Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Achtes Capitel.

Plutarch. Arrian. Die Taktiker. Philo von Byblos. Appianus. Phlegon. Die Memoiren Hadrians.

Eine Gestalt glänzt unter den Schriftstellern des Zeitalters von einem milden Licht der Humanität; dies ist Plutarch, der universalste Geist und neben Favorinus der am meisten bewunderte Autor seiner Epoche. Noch heute ist eine seiner Schriften eine Zierde der Literatur.

Plutarch war um das Jahr 50 in jenem Chäronea geboren, wo in der Philippusschlacht die Freiheit Griechenlands ihr Grab gefunden hatte. Er studirte in Athen unter Ammonius und lebte dann in angesehenen bürgerlichen Verhältnissen in seiner Vaterstadt. Von dort machte er Reisen in Hellas und Aegypten. Unter Vespasian besuchte er auch Rom. Er hielt hier Vorträge und wurde mit den angesehensten Männern befreundet, namentlich mit C. Sosius Senecio, welchem er später mehrere seiner vergleichenden Biographien widmete.R. Volkmann, Leben und Schriften des Plutarch, 1869, I, 36 f. Nach a. 82 kam er zum zweiten Mal nach Rom. Er erlernte selbst die lateinische Sprache, wenn auch nur mangelhaft.

Nach Chäronea zurückgekehrt, blieb er daselbst bis an seinen Tod im Dienst der Musen wie des Gemeinwols seines Heimatorts. Keine andre Persönlichkeit in jenem von so viel Widersprüchen aufgeregten Zeitalter bietet ein gleich schönes Bild harmonischer Vollendung und bescheidenen Glückes dar. Plutarch ist der Gegensatz zu Hadrian, ein philosophischer Mensch noch von antikem Maß. Die Chäroneer übertrugen ihm ein Priesteramt. Er war auch Priester des Apollo in Delphi und Agonothet der pythischen Spiele. Trajan erteilte ihm die consularischen Ehren, und noch in seinem Greisenalter soll ihn Hadrian zum Procurator Griechenlands gemacht haben. Rom und Hellas, beide Hälften der Culturwelt, ehrten ihn. Um das Jahr 120 starb er, im Alter von 70 Jahren, zu Chäronea.

Die zahlreichen Schriften Plutarchs, von denen ein großer Teil untergegangen ist, verbreiteten sich über die gebildete Welt. Was von ihnen erhalten ist, fügt sich in zwei Gruppen zusammen, die 23 Biographien (βίοι παράλληλοι) und die moralischen Schriften (ηθικά), 83 Stücke an Zahl.Volkmann, S. 99 f. Der angeblich von Plutarchs Sohne Lamprias zusammengestellte Katalog zählt 210 Nummern. – Plut. perditor. scriptor. fragmenta ed. Fr. Dübner, Paris 1855. Sie sind Werke nicht des Genius, welcher neue Bahnen durch die Gedankenwelt bricht, sondern aus dem Grunde einer erstaunlichen Belesenheit Erzeugnisse der Reflexion und der Lebenserfahrung. Das oratorische, grammatische und antiquarische Studium und die Moral bilden die Hauptzüge der Schriften Plutarchs. Die Humanisirung des Heidentums in einer milden Lebensphilosophie, welche sich schon dem Christentum näherte, ist das Eigenste in Plutarch, und wie die alte Volksreligion, so hat er auch die antike Geschichte idealisirt.Thiersch, Politik und Philos. in ihrem Verhält. zur Religion, S. 15.

In seinen Abhandlungen bespricht er die verschiedenartigsten Stoffe nach Art der Sophisten als ein geistreicher Essayist. Er untersucht wissenschaftliche und ganz praktische Fragen und stellt Lebensregeln auf, wie sie das Handbuch Epiktets und die Betrachtungen Marc Aurels enthalten. Da sind Aufsätze über Tugend und Laster, über den Gleichmut, die Elternliebe, die Schwatzhaftigkeit, die Geldgier, über Neid und Haß, über Kindererziehung, Ehestandsregeln, Gesundheitsregeln, über das Fatum, das Aufhören der Orakel, das Gastmal der sieben Weisen, Heldenthaten von Frauen, Aussprüche berühmter Könige und Feldherren, erotische Erzählungen, politische Lehren, platonische Forschungen, vom Genius des Sokrates, von der Entstehung der Weltseele im Timäus, von den Widersprüchen der Stoiker, Schriften wider die Epikuräer, physische Untersuchungen, vom Princip der Kälte, über die Mißgunst des Herodot, über Isis und Osiris u. s. w. Plutarch folgte keinem bestimmten Lehrsystem, er war Eklektiker wie Cicero.

