Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Zehntes Capitel.

Die römische Beredsamkeit und ihre Schulen. Römische Redner. Cornelius Fronto.

Während der Republik, als die Seele des Staats auf dem Forum und in der Curie war, und seine Geschicke durch den Kampf großer Parteien entschieden wurden, entwickelte sich im römischen Volk eine glänzende Staatsberedsamkeit. Die Kunst zu reden fiel in Rom mit der Erziehung zum Staatsbürger zusammen. Männer des Kriegs und Feldlagers waren zugleich Redner von diplomatischer Bildung, wie Metellus, Licinius Crassus, Antonius, Pompejus, Cäsar und Brutus. Bis zu den Bürgerkriegen bewahrte die Beredsamkeit ihren praktischen Charakter, dann schuf die in die Römerwelt eindringende Dialektik der Griechen die Literatur und auch die Redekunst um. Diese wurde eine nach griechischen Mustern ausgebildete Rhetorik. Cicero bezeichnete hier die Grenze.

Der Strom der politischen Leidenschaften stockte in der Monarchie, welche dem Wort die Freiheit und auch die Würde des Gegenstandes raubte. Was waren jetzt die Causae centumvirales, die Privathändel, gegen jene welthistorischen Prozesse der Republik? »Ich weiß nicht,« so sagte Messala, »ob in eure Hände jene alten Schriften gekommen sind, welche in den Bibliotheken der Vorfahren liegen; sie zeigen, daß Pompejus und Crassus nicht allein durch Waffenkraft, sondern auch durch Rednergenie groß gewesen sind, daß die Lentuler und Meteller, die Luculle und Curionen und die andren großen Männer viel Sorgfalt auf diese Studien verwendet haben, und Niemand zu jener Zeit ohne Beredsamkeit zur Macht gelangt ist. Dazu kommen der Glanz und die Bedeutung der Dinge, welche durch sich selbst die Redekunst steigern. Denn es ist ein großer Unterschied, ob über einen Diebstal, eine Rechtsformel, ein Interdict zu reden ist, oder über die Bewerbung in den Comitien, die Ausplünderung der Bundesgenossen und das Niedermetzeln von Bürgern.«De orator. dialogus, c. 37.

Die Römer der Kaiserzeit beklagten den Verlust ihres stolzesten Nationalgutes, denn nun hatte Rom nichts mehr, was es dem übermütigen Griechenland, wie in der Zeit Ciceros, entgegensetzen konnte. »Alle Geister,« so sagte Seneca, »welche in unsere Studien Licht brachten, wurden damals geboren. Darauf verfiel die Redekunst durch die Verdorbenheit der Zeiten, oder weil sich der Ehrgeiz fortan auf das Niedrige, auf Aemter und Gewinn richtete. Die Geister der thatenlosen Jugend sind erschlafft, Niemand durchwacht mehr Nächte in der Mühe um eine ehrenvolle Beschäftigung. Das ehrlose Studium des Gesanges und Tanzes macht die Seelen weibisch, und die Sucht, in den unreinsten Lastern groß zu sein, ist das Gepräge der Jünglinge.«Seneca, Controv. I, prooem.

Der geistvolle Dialog des Tacitus über die Redner erklärt den Verfall der Beredsamkeit seit dem Beginne der Monarchie aus der falschen declamatorischen Erziehung. Früher lernten die jungen Leute öffentlich in Gerichten und Versammlungen die Redekunst, und sie verdienten nach der Sitte der Republik ihre Sporen durch die Anklage bedeutender Männer, so daß Crassus mit neunzehn Jahren den Cajus Carbo, Cäsar mit einundzwanzig den Dolabella, Asinius Pollio mit zweiundzwanzig Jahren den Cajus Cato in glänzenden Reden angegriffen haben, während jetzt die Jugend auf die Bühnen der Schulmeister geführt wird, welche Rhetoren heißen, um in widersinnigen Uebungen ihren Geist mit nichtigen Possen zu verderben.

