Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Elftes Capitel.

Die griechische Sophistik. Favorinus. Dionys von Milet. Polemon. Herodes Atticus und andre Sophisten.

Die Sophistik des zweiten Jahrhunderts ist eine bemerkenswerte Lebensregung der hellenischen Geister gewesen. Sie hat unter vielen Schwankungen bis in die Zeit Justinians fortgedauert und die neuplatonische Philosophie, das Produkt der Renaissance der Ideenwelt Platons in ihrer Spannung zum Christentum, ist ihr zur Seite geblieben und auch gemeinsam mit ihr erloschen.

Während der Erschöpfung des römischen Nationalgeistes nach dem goldenen Zeitalter seiner Dichter und Prosaisten füllten die Hellenen eine Lücke in der Weltliteratur aus, denn die im Reich immer zwischen dem griechischen und lateinischen Genius schwankende Schale neigte sich ihnen wieder zu. Die Sympathien für Hellas waren seit Claudius und Nero an dem Kaiserhof hoch gestiegen. Selbst ein Domitian liebte das griechische Wesen. Er richtete die capitolischen Wettkämpfe ein nach dem Muster der olympischen Spiele. Er selbst führte in ihnen den Vorsitz in griechischem Gewande, das Haupt mit einem goldenen Kranz geschmückt. Unter der Regierung Nerva's verkündete sodann Dio Chrysostomus, der Großvater des Geschichtschreibers Cassius Dio, den Wiederaufschwung der griechischen Beredsamkeit. Ihren Sieg aber hat der Philhellene Hadrian entschieden. Die Sophistik verdankte ihm ein neues Zeitalter, und eine zweite griechische Redekunst entwickelte sich auf dem Boden des Studiums der alten Literatur. Obwol sie mit aller Nichtigkeit der an großen Gegenständen und Ideen armen Zeit behaftet war, so brachte sie es doch zu einer geistreichen Eleganz und zu so großer Meisterschaft der Form und des Vortrages, daß sie die damalige Welt berauschte. Wenn uns heute jene Declamationen über mythologische Dinge und geschichtliche Ereignisse hellenischer Vergangenheit trivial erscheinen, so ist doch die sophistische Literatur immer ein Spiegel der kosmopolitischen Bildung des Römerreichs, in welchem die Grenzen des geistigen Besitztums der Nationen aufgehoben waren. Sie erschien dem Zeitalter selbst so bedeutend, daß sie an Philostrat ihren Geschichtschreiber gefunden hat.

Weil die sophistische Schule der Griechen das Vorbild der lateinischen Rhetorik war, so gilt auch von jener, was von dieser gesagt ist. Die Zeiten des Pisistratus, Solon und Perikles, des Philipp und Demosthenes, Homer und die Dichter und vor allen die attischen Redner gaben auch hier die Stoffe her. Die Hauptsache war die Ausbildung des Vortrages zur vollendeten dramatischen Kunst und die höchste Leistung dieser griechischen Redner die geniale Improvisation des Augenblicks. Deshalb studirten sie fleißig nicht nur die Alten, sondern auch die Natur. Herodes Atticus hatte, so sagt Philostrat, die Kunst, das Herz zu rühren, nicht blos aus den tragischen Dichtern, sondern auch aus dem Leben gelernt. Marcus von Byzanz verglich die Mannigfaltigkeit der Sophistik mit dem Farbenspiel des Regenbogens, und ihre Schwierigkeit wußte Philostrat nicht besser zu bezeichnen, als dadurch, daß er zu dem im 56. Lebensjahre erfolgten Tode Polemons bemerkte: bei andern Wissenschaften fängt mit diesen Jahren das Alter an, aber der Sophist ist dann noch ein Jüngling, denn je älter er wird, desto mehr vervollkommnet er sich.

Man kann es den Sophisten nicht verdenken, wenn sie die Redekunst als die schönste Blüte des Menschengeistes verherrlichten, denn sie lebten von ihrer Frucht, aber auch ein großer Teil der gebildeten Welt hat sie als den Inbegriff aller geistigen Vollkommenheit betrachtet. Wenn schon ein römischer Redner sein Publicum zum Entzücken hinriß, so mag man sich den Enthusiasmus vorstellen, welchen ein griechischer unter Hellenen erweckte, so oft er die Musik einer Sprache ertönen ließ, die noch Weltsprache war und selbst Rom beherrschte. Die Virtuosität, aus der Rede ein Kunstwerk zu machen, haben wol nur die Griechen ganz besessen und auch zu genießen verstanden. Es gehörte ihr feines Ohr dazu, um die Silbenmaße als Modulation zu erfassen wie die Laute einer Lyra und Flöte. Polemon pflegte nach langen Redeperioden zu lächeln, um dadurch zu zeigen, wie wenig ihn so etwas anstrengte. Künstelei war hier alles, aber sie galt eben als Kunst.

