Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Siebzehntes Capitel.

Versuche der Restauration des Heidentums. Plutarch und Lucian.

Es fehlte nicht an ernsten Bestrebungen, namentlich der Philosophen aus der platonischen und pythagoräischen Schule, den Verfall der antiken Religion durch eine Reform ihres moralischen Inhalts aufzuhalten. Mit Celsus, dessen Lebensumstände unbekannt sind, der aber noch dem hadrianischen Zeitalter angehört hat, begann unter Marc Aurel das Heidentum sogar seinen dogmatischen Kampf gegen die Lehre der immer mächtiger werdenden Christen.Seine Schrift Αληθὴς λόγος ist durch die Auszüge im Origenes contra Celsum erhalten. Kellner, Hellenentum und Christentum, S. 25 f. Wahrscheinlich ist es dieser Celsus gewesen, welchem Lucian die Geschichte des Lügenpropheten Alexander gewidmet hat. Ihr hat dann im dritten Jahrhundert der athenische Sophist Flavius Philostratus, der Freund der Kaiserin Julia Domna, seinen berühmten Roman Apollonius von Tyana entgegengesetzt. Wenn auch die geschichtliche Gestalt dieses pythagoräischen Philosophen ans der Mitte des ersten Jahrhunderts (sie ist dem Spotte Lucians nicht entgangenAlexander c. 5.) erst durch Philostrat zu einem Gegenchristus des Heidentums umgedichtet worden ist, so waren doch schon viel früher ähnliche Vorstellungen über ihn und auch Biographien von ihm verbreitet, wie jene des Damis, des Maximus von Aegä, des Möragenes, welche Philostrat benutzt hat. Hadrian selbst hat in seiner Bibliothek zu Antium eine Sammlung von Briefen des Apollonius bewahrt, vielleicht nur weil er ihn als den größten der Magier ehrte.Philostr. vita Apollon. VIII, 19.

Während nun die Epikuräer und Cyniker die antike Mythologie durch den Atheismus verneinten, während Skeptiker und Stoiker die Götter sein oder nicht sein ließen, nahm sich die platonische Theologie ihres Wesens an, und sie machte verzweifelte Anstrengungen, die alten Dogmen zu retten. Diese Bemühungen konnten nur von Griechenland ausgehen, dessen religiöse Kulte nicht in die fratzenhafte Ungeheuerlichkeit der orientalischen Götterdienste ausgeartet waren, sondern einen geschichtlichen Bestandteil der Nation bildeten, während sie ihre Stütze an der Philosophie und auch an der Kunst fanden. Ein so hoch gebildeter Mann wie Plutarch hatte noch das naivste Genügen an dem antiken Olymp. Als Feind des Materialismus war er der Vorkämpfer der neuplatonischen Lehre. Er schrieb Abhandlungen gegen die Ansichten des Epikur und der Stoa, und machte darin die heftigsten Ausfälle wider die Gottlosigkeit des Jahrhunderts, welches er durch die Lehre Platons sittlich emporzuheben unternahm. Mit dem Mut eines von Gottesfurcht beseelten Priesters eiferte er gegen die Laster der Zeit, die Ueppigkeit und Wollust, die Knabenliebe, die Fechterkämpfe, die Bedrückung der Sclaven. Wenn in der sich auflösenden Welt des alten Glaubens irgend ein Mann noch darthun konnte, daß Philosophie und Ehrfurcht vor der Gottheit zur Glückseligkeit ausreichen, so ist es Plutarch gewesen, der am meisten in sich befriedigte und glücklichste Mensch des untergehenden Altertums.

