Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Neuntes Capitel.

Reise Hadrians nach Gallien und Germanien bis zu den Donauländern. Die Verhältnisse dieser Provinzen.

Im Jahre 120 oder 121 verließ Hadrian Rom, um seine erste große Kaiserreise anzutreten. Sie galt dem europäischen Westen. Von den beiden Hälften des Reichs waren die abendländischen Provinzen, Italien und Spanien abgerechnet, erst seit Julius Cäsar römisch geworden, also ein Erwerb der Monarchie. Diese für die Römer geschichtlosen und barbarischen Länder der Celten, Sarmaten und Germanen von den Alpen zur Donau, und von Gallien bis nach Britannien konnten weder durch die Schönheit ihrer Natur, noch durch die Bedeutung ihrer Städte die Reiselust des Kaisers reizen. Es waren daher sehr ernsthafte Zwecke des Fürsten, die ihn bestimmten, sie zu allererst zu besuchen. Hadrian erkannte wol, daß die Schicksale Roms nicht im Orient, wohin Trajan zuletzt seine Richtung genommen hatte, sondern im germanisch-celtischen Abendlande festzustellen seien, und in Wahrheit hat die Geschichte den Römern gezeigt, daß der Fortbestand ihres Reichs nicht von den Ereignissen am fernen Euphrat, sondern von denen an der Donau und dem Rhein abhängig sei. Die Achillesferse Roms lag dort in der Nähe Italiens, und Britannien selbst war als das äußerste römische Bollwerk anzusehen, welches den Eroberungsdrang celtischer und germanischer Völker vom Meer her zügeln sollte.

Zuerst ging Hadrian nach Gallien, wir wissen nicht, auf welchem Wege, und ob von seiner Gemalin Sabina begleitet, oder nicht. Denn Spartian fertigt diese gallische Reise mit ein paar Worten ab. Münzen verzeichnen die Ankunft des Kaisers.Eckhel VI, 494. Er wird in Massilia ans Land gestiegen sein. Diese berühmte Colonie der Phokäer war noch immer eine freie mit Rom verbündete Stadt von durchaus griechischer Verfassung und Cultur. Sie glänzte durch ihre wissenschaftlichen Schulen und blühte durch den ausgedehnten Mittelmeerhandel. Daß Hadrian auf der Rhone schiffte, scheint eine Inschrift der Schiffer dieses Stromes darzuthun.Hadriano Aug. P. M. Tr. Pot. III. Cos. III. N(autae) Rhodanici Principi Indulgentissimo, aus Tournon, Flemmer S. 12. Greppo S. 85.

Gallien, bereits ein blühendes, reiches Land, bestand zu jener Zeit aus vier Provinzen, nämlich Narbonensis, welche der Senat verwaltete, Aquitania, Lugdunensis und Belgica, die von prätorischen Legaten des Kaisers regiert wurden. Lugdunum (Lyon) war die Hauptstadt dieser drei letzten Verwaltungsbezirke, und dort stand der Altar der Roma und des Augustus, das Symbol der römischen Staatsmacht und des Kaisertums, welchem die unterworfenen Völker göttliche Verehrung bezeugen mußten.Nach Strabo 192 enthielt der Altar die Namen von 60 Völkerschaften, und jede war durch eine Bildsäule dargestellt. Dort versammelte sich jährlich am 1. August der gallische Landtag. Mächtig hatten sich andre Städte entwickelt, wie Narbo, Nimes, Arles, Bordò und Toulouse. Lutetia (Paris), wohin schon Julius Cäsar einmal einen Landtag der Gallier berufen hatte, war schon ein lebhafter Handelsplatz.Der Name Παρίσιοι ist schon dem Strabo bekannt (194). Das ganze Land bis Trier hinauf stellte sich als Grundlage römischer Cultur so fest, daß es später nach dem Falle des Reichs den Kern des neuen Europa bilden konnte.

Wir wissen nicht, welche Einrichtungen Hadrian in dem wolgeordneten Gallien getroffen hat; der Titel des »Wiederstellers«, der ihm auf Münzen gegeben wird, kann sich auf das Recht der Latinität beziehen, welches er der Provinz Narbonensis und andern Teilen Galliens verliehen hat.Zumpt, Comm. Ep. I, c. 6, S. 410. Er führt als von Hadrian mit neuem Recht begabte Städte an: Aquae Sextiae, Avenio, Cabellio, Nemausus, Tolosa, Acusium, Mantuna, Reii, Ruscino, Apta Julia.