So hoch stand die Sophistik in der Bewunderung der Welt, daß ihr Besitz den höchsten Würden vorgezogen wurde. Man erkaufte sich den Namen des Sophisten und das Vergnügen, declamiren zu dürfen, selbst mit teurem Gelde. Philostrat erzählt von einem reichen Jünglinge, der sich von seinen Schmarotzern als Declamator feiern ließ, daß er Schuldnern den Besuch seiner Vorträge an den Zinsen abrechnete. Auch Polemon hatte von ihm Geld geborgt, hörte ihn aber aus Verachtung nur selten; als nun der junge Redner ihm mit einer Schuldklage drohte, entschloß er sich, ihn nach Wunsch zu besänftigen, konnte aber dessen Geschwätz nicht aushalten und rief: »Varus, bringe nur lieber deine Klageschrift her.« Die Sophisten hielten sich ihre Beifallrufer; ausdrücklich verlangte Aristides von Marc Aurel, welcher ihn zu hören wünschte, er solle erlauben, daß seine Freunde klatschen dürften.Philostr., Vita Soph. Aristides, Vol. II, S. 88.

Die Redekünstler wanderten wie Schauspieler umher und gaben Gastrollen. Wenn sie berühmt waren, feierten Städte ihr Auftreten mit Festen. Sie verliehen ihnen nicht selten das Bürgerrecht, errichteten ihnen Bildsäulen, gaben ihnen Einfluß auf ihre wichtigsten Angelegenheiten und sie bedienten sich ihrer als Gesandten an den Kaiser. So erwarb sich der Rhetor Marcus als Abgesandter der Byzantiner die Gunst Hadrians. Sicherlich haben Städte wie Smyrna und Pergamon gerade der Sophistik einen neuen Glanz zu verdanken gehabt. Die Ruhmsucht und Eitelkeit dieser Sophisten fanden hinreichende Nahrung an dem theatralischen Sinn und der Thatenarmut der damaligen, namentlich der hellenischen Welt, die auch der Mittelmäßigkeit, wie allem, was blendend, sinnverwirrend und pralerisch war, Denkmäler zu setzen pflegte. Doch erklärt sich die Macht der Redekünstler gerade unter den Hellenen auch aus dem Patriotismus. Denn sie riefen den Griechen den Ruhm ihres Namens, die Thaten der Vorfahren und den Schatz ihrer Literatur ins Bewußtsein zurück, während sie selbst den Schein hervorbrachten, daß diese antike Literatur sich noch lebendig in neuen Productionen fortsetze. Wenn es auch übertrieben ist, was Philostrat von dem Einflusse des Apollonius auf Vespasian erzählt hat, so ist es doch Thatsache, daß auch die römischen Kaiser die Sophistik als eine Macht anerkannt haben.Philostr., Vita Apollon. V, c. 31. Sie huldigten ihr, weil sie das Geistesleben der Hellenen darstellte, und mit diesem mußten sie einen Vertrag schließen, wenn anders sie selbst auf der Höhe ihrer Zeit stehen wollten. Es kam ihnen immer darauf an, im Osten als die Nachfolger Alexanders auch vom Hellenentum anerkannt zu sein, und aus olympischen Posaunen haben die Sophisten reichlich ihr Lob verkündet. Selbst nicht ein Plinius hat die Weltgröße Roms so begeistert gepriesen, als es die griechischen Redner der Zeit der Antonine gethan haben.Ueber die Sophisten im Allg.: Lud. Cresollius, Theatr. veter. rhetor. I, c. 8; A. Westermann, Gesch. der griech. Beredsamkeit, S. 198 f.; die betreffenden Abschnitte bei Friedländer.

