Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Zwanzigstes Capitel.

Aufstand der Juden unter Barkocheba.

Während die jubelnden Griechen dem neuen olympischen Zeus Tempel errichteten, und die Nationen des Westens und Ostens vor der Majestät des Kaisers im Staube lagen, gab es im Reich nur noch ein Volk, welches nicht nur Hadrian die göttlichen Ehren verweigerte, sondern sich in Verzweiflung erhob, um den Glauben der Väter an den einen Gott des Himmels und der Erde zu verteidigen und die Freiheit wieder zu erkämpfen oder unterzugehen. Dies war das Judenvolk in Palästina. Jerusalem forderte neben Athen und Rom seine Stellung in der Geschichte zurück. Die Zeiten des Titus kehrten wieder, und das Schicksal der heiligen Stadt wurde für immer entschieden.

Dio hat die Gründe angegeben, welche die Juden Palästinas gerade unter der Regierung des friedeliebenden Kaisers zum Aufstande getrieben haben. »Da Hadrian an Stelle der zerstörten Stadt Jerusalem eine eigene erbaute, welche er Aelia Capitolina nannte, und auf dem Platz, wo der Tempel Gottes gestanden hatte, einen Zeustempel errichtete, so erhob sich ein langer und großer Krieg. Denn die Juden ergrimmten darüber, daß sich Menschen fremden Stammes in ihrer Stadt ansiedelten und fremde Heiligtümer in ihr errichtet wurden.«Dio 69, 12. Demnach war die Verwandlung Jerusalems in eine heidnische Stadt die Ursache des Krieges, während sie nach der Ansicht des Eusebius die Folge desselben gewesen sein soll. Dieser Widerspruch löst sich darin auf, daß der jüdische Aufstand den begonnenen Bau der Aelia unterbrochen hat, welcher dann erst nach dem Kriege vollendet werden konnte.

Nur die tödtliche Verletzung seines Nationalgefühls konnte das unglückliche Volk zur Empörung treiben, im tiefen Frieden des Reichs, ohne jeden Anhalt an einer großen, Rom feindlichen Macht, wie diesen die Parther den Judäern unter Trajan geboten hatten.Spart, c. 14 sagt: moverunt ea tempestate et Judaei bellum, quod vetabantur mutilare genitalia. Aber solche Edikte Hadrians, Verbot des Cultus, der Beschneidung u. s. w. sind wol erst am Ende des Kriegs erlassen, wo das Judentum ganz ausgerottet werden sollte. Dodwell (Diss. in Iren. II, § 31) legt auf diese Stelle Spartians zu viel Gewicht, und so auch Münter, Der Judenkrieg S. 36; Ewald VII, 36; Madden, Coins S. 231; Renan, L'église chrétienne S. 231. Man muß hier sich an Dio halten. Der fortschreitende Bau der Aelia erklärt die Verzweiflung der Juden. Wenn Jerusalem in Trümmern liegen blieb, so bezeichnete dieser heilige Schutthaufe noch immer die geschichtliche Malstatt Israels, an welche sich die Messiashoffnungen anlehnen konnten. Aber wenn sich darüber eine heidnische Stadt erhob, so bedeckte diese für ewig das nationale Heiligtum, an dessen Herstellung nie mehr zu denken war. Fremde Colonisten mit ihren Götzendiensten begannen einzuziehen; die Quadern vom alten Tempel wurden zu profanen Bauten verwendet, und vor den Augen der Juden entstand auf Moria ein Götzentempel des Jupiter.

Wenn diese römische Colonie schon in den ersten Jahren Hadrians wäre gegründet worden, so hätte sie zur Zeit des Aufstandes (132) entweder vollendet sein müssen, oder es würden doch starke Mauern und Türme die Neustadt für Römer und Juden zum Gegenstande des Kampfes gemacht haben. Das aber war so wenig der Fall, daß Jerusalem gar nicht, sondern Bether als Mittelpunkt des Krieges genannt wird. Die Juden warteten nicht, bis die Aelia als uneinnehmbare Zwingburg dastand, sondern sie ergriffen die Waffen, um den Bau der Colonie zu hindern, und das offene Jerusalem konnte für sie nur eine moralische, nicht strategische Bedeutung haben.