Alle diese Essays haben heute nur noch Wert für das kulturgeschichtliche Studium, aber als ein Weltbuch wandert noch durch die Hände der Gebildeten die Sammlung vergleichender Lebensbeschreibungen großer Römer und Griechen. Diesen allein verdankt Plutarch seine Unsterblichkeit. Er hat damit eine Gattung in der Literatur geschaffen. Als er aus dem kleinen Chäronea nach Rom kam, machte die Hauptstadt des Reichs einen gewaltigen Eindruck auf ihn. Unter ihren Denkmälern, die nicht wie jene Griechenlands nur auf einen engen Kreis localer Geschichte sich bezogen, sondern zu ihrem Hintergrunde die Welt hatten, versenkte er sich voll Staunen in die Betrachtung der ernsten, furchtbaren Mächte, welche einen Staat von solcher Majestät erzeugen konnten, und die Weltregierung Roms erkannte dieser tiefreligiöse Mann als ein Werk der göttlichen Vorsehung. Er befreite sich dort von den Vorurteilen der griechischen Eitelkeit, welche noch in seinen rhetorischen Abhandlungen über das Glück der Römer, über das Glück und das Verdienst Alexanders seine Ansicht bestimmt hatten, daß die Römer ihre Größe nicht ihrem Mut und ihrer Einsicht, sondern dem zufälligen Glücke verdankten.

Die Griechen hatten übrigens schon seit Polybius ihre Stellung zur Macht der Römer nehmen müssen, von denen ihr Vaterland unterjocht und ins Elend gestürzt worden war. Sie lebten fortan als Nachkommen des edelsten Stammes der Menschheit neben ihren Gebietern und es blieb ihnen nichts übrig, als diese für legitim und der Weltherrschaft würdig zu erklären, wenn sie auch sich selbst das Privilegium der geistigen Ueberlegenheit wahrten. Dies Bewußtsein ihres Wertes hat ihnen erst das große Rom wiedergegeben, welches die Ideale Griechenlands bewunderte und sich selbst in Demut vor ihnen beugte. Alle Staatsmänner, Feldherren und Kaiser Roms haben die Aristokratie des hellenischen Geistes anerkannt, von Flaminius, den Scipionen und Cicero, bis zu den Philhellenen Hadrian und Marc Aurel.

Es war ein glücklicher Gedanke Plutarchs, die parallel liegenden Hälften der antiken Culturwelt geschichtlich aufzufassen und sie versöhnend mit einander auszugleichen. In einer Reihe von Biographien in einfacher ruhiger Gegenständlichkeit hat er die Nationalcharaktere Roms und Griechenlands einander gegenübergestellt und so ein Heldenbuch geschaffen, aus welchem die Aufstrebenden in allen Jahrhunderten weniger Belehrung als Begeisterung für männliche Größe geschöpft haben.

Neben Plutarch steht ihm ebenbürtig als noch antiker Mensch ein andrer Grieche, Flavius Arrianus aus Nikomedia in Bithynien, eine der hervorragendsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Er lebte noch unter Marc Aurel, aber seine beste Wirksamkeit gehört der Regierung Hadrians an, für welchen er den Periplus des schwarzen Meers verfaßt hat. Er war einer von jenen wenigen Griechen, die in hohen Stellungen des römischen Staats Verwendung fanden. Er wurde Bürger Athens und Roms, sogar Senator, und zwischen 121 und 124 Consul, sodann in den letzten Jahren Hadrians Statthalter Cappadociens. Er war gleich tüchtig als Staatsmann und Feldherr, als Geschichtschreiber und Philosoph.Noch a. 136–137 findet sich Arrian im Amt: Inschrift von Sebastopolis in Rev. Archéol. N. S. XXXIII, 1876, S. 199; bei Dürr, Anh. 58. Auch deshalb konnte Arrian nicht mit Unrecht als ein neuer Xenophon gelten.Photius, Bibl. 53. Er nahm diesen alten Hellenen in Stil und Darstellung zum Muster; so schrieb er auch wie Xenophon ein Buch über die Jagd.Scripta minora ed. Hercher, 1854. Seine Schriften zeigen ihn als einen praktischen Mann, ohne sophistischen Schein der Rede, aber auch ohne Anmut der Form.

