ausdruck nur gewöhnlicher Schönheitsbedürfnisse unsere Vorstellung. Unsere Weltstädte, welche die Volkszahl des kaiserlichen Rom erreichen oder überbieten, besitzen nicht so viel Schmuck öffentlicher Kunstwerke, als irgend ein wolhabendes Municipium unter Hadrian besessen hat. Der Stolz unserer Glyptotheken sind die Brocken von der Ueberfülle des Altertums, namentlich der Kaiserzeit, während Kunstsinn und Kunstbedürfniß aus dem Bewußtsein der Volksmassen so völlig entschwunden sind, daß sie nur von den Höchstgebildeten empfunden und von wenigen Reichen befriedigt werden; und auch der Kunstluxus der am meisten Verschwenderischen unter solchen würde das Lächeln eines Hadrian oder Herodes Atticus erregt haben.

Die Triebe genialer Erfindung fehlten freilich in jener alternden Welt; sie war überreif, aber noch genußsüchtig genug, und sie ersetzte die Schöpferkraft immer noch durch ein wirkliches, nicht gemachtes Bedürfniß des Luxus und der Schönheit. Niemals ist dieses allgemeiner gewesen. Wir staunen die künstlerische Ausstattung Pompeji's an, welches nur eine kleine Landstadt gewesen war; wir müssen die Fülle des plastischen und malerischen Schmuckes dort unendlich gesteigert auf das ganze Reich übertragen, um zu begreifen, wie seine Städte in der Zeit Hadrians und der Antonine ausgesehen haben. Dieser Reichtum an schönen Werken setzt aber auch einen für uns kaum begreiflichen Wolstand voraus und Legionen von Künstlern in großen und kleinen Genossenschaften.

Im Ganzen sind die besten Künstler der Kaiserzeit Hellenen gewesen. Seit dem Falle Griechenlands wanderten Bildhauer und Maler, oftmals Sclaven und Freigelassene, nach Rom und dem Abendlande. Sie lehrten den barbarischen Sieger den Geschmack am Schönen und arbeiteten für ihn. Quintus Metellus errichtete aus der macedonischen Beute dem Jupiter und der Juno Tempel, worin er die geraubten Werke des Praxiteles, Polyklet, Dionysos und Philiskos aufstellte, und zugleich verzierten die Griechen Sauras und Batrachos diese Tempel mit Schmuck, während Pasiteles die Bildsäule des Jupiter in Elfenbein arbeitete. Durch diesen Meister entstand zur Zeit des Pompejus eine griechische Kunstschule in Rom, er war Lehrer des Stephanos, des Verfertigers der Epheben-Statue in der Villa Albani, und dieser bildete wiederum den Menelaos, dessen schöne Gruppe Elektra und Orestes in der Villa Ludovisi sogar für ein Originalwerk gehalten wird.Friedrichs, Bausteine, n. 715. Zenodorus, der Bildhauer des neronischen Colosses, hat sich zu seiner Zeit nicht minder berühmt gemacht. Die Einwanderung griechischer Meister nach Rom muß lange fortgedauert haben, denn ehe Constantin und seine Nachfolger die Kunstschätze der untergehenden Hellenenwelt am Bosporus vereinigten, war Rom das allgemeine Museum der bildenden Kunst. Dort konnten Künstler mühelos die Schöpfungen Griechenlands betrachten, und sie fanden deren mehr in Rom vereint als in Athen, namentlich in ausgezeichneten Copien.Ueber das Material der Kunstbildung in Rom O. Jahn, Aus der Altertumswissenschaft, die alte Kunst und die Mode, S. 239. Zugleich wurde ihrer Thätigkeit das weiteste Feld geöffnet, wie ein solches nie zuvor und nachher überhaupt den Künsten geboten worden ist. Die Entwürfe der Kaiser waren ihrer Weltherrschaft würdig, und die Bedürfnisse des Luxus überschwenglich. Architecten, Bildhauer und Maler feierten ihr goldenes Zeitalter; sie hatten vollauf zu thun in jeder künstlerischen Richtung, vom erhabenen Prachtbau des Tempels bis zum anmutigen Landhause herab, und von der Idealfigur eines Gottes bis zu dem Prunkgerät. Hellenen hatten im Dienst des großartigen Trajan gearbeitet, und die besten unter ihnen sind wol die Lehrer des Dilettanten Hadrian gewesen. Wie viele Künstler mögen erst unter seiner Regierung aus Hellas nach Rom geströmt sein.Werkstätten der Künstler der Kaiserzeit hat man namentlich im Marsfelde und um die Navona her entdeckt. Pellegrini, Bull. d. Inst. 1859, S. 69; Bruzza, Inscr. dei marmi grezzi, Annali d. Inst. 1870, S. 137; Benndorf u. Schöne, Lateran. Museum, S. 350. Ein paar Namen griechischer Meister seiner Zeit sind uns erhalten; Aristeas und Papias aus Aphrodisias haben die zwei Centauren im Capitol verfertigt, und wahrscheinlich lebte ihnen gleichzeitig auch Zeno aus eben dieser Stadt Kariens. Er hat seinen Namen auf einer Herme in Braccio nuovo und auf dem sogenannten Senator in der Villa Ludovisi verzeichnet.Overbeck, Gesch. d. griech. Plastik II³, 398. 454; Brunn, Gesch. d. Künstler I, 573; G. Hirschfeld, Tituli statuarior. sculptorumq., Berlin 1871, schreibt n. 172 zwei Statuen in der Villa Albani, mit dem Namen Philumenos, etwa der hadrian. Zeit zu. Andre griechische Künstlernamen Eraton, Menophantos, ein Phidias und Ammonios v. J. 159, n. 169. 170. 171. Es ist seltsam, daß von keiner einzigen der Antinousfiguren der Meister bekannt ist.

