Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Fünfzehntes Capitel.

Alexander von Abonoteichos.

Man darf die Aufrichtigkeit Lucians in Bezug auf Peregrinus bezweifeln, aber die grellen Farben, mit denen er das Charakterbild des religiösen Charlatans im Alexander von Abonoteichos gemalt hat, sind im Ganzen als echt anzuerkennen. Nichts zeichnet so sehr die Auflösung der antiken Religion in Phantasterei und Priesterbetrug, als die Geschichte jenes Cagliostro des zweiten Jahrhunderts. Lucian, der Voltaire desselben, hat das Glück gehabt, auch mit diesem Abenteurer in persönliche Beziehung zu kommen. Er hat seinem frechen Treiben in der Nähe zugesehen, die Handelnden bei diesem Possenspiel des religiösen Wahnsinns beobachtet und gezeigt, zu welcher Macht der Strom des Aberglaubens anschwellen kann, wenn die Empfänglichkeit der einfältigen Masse der Pfaffenlist entgegen kommt.

Ein Grieche, Alexander aus Abonoteichos in Paphlagonien, war der Held dieser göttlichen Komödie, ein schöner Mann von majestätischer Erscheinung, voll Klugheit und Verstand. Seine Studien auf dem großen Gebiete des Blödsinns der Menge hatte er bei einem jener Nekromanten gemacht, welche unter dem Schilde der Arzneiwissenschaft ihre dunkeln aber einträglichen Geschäfte trieben. Nach dem Tode seines Meisters verband sich Alexander mit einem Literaten aus Byzanz. Der Zufall brachte diese in der Welt herumwandernden Gesellen auf den Gedanken, als Wunderthäter, wenn nicht als Religionsstifter in großem Stile aufzutreten, und durch eine colossale Orakelfabrik reich zu werden. Sie kamen nach Chalcedon mit einer Schlange, welche sie zu Pella in Makedonien gekauft und für ihre Zwecke abgerichtet hatten. Im Apollotempel vergruben sie zwei eherne Tafeln, auf denen geschrieben stand, daß der Gott Asklepios mit seinem Vater Apollo nach Pontus kommen und zu Abonoteichos seinen Sitz nehmen werde. Die Auffindung dieser Tafeln machte den gehofften Lärm und bereitete den Empfang Alexanders in seiner beglückten Vaterstadt vor, denn auf das Gerücht von der bevorstehenden Erscheinung Aeskulaps beschloß der Rat von Abonoteichos, diesem Gott einen Tempel zu bauen. Der Charlatan machte das Sprichwort zu Schanden, daß der Prophet in seinem Vaterlande nicht gelte, denn er kannte sein Local. Nachdem er zuerst in dem abergläubischen Macedonien sein Spiel getrieben hatte, konnte er, wie Lucian behauptet, für seinen Plan keinen passenderen Ort finden als eine Stadt der Paphlagonier, »wo das einfältige Volk jeden Wahrsager mit dem Siebe, wenn er mit einem Flötenspieler und Cymbalschläger herbeigezogen kommt, wie einen Abgesandten des Himmels anzustarren pflegt«.Alexandros c. 9.

Während sein Genosse in Macedonien zurückblieb, wo er bald starb, zog Alexander in seine Vaterstadt ein. Hier zeigte er sich in einem Purpurgewande und weißem Mantel, mit lang herabwallenden Locken, ein krummes Schwert in der Hand, wie es Perseus auf Abbildungen zu tragen pflegte; denn von diesem Heroen versicherte er selbst abzustammen. Er verkündete seinen Götteradel in folgenden Versen:

Dieser, o seht, ist Sprosse des Perseus und Liebling Apollos,
Alexandros, der göttlich vom Blut Podalirions herstammt.