Die Hauptsitze der Sophistik waren Smyrna und Athen, Ephesus und Pergamon, dann Antiochia, Berytus und andre phönizische Städte. Aus Prusa in Bithynien stammte der Chorführer dieser neuen Redeschule, Dio Chrysostomus, welcher in der Mitte des ersten Jahrhunderts geboren war und noch unter Trajan geglänzt hat. In der antoninischen Zeit erreichte die Sophistik ihre Höhe. Die Zahl dieser Redekünstler ist Legion. Hadrian selbst ist ihnen beizuzählen. Seine Reden und Abhandlungen wurden gesammelt und gelesen, und Photius hat ihnen einiges Lob gespendet. Nichts davon ist erhalten.Photius 100: Μελέται διαφόραι – εις τὸ μέτριον ανηγμέναι καὶ ουκ αηδει̃ς. Von seinen Sermonen und Orationen Charisius, Art. Gramm. II, 129. 240.

Es ist merkwürdig genug, daß einer der berühmtesten griechischen Sophisten jener Zeit ein Gallier gewesen ist. Dies war Favorinus aus Arelate. Wenigstens hat ihn Philostrat in diese Classe gesetzt, obwol er eigentlich ein platonischer Philosoph war und von seinem Schüler Gellius stets als solcher bezeichnet wird.Gellius I, 3; X, 13; XVII, 12. Wenn dieser nicht zu sehr mit dem Auge der Liebe gesehen hat, so war Favorinus ein Mann von viel Erfahrung und ruhigem Urteil.Gellius IV, 1: Sic Favorinus sermones in genus commune a rebus parvis et frigidis abducebat ad ea, quae esset magis utile audire ac discere, non allata extrinsecus, non per ostentationem, sed indidem nata acceptaque – XVI, 1. Wie Philostrat behauptete, war er ein Zwitter, bartlos und kastratenstimmig, und dabei so weibertoll, daß er von einem Consularen als Ehebrecher verklagt wurde. Seine griechische Bildung mußte dem Kaiser Hadrian besonders sympathisch sein. Ihn vorzugsweise nennt Spartian unter den Gelehrten seines Hofes. Daß er ein geschulter Höfling war, kann folgende Anekdote zeigen: eines Tages wies ihn Hadrian in einer wissenschaftlichen Frage zurecht, und Favorinus gab ihm sofort nach; als nun seine Freunde ihn deshalb tadelten, antwortete er: »Laßt mich nur immerhin glauben, daß derjenige auch der klügste Mann auf Erden sei, welcher dreißig Legionen commandirt.«

Es ist schwerlich mehr als eine Fabel, daß der Ruhm des Favorinus die Eifersucht des Kaisers erregt habe, so daß er ihn durch die Bevorzugung seiner Gegner zu verdrängen suchte. Aber in die Ungnade Hadrians scheint er wirklich gefallen zu sein, ohne jedoch daran zu Grunde zu gehen. Er konnte vielmehr drei Dinge als die größesten Merkwürdigkeiten seines Lebens bezeichnen: daß er als Gallier ein Hellenist war, daß er als Eunuch um Ehebruch belangt wurde, und daß er den Kaiser zu seinem Gegner hatte und doch am Leben blieb.Philostr., Favorin., am Anfange: Γαλάτης ὼν ελληνίζειν, ευνου̃χος ὼν μοιχείας κρίνεσθαι, βασιλει̃ διαφέρεσθαι καὶ ζη̃ν. Die Athener sollen sogar, im Glauben, Hadrian sei dem Favorinus unversöhnlich Feind, die eherne Bildsäule umgestürzt haben, die sie ihm errichtet hatten, und auch darüber wußte er sich zu trösten. Trotz der Uebereinstimmung seiner Studien mit denen des Kaisers, teilte er nicht weder dessen Vorliebe für die altertümliche Literatur, noch seine mystische Richtung. Dies beweist seine Rede gegen die Astrologen, die er in Rom hielt.Gellius XIV, 1. Sie mag den Kaiser verdrossen haben, und auch sonst wird er durch die Anmaßung Favorins beleidigt worden sein. So lächerlich die Eitelkeit solcher Sophisten auch gewesen sein mag, so ist doch immer anzuerkennen, daß sie, gleich den Cynikern, die Ebenbürtigkeit des Geistes auch vor dem Kaisertron zu behaupten wußten.

Mit Polemon war Favorinus im Streit. Ephesus hatte für ihn, Smyrna für jenen Partei genommen. Literarische Fehden entbrannten damals nicht minder heftig als im scholastischen Mittelalter und in der Zeit des Poggio und Valla, wo das literarische Treiben des Altertums nachgeahmt wurde. Philostrat folgerte aus diesem Streit, daß Favorinus Sophist gewesen sei, da Eifersucht nur innerhalb gleicher Profession stattfinde. Besser vertrug sich Favorinus mit Herodes Atticus seinem Schüler, welchem er seine Bücher, sein Haus in Rom und seinen schwarzen indischen Sclaven vermachte. Auch mit Plutarch, der ihm seine Schrift über das Princip der Kälte widmete, war er befreundet, und den berühmten Dio Chrysostomus schätzte er als seinen eigenen Lehrer.

