Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Buch.
Staat und geistiges Leben.

Erstes Capitel.

Das römische Reich.

So gewaltig ist der Eindruck der Culturfülle und Majestät des römischen Reichs in jenem Zeitraum gewesen, welchen man die glücklichste Epoche der Menschheit genannt hat, daß Römer und Griechen beredter als die Philosophen der späten Nachwelt seine Herrlichkeit gepriesen haben.Man vergleiche Gibbon I, c. 2 am Anfange. Schon Plinius rief, sobald er an die Beschreibung Italiens kam, die begeisterten Worte aus: »Ich rede von einem Lande, welches die Ernährerin und Mutter aller Länder ist, welches die Götter erwählt haben, um die getrennten Reiche zu vereinigen, die Sitten zu mildern, die Sprachen vieler roher Völker zu einer gemeinsamen zu verbinden, die Menschen Bildung und Geselligkeit zu lehren, kurz um das eine Vaterland aller Völker des Erdkreises zu werden.«Hist. Nat, III, 6.

Nicht minder enthusiastisch als der Römer Plinius hat der Grieche Aristides die Herrlichkeit des Reichs gefeiert. Seine Lobrede auf Rom ist eine pomphafte Stilübung höfischer Schmeichelei, aber sie spricht Thatsachen und Ueberzeugungen aus, welche dem Zeitalter selbst angehören. »Die Besiegten,« so sagte dieser gefeierte Redner zur Zeit Marc Aurels, »beneiden und hassen nicht die Siegerin Rom. Sie vergaßen bereits, daß sie einst selbständig gewesen sind, da sie sich im Genusse aller Güter des Friedens befinden und an allen Ehren ohne Unterschied Teil haben. Die Städte des Reichs stralen von Anmut und Schönheit, und die ganze Erde ist wie ein Garten geschmückt. Nur Menschen, welche außerhalb der römischen Herrschaft leben, sind beklagenswert, wenn es solche überhaupt gibt. Die Erde ist durch die Römer zur Heimat Aller gemacht worden. Der Hellene wie der Barbar kann überall frei umhergehen wie von Vaterland zu Vaterland; nicht schrecken uns mehr die cilicischen Pässe, noch die Sandwüsten Arabiens, noch die Barbarenhorden, sondern zur Sicherheit genügt es, Römer zu sein. Die Römer haben den Spruch Homers thatsächlich wahr gemacht, daß die Erde Allen gemeinsam ist. Sie haben den ganzen bewohnten Kosmos ausgemessen, die Flüsse überbrückt, die Berge zu Straßen abgegraben, die Wüsten durch Ortschaften bewohnbar gemacht und durch Sitte und Gesetz die Welt geregelt.«Encomium Romae I, S. 348 f. (Dindorf). Man vergleiche dazu das Lob des Appian. Praef. c. 6.

Noch ein halbes Jahrhundert nach Aristides konnte der Africaner Tertullian sich so über das römische Reich aussprechen: »Die Welt ist mit allem ausgerüstet, sie cultivirt sich täglich mehr, sie ist an Wissen reicher als in der Vorzeit. Alles ist zugänglich, Alles bekannt, Alles voll Geschäftigkeit. Einst furchtbare Einöden sind von schönen Landgütern bedeckt; Saatgefilde haben die Wälder, Heerden die reißenden Thiere verdrängt. Getreide sprießt im Wüstensande, die Felsen werden bepflanzt, die Sümpfe trocken gelegt. Es gibt so viel Städte als ehedem Häuser. Nicht starrende Inseln, nicht Klippen flößen mehr Schrecken ein; überall ist Wohnung, überall Volk, überall Staat, überall Leben.« Das Menschengeschlecht, so sagt derselbe Kirchenvater, ist so zahlreich, daß es der Welt schon zur Last wird. Er fürchtet, wie ein Chinese, oder wie heute wir Deutsche, die Uebervölkerung, für welche die Natur nicht mehr ausreiche, und deshalb betrachtet er Pest, Hungersnot, Kriege und Erdbeben als notwendige Mittel der Erleichterung.Pro remedio deputanda, tanquam tonsura inolescentis generis humani. De Anima c. 30.