Mit meisterhaften Zügen hat Petronius im Satyricon diese rhetorische Erziehung gezeichnet. Aus dem eitlen Schwall der Dinge und Sentenzen gewinnen die jungen Männer nach seiner Ansicht nur Verdummung, so daß sie in eine andre Welt versetzt zu sein glauben, sobald sie auf das Forum kommen.Diese Stelle wird durch das Proömium zum 4. Buch der Controversen Seneca's erläutert, wo von einem Redner Latro Porcius erzählt wird, er sei einst durch das Forum so außer Fassung gebracht worden, daß er die Richter bat, von dort in eine Basilika zu kommen. Sie hören in den Schulen nichts Praktisches, nur von kettenbelasteten Piraten, von Tyrannen, die den Söhnen befehlen, ihren Vätern die Köpfe abzuschlagen, von Edicten wegen der Pest, daß drei oder mehr Jungfrauen geopfert werden sollen. Endlich sind alle Reden und Thatsachen in Honig getaucht und wie mit Mohnsaft und Sesam überzogen. »Neulich,« so sagt Petronius, »kam diese windige Geschwätzigkeit von Asien nach Athen und wehte die Geister der Jugend wie von einem pesthauchenden Gestirne an. Wer erhob sich daraus zu der Erhabenheit des Thucydides, wer zum Ruhme des Hyperides? Nicht einmal ein Gedicht von gesunder Natur konnte geschaffen werden, sondern alles war aus einem und demselbem Stoffe und konnte kein Alter erreichen. Auch die Malerei nahm denselben Ausgang, nachdem ägyptische Kühnheit für eine so große Kunst eine compendienhafte Manier erfunden hatte.«Satyricon c. 2.

Sowol Formen und Stoffe, als die beiden Gattungen der schulmäßigen Redeübung, die ratenden Materien (suasoriae) und die streitenden (controversiae) waren in Rom von Griechenland eingeführt worden.Ueber die Rhetorschulen: Friedländer III, 343 f.; Grasberger, Erziehung u. Unterricht im class. Altertum III, 353–390. Man stellte Aufgaben wie folgende: Alexander geht zu Rat, ob er in Babylon einziehen soll, da der Augur ihm in diesem Falle Unheil prophezeit; die Athener beraten, ob sie die persischen Trophäen beseitigen sollen, weil Xerxes zurückzukehren droht, wenn das nicht geschieht; Agamemnon beratschlagt, ob er Iphigenia opfern solle, da Kalchas verkündet, daß man ohne dies nicht absegeln könne. Dann gab es Controversen, welche in die Classe jener sophistischen Spitzfindigkeiten gehörten, mit denen man sich in gelehrten Gesellschaften und bei Gastmälern die Zeit vertrieb. Sie waren die Schule für den Advocaten und Rabulisten, wie für den Mann von feinem Weltton.

So geistlos wie diese Gymnastik des Verstandes, so pedantisch muß auch die Erziehung des angehenden Redners zum vollendeten Declamator erscheinen. Quintilian hat in seinen Anweisungen zur Redekunst davon ausführlich gehandelt. Es sind von der Schauspielkunst entlehnte Vorschriften über die Anwendung der Affecte, durch die der Richter zu rühren sei, über Declamation und Modulation der Stimme, über Gesten und Pantomimen und den künstlerischen Gebrauch der Glieder. So sollen die Augen bald starr sein, bald matt, bald beweglich, hier in Wollust schwimmend, dort blinzelnd und sozusagen venussüchtig (venerii). Denn nur ein Einfaltspinsel wird die Augen ganz offen oder ganz geschlossen halten. Es folgen Regeln über den rednerischen Gebrauch von Lippen, Kinn, Hals, Genick und Schulter, und genaue Anweisungen über das Spiel der Hände. Was macht es z. B. nicht für eine prachtvolle Wirkung, wenn man die Hände ringt bei jener Declamation des Gracchus: Wo soll ich Elender hinfliehen? Wohin mich wenden? Auf das Capitol? Ach, es trieft vom Blute des Bruders. Nach Hause? Etwa, um die unselige Mutter jammernd und in Ohnmacht zu sehen?

Es würde aber doch unrichtig sein, um dieses Schulpedantismus willen die Bedeutung der Redekunst für die damalige Welt zu verkennen. Sie hat die besseren Geister erzogen und die Gesellschaft für Literatur und Kunst empfänglich gemacht. Auch noch in ihrem Verfalle war sie ein Schmuck des Lebens und so sehr ein Bedürfniß der südlichen Volksnatur, daß unter den Italienern im späten Zeitalter des Humanismus mit der Renaissance der antiken Literatur auch die Rhetorik wieder erstanden ist. Im Kaiserreich ersetzte sie zum Teil das Drama und die Presse. Alle Cäsaren machten ihre Schule durch, nicht blos weil sie die Despotie mit schönen Phrasen vergoldete, sondern weil sie überhaupt zur Vollendung der Persönlichkeit unentbehrlich war.