Favorinus war von großer Fruchtbarkeit der Produktion, einer der Universalmenschen jener Zeit, und darin dem Plutarch ähnlich. Doch haben sich von seinen Schriften nur wenige Fragmente erhalten. Als sein bestes Werk galten zehn Bücher pyrrhonischer Tropen. Gellius rühmt sein elegantes Griechisch, dessen Anmut in lateinischer Rede nicht zu erreichen gewesen sei, und Philostrat seine bezaubernde Aussprache, sein sprechendes Auge und die Melodie seines Vortrages; »denn selbst solche, welche das Griechische nicht verstanden, hörten ihm mit Lust zu; er bezauberte sie durch den Klang der Rede, der ihnen als Gesang erschien.«Philostr., Vol. II, 11.

Unter den Redekünstlern glänzte auch Dionys von Milet, ein Schüler des Assyriers Isäus. Hadrian gab ihm eine Stelle im Museum Alexandrias und machte ihn zum Ritter und sogar zum Statthalter einer Provinz.So behauptet wenigstens Philostr. II, 37: σατράπην μὲν αυτὸν απέφηνεν ουκ αφανω̃ν εθνω̃ν. Daher erscheint die Behauptung, der Kaiser habe auch diesen Sophisten aus Neid verderben wollen, sehr zweifelhaft. Dionys sagte einmal voll Selbstgefühl zu Heliodor, dem Geheimschreiber Hadrians: der Kaiser kann dich reich machen, aber zum Sophisten machen kann er dich nicht.Dio 69, 3. Er reiste in vielen Städten umher und hielt in Lesbos eine Rednerschule. Er starb zu Ephesus, wo man ihn auf dem schönsten Platze der Stadt begrub und mit einem Denkmal ehrte. Da er älter war als Polemon, machte ihn das Genie des jungen Rhetors besorgt. Er hörte ihn einmal in Sardes, wohin jener von Smyrna gekommen war, um einen Prozeß zu führen, doch war er klug genug, seinen Ruf nicht an den geforderten Wettstreit mit ihm zu wagen. Er soll sich durch Natürlichkeit des Vortrages ausgezeichnet haben. Sein seltenes Gedächtniß teilte sich als mnemonische Kunst auch seinen Schülern mit, daher seine Neider behaupteten, er habe durch chaldäische Zaubermittel solche Erfolge bewirkt. Philostrat bemerkt dazu: »Künstliche Mittel für das Gedächtniß gab es nicht, noch wird es solche geben. Das Gedächtniß lehrt zwar die Künste, ist aber selbst durch keine Kunst erlernbar, weil es ein Geschenk der Natur und ein Teil der unsterblichen Seele ist.«Philostr., Vol. II, S. 36. Es ist die Königin der Dinge, nach Sophokles.

Berühmte Sophisten jener Zeit waren ferner Alexander von Troas, Skopelianus, Sabinus, Asklepios von Byblos, Lollianus von Ephesus und Marcus von Byzanz. Lollian war der Ruhm Athens, wo er zuerst den Tron der Beredsamkeit einnahm. Philostrat nennt ihn einen rechtschaffenen und wolgesinnten Mann. Durch seinen Unterricht in der Theorie und Praxis der Redekunst wurde er reich. Der athenische Senat errichtete ihm eine Ehrenstatue.Inschrift bei Spon, Itin. II, S. 336.

Alle Sophisten dieses Zeitalters sind durch Polemon und Herodes Atticus überstralt worden. Sie waren nicht nur die anerkannten Meister ihrer Kunst, sondern sie lebten auch im Besitze großer Reichtümer den Fürsten gleich, und wie Halbgötter sind sie von ihrer Zeit geehrt worden.