In seiner Jugend hatte ihn die stoische Philosophie, die beste Erzieherin zu edler Männlichkeit, lebhaft beschäftigt. Er war der ausgezeichnetste unter den Schülern Epiktets gewesen. Die Lehrsätze dieses Weisen kennen wir nur durch Arrian, denn er hat sie im Enchiridion und in den acht Büchern Unterredungen Epiktets zusammengefaßt. Leider sind seine Gespräche dieses Meisters in 12 Büchern und seine Biographie desselben verloren gegangen.Zeller III, 1, 661. Von den Dissertationen (διατριβαί) sind nur 4 Bücher erhalten, und sonst Bruchstücke bei Stobäus.

Die Geschichte verdankt Arrian wichtige Werke, vor allem über Alexander den Großen, den Heros des Griechentums, in welchem sich für dieses das Bewußtsein der hellenischen Weltgröße verkörperte. Die parthischen Kriege Trajans hatten eben die Erinnerung an ihn wieder lebendig gemacht. Arrian schrieb sieben Bücher von den Feldzügen Alexanders, dazu als achtes die Indika. Er benutzte Schriften aus der alexandrinischen Zeit, und dies macht sein Werk zu einer bedeutenden Geschichtsquelle und ihn selbst zu dem ersten unter allen Geschichtschreibern Alexanders, die uns erhalten sind.Schöll, Gesch. d. griech. Liter, II, 422. Seine zehn Bücher über die Diadochenzeit und leider auch die 17 Bücher über den parthischen Krieg Trajans sind verloren gegangen; desgleichen seine acht Bücher bithynischer Geschichte von der Mythenzeit bis auf den letzten Nikomedes, welcher sein Reich den Römern vermacht hatte.Photius (Bibl. 234) sagt davon: τη̃ πατρίδι δω̃ρον οναφέρων τὰ πάτρια. Untergegangen sind auch Arrians Geschichte des Dion von Syrakus und des Timoleon, ferner die Alanika. An diese schließt sich die »Heerordnung gegen die Alanen«, die uns erhalten ist. In seiner »Taktischen Kunst« hat er die Gattungen der Truppen, ihre Uebungen, Märsche, Commandos für Laien beschrieben.

Militärische Schriften waren damals zeitgemäß. Dem Kaiser Hadrian selbst ist zwar mit Unrecht eine kriegswissenschaftliche Abhandlung unter dem Titel »Epitedeuma« zugeschrieben worden, aber seine große Leidenschaft für das Heerwesen rief Werke dieser Art hervor.R. Förster (Studien zu den griech. Taktikern im Hermes XII, 1877 S. 449 f.) weist nach, daß die Meinung, die Schrift Hadrians sei von Urbicius herausgegeben und dann diesem zugeschrieben worden, falsch sei. Siehe Scholl, Gesch. der griech. Lit. II, 715. Zu ihnen gehört kaum die taktische Theorie Aelians, welcher in Rom in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts lebte.Aelians Theorie der Taktik, griech. u. deutsch von H. Köchly u. W. Rüstow, 1855. Die Ansicht Köchly's, daß die τέχνη τακτική Arrians dem Aelian angehört, während die bisher diesem zugeschriebene Schrift eine spätere Recension desselben Werkes sein soll, hat R. Förster zurückgewiesen. Aber die berühmte Schrift des Apollodorus über die Belagerungskunst ist ausdrücklich für Hadrian verfaßt worden.Πολιορκητικά, Veter. Mathemat. Paris 1693; Poliorcétique des Grecs ed. Woescher, Paris 1867, S. 137 f., mit Figuren der Maschinen. Im Eingange sagt Apollodor, daß er dies Werk in Folge eines Schreibens Hadrians verfaßt habe.

Zahlreich sind die griechischen Autoren, welche die Weltgeschichte oder die Geschichte Roms und einzelner Länder behandelt haben. Der Verlust ihrer Werke ist empfindlich genug. Suidas erwähnt des Kephalaion, der einen Abriß der Weltgeschichte von Ninus bis auf Alexander in jonischer Sprache schrieb; des Jason von Argos, der ein Werk über Griechenland verfaßte; des Alexandriners Leander Nikanor und des Diogenes von Heraklea, welcher auch Geograph war. Herennius Philo, ein Phönizier aus Byblos, schrieb 30 Bücher von den Staaten und ihren großen Männern. Er übersetzte den Sanchuniathon ins Griechische in 9 Büchern und davon sind Fragmente bei Eusebius erhalten, welche indeß eine wahrscheinliche Fälschung dieses angeblichen phönizischen Geschichtswerks durch Philo nicht ausschließen.Euseb., Praep. I, c. 9. Kriton aus dem macedonischen Pieria, ein Reisebegleiter Hadrians, verfaßte Werke über die Geschichte von Syrakus, von Macedonien, Persien und über den dacischen Krieg Trajans.