Zur Zeit Hadrians erstreckte sich das Römerreich vom atlantischen Ocean bis zum Euphrat, von Schottland bis an den Atlas und die Katarakte des Nil. Es umfaßte etwa 90 Millionen Menschen. Nicht seine Bevölkerungszahl, noch sein Umfang können es für uns staunenswert machen, denn die geographische Ausdehnung der russischen wie der britischen Herrschaft übertrifft die des Römerreichs. Nur dies erhebt dasselbe weit über alle antiken und modernen Staaten der Welt, daß es die edelsten Culturvölker, die schönsten Länder und die ruhmvollsten Städte der Erde alle zusammen in sich begriffen hat und demnach die geschichtliche Summe des antiken Lebens selber gewesen ist. Um das Becken des Mittelmeers hatte sich die Geschichte der Völker in den mannigfachsten Staatenbildungen abgelagert. Sie alle schloß das centrale Rom in ein Reich zusammen, und wenn die Römer aus unersättlichem Vergrößerungstriebe die Gränzen ihres Staats in immer größeren Ringen auch zu den Germanen, den Briten, Slaven und Arabern ausdehnten, so gewannen sie dadurch die vorgeschobenen Bollwerke, welche den Schatz jener alten Mittelmeerländer vor dem Einbruch der Barbaren schirmten.

Die Cultur des Reichs war das aufgesammelte Ergebnis alles dessen, was die antike Menschheit an Wissenschaften und Künsten, an politischen und socialen Formen erzeugt hatte, und diese Schöpfungen gehörten wesentlich den drei großen Sprach- und Völkergruppen der geschichtlichen Welt an. Die Semiten freilich waren mit dem Falle ihrer Staaten in Asien und Africa politisch untergegangen, aber aus dem Judentum hatte sich eine neue Religion erhoben, welche das Reich zu durchdringen und umzugestalten begann. Römer und Hellenen dagegen waren die gebietenden Völker der civilisirten Welt, jene als die Herrscher und Gesetzgeber, diese durch ihre Bildungsmacht. Sie hatten das Reich auch geographisch in zwei Sprachgebiete so unter sich geteilt, daß der Orient griechisch, der Occident römisch war. Zugleich waren beide Idiome vermittelnde Weltsprachen, die jeder Gebildete in Rom wie an der Themse, am Nil wie am Euphrat verstand.

Verwaltung, Heerwesen, Recht und Bildung setzten das Gefüge zusammen, in welchem der Organismus des Reichs ruhte, während dasselbe seiner politischen Einheit nur in der Centralgewalt des Kaisers sich bewußt war. Denn trotz aller Gleichmäßigkeit der Regierung trennten Religionen und Sprachen, Landesart und Geschichte die Völker des Reichs von einander. Der griechische Osten ließ sich nicht romanisiren wie die von Rom aufgesogenen Celten, Dacier und Thraker des Westens. Die Scheidung des Orients und Occidents blieb so tief geschichtlich und so naturgemäß, daß früher oder später das römische Reich in diese zwei Hälften zerfallen mußte. Auch zur Zeit Hadrians, wo der mächtig aufstrebende Hellenismus das geistige Uebergewicht im Reiche besaß, regte sich die Reaction des lateinischen Bewußtseins gegen das Griechentum. Es ist sehr bedeutungsvoll, was Florus, der Freund dieses Kaisers, ein Dichter aus dem ganz romanisirten Africa, in einem Epigramm gesagt hat:

Flieh' die überseeischen Sitten, sie sind tausendfacher Lug,
In der weiten Welt lebt Niemand würdiger als der Bürger Roms,
Drum ist lieber mir ein Cato als dreihundert Sokrates.Anthol. lat. ed. Mueller I, n. 218: Cive romano per orbena nemo vivit rectius.

Während Altgriechenland zu einem antiquarischen Museum geworden war, von dessen Schätzen Pausanias bald nach Hadrian das Inventarium aufnahm, strömte aus dem hellenistischen Asien und Aegypten fortdauernd neuer Lebensgeist nach Rom und dem Abendlande. Die Kunst, die Literatur, die Philosophie, die neuen Religionen kamen von dort her. Aber der römische Staatsgedanke war noch immer machtvoll genug, nicht allein diese Einflüsse zu beherrschen, sondern überhaupt zu verhüten, daß die westöstlichen Gegensätze der Welt feindlich auseinander fielen. Dies ist eine der größten Thatsachen der Geschichte Roms gewesen. Denn das Reich selbst war so mechanisch zusammengesetzt, daß ihm Teile zugefügt oder genommen werden konnten, ohne sein Wesen merklich zu ändern. Es war ein Bundesstaat von vielerlei Völkern: es hat nie den Charakter einer modernen Monarchie gehabt, wie etwa England und Frankreich. Als ein antiker Organismus beruhte das Römerreich, die große Republik der civilisirten Erde, auf der Besonderheit sich selbstverwaltender Städte und Gemeinden, auch nachdem ehemals freie Länder zu Provinzen oder Regierungsbezirken Roms geworden waren.


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