Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

LII. Kapitel.

Hilde verliebt sich in Semper den Älteren, bekennt sich zu Chamisso und entpuppt sich als eine alte Bekannte.

Mit der Bekanntmachung ihrer Verlobung hatten sie es nicht im geringsten eilig; ob die Welt sie für Brautleute hielt oder nicht, war ihnen beiden grenzenlos gleichgültig. Aber seinen Eltern wollt' er's nicht länger verbergen, obwohl ihn Zweifel befielen, wie sie es aufnehmen würden. Eigentlich zweifelte er nur an dem Beifall seiner Mutter. Ludwig Semper, das wußte er, so leer ihm das Haus ohne seinen Asmus werden mochte, würde Asmussens Erwählte willkommen heißen, bevor er sie gesehen; aber Rebekka –? Mütter sind eifersüchtig, und überdies war er erst 23 Jahre! Sie wird schelten, dachte er. Aber sie schalt nicht; sie schüttelte nur den Kopf und sagte: »Junge, Junge, du bist ja noch so jung!«

»Aber Mutter!« rief Asmus lachend und faßte sie bei beiden Schultern, »du hast ja auch jung geheiratet!«

»Ja, das war damals auch ganz anders!« rief sie.

Ludwig Semper konnte dieser Geschichtsauffassung nicht beipflichten; er wußte noch, wie junge Herzen schlagen, und sagte, Asmus möge seine Braut am Sonntag nur mitbringen.

Und an diesem Sonntag feuchtete er keinen Tabak an und grübelte er nicht; er hatte seinen guten schwarzen Rock angezogen und ein feines weißes Tuch umgelegt – denn ein gesteifter Kragen durfte ihm nicht an den Hals kommen – und ging munter und aufgeräumt im Hause umher, und wenn er sich allein wußte, sah er mit strahlenden Augen in die Ferne und summte vor sich hin: »Tränen, vom Freunde getrocknet.« Und als es hieß: »Sie kommen!« und die Tür aufging und Asmus rief: »Da ist meine Braut!« da stand Ludwig Semper da wie ein herrlicher, gütiger Nordlandskönig, dem sein Erbe die junge Königin zuführt; er streckte seine warme kräftige Hand auf und sagte nichts als:

»Seien Sie uns herzlich willkommen!«

Aber als sie sein Lächeln sah, mußte sie ihm entgegenlächeln wie sein eigenes Kind, war alle Befangenheit von ihr gefallen wie ein Schleier, wußte sie ganz, daß sie aufgenommen sei in den Frieden des Hauses. Rebekkas Willkommen war ganz anders. Sie rannte geschäftig hin und her und bemühte sich um den Gast, als sei er von einer mehrjährigen Nordpolfahrt heimgekehrt und müsse mit allen erfindbaren Mitteln aufgetaut, gewärmt, getränkt und gespeist werden. Ein bißchen Eifersucht saß ihr wohl trotzdem im Herzen; aber schon beim dritten Besuche Hildens sagte sie ganz von selbst:

»Du bist ein süßes Geschöpf!«

Hilde aber sagte schon nach ihrem ersten Besuche auf dem Heimwege zu Asmus:

»Du, ich will dich nicht mehr; ich will deinen Vater heiraten.«

»Nun ja,« sagte Asmus trocken, »sprechen Sie mit meiner Mutter. Sie ist nun wohl gute vierzig Jahre mit ihm verheiratet und ist mit ihm nie auf einen grünen Zweig gekommen; aber ich glaube nicht, daß sie ihn losläßt.«

»Da hat sie recht,« sprach Hilde, »den gäbe ich auch nicht her.«

Nach einiger Zeit bat sie um die Erlaubnis, »Vater« und »Mutter« sagen zu dürfen, und Ludwig und Rebekka waren froh und stolz, zu ihren acht Kindern noch ein so feines und liebes hinzu zu bekommen. Sie hatten inzwischen noch eine Tochter bekommen, ohne sie zu kennen. Johannes Semper hatte aus Amerika geschrieben, daß er dort ein Weib genommen. Das hatte die Alten gefreut; aber Rebekka hatte dazu geweint und gesagt: »Nun werden wir ihn wohl nicht wiedersehen.« Asmussen schnitt es durchs Herz, als er das hörte.