Die Künstler versorgten nicht nur die Hauptstadt des Reiches, sondern auch die Provinzen, namentlich des Westens, mit schönen Werken. Man kann daher Rom für den großen Markt ansehen, auf welchem Bildsäulen der Götter, Porträts bedeutender Menschen und Gegenstände des feineren Luxus fabrikmäßig erzeugt wurden. Schiffe brachten aus den entfernten Marmorbrüchen des Staats das Material nach Ostia und weiter nach dem römischen Emporium. Die Reste dieser kaiserlichen Marmorlager geben einen Begriff von der Großartigkeit des plastischen Kunstbetriebes in Rom.

Im Ganzen zeigt die hadrianische Kunstepoche infolge der gesteigerten Production eine Verfeinerung der Technik und eine glänzende Virtuosität, die ihr Merkmal ist. Die Schule ist akademisch und conventionell geworden; die höchste Zierlichkeit ist erreicht, aber der Funke des Genies in kalter Glätte erloschen. Zugleich ist jede Schranke des National- und Provinzialunterschiedes aufgehoben; denn der Stil hat Gebilden selbst der verschiedensten Cultuskreise eine so durchgehende Gleichförmigkeit aufgedrückt, daß ein in Britannien gefundenes Kunstwerk aussieht wie ein solches derselben Zeit, welches man in Rom oder in Ephesus entdeckt hat.Gerhard, Roms antike Bildwerke, röm. Stadtbeschr. I, 280, Friedländer III, 249. Der Geschmack Roms schrieb die Mode für die Copien in den Provinzen vor. Werke, welche in der Hauptstadt bewundert wurden, wollte man auch in Germanien und Gallien besitzen. Nicht minder hat sich die Frescomalerei als Zimmerverzierung von Rom aus durch das ganze Reich gleichförmig verbreitet.Helbig, Untersuch. über die campan. Waldmalerei, S. 137.


 << zurück weiter >>