Vespasian hatte die ersten öffentlichen Lehrer der Beredsamkeit in beiden Sprachen in Rom angestellt, und seither bemühten sich auch die Provinzen, namhafte Rhetoren an sich zu ziehen. Von allen Kaisern aber hat keiner die Redekunst so sehr gefördert wie Hadrian, welcher selbst eine auserlesene rhetorische Bildung besaß.Philostrat. (Lollian. Vol. II, S. 42) meint das, wenn er von ihm sagt: επιτηδειότατος τω̃ν πάλαι βασιλέων γενόμενος αρετὰς αυξη̃σαι. In seinem Zeitalter blühten einige gefeierte römische Rhetoren, wie Calpurnius Flaccus, Antonius Julianus, der Lehrer des Gellius, wie Castricius und Celer.Erhalten sind Schulreden des Calpurnius Flaccus. Teufel 351.

Der berühmteste aller war Cornelius Fronto, ein Italiener, aber zu Cirta in Numidien geboren, im Anfange des zweiten Jahrhunderts. Er studirte in Alexandria und glänzte dann als gerichtlicher Redner in Rom schon unter Hadrian, der ihn zum Senator machte. Fronto sagt einmal in einem Briefe an Marc Aurel, daß er seinen Adoptivgroßvater oftmals im Senat gepriesen, ihn hoch verehrt, aber nicht geliebt habe, weil zur Liebe Vertrauen und Familiarität gehören.Fronto ad M. Caesar. II, 4: Divom Hadrianum avom tuum laudavi in senatu saepenumero studio impenso et propenso quoque. Dio nennt ihn den ersten Advocaten Roms.Dio 69, 18: ο τὰ πρω̃τα τω̃ν τότε ‛Ρωμαίων εν δίκαις φερόμενος. Orator nobilissimus nennt ihn Eutrop. VIII, 12. Seine Thätigkeit machte ihn so reich, daß er die Gärten des Mäcen erstand und Bäder baute. Nachdem er im Jahre 143 zwei Monate lang Consul gewesen war, schlug er die mühevolle Ehre des Proconsuls von Asien aus. Er befand sich in demselben Verhältniß zu einem künftigen Kaiser wie Seneca. Wenn es aber für diesen zum Fluch wurde, daß Nero sein Schüler war, so gereichte es Fronto zum Segen und zu bleibendem Ruhm, der Lehrer des edelsten aller Herrscher, Marc Aurels, gewesen zu sein. Mit rührender Pietät hat dieser Kaiser die Mühen seines Erziehers belohnt, und Fronto fand an dem erlauchten Zöglinge nichts zu beklagen, als seine Abwendung von der Rhetorik zur Philosophie. Der Briefwechsel beider mit einander ist das Denkmal dieses schönen Verhältnisses. Er lehrt auch den Charakter Fronto's kennen, welcher zwar als ein selbstgefälliger Mann mit allen Schwächen behaftet war, die aus seinem rhetorischen Beruf und seiner Stellung als Prinzenerzieher stoßen, aber doch achtungswerte Züge echter Menschlichkeit besessen hat.Man sehe seinen Brief De nepote amisso, worin er sich selbst das integer vitae scelerisque purus zuschreiben durfte. Aus manchen Briefen und Abhandlungen, wie z. B. aus den »Alsiensischen Ferien«, worin er seinen Zögling zum heiteren Lebensgenuß ermahnt, läßt sich erkennen, daß Fronto im Grunde kein trockener Pedant gewesen ist. Dem Lucius Verus gegenüber, der sein zweiter Zögling war, erscheint er nicht immer aufrichtig; er hat ihm geschmeichelt; doch Marc Aurel selbst schätzte sich glücklich, weil er von seinem Lehrer gelernt habe, wahr zu sein.Quod verum dicere ex te disco. Fronto III, 12 – III, 18 schreibt ihm M. Aurel, er sei ihm dankbar, quom cotidie non desinis in viam me veram inducere, et oculos mihi aperire. Sein Lob in den Selbstbetrachtungen I, 11.