Ein glücklicher Zufall hat einen großen Teil der Geschichtsbücher des Alexandriners Appianus erhalten, welcher unter Antoninus Pius seine Romaika schrieb. Er behandelte in 24 Büchern die Geschichte Roms bis auf Augustus ethnographisch und stellte die Schicksale der einzelnen Länder bis zu der Zeit dar, wo sie römische Provinzen wurden. Wir besitzen davon den punischen, syrischen, mithridatischen, spanischen und illyrischen Krieg und die fünf Bücher der römischen Bürgerkriege. Das trockene aber nützliche Werk lehnt sich an Polybius an, und mit ihm wie mit Plutarch teilt Appian auch die Ansicht, daß die Weltherrschaft Roms eine göttliche Fügung sei.

Durch eine chronologische Arbeit machte sich Phlegon von Tralles namhaft, ein Freigelassener Hadrians. Sie war eine nach den Olympiaden geordnete Chronik und reichte bis auf Hadrian. Nur Fragmente sind von ihr erhalten. Photius, welcher fünf Bücher von den 16 des Werkes gelesen hatte, sagte davon, daß der Stil weder gemein, noch auch attisch, die Sprache ohne Grazie und das Ganze durch zu viel Einzelheiten langweilig sei. Diese Arbeit hat übrigens Eusebius benutzt. Phlegon machte auch eine Beschreibung Siciliens und schrieb über die topographischen Merkwürdigkeiten Roms, wie über die Feste der Römer. Alle diese historischen und antiquarischen Schriften sind untergegangen, nur zwei unbedeutende dieses Autors, »Wundergeschichten« und über »Menschen von langem Lebensalter« sind erhalten.

Phlegon stand so hoch in der Gunst Hadrians, daß dieser ihn mit der Abfassung seiner Memoiren betraute. Er schrieb solche, wie auch Trajan die seinigen geschrieben hatte. Nach der Versicherung Spartians waren sie das eigene Werk des nach Unsterblichkeit begierigen Kaisers, aber er hatte sie unter dem Namen jenes Phlegon herausgegeben, ohne Zweifel in griechischer Sprache.Spartian (c. 16) redet freilich von mehreren Freigelassenen, welche die Biographie des Kaisers unter ihrem Namen herausgaben, und sagt dann nam et Phlegontis libri Hadriani esse dicuntur. Die Denkwürdigkeiten Hadrians würden, wenn wir sie besäßen, die Literatur mit einem kaiserlichen Geschichtschreiber von seltenem Geist bereichern und trotz der unvermeidlichen Schönfärberei mancher Handlungen die authentische Quelle für die Geschichte dieses Kaisers sein. Auch auf die römischen Verhältnisse überhaupt und die Regierung mancher seiner Vorgänger werden die Memoiren Hadrians einiges Licht geworfen haben.Dio (66, 17) führt einmal den Titus verläumdende Erzählungen von der Vergiftung Vespasians an und bezieht sich dabei ausdrücklich auf das Urteil Hadrians. Sollte er das in der Autobiographie gelesen haben? Sein Leben ist von mehreren Zeitgenossen beschrieben worden, wie auch von Philon von Byblos.

Da nun diese Biographien untergegangen sind, kann unsere Kenntniß einer der merkwürdigsten Epochen der Kaiserzeit nur aus den dürftigen Berichten zweier Compilatoren geschöpft werden, welche die Memoiren Hadrians benutzt haben, nämlich des Spartianus, der unter Diocletian lebte, und des Dio Cassius aus den ersten Decennien des 3. Jahrhunderts, dessen Nachrichten uns nur im Auszuge des Xiphilinos zur Verfügung stehen. Unersetzlich ist auch der Verlust des römischen Geschichtswerks des Marius Maximus, welcher die Biographien der Kaiser des Suetonius fortsetzte und am Ende des 2. und Anfang des 3. Jahrhunderts schrieb. Das von ihm behandelte Leben Hadrians hat Spartianus und wol auch Aurelius Victor benutzt.Ueber die Biographen Hadrians: H. Jänecke, De vitae Hadrianae Scriptoribus, 1875; J. J. Müller, Der Geschichtschreiber L. Marius Maximus, 1870; J. Plew, Marius Maximus als Quelle der Scriptores H. Aug., 1878; Aem. Pierino, De Fontib. Vitar. Hadriani et Septimii Severi Impp. ab Aelio Spartiano conscriptar. 1880; J. Dürr, Die Reisen des Kaisers Hadrian, 1881, S. 73 f.


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