Sein Fleiß, seine Gründlichkeit, seine Belesenheit in den alten Philosophen und Dichtern, sein oft heiliger Eifer und seine edle Moral sind hoch anzuerkennen, aber seine Dialektik ist ganz unmächtig. Der Boden der antiken Religion, welche er verteidigen will, wankt ihm unter den Füßen, denn diese olympischen Götter sind nur Versteinerungen; sie können ein Museum der Kunst zieren, aber sie lassen sich nimmer in ethische und intellectuelle Mächte philosophisch verwandeln. Plutarch flüchtet sich, wie später Plotin und Porphyrius, in das Nebelreich der Dämonologie. Die Dämonen müssen als Mittelwesen herhalten und die Albernheiten und Verbrechen der Götter auf sich nehmen, damit diese als abstracte Wesen aus dem moralischen Ruin sich retten können. Er nimmt auch zur Allegorie und ethischen Deutung der Mythologie seine Zuflucht.De audiendis poetis, eine interessante Schrift, worin Plutarch Anweisungen gibt, wie Jünglinge die Mythen, namentlich der Dichter zu verstehen haben, nämlich moralisch und künstlerisch, so daß was die Dichter sagen, nicht als absolut wahr, sondern aus der Situation und dem Character der Figuren aufzufassen sei. Er wird vollends zum Mystiker. Wenn er den gemeinen Aberglauben der Menge bekämpft, hält er doch den Wahn der Divination und Mantik fest.

Die Schriften Plutarchs haben zu ihrer Zeit schwerlich einen philosophischen Kopf überzeugen können, desto mehr gewannen sie die Gefühlsmenschen als moralische Erbauungsbücher. In seiner Abhandlung über die Daisidämonie ist der Grundsatz seiner Ethik enthalten, daß man die Götter lieben, nicht sie fürchten müsse. Nach seiner Ansicht hat die Unwissenheit über sie zwei Quellen, die Gottlosigkeit und den Aberglauben. Der Gottlose glaubt nicht an die Götter, um sie nicht fürchten zu müssen; der Abergläubige glaubt an sie, aber er stellt sie sich vor als schreckenbringende und furchtbare Wesen. Man soll aber die Götter nicht hassen, sondern sich zu ihnen in das Verhältniß des Vertrauens, der Hoffnung und Liebe setzen. Noch weiter hat Plutarch diese Forderungen in seiner Schrift gegen die Epikuräer entwickelt, worin er beweisen will, daß man nach der atheistischen Lehre des Epikur nicht glücklich leben könne. Es sei besser, den Glauben an die Götter festzuhalten, sie zu ehren und selbst zu fürchten, als alle Hoffnung, und in »schrecklichen Zeiten« jede Zuflucht zu den Himmlischen aufzugeben. Weder der Aufenthalt in den Tempeln, noch festliche Male, noch Schauspiele erfreuen mehr, als wenn sie in Bezug auf jene bei Opfern, Mysterien und Tänzen begangen werden. Denn der Gedanke an Gott befreit den Menschen von der Angst und erfüllt ihn bis zur Ausgelassenheit mit Freude. Wer aber die Vorsehung abgeschworen hat, kann an dieser Freude nicht mehr Teil haben. Tapfer verteidigt Plutarch auch den Glauben an die Unsterblichkeit und das Wiedersehen nach dem Tode. Wie er hat auch sein jüngerer Zeitgenosse, der griechische Rhetor Aelius Aristides, aus Hadriani in Mysien, ein Schüler Polemons, den antiken Götterglauben mit einer wahrhaft frömmelnden Schwärmerei wieder herzustellen gesucht.Siehe seine Götterreden und die Schrift Baumgarts Aelius Aristides als Repräsentant der sophistischen Rhetorik, 1874.