Vor dem Aufstande standen sich in Judäa zwei Parteien gegenüber, die Versöhnlichen und die Fanatiker. Jene führte der Rabbi Josua ben Chananja. Nach der Versicherung talmudischer Quellen hatte er mit Hadrian persönliche Besprechungen gehabt, besonders in Aegypten, und nach seiner Rückkehr von dort nach Palästina soll er gestorben sein.Derenbourg S. 418; er bezieht sich auf den Brief Hadrians an Servianus, wo vom Archisynagogus gesprochen wird. Siehe auch Grätz IV, 147. Eisenmenger (Entdecktes Judentum, 1711, II, 931) führt aus dem Bereschith Rabba ein Gespräch Hadrians mit diesem Rabbi an, welches aber einen recht albernen Inhalt hat. An der Spitze der Fanatiker stand der greise Rabbi Akiba, der noch die Pracht des Tempels vor Titus gesehen hatte. Er war ein gefeiertes Mitglied des Synhedrin, welches mit dem Hohenpriester (Nasi oder Fürst) aus dem Hause Hillels seit den Flaviern in Jabne oder Jamnia seinen Sitz genommen hatte.Volkmar (Judith S. 111) und andre behaupten, daß es im Kriege des Quietus nach Uscha in Galiläa ausgewandert gewesen sei. Akiba, einer der ersten Sammler der Mischna, galt als Haupt der geistigen Widergeburt des Judentums, und wie einen legendären zweiten Moses verehrte ihn sein Volk. Von den Gesetzeslehrern scheint überhaupt der Aufstand ausgegangen zu sein. Diese Dogmatiker brüteten über den Schriften der Propheten, und ihre glühende Phantasie bildete sich ein, daß die große Schicksalsmacht Rom durch irgend ein messianisches Wunder bezwingbar sei.

Die Juden rüsteten sich in der Stille. Sie legten nach uralter semitischer Weise in den Kalkgebirgen Waffenmagazine und unterirdische Gallerien zu ihrer Verteidigung an.Dio 69, 12. Wetzstein (Reisebericht S. 45) beschreibt die hauranischen Troglodytenwohnungen und erinnert an das Buch Richter 6, 2: und da der Midianiter Hand zu stark ward über Israel, machten die Kinder Israel sich Klüfte in den Gebirgen und Hölen und Festungen. Da Jerusalem zertrümmert, im Neubau begriffen und von einem Teile der 10. Legion besetzt war, bot sich ihnen zum Stützpunkt der Revolution Bether dar, ein starker und volkreicher Ort, dessen Lage nicht sicher zu bestimmen ist. Man hat ihn in der Nähe Jerusalems gesucht oder in den Castra Vetera bei Sepphoris finden wollen.Das letzte behauptet F. Lebrecht, Bether die fragliche Stadt im hebr.-jüd. Kriege, 1877. Euseb. (H. E. IV, 6) versetzt B. in die Nähe Jerusalems; Guerin (Judée II, 388 f.) etwas westl. von Jer., wie Renan, L'égl. chrét. S. 144, und Les Evangiles S. 26; Cassel (Ersch und Gruber III. Ser., 27. Teil S. 14) zwischen Cäsarea und Diospolis. Ihm folgt Jost, Gesch. d. Judent. S. 74. Grätz setzt Bether 4 Meilen südl. von Cäsarea, wie Ewald VII, 375 und wie Levy, Gesch. der jüd. Münzen, S. 103, und Tobler 3. Wanderung nach Palästina. Sepp, Jerus. und d. heil. Land I, 647 sucht es 2 Stunden von Bethlehem; Adolf Neubauer, La Géographie du Talmud, 1868, zwischen Jabne und Lydda, nicht weit von Jerusalem. Doch die Nähe der römischen Truppen in Jerusalem und die entschieden kaiserliche Gesinnung jener Hauptstadt Galiläas machen beides zweifelhaft.Sepphoris nannte sich Diocäsarea Adriana; ob vor oder erst nach dem Kriege ist freilich zweifelhaft. Diese Stadt muß von vielen Griechen und Syrern bewohnt gewesen sein. Vielleicht ist die Ansicht derer zutreffender, welche Bether in der Nähe des Meeres vier Meilen südlich von Cäsarea gelegen glauben.

Während Akiba der geistliche Leiter der Empörung war, stand ein entschlossener Mann als Führer im Kriege bereit. Die talmudische Legende hat den letzten Volkshelden Israels mit der Kraft Simsons und den Tugenden der Makkabäer ausgestattet, und sicherlich ist er von besserem Schlage gewesen, als ein Räuber und Mörder, wozu ihn christliche Kirchenväter gemacht haben.Euseb., H. E. IV, 6: Βαρχωχεβα̃ς όνομα, ὸ δὴ αστέρα δηλοι̃, τὰ μὲν άλλα φονικὸς καὶ ληστρικὸς τις ανήρ· – Märchen über ihn bei Hieron. in Ruf. II, c. 8. Dieser kühne Rebell hat mehr als zwei Jahre lang den römischen Legionen nicht nur Widerstand geleistet, sondern auch blutige Niederlagen beigebracht. Eusebius nennt ihn Barkocheba, was Sohn des Sterns bedeutet und nur sein symbolischer Name war: denn nach talmudischen Angaben hat er Barkosiba geheißen.