Von dort begab er sich nach Germanien. Auf dieses zum größesten Teile noch in geschichtlosem Dunkel liegende Land mit seinen Völkern voll Naturkraft und Freiheitsliebe hatte eben erst Tacitus Rom wieder aufmerksam gemacht. Die Kaiser waren sich stets der Gefahr bewußt, welche von dort her dem Reiche drohte. Schon Cäsar hatte das Rheinufer erobert, um dadurch Gallien zu decken. Augustus wollte Germanien bis zur Elbe besetzen und dort eine eigene Provinz schaffen; doch sein Plan wurde nicht ausgeführt, und die Niederlage des Varus hatte zur Folge, daß Rom die meisten Festungen östlich vom Rhein verlor, bis Domitian die Gränze dort wieder vorschob.

Das römische Rheingebiet zerfiel seither in die Bezirke Germania superior und inferior welche von consularischen Legaten befehligt wurden. In Obergermanien war das feste Mainz (Moguntiacum) die Hauptstadt und der Sitz des militärischen Statthalters. Andre Orte, wie Worms (Borbetomagus), Speier (Spira), Straßburg (Argentoratum) und Augusta Rauracorum (Basel) blüheten empor.Straßburg, erst von Ptolemäus genannt, wurde Centrum der Straßen, welche aus Pannonien, Rhätien und Italien in das östliche und nördliche Gallien führten. Mannert II, 1, S. 227. Ostwärts vom Rhein und nördlich von der Donau umfaßte Obergermanien die von römischen Colonisten bebauten decumatischen Landschaften, deren Entwicklung zur Kaiserzeit noch heute Inschriften und Ruinen von Baden bis Tübingen und zum Odenwald bezeugen.Uckert III, 1, S. 267 f., 286 f. Der Name Decumates agri findet sich nur bei Tacitus, Germ. 32. Trajan hatte dort Straßen gebaut und Castelle angelegt; seine größte Schöpfung war Baden-Baden.Franke, Gesch. Trajans, S. 59. Zu Obergermanien gehörte auch das helvetische Gebiet, worin nicht minder die römische Cultur unter dem Schutze des Limes oder Grenzwalles gedieh.Mommsen, Die Schweiz in röm. Zeit, S. 11.

Dagegen überschritt Untergermanien, das batavische Land am Niederrhein, zur Zeit Hadrians kaum noch diesen Strom. Sein Hauptort, die ehemalige Stadt der Ubier, war Colonia Agrippina (Cöln), wo ein Altar des Augustus, die Ara Ubiorum, die unterworfenen Germanen östlich des Rheins daran mahnte, daß sie Knechte Roms und des göttlichen Kaisers seien.

Die Entstehung und Einrichtung dieser beiden germanischen Provinzen ist noch nicht hinreichend aufgeklärt. Sie scheinen bis auf Constantin keine selbständige Verwaltung gehabt zu haben, sondern nur große Militärbezirke unter den in Mainz und Cöln stehenden Legaten der dortigen Heere gewesen zu sein, während sie, als zu Gallien gehörig, vom Procurator der Provinz Belgica verwaltet wurden.Ueber diese von Fechter aufgestellte, von Mommsen erneuerte Ansicht (sie stützt sich auf Strato, Plinius und Ptolemäus) O. Hirschfeld, Die Verwaltung der Rheingränze in den ersten 3 Jahrh. der röm. Kaiserzeit (Comment. Momms. S. 434 f.). Marquardt (R. St. I², 273) schreibt dem Kaiser Tiberius (a. 17) die Einrichtung der beiden Germanien als militär. Provinzen zu, die aber zu Gallia in dems. Verhältniß gestanden, wie später Numidia zu Africa, indem sie zur Verwaltung des legatus Belgicae gehörten. Siehe ferner C. Hübner, Der röm. Grenzwall in Germanien, Jahrb. des Ver. für Alterthumsfr. im Rheinlande LXII, 41. Im 1. Jahrh. heißen die dortigen Militärcommandanten legatus exerc. superioris oder inferioris, im 2. schon legatus pro praetore Gerrnaniae sup. oder inf., und leg. imp. Caesaris Antonini Aug. Pii, pro praet. German. superioris et exercitus in ea tendentis. – Jung, R. Landsch., S. 195 f.