Gegenüber solchen träum erischen Bestrebungen der Pythagoräer und Platoniker, durch die Dämonologie und eine dem Christentum sich nähernde Ethik den sinkenden Olymp zu stützen, erhob sich in Lucian dessen furchtbarster Feind. Der Sophist von Samosata erscheint flach und klein neben der priesterlichen Gestalt Plutarchs, doch er führte Waffen, die vernichtend genug waren. Man wirkt auf die Menge nicht durch das Erhabene, aber durch das Lächerliche. Welche Wirkung die erbarmungslose, ganz populäre Satire dieses Pamphletisten auf seine Zeit hervorgebracht hat, läßt sich am besten daraus erkennen, daß seine Schriften noch heute den lebendigsten Eindruck machen, obwol viele Beziehungen auf die damaligen Verhältnisse uns nicht mehr verständlich sind. Lucian war ein Verächter des Christentums; dieses neue Mysterium »des gekreuzigten Magiers« erschien ihm, wie auch dem Kaiser Hadrian und wie allen Menschen der großen Welt, als etwas so absurdes, daß er nur an wenigen Stellen seiner Schriften im wegwerfenden Tone davon geredet hat.Eigentlich nur im Alexander und im Peregrinus, denn andere Stellen wie im Philospeudes c. 16, in den Wahren Geschichten und im Kampf des Endymion mit Phaeton können nur gezwungen als Anspielungen auf die Christen gedeutet werden. Kellner, Hellenismus und Christentum, S. 89 f. Trotzdem ist sein Atheismus einer der stärksten Verbündeten des Christentums gewesen, und sein Witz hat eine Bresche in den antiken Glauben gebrochen, welche durch keine Philosophie mehr, auch nicht durch die Ideenlehre der Neuplatoniker ausgefüllt werden konnte.

Die antike Mythologie zerstörte Lucian mit seinen Göttergesprächen. Seine Polemik richtet sich, wie die der christlichen Apologeten, gegen die anthropomorphistischen Fabeln. Die Schwächen der Götter werden lächerlich gemacht. Zeus ist ein Schwätzer, ein Großpraler, ein Don Juan, Merkur ein Dieb, Bacchus ein Trunkenbold, Apollo ein betrügerischer Wahrsager. Die homerischen Mythen, die ovidischen Metamorphosen, die Tragiker werden wegen ihrer abgeschmackten Märchenhaftigkeit verhöhnt. Dies betrifft die einheimischen, nämlich die althergebrachten griechischen Götter. Nun hält aber Lucian Heerschau über den ganzen phantastischen Olymp seiner Zeit, der von Fremden wimmelt. Es ist die Theokrasie oder Göttermischung, die in den letzten Jahrhunderten des Heidentums ein wahres Chaos von Culten hervorgebracht hat, da die Götter aus den fremden Provinzen ins Wandern kommen, sich in Rom als dem Reichspantheon treffen, und römische Bürger werden. Was von Rom gilt, gilt auch vom Reich. Die Religion ist in tausend Sektenculte aufgelöst. Nicht zu zählen sind alle diese Götter, Genien und Dämonen; je fremder und mysteriöser sie sind, je mehr ägyptisch und chaldäisch sie aussehen, desto mehr sind sie auch gesucht. Die Götter Griechenlands, Zeus, an dessen Stelle der Kaiser getreten ist, Apollo, dessen delphische Orakel nicht mehr Reiz haben, vertauschte und verband man gerne mit den Mächten des mystischen Naturdienstes, mit Isis und Osiris, mit Serapis und Anubis, mit Attys und Adonis, mit Mithras, Astarte und der pantheistischen Rhea. Diese große Göttin selbst hat hundert Namen (man lernt sie aus dem elften Buche des Apulejus kennen): sie ist die pessinuntische Göttin, die paphische Venus, die Minerva, Ceres, Diana, Proserpina, die Isis und auch die Cybele in Hierapolis, deren Cultus Lucian in seiner »Syrischen Göttin« beschrieben hat.Wie groß das Gemisch der Cultusvorstellungen war, nachdem sich die syrischen Götterdienste mit den griechischen verschmolzen hatten, beweist gerade der Tempel der syrischen Göttin in Hierapolis. Er ist ein Pantheon oder Museum von Statuen: da sind vereinigt Rhea-Juno, Jupiter, Baal-Apollo, Atlas, Merkur, Lucina, Semiramis, Sardanapal, die trojanischen Helden, Stratonike, Kombabus, und im Vorhof stehen colossale Phallen, auf deren einem zweimal im Jahr ein Mensch sieben Tage lang schlaflos sitzen bleibt, als Säulenheiliger. Lucian Dea Syria.