Polemon, aus einer Consularfamilie im karischen Laodicea, war das Haupt der jonischen Schule und der Stolz Smyrnas. Da er Tausende von Schülern herbeizog, gewann er solches Ansehen, daß er diese Stadt regierte. Er stiftete Frieden unter ihren Parteien, beabsichtigte die Verwaltung, suchte die Ueppigkeit zu mäßigen und den Bürgern das Gefühl der Selbständigkeit wieder zu geben, indem er ihre Streitigkeiten nicht vor den Proconsul bringen, sondern zu Hause schlichten ließ. Solche bürgerliche Thätigkeit war die schönste Seite im Leben berühmter Sophisten. Sie konnten die Friedensrichter, die Mäcene und die Sachwalter ihrer Städte vor den Kaisern sein. Polemon wußte die Gunst Hadrians für Smyrna in solchem Maße zu gewinnen, daß dieser der Stadt 10 Millionen auf einmal schenkte, wovon sie Magazine, einen Tempel und das prächtigste Gymnasium in ganz Asien baute.Philostr. II, 43. Kein Wunder, daß sie den Sophisten mit hohen Ehren belohnte. Sie verlieh ihm unter anderm für sich und seine Nachkommen den Vorsitz bei den Olympien und die Führung des heiligen Schiffs des Dionysos.

Trajan, Hadrian und die Antonine zeichneten Polemon auf jede Weise aus. Er kam oft als Gesandter Smyrnas nach Rom. Ihm übertrug Hadrian die Rede zur Einweihung des Olympieion in Athen. Welche schönere Gelegenheit konnte sich ein Sophist zum reden wünschen, als diese! Leider ist dies Prachtstück verloren gegangen. Philostrat sagt, daß er bewundernswürdig geredet habe. Polemon lebte im großen Stil. Auf Reisen führte er köstliche Geräte, Pferde, Sclaven und Hunde mit sich, und er tronte wie ein Marc Antonius auf einem reich geschmückten Wagen. Es muß damals eine glänzende Welt der Repräsentation gewesen sein, wenn ein einzelner Sophist so großartig auftreten konnte. Aehnliches erzählt Philostrat auch von dem Tyrier Hadrian und von Herodes Atticus. Polemon, so sagt er, erhob sich zu solcher Größe, daß er mit Städten wie ihr Fürst und mit Fürsten und Göttern wie mit seines Gleichen redete. Als einmal der Proconsul von Asien, es war der spätere Kaiser Antoninus Pius, in des abwesenden Sophisten Haus ohne weiteres Quartier nahm und dieser in der Nacht heimkehrte, zwang er den ungebetenen Gast zum Auszuge, und der römische Proconsul fügte sich. So durfte auch in den Zeiten der Willkür Talent sich der Macht gleich achten. Von Polemons Streitsucht ist oben die Rede gewesen. Er bekämpfte nicht alle ihm ebenbürtige Sophisten, am wenigsten Skopelianus und Herodes Atticus. Dieser war sein aufrichtiger Bewunderer; als ihm einst das Volk zurief, er sei der zweite Demosthenes, entgegnete er: Ich bin der zweite Phrygier (Polemon). Philostrat will es dieser Hochachtung zuschreiben, daß Herodes heimlich in der Nacht von Smyrna abreiste, um nicht zu einem Wettstreit mit jenem gezwungen zu werden.

Polemon war groß als Improvisator. Sein Vortrag wird geschildert als warm, kraftvoll, starktönend wie eine Tuba. Man nannte ihn die olympische Posaune. Seine Gedanken erschienen seiner Zeit demosthenisch erhaben, gleich den Aussprüchen des Dreifußes. Der sentenzenreiche Prunk der jonischen Schule scheint nicht seine Manier gewesen zu sein. Philostrat mußte ihn sogar gegen diejenigen verteidigen, welche ihm Bilderschmuck und Zierlichkeit absprachen. Einmal schreibt Marc Aurel an Fronto: »Drei Tage lang habe ich Polemon declamiren gehört. Wenn du mich fragst, wie er mir erschienen sei, so will ich sagen, als ein sehr thätiger und ernster Landmann, welcher sein großes Landgut nur mit Korn und Wein bebaut, wovon er denn auch die schönste und reichste Frucht gewinnt. Doch auf diesem Gut gibt es nirgends Feigen von Pompeji, noch Gemüse von Aricia, noch Rosen von Tarent, noch wonnige Haine und dichten Wald oder schattige Platanen. Alles ist mehr auf den Nutzen als das Vergnügen berechnet, mehr zu loben als zu lieben. Aber muß ich nicht in meinem kühnen Urteil übereilt und anmaßend erscheinen, da ich es über einen Mann von solchem Ruhme abgebe?«Fronto, Epistolar. II, 8, S. 40: cum de tantae gloriae viro existimo? Wir müssen diese kritische Ansicht als Autorität gelten lassen, da wir von Polemon nichts besitzen als zwei Grabreden auf die bei Marathon gefallenen Helden Cynegirus und Antimachus.Επιτάφιοι λόγοι – Laudationes duae funebres ed.Orelli, 1819. Declamationes quae extant duae rec. Hink, Lips. 1873. Er starb unter Marc Aurel um das Jahr 153, 56 Jahre alt, den freiwilligen Hungertod, weil eine unheilbare Krankheit ihn an der fernern Ausübung seiner geliebten Kunst verzweifeln machte.