Der Gaukler bereitete erst durch schlaue Kunststücke seine Landsleute auf das große Ereigniß vor, indem er den vom Gotte Besessenen spielte. Man baute in Abonoteichos eben an dem Tempel; in einem Graben der Fundamente versteckte Alexander ein Ei, worin er eine kleine Schlange eingeschlossen hatte. Tags daraus erschien er, seltsam aufgeputzt und wie rasend von Begeisterung auf dem Markt. Er sprang auf einen Altar und verkündigte das nahe Erscheinen Aeskulaps, während das Volk betend auf den Knieen lag. Chaldäische und hebräische Phrasen gaben seinen Prophezeiungen den nötigen magischen Anstrich. Sodann rannte er in den Graben, stimmte einen Hymnus auf Aeskulap und Apollo an und rief die gnadenreiche Erscheinung des Gottes für Abonoteichos herbei. Mit einer Schale schöpfte er das Ei heraus und zerbrach es, die Paphlagonier aber erhoben ein Jubelgeschrei, als der Gott in Gestalt einer jungen Schlange in ihrer Stadt erschien. Abonoteichos erfüllte sich alsbald mit Schwärmen von Neugierigen und Wundersüchtigen, die von weit und breit zusammenströmten. Es war ein Schauspiel so ähnlich wie ein Ei dem andern, den Scenen, welche in unserer Gegenwart in einem plötzlich berühmt gewordenen Ort eines großen Landes öffentlich aufgeführt werden, nur mit dem Unterschiede, daß zu Abonoteichos in Paphlagonien Asklepios, dort die Jungfrau Maria erschienen war.

Nach wenigen Tagen zeigte sich der Prophet in einem Häuschen auf einem Divan sitzend. Um ihn wand sich die schon groß gewordene Schlange, nämlich jene, die er aus Pella mitgebracht und abgerichtet hatte. Sie zeigte einen Menschenkopf, bewegte den Mund und streckte eine schwarze Zunge heraus. Die Verdunklung des Zimmers, das Gedränge und die fieberhafte Aufregung des Volks thaten die beabsichtigte Wirkung.

Inzwischen strömten nach und nach Prozessionen aus Bithynien, Galatien und Thracien nach Abonoteichos. Künstler bildeten den neuen Gott in Erz und Silber, in Marmor und Thon ab und verkauften seine Figuren massenhaft, wie man heute in Wallfahrtsorten Heiligenfiguren zu verkaufen pflegt. Alexander gab diesem Gott den Namen Glykon:

Glykon bin ich, ein Enkel des Zeus, und ein Licht für die Menschen.

Darf es uns wundern, daß es diesem Zauberer wirklich gelang, einen Tempelcultus für seinen Gott einzusetzen? Er hatte die Weiber auf seiner Seite; er war ein wahrhaft schöner Mann. Lucian berichtet sicherlich nur Thatsachen, wenn er sagt, daß viele Frauen sich rühmten, von Alexander Kinder empfangen zu haben, und daß dies sogar ihre beglückten Ehemänner bestätigten.Alexandros c. 42. Ein förmlicher Orakeldienst wurde im Asklepiostempel eingerichtet. Man brachte dem Propheten Fragen an sein Orakel auf einer versiegelten Schreibtafel, die er dann so geschickt öffnete, daß es niemand merken konnte.Lucian teilt die Kunstgriffe mit, deren man sich damals bediente, um Schriften geschickt zu öffnen. Man löste entweder das Siegel mit einer glühenden Nadel, ohne es zu versehren, oder man nahm einen Abdruck davon. Man war also im 2. Jahrhundert in solcher Virtuosität nicht mehr zu weit von der Kunst unserer geheimen Briefpolizeicabinete entfernt. Er beantwortete sie in metrischer Rede; denn auch der Betrug bedurfte des Stempels der schönen Form. Man mag sich vorstellen, daß Alexander oft genug Gelegenheit hatte, wie ein Beichtvater die Gemüter der um Rat Fragenden in seine Gewalt zu bringen, und viele, die sich einfallen ließen, politisch gefährliche Gesinnungen zu verraten, von seiner Verschwiegenheit abhängig zu machen. Dabei besaß er die Klugheit, andere damals besuchte Orakel, zumal die Priesterschaft des Apollo zu Klaros und Didymi und des Amphilochos sich dadurch zu gewinnen, daß er oft an ihre prophetische Quelle verwies und statt aller Antwort sagte.

Gehe nach Klaros und höre, was dort mein Vater verkündigt.