In der »Götterversammlung« läßt er den Momus Klage erheben gegen die in den Olymp eingeschlichenen Neulinge, die sich mit den Alten auf gleiche Portion an Nektar und Ambrosia gesetzt haben. Jupiter will vor allen den Ganymed retten, und er würde es sehr übel nehmen, wenn Momus den Lieblingsknaben durch Angriffe auf seine unadlige Abkunft kränken wollte. Aber Attys und Korybas und Sabazius und der beturbante Mithras, der kein Jota griechisch zu reden weiß, ferner alle diese Scythen und Geten, welche von ihrem Volk auf eigne Hand zu Göttern gemacht worden sind, wie kommen die in den Olymp? Oder Anubis, das in Leinen eingewickelte Hundegesicht, der Ochs von Memphis, der Ibis, die Affen? Der ägyptische Unsinn, so meint Jupiter selbst, sei schändlich, aber es stecke doch ein geheimer Sinn darin. Lucian verspottet nun die Mysterien, indem er den Momus ganz naiv fragen läßt: also brauchen wir noch Mysterien, um zu wissen, daß Götter Götter, und Hundsköpfe solche sind? Das Stück schließt mit einem Decret, daß sich die Götter vor eine Commission zu stellen und ihren Stammbaum zu erweisen haben.

Auch in der dramatischen Posse Jupiter Tragödus wird die chaotische Vermengung aller nationalen Culte mit beißendem Spott lächerlich gemacht. Es ist unübertrefflich witzig, daß Lucian dort die Götter nach ihrem Metallwert Platz nehmen läßt. Auf die pathetische Heroldstimme des Merkur kommen sie herbeigelaufen, die goldnen, die silbernen, die elfenbeinernen, die von Bronze und von Marmor. Die Barbarengötter, Bendis, Attys, Mithras, Anubis, nehmen den ersten Platz ein, weil sie von Gold sind. Dies gibt zu höchst komischen Scenen Gelegenheit. Lucian erstickt die Götter in ihren lächerlichen Anthromorphismen. Es handelt sich um den Zank zweier Philosophen von der »streitbaren« Gattung, des Epikuräers Damis und des Stoikers Timokles, welchem Jupiter auf einem Spaziergange nach der Poekile in Athen will zugehört haben. Damis hat das Dasein der Götter geleugnet, Timokles sie verteidigt. Dieser ist nahe daran, geschlagen zu werden, als Jupiter die Parteien durch die Nacht trennt. Am folgenden Tage soll der Streit fortgesetzt werden. Jupiter hat die Versammlung berufen, um ein Mittel ausfindig zu machen, wie man dem schwachköpfigen Timokles den Sieg verschaffen könne, da die Ehre und das Fortbestehen der Himmlischen davon abhänge. Er hält eine Anrede an die Bürger Götter, mit Phrasen aus der ersten Olynthischen Rede des Demosthenes, worin er am Ende stecken bleibt. Die Götter geben je nach ihrem Charakter die lächerlichsten Ratschläge. Unterdessen kommt Hermagoras, die Statue des Hermes Agoräus, von dem athenischen Markt hergelaufen, und verkündet den Beginn des Philosophenstreites. Der Himmel wird aufgemacht, die Götter schauen herunter. Da wir nichts weiter thun können, so wollen wir, sagt Jupiter, wenigstens aus allen Kräften für Timokles beten. Die Lächerlichkeit dieses Einfalls ist wahrhaft genial.