Noch anziehender und für das Culturleben lehrreicher ist die Erscheinung des Herodes Atticus, des berühmten Wolthäters der Stadt Athen, die von diesem einen Manne fast ebensoviel Glanz empfangen hat als von ihrem großen Gönner auf dem Cäsarentrone. Dieser Glückliche vereinigte, was selten sich zu verbinden pflegt, die Reichtümer des Krösus mit so viel Gaben der Musen Attikas, als seine Zeit noch ertragen konnte.

In dem berühmten Marathon war er am Anfange des 2. Jahrhunderts geboren.Man setzt seine Geburt entweder ins J. 95 oder 101, gestützt auf Philostr., Vit. Herod., c. 14, wo von seiner ersten Begegnung mit Hadrian in Pannonien geredet wird, und diese glaubt Olearius (zur Vita Herodis) im J. 119 geschehen. Franz (C. I. G. III, S. 922 , 925) nimmt das für richtig an. Herod. soll damals 25 J. alt gewesen sein, während Heyse ein Alter von 18 Jahren annimmt. Keil in Pauly's Reallex., Artik. Herod. Att., hält 101 für das Geburtsjahr. Aber keine dieser Berechnungen ist sicher. Er selbst behauptete, von den Aeakiden abzustammen. Polemon, Favorinus, Skopelianus und der athenische Sophist Secundus waren seine Lehrer, und der Tyrier Taurus führte ihn in die platonische Philosophie ein. Alle seine Zeitgenossen von Namen schien Herodes bald zu verdunkeln. Sein Andenken hat auch länger gedauert als das ihrige; jedoch verdankt er diesen Vorzug weniger seinem Genie, als der liberalen Anwendung, die er von seinem Vermögen machte. Sein Vater Atticus hatte in einem seiner Häuser am Theater zu Athen einen Schatz gefunden, welchen ihm der großmütige Nerva schenkte. Dieser Zufall und die Güter seiner Mutter machten Herodes mehr als reich. Aber er verstand sein Gold auf die großartigste Weise flüssig zu machen.

Er war ein Jüngling, als er sich Hadrian in Pannonien vorstellte, doch mit der Rede, die er an ihn hielt, fiel er durch. Erst im Winter von 125–126 trat der junge Mann dem Kaiser in Athen nahe und seither begann er zu glänzen. Damals machte ihn Hadrian zum Corrector der freien Städte Asiens, für welche dann Herodes mit Freigebigkeit sorgte. Er liebte den Nachruhm über Alles, denn schwerlich hat er seine Bauten nur aus Wolthätigkeitstrieb oder aus Kunstenthusiasmus unternommen. Sein heißester Wunsch war die Durchgrabung des Isthmus von Korinth. Das Bedürfniß, die beiden Meere Griechenlands durch einen schiffbaren Canal zu verbinden, war längst empfunden worden, und Nero hatte bei seiner Anwesenheit in Korinth nicht nur den Plan dazu gefaßt, sondern auch seine Ausführung begonnen.Sueton., Nero, c. 19. Dio 63. 16. Noch heute sieht man die Spuren des neronischen Durchstichs auf der schmalsten Stelle der Landenge, dort wo der alte Diolkos sich befand, und ihnen sind auch die heutigen Ingenieure gefolgt. Es waren weniger die Bedenken der damaligen Wissenschaft über die Durchführbarkeit des Unternehmens oder abergläubische Scheu der Menschen, der Natur Gewalt anzuthun, als seine launenhafte Unbeständigkeit und die schnelle Rückkehr nach Rom, was Nero veranlaßte, von jenem Werk abzustehen.Lucian, Nero, c. 4. Aegyptische Geometer behaupteten, daß die Wasserspiegel beider Meere nicht gleich seien, daher nach dem Durchstich die Insel Aegina der Ueberflutung ausgesetzt sei. Indeß diese Ansicht wurde nur vorgeschützt; es war die Rebellion des Vindex, welche Nero aus Griechenland abrief. Kein Kaiser nach ihm hat dasselbe wieder aufgenommen. Erst in Herodes erwachte die Idee dazu, und sie machte dem großartigen Sinn des Sophisten nicht wenig Ehre. Was Philostrat davon erzählt, ist heute doppelt merkwürdig, wo nach langen Jahrhunderten der Durchstich des Isthmus ausgeführt wird. Als Herodes eines Tags mit dem Athener Ktesidemus nach Korinth fuhr und zum Isthmus gelangte, sagte er: »Ich bemühe mich schon lange Zeit, der Nachwelt ein Denkmal zu hinterlassen, welches ihr bezeugen soll, daß ich ein Mann gewesen bin, aber ich verzweifle, solchen Ruhm je zu erlangen.« Sein Begleiter bemerkte hierauf, daß der Ruhm seiner Reden und Bauwerke von niemand erreicht werden könne, aber Herodes entgegnete ihm: »Meine Werke sind vergänglich und ein Raub der Zeit, auch an meinen Reden wird bald dieser bald jener etwas zu tadeln wissen, aber die Durchgrabung des Isthmus würde ein unsterbliches und aus Grund der Natur unglaubliches Werk sein; jedoch um den Isthmus zu durchbrechen, bedarf es, so scheint es mir, eher des Poseidon als eines Mannes.«η δὲ του̃ ’Ισθμου̃ τομὴ έργον αθάνατον καὶ απιστούμενον τη̃ φύσει, δοκει̃ γὰρ μοι τὸ ρη̃ξαι τὸν ’Ισθμὸν Ποσειδω̃νος δει̃σθαι ὴ ανδρός. Philostr. II, 60.