Nachdem sich der Kaiser von Syrien entfernt hatte, brach um das Jahr 132 der Aufstand aus.Unter dem Consulat des Augurinus und Severianus, Euseb. und Hieron. Die wenigen römischen Besatzungen des Landes wurden niedergemacht oder in den Castellen eingeschlossen, und die ersten Erfolge machten Barkocheba zum Helden der empörten Nation. Die Fanatiker sahen in ihm den jetzt wirklich erschienenen Messias; Akiba selbst war so verblendet, daß er ihn in einem öffentlichen Parlament als solchen mit den Worten der Schrift begrüßte: Cosiba ist als ein Stern aufgegangen in Jakob. Nur ein besonnener Mann, der Rabbi Jochannan wagte auszurufen: Akiba, eher wird das Gras aus deinen Kinnbacken wachsen, als der Sohn Davids erscheinen. Das Synhedrin aber anerkannte den Volksführer als den Mann der Verheißung, und eine Versammlung der Juden bestätigte ihn als das weltliche Haupt Israels.

Legat in Palästina war damals noch Tineius Rufus, welcher den auflodernden Aufstand vergebens zu ersticken suchte.Euseb. (H. E. IV, 6) nennt ihn επάρχων τη̃ς ’Ιουδαίας. Hieronymus sagt: tenente provinciam Tinnio Rufo. Ueber den wirklichen Namen Borghesi IV, 167. Die gens Tineia war zuvor unbekannt, derselbe VIII, 189. Nur irrt Borghesi III, 691, wenn er glaubt, daß dieser T. Rufus erst im Jahr 136 mit Severus Legat Palästinas gewesen sei. Er wütete mit Feuer und Schwert und beging solche Grausamkeiten, daß er in jüdischen Berichten Tyrannus Rufus genannt wird.Es gab übrigens eine gens Turrania. Sepulcralinschrift des C. Turranius Rufus auf einem cippus in der stanza del Fauno im Capitol. Indeß reichte ein Jahr hin, um der Rebellion eine ungeheure Kraft zu geben. Die Juden erhielten Zufuhr von der See, und sie hatten sich ohne Zweifel, wenn nicht mit den Parthern, so doch mit den Beduinen Arabiens und ihren eigenen Landsleuten in Mesopotamien und Aegypten in Verbindung gesetzt.Diesen Zuzug deutet Dio an (69, 13). Ihr Kampf nahm den entsetzlichen Charakter des Racenkrieges an; der jüdische Volksführer vergalt die Unmenschlichkeit des Rufus mit gleicher Wut, er forderte auch die Christen Palästinas auf, sich ihm anzuschließen, und da sie sich dessen weigerten, ließ er viele zu Tode martern.Justin., Apol. II, 72. Orosius VII, 13. Chron. Euseb. ed. Schöne, S. 168 f.