Der Streit wird fortgesetzt. Was Timokles vorbringt, sind sehr schwache Argumente des guten Glaubens, während der Epikuräer die göttliche Vorsehung, wie die einzelnen Götter mit beißendem Witz abfertigt, die Vorsehung, welche das Böse zuläßt, die Götter, welche willkürliche Schöpfungen der Völker sind, bald Menschen, bald Elemente, Stiere, Zwiebeln, Krokodile, Katzen, Affen, irdene Töpfe und Schüsseln. Timokles kommt also mit dem theologischen Argument des consensus gentium eben so wenig vorwärts, als mit dem teleologischen Beweise. Er rettet sich endlich durch folgenden meisterhaften Syllogismus: wenn es Altäre gibt, so müssen auch Götter vorhanden sein; nun gibt es Altäre, also gibt es auch Götter. Dies heißt an die Gewohnheiten des Volks und den Staatsanwalt appelliren. Das Volk könnte wild werden, nähme man ihm die Formeln, die Götterlarven, die Purpurröcke und die Theaterkostüme. Am Schlusse sagt Jupiter: bei all dem, Merkur, war es ein schönes Wort, welches König Darius vom Zopyrus gesagt hat, und auch ich gestehe, daß ich lieber einen einzigen Verfechter wie Damis als zehntausend Babylon haben wollte.

Die Fortsetzung des Jupiter Tragödus gibt Lucian in dem überwiesenen Jupiter. Ein Cyniker bittet Zeus um die Erlaubniß, ihm ein Paar Fragen vorlegen zu dürfen. Er will nichts weiter, als daß er ihm sage, ob es wahr sei, was Homer und Hesiod gesagt haben, daß Niemand der Schicksalsgöttin und den Parzen entrinnen könne. Jupiter gibt dies zu und gesteht auch ein, daß das Schicksal über die Götter herrsche; er muß also einräumen, daß diese nichts sind, als müßige Maschinen. Mit diesem Bekenntniß wird der ganze Olymp vernichtet, und die Weissagung durch das Orakel als eine Abgeschmacktheit dargestellt; denn was hilft es den Sterblichen, die Zukunft zu ergründen, wenn sie dem Schluß der Heimarmene doch nicht entgehn können? Ebenso wird das Gericht über die Bösen und die Guten nach dem Tode aufgehoben, weil, wenn Alles dem Schicksale angehört, die Zurechnung des Handelnden und die moralische Freiheit nicht mehr möglich sind.

Alles, was Plutarch von den Orakeln, den Mysterien, der Vorsehung und dem Fatum mit so großer Mühe abgehandelt hat, stürzt vor diesen Syllogismen der Cyniker und Epikuräer zusammen. Lucian ist unerschöpflich, wo es darauf ankommt, die alten Dogmen zu zerstören. Er verhöhnt die zu seiner Zeit noch angesehenen Orakel des Trophonius und Amphilochus, besonders aber das legitimste aller, das delphische. Im Jupiter Tragödus läßt er Momus den Apollo auffordern, er möge doch, da er ein so großer Wahrsager sei, den Göttern verkündigen, wer von den beiden Philosophen den Sieg davontragen werde. Apollo entschuldigt sich erst mit der Ausflucht, daß er den Orakelapparat, den Dreifuß, das Räucherwerk und die kastalische Quelle nicht zur Hand habe, dann läßt er sich eine ganz alberne Prophezeiung abnötigen.