Die Ansicht des Herodes beweist, daß die technischen Schwierigkeiten des Unternehmens in jener Zeit noch für sehr groß gehalten wurden. Pausanias erzählt, die Pythia habe den Knidiern abgeraten, ihre Landenge zu durchstechen, und bemerkt dazu: »So schwierig ist es für den Menschen, den Göttern Gewalt anzuthun.«Ούτω χαλεπὸν ανθρώπω τὰ θει̃α βιάσασθαι. Pausan, Korinth. II, 1, 5. Herodes Atticus wäre jedoch der rechte Mann gewesen, um den Durchstich des Isthmus von Korinth trotz des Poseidon auszuführen; nur hatte er, so behauptet Philostrat, nicht den Mut, den Kaiser um die Erlaubniß dazu zu bitten, weil er fürchtete, als anmaßend getadelt zu werden, wenn er ein Werk unternahm, für welches der Verstand Nero's nicht ausgereicht hatte.Ουκ εθάρρει δὲ αυτὸ αιτει̃ν εκ βασιλέως, ως μὴ διαβληθείη διανοίας δοκω̃ν άπτεσθαι, η̃ μηδὲ Νέρων ήρκεσεν. Philostr. ut supra.

Daß nicht er selbst, sondern Polemon die olympische Einweihungsrede hielt, wird ihn kaum weniger bekümmert haben als der Verzicht auf den isthmischen Ruhm. In Athen bekleidete er übrigens die lebenslängliche Würde des Oberpriesters des Kaisercultus.I. A. III, n. 478. 664. 665. 735. 1132. Er war auch Archon Eponymos.I. A. III, n. 735. 736 und 69a. Vidal-Lablache (Hérode Atticus, S. 34) nimmt dafür das J. 135 an, dagegen Dittenberger, Die attische Panathenaiden-Aera (Comment. Momms., S. 252) d. J. 127–8. Er wurde wol Archon nach seiner Rückkehr vom Amt des Correctors der freien Städte Asiens (Keil). Mit einem göttergleichen Selbstbewußtsein muß ein Privatmann erfüllt gewesen sein, welcher Millionen ausstreute wie Hadrian, in Athen baute und zugleich Reden hielt wie Perikles, viele andre Städte mit prachtvollen Werken schmückte und von ihnen mit Huldigungen gefeiert wurde, die nicht blos seinem Reichtum, sondern auch seinem Genie galten. Aber der Sohn dieses Halbgottes konnte das ABC nicht begreifen, der Vater ließ 24 Knaben mit ihm erziehen, deren jeder einen Buchstaben des Alphabets als Namen erhielt, was nichts fruchtete. Um seine Trauer über den Tod seines Weibes, der reichen Römerin Appia Annia Regilla, an den Tag zu legen, ließ Herodes sein Haus schwarz malen und mit schwarzem lesbischen Marmor verdunkeln, wofür, wie für manche andre theatralische Schaudarstellung seiner Trauer, er sich den Spott Lucians zuzog.Lucian, Demonax 24. 25. 23. Wenn dies fantastische Narrheit war, so war die Schmeichelei der Athener, welche den Todestag der Panathenais, einer Tochter des Herodes, aus dem Kalender strichen, noch lächerlicher. Diese Griechen trieben den Cultus des Genies so weit, daß sie sogar die Stimme, den Gang und die Kleidung eines verstorbenen Sophisten nachahmten, nämlich des Hadrian von Tyrus.Philostr. II, 10.