Lucian gibt manche Proben von der Schlauheit des Betrügers im Anfertigen der Orakel. Aber seine Erfolge machten ihn zuletzt so kühn, daß er nachlässig wurde und sich durch witzige Menschen, die seine Karten durchschauten, täuschen ließ. Ich fragte ihn, so erzählt Lucian, in einem Zettel, ob Alexander einen Kahlkopf gehabt habe, und weil ich das Blatt so versiegelt hatte, daß es nicht leicht ohne Verdacht geöffnet werden konnte, so schrieb er darauf ein Nachtorakel, welches lautete. »Sabardalachis Malach Attis war ein anderer.«Weil Abonoteichos den Zudrang der Fragenden nicht fassen konnte, fertigte Alexander viele durch solche Nachtorakel ab, d. h. er legte die Zettel unter sein Kopfkissen, und der Gott offenbarte sich dann im Traume. Ein zweites Mal fragte ich auf zwei verschiedenen Zetteln, wo der Dichter Homer geboren sei. Auf den einen schrieb er, da ihm mein Diener gesagt hatte, daß es sich um ein Mittel gegen Schmerzen in der Hüfte handle, die Worte: »Salbe mit Kytmis dich ein und dem Tau der Latona.« Auf den andern, wovon ihm der Diener sagte, daß ich zu wissen begehre, ob ich zu See oder zu Lande nach Italien reisen solle, gab er folgende Antwort, die nichts mit Homer zu thun hatte:

Fürchte die Reise zur See, denn besser frommt dir der Landweg.

Solche Fehler verhinderten nicht, daß die Weissagungen Alexanders weit und breit in Ruf kamen. Selbst Severianus, der Statthalter von Cappadocien, holte sich, als er gegen den Partherkönig Vologeses II. ins Feld zog, von ihm einen Orakelspruch, der ihm indeß übel bekam. Dies geschah zu Anfange der Regierung Marc Aurels. Der Prophet schickte seine Agenten in alle Länder des Reichs, um für seinen Ruf Propaganda zu machen. Er faßte selbst in Italien festen Fuß und fand, was nicht befremdend war, Anhänger und Gläubige sogar in der höchsten Aristokratie Roms und am Hofe des Kaisers. Einen der vornehmsten Römer Rutilianus verband er sich dadurch, daß er ihm seine eigene Tochter, welche er mit Selene wollte erzeugt haben, auf das ausdrückliche Gebot des Gottes Asklepios zur Gemalin gab. Rutilianus soll sogar den Kaiser überredet haben, zwei Löwen in die Donau werfen zu lassen, weil Alexander dies Opfer für nötig hielt, um den Römern den Sieg gegen die Markomannen zu sichern. Das Opfer fruchtete freilich nichts, denn die kaiserlichen Heere erlitten eine furchtbare Niederlage.Alexandros c. 48. Mit großem Geschick benutzte der Lügenprophet die Aufregung der Gemüter im Reich durch jenen Krieg und die Pest, welche im Jahre 167 viele Länder verheerte. Seine wandernden Emissare verbreiteten überall Furcht vor Seuchen und Erdbeben und boten zum Schutz dagegen die Amulete Alexanders an. Während jener Pest las man, wie Lucian versichert, fast über jeder Hausthüre einen von ihm in alle Länder geschickten albernen Vers, welcher so lautete:

Phöbus, deß Haar ungeschoren, vertreibt das Gewölke der Krankheit.Alexandros c. 36.

Es scheint eine ganze Actiengesellschaft von Betrügern gewesen zu sein, die der Prophet an seiner Orakelfabrik beschäftigte. Alle diese Gehilfen, Tempeldiener, Registratoren, Orakelverfertiger, Obsignatoren und Interpreten von Fragen, die in verschiedenen Sprachen an ihn gerichtet wurden, empfingen ihr reichliches Einkommen. Um die Menge auch durch Schauspiele anzuziehen, setzte er eine mystische Feier von drei Festtagen ein, mit Fackelprozessionen und allem möglichen Priesterpomp. Es wurden dramatische Pantomimen aufgeführt, welche die Niederkunft der Latona, die Geburt des Asklepios und die des Gottes Glykon darstellten.Alexandros c. 38.