In den sparsamen Berichten über diesen Verzweiflungskrieg Israels werden außer Bether keine andern Städte als dessen Schauplätze genannt. Wir hören nichts von Cäsarea, von Lydda und Nikopolis, wo ehedem römische Besatzungen lagen, nichts von Joppe, Diocäsarea und Tiberias, nichts von Machärus und Massada und von andern Felsenfesten am todten Meer, die aus der Zeit des Titus bekannt geworden sind. Auch Jerusalem wird niemals erwähnt. Mußte nicht Barkocheba darnach streben, sowol die dort im Bau begriffene römische Colonie zu zerstören, als der Befreiung Israels auf der heiligsten Stätte seiner Geschichte eine feierliche Bestätigung zu geben? Daß dies geschehen und von ihm sogar der kühne Versuch des Wiederaufbaues des Tempels gemacht worden sei, ist behauptet und bestritten worden.Für die Besitznahme sind Deyling (Aeliae Capilolinae Origenes 1743, S. 273), Münter, Jost, Grätz, obwol keine jüd. Quelle davon redet; Milman, Hist. of the Jews II, 431; Madden, Coins etc., S. 134; e Saulcy, Rech, sur la Num. Jud., S. 157; Cavedoni, Biblische Numismatik, S. 62; Ewald, Lebrecht. Dagegen Cassel und Renan (L'église chrét. im Appendix); dieser hält aber eine flüchtige Occupation Jerusalems durch die Rebellen für möglich. Eine vorübergehende Besitznahme Jerusalems durch die Rebellen konnte bei der Schwäche der römischen Garnison nicht unmöglich sein. Sie wird sogar durch einige Münzen wahrscheinlich gemacht, die der jüdische Führer prägen ließ, nachdem er tatsächlich und rechtlich Nasi oder Fürst Israels geworden war, und vielleicht sogar die Salbung als König empfangen hatte.Eisenmenger II, 654. Das Buch Zemach David gibt sogar eine fabelhafte Dynastie des Barkocheba von 21 Jahren Dauer an; darnach soll B. schon unter Domitian gestorben sein und sein Sohn und Enkel Rufus und Romulus den Krieg geführt haben. Es gibt eine Reihe von Seckeln, die ihm zugeschrieben werden. Sie tragen entweder kein Jahresdatum oder sind mit dem ersten und zweiten Jahre der Befreiung Jerusalems oder Israels gezeichnet.Sämmtliche Münzen B.'s sind gesammelt von De Saulcy, Rech, sur la Num. Judaïque, Paris 1854, S. 156 f., pl. XI–XV; von Cel. Cavedoni, Bibl. Numismatik, übers, von A. v. Werlhof, 2. Th., Hannov. 1856, S. 55 f., wo der Sammlung De Saulcys einige neue hinzugefügt sind; von Madden erst in der Hist. of Jewish Coinage, dann in den Coins of the Jews (Vol. II der Internat. Numismata Orientalia c. X, S. 230 f.). Siehe dazu auch M. A. Levy, Gesch. der jüd. Münzen, Leip. 1862, S. 93 f. Wenn nun die Kategorie der undatirten Münzen dem Beginne des Aufstandes angehören soll, so würden die andern die Zeit umfassen, in welcher die Juden ihre Feinde auf wenige Plätze beschränkt hatten und Herren des Landes waren. Die merkwürdigsten sind jene mit der Inschrift »Befreiung Jerusalems«; ihre Embleme, ein Palmenzweig in einer Lorberkrone, eine Weintraube, zwei Trompeten, eine Lyra, eine Vase und andere Symbole finden sich auf den Münzen der Hasmonäer. Einige haben das Abbild eines viersäuligen Tempels mit der conventionellen Figur des schönen Tores und der Colonnade Salomos; über dem Ganzen steht auf manchen ein Stern.Madden, n. 19, 20, 37, 38. Cavedoni (S. 64 f.) hält das viersäulige Gebäude für das Sacrarium der Synagoge und nicht für den Tempel, welcher zerstört lag. Den Stern bezieht er auf Barkocheba. Die meisten Seckel tragen den Namen Schimon oder Schimeon Nasi Israel in einem Lorberkranz, woraus man geschlossen hat, daß Barkocheba entweder ursprünglich diesen Namen geführt oder ihn von Simon Makkabäus, wenn nicht von Simon Giora, sich beigelegt hatte. Nun aber finden sich auf vielen dieser Seckel Spuren römischer Kaisernamen in griechischer und lateinischer Schrift, wie des Nero, Galba, Vespasian, Titus, Trajan (einmal sogar der Kopf Trajans), und diese thun dar, daß alte römische Drachmen aus der Münze Antiochias und Roms in der Zeit Barkochebas nur überprägt worden sind. Auch die hasmonäischen Symbole und die Legenden »Befreiung Jerusalems« und »Befreiung Israels« beweisen nicht mit Sicherheit eine Neuprägung, da man sich für sie des alten jüdischen Münzstempels bedienen konnte.Ueber diese Umprägung Mudden, de Saulcy und Levy. Renan, l'église chrét., S. 547 glaubt, daß Barkocheba sich durchaus der Münzen des Simon Makkabäus bedient habe, und daß die umgeprägten in Bether geschlagen worden seien. Aber selbst in diesem Falle steht die Thatsache fest, daß Münzen von Barkocheba ausgegeben worden sind, und daß wir in ihnen Zeugnisse der letzten jüdischen Revolution und ihres anfänglichen Erfolges in Händen haben.Cavedoni (S. 60) erklärt, daß die überprägten Münzen durch ihren Stil die Zeit Hadrians beweisen. Levy behauptet, daß die Legende »Befreiung Jerus.« nichts beweise, da sie von den ältern Münzen copirt sein kann. Er schreibt nur die umgeprägten Kaisermünzen dem B. zu, die mit Simon dem Simon Giora. Dagegen behauptet Cavedoni, daß die Einnahme der Stadt durch die Münze mit jener Legende bewiesen sei, und da es keine mit dem Namen Jerusalems aus dem 2. Jahre gebe, so seien die Juden während des 1. nach Bether vertrieben worden. Er weist nach, daß der jerusalemische Talmud die Moneta Ben Cosibhae erwähnt, Buxdorf, Lex. Talm., S. 1029.


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