Hadrian durchzog das römische Gebiet Germaniens und besuchte die Standquartiere der Legionen und die Kolonien. Spartian hat dieser Reise des Kaisers ein ganzes Capitel gewidmet, aber wenig mehr darin bemerkt, als seine Bemühungen um die Disciplin des Heeres. Seit Octavian standen in beiden Germanien die römischen Kerntruppen, zuerst acht Legionen, dann ihrer weniger.Pfitzner S. 136 führt von a. 107–120 in Germania superior auf die legio VIII Aug., XXII Primigenia; in Germ, infer. I Minervia, VI Victrix, XXX Ulpia. Hadrian fand die Kriegszucht verfallen; er entfernte aus den Lagerplätzen alles, was die Soldaten verweichlichte. Er bekümmerte sich um ihre persönlichen Verhältnisse, besuchte ihre Hospitäler und sorgte für ihr Wol, aber er ahndete strenge die Fahnenflucht und untersagte die Mißbräuche des Verkaufs des Urlaubs durch die Officiere. So verfuhr er in allen andern Provinzen. Wir besitzen Tagesbefehle von ihm, und eine Reihe von Militärdiplomen, worin er ausgedienten Kriegern die Civität und das Recht des Connubium erteilt hat.Den Veteranen gab er das Recht über das peculium castrense, ihr im Kriegsdienst erworbenes Vermögen zu testiren. Instit. lib. II, Tit. XII. Renier, Recueil de Diplomes militaires, Paris 1876. Privilegia militum etc. C. I. L. III, 2, S. 843 f. Ein Kriegsfürst ohne Kriege wurde er vom Heere geliebt, und nie hat ihn Furcht vor einer Empörung der Legionen gequält.

Er sorgte auch für die Ordnung der Finanzen der germanischen Länder. Seine Münzen tragen nur einfach den Namen Germania und Exercitus Germanicus. Das Land ist als ein Weib mit Speer und Schild dargestellt. Auf den Heeresmünzen sieht man den Kaiser zu Pferde, die Soldaten anredend.Eckhel VI, 494. Es gibt aber keine hadrianische Advents- und Restitutionsmünzen für Germanien, und dieser Mangel unterstützt, wenn auch nicht mit Sicherheit, die Ansicht, daß Germania inferior und superior noch nicht ein eigenes Verwaltungsgebiet ausmachten, sondern Belgien zugeteilt waren.

Nicht geschichtliche Kunden, wol aber Gründe der Wahrscheinlichkeit sprechen dafür, daß die Fortsetzung des schon von Domitian begonnenen Limes das Werk Trajans und Hadrians gewesen ist. Diese riesigen Befestigungslinien von 60 Meilen Länge, deren Reste man heute Teufelsmauer oder Pfahlgraben nennt, umschlossen die Agri decumates von Kehlheim an der Donau über den Main bis an die Mündung der Lahn in den Rhein. Sie sicherten beide Germanien und das nördliche Rhätien als Gränzmarke des Römerreichs gegen den Einbruch der freien Germanen vom Osten her. Weil Hadrian einen ähnlichen Wall in Britannien errichten ließ, darf man ihm auch die Vollendung jenes deutschen zuschreiben, um so mehr als Spartian von mehreren hadrianischen Linien dieser Art redet.Spartian. c. 12. K. Arnd, Der Pfahlgraben nach den neuesten Forschungen 1861, und die betreffende Literatur bei E. Hübner, Der röm. Gränzwall in Germanien, Jahrb. des Vereins für Alterthumsfr. i. Rheinl. 1878, Heft 63. Nach ihm soll Hadrian auf Grund des Limes die beiden Germanien von Gallien abgetrennt haben. Siehe auch D. Hirschfeld a. a. O.

Die starken Wälle hatten den Erfolg, daß die deutsche Gränze lange Zeit ruhig blieb. Erst unter den Antoninen haben sich die Katten und dann die Markomannen wieder geregt. Die Reise Hadrians in Germanien überhaupt mußte wolthätig für die Rheinlande sein, und seit Tacitus wurden durch sie wieder mehr Kunden über diese Mitte Europas verbreitet. Aber jenseits des Limes lag die unbezwungene Germania magna des Ptolemäus mit ihren kaum dem Namen nach bekannten Völkern. Nach der Angabe des Spartianus hat Hadrian einem dieser Stämme einen König gegeben, und dies setzt voraus, daß auch dorthin die römische Regierung ihren Machteinfluß erstreckte, aber sich zugleich bequemte, Subsidien an Häuptlinge der Barbaren zu zahlen. Doch konnte dies nur an den Gränzen des römischen Gebiets geschehen. Denn das innere Germanien blieb den Römern verschlossen. Tiefstes Dunkel bedeckte noch die waldigen Länder bis zur Oder und Weichsel, deren Völkerschaften noch auf der Karte des Ptolemäus ungewisse Namen tragen, während die Orte, welche der berühmte Geograph vermerkt hat, nicht Städte, sondern Gegenden bezeichnen.Kiepert, Lehrbuch der alten Geographie I, 465.