Nicht minder richtet sich der Spott Lucians gegen die Dogmen von der Unsterblichkeit der Seele, dem Leben im Elysium und Tartarus. Dahin gehören seine plastischen Todtengespräche, welche auch in scenischer Zeichnung oft an die Hölle des Dante erinnern. Es ist da nichts, was seiner Geißel entgeht, weder Sokrates, noch Empedokles (der vom Aetna halb Gekochte), noch Pythagoras, der in dem freudelosen Hades selbst die verpönte Bohne nicht mehr verschmäht, weil die Dogmen in der stygischen Welt sich ändern. Achill, Alexander, Hannibal – was sind sie noch in der Unterwelt? Was ist aus Alexander, dem ehemaligen Gotte Ammon und dem indischen Bacchus geworden? An ihm, der nun den anderen Schatten gleich ist, in einer Welt, wo alle Unterschiede aufhören, und wo die Würmer die wahren Könige sind, weil sie die Könige verzehren, zeigt Lucian, wenn auch mit weltmännischer Vorsicht die Lächerlichkeit der kaiserlichen Apotheosen. Er langt bei der Philosophie Marc Aurels und Hamlets an, daß Alles eitel sei, daß das höchste Streben nach den Idealen des Lebens, ruhmwürdige Thaten und köstliche Güter nur Dunst seien. Er begegnet hier den Stoikern, ohne es zu wollen, und verfällt wie Voltaire in Verachtung gegen das Leben und den Menschen überhaupt. Plutarch wird also Recht behalten, wenn er (in seiner Schrift gegen die Epikuräer) vor diesem aus der Gottlosigkeit entspringenden Pessimismus warnt. Man muß es aber mit Lucian nicht so genau nehmen, denn bald wird er wieder zum Epikuräer und preist den Augenblick als das im Leben einzig Gewisse, die Zufriedenheit mit der Gegenwart und vor allen Dingen das Maß, die genügsame Selbstbescheidung. Das Ideale ist für ihn nicht vorhanden. Das absolute Wissen, Philosophie, Religion sind für ihn nur Gegenstände der Satire – was übrig bleibt, ist in der That nur der Genuß der Minute, außer ihm das Nichts.

So ist Lucian, der Kritiker der römisch-hellenischen Welt, gleich den Encyclopädisten des achtzehnten Jahrhunderts beim Nihilismus angelangt, um dann statt der Götter die Göttin des gemeinen Menschenverstandes oder der Vernunft auf den Tron zu setzen. Merkwürdiger Weise hat der Prinzenerzieher Fronto, welcher keine Ader lucianischen Witzes besaß, einmal fast wie ein Prophet der französischen Revolution das merkwürdige Wort ausgerufen: »man hat dem Glücke so viele Tempel gebaut, und der Vernunft weder eine Statue noch einen Altar errichtet.«Ep. III. Quis ignorat – templa fana delubraque publica fortunae dicata, rationi nec simulacrum nec aram consecratum.

Indeß die ewigen Bedürfnisse des Gemütes, welche in den schaal gewordenen Culten der Götterwelt keine Befriedigung mehr finden konnten, suchten in Mysterien einen Gott für das Herz, welcher noch nicht entweiht sei. Diese Weihen bot nicht mehr Griechenland, sondern der Orient dar, das Geburtsland der Religionen für die gesammte Erde. Der Geist Europas war nach dem Osten gewendet. Von dort drangen die asiatischen Culte nach dem Abendlande und sie alle fanden ihre Verehrer, weil in ihnen mehr oder minder der Drang nach Erlösung vom Bösen durch die Buße und selbst der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele ausgesprochen war. Dies hat namentlich dem Cultus des Mithras seit dem dritten Jahrhundert so zahlreiche Anhänger verschafft. Der politische wie geistige Schwerpunkt des Reiches schien allmälig nach dem Orient zu rücken. Dort hatte ihn schon Trajan wieder gesucht, und dort wanderte Hadrian am längsten und liebsten umher. Der Schauplatz der Weltereignisse wurde sodann unter den beiden Severen, unter dem Sonnenpriester Heliogabalus und den dreißig Tyrannen nach dem Morgenlande verlegt. Das neu erstandene Reich der Sassaniden bildete den Angelpunkt der folgenden Zeiten, bis Constantin seinen Sitz in Byzanz nahm, und dem mächtigsten und tiefsten aller Mysterien des Orients, dem Christentum, die Stellung der Weltreligion gab.


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