Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Erstes Buch.

Politische Geschichte.

Erstes Capitel.

Ein altes Porträt Hadrians.

Ein römischer Geschichtschreiber aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts hat vom Kaiser Hadrian folgende Schilderung gemacht.

»Aelius Hadrianus war von italischem Geschlecht. Sein Vater gleichen Namens, ein Vetter Trajans, stammte aus Adria in Picenum, welches dem adriatischen Meer den Namen gegeben hat. Er regierte 22 Jahre. In der griechischen Literatur war er so gründlich unterrichtet, daß man ihn den ›kleinen Griechen‹ nannte. Die Studien, die Lebensweise, die Sprache und die gesammte Bildung der Athener hatte er sich vollkommen angeeignet. Er war Sänger und Musiker, Arzt, Geometer, Maler und Bildhauer in Erz und Marmor, fast ein zweiter Polyklet und Euphranor. Für alle diese Künste war er begabt. Einen Schöngeist so glänzender Art hat man nicht leicht unter Menschen gesehen. Unglaublich groß war sein Gedächtniß. Orte, Handlungen, Soldaten, auch abwesende, er wußte sie alle mit Namen zu nennen. Riesig seine Ausdauer. Alle Provinzen hat er zu Fuß durchwandert, seinen Begleitern vorauseilend. Da hat er die Städte im Reich hergestellt und ihren Stand gemehrt. Schmiede, Zimmerleute, Maurer, Architecten und allerlei Werkmeister zum Ausbau von Festungen und zur Verschönerung der Städte hat er wie Legionen in Cohorten abgeteilt. Er war niemals derselbe, ein vielförmiger Mensch, ein geborner Herrscher in Laster und Tugend. Seine Triebe hat er durch Kunst regiert. Neid, Bosheit und Ausgelassenheit, dreiste Schaudarstellung des eigenen Ich, wozu seine Natur geschaffen war, hat er mit Schlauheit zugedeckt und Enthaltsamkeit, Leutseligkeit und Milde geheuchelt, während er den Durst nach Ruhm verbarg, von dem er gequält wurde. Niemand war so schlagfertig, in Ernst und Scherz andre herauszufordern oder ihnen zu antworten. Verse gab er augenblicklich mit Versen, witzige Einfalle mit gleichen zurück, als ob er sich dazu vorbereitet gehabt hätte. Von vielen Königen erkaufte er in der Stille den Frieden, und laut rühmte er von sich, daß er mehr im Müßiggange, als andre mit Waffen erlangt habe.

Den Aemtern des Staates und Hofs, und auch dem Heerwesen hat er diejenige Form gegeben, welche noch heute fortbesteht, weniges abgerechnet, was Constantin verändert hat. Er lebte 62 Jahre. Sein Ende war jammervoll. So furchtbare Schmerzen an allen Gliedern quälten ihn, daß er oft seine vertrautesten Diener anflehte, ihm den Tod zu geben. Seine Teuersten bewachten ihn, damit er nicht selber Hand an sich legte.«

Ich habe dies Porträt vorangestellt wie einen Kupferstich. Es wird dem Aurelius Victor zugeschrieben. Es ist dürftig und ungeschickt, doch nicht ganz leblos, und immerhin das einzige zusammengefaßte Bildniß des Kaisers, welches uns aus alter Zeit überliefert ist.Aurelius Victor, Epitome 14. Ich habe nur weniges nicht für Hadrian Wesentliche fortgelassen. Dieses Stück der Epitome ist nicht selbständig, sondern wol aus Marius Maximus geschöpft. Teufel, Gesch. der Röm. Lit., 5. Aufl., S. 967 f. (§ 414). Im Ganzen enthält diese Skizze das Durchschnittsurteil der römischen Nachwelt über Hadrian, und von ihm gab es schon frühe eine günstige und ungünstige Auffassung. Sein Biograph Spartianus, welcher zur Zeit Diocletians schrieb, hat beide Ansichten ohne Kritik durcheinandergemischt. Sein »Leben Hadrians« ist die Hauptquelle der Geschichte dieses Kaisers nebst den Auszügen, welche der byzantinische Mönch Xiphilinos im elften Jahrhundert aus den Geschichtsbüchern des Dio Cassius gemacht hat.

Ueberall stehen als Charakterzüge des Kaisers fest: seine griechische Bildung, sein Universalgenie, seine Proteusnatur, sein Wissensdurst, sein Kunstenthusiasmus, dann sein rastloser Wandertrieb und seine Weisheit in der Verwaltung des Reichs.

Die moderne Auffassung der Weltgeschichte hat die Regierung Hadrians als den Beginn einer Epoche begriffen. Von den Antoninen, welche er selbst zu seinen Nachfolgern erwählt hatte, ist sie benannt worden. Man hat sie als das glücklichste Zeitalter des römischen Reichs, wenn nicht der Menschheit gepriesen. Sie glänzt noch heller durch die Summe der hellenisch-römischen Cultur, welche sie im Ramen des friedlichen Reichs zusammengefaßt hat, als durch die schwarzen Schatten, von denen sie begränzt ist. Diese Schatten sind rückwärts das ungeheuerliche Cäsarentum des ersten Jahrhunderts, und vorwärts die Barbarei, welche das Reich zerstören wird.