Zur Zeit Hadrians schlummerte die germanische Volkskraft der Gothen, Vandalen, Langobarden und Sachsen in undurchforschten Landgebieten, welche vom Römertum selbst während seiner größesten und furchtbarsten Macht unberührt geblieben sind. Auch nicht ein Tacitus konnte die Bestimmung jener düsteren Wildnisse ahnen. Gallien jenseits des Rheins wurde reich durch die oceanische Lage, durch günstigere Bedingungen der Natur und den frühen Besitz der römischen Bildung:, Germanien diesseits des Stromes blieb zur Armut und zu langer Barbarei verurteilt, aber es hielt seine mächtige Ursprache und seine Stammesnatur fest. Es trat erst in die Weltgeschichte ein, nachdem seine wandernden Völker das römische Reich zerstört hatten. Es nahm die römische Cultur erst durch die Vermittlung des christlichen Rom auf, und setzte dann den Weltgedanken des Reichs wieder fort, als auf den Trümmern der Kaiserherrschaft der Hohepriester des Christentums seinen Tron errichtet hatte. Die Reformation der Kirche wäre wol nicht entstanden oder nicht durchführbar gewesen, wenn das ganze Germanien, wie Gallien und Spanien, eine römische Provinz geworden wäre.

Bei seinem ersten, sicherlich nicht kurzen Aufenthalt in Germanien hat Hadrian wahrscheinlich auch die Provinzen Rhätien und Noricum, und selbst Pannonien besucht.Flemmer und Dürr glauben das mit Recht, weil sich keine passendere Zeit dafür finden läßt. Siehe die von Flemmer S. 17 f. beigebrachten Münzen Exer. Noricus, Rhaeticus, und bei Dürr S. 35 die von H. begünstigten oder geschaffenen Städte Aelia Ovilava, Cetium, Vindobona, Carnuntum, Brigetio, Aquincum, Solva, Abudiacum. Augusta Vindelicorum (Augsburg, ein von Augustus gegründeter vicus, beim Ptolemäus ein oppidum) war keine Colonie, wurde aber von Hadrian zur Stadtgemeinde gemacht, und nahm den Namen Aelia an. C. I. L. III, S. 711. – Zumpt lehnt die Hadrian zugeschriebene Colonie Juvavum (Salzburg) ab, Comment Ep. I, 417. Siehe auch Mommsen C. I. L. III, 2, S. 669. Von diesen zum Teil celtischen Donauländern, welche zuerst Claudius geordnet hatte, wurden Rhätien und das »Königreich« Noricum von kaiserlichen Procuratoren regiert, ohne viel Aufwand von Truppen, während Pannonien unter einem consularischen Legaten des Kaisers stand, und als östliches Bollwerk zwischen der Donau und den Alpen von höchster militärischer Wichtigkeit war. Es hatte deshalb eine starke Besatzung. Im oberen Pannonien galt es, die Donaulinie besser zu befestigen, das geschah in Mursa, nicht weit vom Einfluß der Drau in jenen Strom; diesen Ort (das heutige Esseg) machte Hadrian als Aelia Mursa zur Colonie; ferner in Aelium Aquincum (Alt-Ofen), welches seit Hadrian ein Municipium war. Weiter hinauf deckten die Donau Brigetio, Aelium Carnuntum und Vindobona, die Vorgängerin Wiens, wo die 10. Legion Gemina lag.Mursenses Conditori Suo C. I. L. III, n. 3279. Aelia Mursa III, S. 423. Aquincum 439. Nach Mommsen, Die römischen Lagerstädte (Hermes 1873, S. 323), hat wahrscheinl. Hadr. den Canabae der 3 großen Lager an der mittleren Donau Carnuntum (Petronell), Aquincum und Viminiacum (Kostolat) Stadtrecht verliehen. Im oberen Pannonien scheint Hadrian das Gebiet von Noviodunum zu dem Alpenlande der Carni oberhalb Aquileja geschlagen, mit Italien vereinigt und mit dem Bürgerrecht beschenkt zu haben.C. I. L. III, n. 3915: Ehreninschrift für Hadrian der Aelii Carni Cives Romani; dazu Mommsens Noten, S. 498.

Der Kaiser kehrte von der Donau nach dem Rhein zurück. Da ein Forum Adriani in der Nähe von Lugdunum Batavorum von ihm den Namen trägt, so ist es glaublich, daß er damals vom untern Rhein nach Britannien in See gegangen ist.Das hat Greppo S. 71 aus der Peuting. Tafel bemerkt. Siehe auch Flemmer S. 19. Dürr S. 36.


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