Dreißig Jahre lang konnte sich diese freche Komödie behaupten, ohne daß ihr Dirigent im Gefängniß endete. Zwar fingen die Verständigen an, hinter die Coulissen zu kommen, aber es fehlte ihnen an Macht, den Gaukler zu stürzen, weil er im Volk zu feste Wurzeln geschlagen hatte. Besonders waren es die aufgeklärten Epikuräer und die Christen, welche ihm Furcht machten. Er reizte die Menge auf, sie zu steinigen, wo sie sich blicken ließen. Auch Lucian würde seine Kühnheit gebüßt haben, wenn ihn nicht der Zufall gerettet hätte. Was er davon erzählt, ist freilich ein wenig romanhaft. Als der Prophet von seiner Ankunft hörte, ließ er ihn zu sich bitten. Lucian kam mit ein paar Soldaten, die ihm der Statthalter Cappadociens als Bedeckung bis ans Meer mitgegeben hatte. Schon längst darüber erbittert, daß der Sophist es gewagt hatte, dem Rutilianus von seiner Heirat abzuraten, wollte ihn Alexander verderben; doch stellte er sich freundlich zu ihm und wußte ihn in einer geheimen Unterredung auf seinen eigenen Vorteil aufmerksam zu machen.

Lucian gesteht hier vielleicht aus romanhafter Absicht seine weltmännische Schwäche ein. Er machte sich die Winke zu nutz und ging öffentlich als Freund von seinem Feinde. Dieser lieh ihm ein Schiff zur Fahrt nach Amastris, aber er gab dem Steuermann heimlich den Befehl, den Reisenden ins Meer zu werfen. Die Schiffer setzten ihn jedoch zu Aegiali ans Land, von wo ihn vorübersegelnde Bosporaner nach Amastris brachten. Was an dieser Erzählung wahr sei, weiß Lucian allein. Er berichtet weiter, daß er sich vergebens bemüht habe, den Betrüger zur Strafe zu ziehen. »Avitus, der Statthalter von Bithynien und Pontus, war es selbst, der mein Vorhaben vereitelte, indem er mich flehentlich bat, davon abzustehen; denn Alexander würde, wenn auch entlarvt, wegen seiner Verbindung mit Rutilianus niemals bestraft werden. So mußte ich mich ruhig verhalten, denn es wäre Tollheit gewesen, vor einem so gesinnten Richter Klage zu führen.«

Alexander blieb unangefochten. Sein Betrug war eine Macht, ja eine anerkannte Religion geworden. Er setzte es sogar beim Kaiser durch, daß der Name der Stadt Abonoteichos in Jonopolis verwandelt wurde, und dieser dauert noch heute als Ynebolu fort.Mionnet, Suppl. IV, S. 550: Abonotichos quod et Ionopolis, nunc Aineh-Boli vel Inebolu. Der Lügenprophet starb im Besitze seiner göttlichen Ehren. Seine Genossen stritten sich um die Nachfolge in der Prophetenwürde, welche aber Rutilianus keinem zuerkennen wollte. Indeß das Orakel des Glykon erhielt sich noch lange Zeit nach dem Tode des Zauberers, und dieser selbst wurde durch Statuen, Medaillen und Inschriften, sogar durch einen förmlichen Göttercultus geehrt.Athenagoras (Legatio pro Christianis, c. 26) sagt, daß zu Parium die Statuen des Alexander und Proteus standen, wo auch des Alex. Grabmal gewesen sei: Alexandri adhuc in foro sepulcrum et simulacrum est . . . Alexandri autem statuae sacrificia publicis sumptibus et dies festi, tanquam exaudienti Deo peraguntur. Dacische Inschriften auf den Gott Glykon: C. I. L. III, n. 1021. 1022. Münzen von Abonoteichos oder Jonopolis des Marc Aurel und L. Verus stellen die Schlange mit dem Menschenkopf dar (’Ιωνοπολείτων Γλύκων), Eckhel II, S. 383. 384. Mionnet, Suppl. IV, S. 550, n. 3–5; n. 4. Münze mit zwei Schlangen (l'un d'eux faisant des sifflements à l'oreille de l'autre). Eine Inschrift aus Blatsche in Macedonien zu Ehren des Draco und der Dracäna und des Alexander, Ephem. Epigraphica C. I. L. Suppl. II, S. 331, n. 493. In Jonopolis bestand der Dienst des Glykon noch in der Mitte des dritten Jahrhunderts.Renan, Marc Aurèle, S. 51. Münzen Nikomedias haben den Drachen mit dem Menschenkopf noch um 240. Ibid.


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