Die frevelhaften Despoten sind seit Nerva vom Cäsarentron verschwunden. Die Ausbrüche ihres Wahnsinns haben den innersten Grund der römischen Gesellschaft und das Gefüge des Staats erschüttert, aber die römische Virtus stellt sich mit Hilfe der stoischen Philosophie wieder her, und der römische Staat erreicht eine von Kraft strotzende Größe, deren Glanz die unheilbaren inneren Schäden verhüllt, an denen er krankt und endlich zu Grunde geht. Nach dem Tode Trajans sichern dreißig Legionen an den Gränzen des Reichs den Frieden der Welt. Die Provinzen haben sich an die Herrschaft Roms gewöhnt. Ihre Städte blühen wieder von Wolstand, und die Künste schmücken sie mit hellenischer Schönheit. Die Wissenschaften regen sich in einer Renaissance des Griechentums, und das Antlitz der christlichen Religion tritt deutlicher hervor. Ein Geist der Humanität durchweht die sich verwandelnde Welt. Die bürgerliche Gesetzgebung wird philosophischer und menschlicher. Die Privilegien der Aristokratie schwinden. Das Volk, die Sclaven, die Armen werden zum Gegenstande für die Sorge der Staatsregierung. Die Schranken der antiken Weltansicht fallen vor der Moral der Stoiker. Der Begriff der Nation erweitert sich im römischen Reich zu dem der Menschheit. Die Provinzen, in denen Octavian den Altar des Genius Roms als Symbol ihrer Dienstbarkeit aufgerichtet hatte, erlangen ihre Gleichberechtigung neben dieser furchtbaren Roma, welche sie mit Waffengewalt erobert und geknechtet hat. Das Reich der Römer ist eine Konföderation von Völkern, deren Bildung aus den majestätischen Strömen zweier Weltsprachen genährt wird. Wie die Nationen, so gehen auch die antiken Denksysteme und die Religionen eine kosmopolitische Verbindung ein. Aber diese Mischung versetzt die Geister in ruheloses Schwanken und macht sie mehr als je zur Beute des Mysterienwahns und des finstersten Aberglaubens. So grell liegen die Widersprüche in der Weltbildung des Reichs neben einander, daß diese zwischen Altertum und Christentum stehende Zeit ein römisch-hellenisches Mittelalter genannt werden könnte.

Zwei Naturen vereinigt in sich auch Hadrian. Er ist Römer und Grieche. Seine Künstlerseele schwärmt in den Schönheitsidealen der antiken Welt. Er will diese restauriren, soweit sie künstlerisch wieder herstellbar ist. Zugleich reformirt er als Römer die Institutionen der Monarchie, Verwaltung, Heer und Recht. Er legt die Grundlagen eines der veränderten Gesellschaft angemessenen Staats. Das Reich steht unter ihm im Zenith seiner Macht, und er schwelgt als ein universaler Geist in dessen Culturfülle. Eroberungen sucht er nicht. Er gibt die Provinzen Trajans den Parthern zurück. Kriege führt er nicht. Mars ruht auf seiner Waffenrüstung, und niemals ist er den Feinden Roms furchtbarer erschienen.Dio 60, 9: τὴν τε γὰρ παρασκευὴν αυτου̃ ορω̃ντες – ουδὲν ενεόχμωσαν.

Die Aufgabe Hadrians ist, das Römerreich in einer starken Monarchie zusammenzuhalten und mit Wissen, Menschlichkeit und Schönheit zu erfüllen. Auf seinen Münzen steht das große Wort »Goldenes Zeitalter« und »Bereicherer der Welt«: Schmeicheleien des Senats, aber sie sind nicht ohne Wahrheit. Er selbst ist das Spiegelbild seiner Zeit, im Guten und Bösen, in Tugend und Laster. Seine rätselhafte Persönlichkeit erscheint menschlich bedeutender und psychologisch anziehender als die der philosophischen Antonine. Seiner Epoche hat er die Richtung gegeben und ihr den Stempel aufgedrückt, weniger seines Herrscherwillens, als seiner genialen, oft auch bizarren und theatralischen Leidenschaften.

Erst Hadrian hat die beiden Hälften der antiken Welt, Hellas und Rom, einander geistig näher gebracht. Ihre Verschmelzung war unmöglich, aber ihre kosmopolitische Verbindung im zweiten Jahrhundert ist ein wichtiges Lebenselement für die christliche Idee gewesen. Dieser Idee gab das Altertum Raum, indem es selbst zum Sterben reif geworden war. Es stralte schon im Scheiden begriffen noch einen letzten elektrischen Lichtglanz aus unter diesem geistreichen Sophisten auf dem Cäsarentron, welcher Athen erneuerte, den Tempel des olympischen Zeus, die Gründung des Pisistratus, vollendete, die griechische Beredsamkeit zu neuer Blüte brachte, und die Kunst berief, der Erde ihren vollen Schmuck zu geben. Als dann die künstliche Flamme, welche Hadrian auf dem Altar des Genius von Hellas entzündet hatte, erloschen war, entnüchterte sich die Welt. Sie wurde erst stoisch, dann christlich. Die Apotheose des Altertums aber hatte Hadrian vollzogen.


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