Herodes soll mit seiner so prunkvoll betrauerten Gemalin in keinem guten Verhältniß gelebt haben; er wurde sogar von seinen Feinden angeklagt, daß er sie durch einen Sclaven habe umbringen lassen. Diesen Vorwurf weist Philostrat zurück wie jenen, daß Herodes, als er Corrector der freien Städte Asiens war, mit dem damaligen Proconsul Antoninus, dem späteren Kaiser, in thätlichen Zwist geraten sei; doch merkt man aus solchen Anekdoten immer, wie groß der Stolz, die Streitsucht und die Leidenschaftlichkeit dieses Mannes gewesen sind. Die Sophisten jener Zeit waren nahe daran, die Tyrannis in Städten zu erlangen. Unter andern Verhältnissen hätte ein den Geldmarkt beherrschender Bürger wie Herodes die Gewalt in der Republik Athen an sich gerissen und eine Dynastie gestiftet, wie das später in Florenz dem Bankier Cosmus Medici gelang. Die Scharen seiner Sclaven, Diener, Beamten und Clienten hätten ein Heer bilden können, und seine Freigelassenen beleidigten das athenische Volk, in welchem noch immer ein demokratischer Sinn fortlebte, durch Handlungen des Uebermuts. Die Athener konnten zuletzt das hochfahrende Wesen ihres Wolthäters nicht mehr ertragen. Es bildete sich gegen ihn, wie ehemals gegen Pisistratus, eine Partei. Diese stützte sich auf die beiden Quintilier, welche die Statthalterschaft Griechenlands besaßen. Die Brüder Condianus und Maximus Quintilius, von Geburt Ilier, waren durch ihren Geist, ihren Reichtum und ihre Liebe zu einander berühmt; denn in Eintracht bekleideten sie zusammen die höchsten Aemter. Sie genossen bei Marc Aurel das größeste Ansehen. (Commodus ließ nachher beide tödten.) Die Athener nun baten diese Brüder um ihre Vertretung gegen Herodes vor Marc Aurel, und sie machten ihm im Jahre 168 den Prozeß wegen seines gewalttätigen Wesens in Angelegenheiten der Stadt, und wegen der Excesse seiner Freigelassenen. Herodes und seine Gegner, unter denen sich auch der Sophist Theodotus befand, stellten sich vor dem kaiserlichen Richterstul in Sirmium. Der Streit führte wirklich den Sturz des Sophisten von seiner Stellung in Athen herbei, endigte indeß nicht so zum Nachteile des Angeklagten, daß ihm der Kaiser seine Gunst entzogen hätte.Philostrat hat das ausführlich erzählt. Siehe auch Hertzberg II, 399 f. Erbittert und mit Athen zerfallen, zog sich der alte Herodes auf seine Villen in Kephisia und Marathon zurück. In dem letzten Ort starb er um das Jahr 177. Die Epheben Athens entführten seine Leiche mit Gewalt und bestatteten sie feierlich in dem panathenaischen Stadium, welches er selbst prachtvoll ausgebaut hatte. Sein Schüler Hadrian von Tyrus hielt ihm die Leichenrede. Auf sein Grabmal schrieben die Athener: »Hier ruht Herodes, Sohn des Atticus, der Marathonier, welcher all dies erschaffen hat, in der ganzen Welt geehrt.«Philostr. II, 73.

Die Schriften des Herodes sind verloren gegangen. Seine Ephemeriden sollen ein tüchtiges Werk gewesen sein. Von seiner Redeweise bemerkt Philostrat, daß sie dem Kritias nachgeahmt war; sie habe weniger durch Effecte getroffen, als überlistet, sie sei leicht und ungezwungen dahingeflossen gleich einem Silberstrom, aus welchem Goldkörner hervorglänzen.


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