Um das Jahr 160 stand Fronto in seinem höchsten Ruf; um 175 ist er gestorben.Bernhardy, Grundriß der röm. Liter., 5. Aufl, S. 839. Teufel, 355. Ueber den Cursus honorum Fronto's vor seinem Consulat: Renier, Inscr. Rom. de l'Algérie, 2717.

Als Schriftsteller muß er wie der pedantische Vertreter der Altertümelei in der lateinischen Literatur angesehen werden. Wenn Quintilian diese wieder an das Muster Cicero's verwiesen hatte, so hielt sich jener an die Formen des Cato, Ennius, Plautus und Sallust. Er wollte nichts von der Art der griechischen Rhetoren wissen, sondern ahmte den Stil der ältesten Römer nach. Deshalb hat ihn Gellius bewundert. Es war die Zeit des philologischen Enthusiasmus für die veraltete Sprachform. Dies bizarre Bemühen machte Stil und Sprache lächerlich verschroben, dunkel und klanglos, und bewies nur den unrettbaren Verfall der Literatur. Die Schriften Fronto's, worunter sich auch ein Fragment gegen die Christen und Reste seiner Geschichte des parthischen Kriegs befinden, sind erst von Angelo Mai in der Ambrosiana und Vaticana, doch sehr defect, aufgefunden worden.Ausgaben, von Angelo Mai, Mailand 1815, Berlin 1816 (von Niebuhr), Rom von A. Mai, 1823, 1846. Auf seinen Angriff gegen die Christen bezieht sich Minucius Felix, Octavius c. 80. Man hat sie erst als unverhoffte Nachzügler des Altertums mit Enthusiasmus begrüßt und auch ihren Wert überschätzt.Die Entdeckung Fronto's durch Angelo Mai wurde besonders lebhaft von Giacomo Leopardi begrüßt. Nach der Auffindung der Bücher Cicero's De Republica richtete der Dichter an Mai die berühmte Ode Italo ardito. Siehe über die Entdeckung Fronto's die Jubiläumschrift des Ateneo di Bergamo: Nel Primo Centenario di Angelo Mai, Memorie e Documenti, von Benedetto Prina, 1882. Dann sind sie wegwerfend unterschätzt worden.Eines der vornehmsten Zeichen der Zeit des Mißbrauchs der Redekunst und der Verfälschung der Sprache ist Fronto für Fr. Roth, Bemerkungen über die Schriften des M. Cornel. Fronto, 1817. Bernhardy S. 840 nennt ihn ein Zeugniß der verkümmerten Literatur des 2. Jahrhunderts. Ganz in Schwarz hat ihn gemalt Martin Herz, Renaiss. u. Rococo in der röm. Literatur. – Macrobius, Saturnal. V, 1: quatuor sunt, inquit Eusebius, genera dicendi: copiosum, in quo Cicero dominatur: breve, in quo Sallustius regnat, siccum quod Frontoni adscribitur; pingue et floridurn, in quo Plinius secundus . . . Die Stoffe Fronto's sind als Gegenstände rhetorischer Exercitien oft sehr trivial. So findet sich unter ihnen ein Lob der Sorglosigkeit, des Rauchs und des Staubes. Aber man muß schon ein Swift sein, um auch über einen Besenstil geistreich zu reden. Am wichtigsten ist als geschichtliches Document für die Cultur des Zeitalters Fronto's Briefwechsel mit den Antoninen. Es zeigt sich darin freilich nur ein mittelmäßiger Geist, und dieser gehört einer ideen- und thatenlosen Zeit an. Fronto schrieb auch griechisch einige Briefe und einen Erotikos.

Eine classische Literatur hat die römische Beredsamkeit nach Cicero nicht mehr hervorgebracht. Quintilian selbst hat in seinem Werk De institutione oratoria nur das mustergültige Lehrbuch zur Erlernung der rhetorischen Kunst aufgestellt. Während diese in Rom im Grunde immer auf das Praktische, namentlich die gerichtliche Beredsamkeit gerichtet blieb, war die griechische Rhetorik eine freie, schönwissenschaftliche Kunst zu nennen, und daher auch literarisch productiv.


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