Bald daraus erfuhr er, warum Hilde sich nach einer Mutter und fast mehr noch nach einem Vater sehnte.

Sie sahen sich zwei- oder dreimal die Woche; und wenn sie nicht spazieren gingen, saßen sie in Hildens Zimmer stundenlang beieinander und waren plaudernd und schweigend miteinander glücklich. Sie bereitete vor seinen Augen den Tee und das Abendbrot, und jedesmal war es ihm, als ob ihre schlanken, weißen und geschickten Hände das einfache Brot und Fleisch in die erlesensten Leckerbissen verwandle. Zu Hause aß er wie ein Schulmeister von energischem Appetit; hier soupierte er bei denselben Speisen wie ein Gourmet.

In manchen Stunden ergötzte er sich daran, ihr die langen, schweren Zöpfe aufzulösen, daß das Haar sie bis zu den Hüften wie ein goldbrauner Mantel umfloß, und im duftig-warmen Schatten ihres Haares küßte er sie, oder er schmiegte sich eine breite Strähne ihres Haares um Hals und Wange und las ihr so ein Gedicht vor, daß er ihr mitgebracht. Selten kam er ohne neue Verse zu ihr, und sie war sein empfänglichstes und unbestechlichstes Publikum. Wenn er geendet hatte und sie ihm freundlich zunickte, dann wußte er, daß das eine vernichtende Kritik war. Wenn ihm etwas Rechtes gelungen war, sah sie ihn mit großen, ernsten Augen und mit zuckendem Munde an, nahm ihm leise das Blatt aus der Hand und las es noch einmal. Und dann bedeckte sie das Blatt mit Küssen, und dann seinen Mund, seine Wangen, seine Augen mit Küssen, und dann barg sie das Blatt auf ihrer Brust, und er wußte, daß sie es wochenlang auf ihrem Herzen trug wie ein Amulett, bis es von einem andern abgelöst ward.

Manchmal auch sangen sie, einzeln oder zu zweien, und dann sang er die Oberstimme, und sie sang mit einem vollen weichen Alt die Begleitstimme; so klang es besser als umgekehrt. Und einmal, als sie allein sang, sang sie:

Er, der Herrlichste von allen,
Wie so milde, wie so gut . . .

Als sie geendet hatte, fragte er: »Liebst du das Lied?«

»Ja. Ich liebe den ganzen Zyklus unbeschreiblich.«

»Die Verse oder die Musik?«

»Beides. Aber die Verse noch weit mehr als die Musik. Sie sind nach meiner Meinung das Schönste, was von der Frau gesungen werden kann.«

»Ja. Mir scheint auch, er hat die Frau nicht besungen, er hat sie gesungen. Das Weib, das in diesen Versen dasteht, überragt Gretchen und Klärchen an Schönheit, Lieblichkeit und Größe; es ist von klassischer Hoheit, aber es ist nicht antike, es ist deutsche Klassik. Wir haben überhaupt nur wenig so deutsche Dichter wie diesen Franzosen. Da fällt mir ein: ich wollte dich immer schon fragen, woher dein französischer Name stammt.«

»Meine Urgroßeltern väterlicherseits wohnten im Elsaß.«

»Ah – daher dein französisches Aussehen.«

»Hast du's nicht gern?«

»Ich glaube, den Beweis erbracht zu haben. Du bringst das Kunststück fertig, pikant und deutsch zu sein.« Und dann rezitierte er leise:

Wandle, wandle deine Bahnen;
Nur betrachten deinen Schein,
Nur in Demut ihn betrachten,
Selig nur und traurig sein!

Höre nicht mein stilles Beten,
Deinem Glücke nur geweiht;
Darfst mich niedre Magd nicht kennen,
Hoher Stern der Herrlichkeit.

Nur die Würdigste von allen
Soll beglücken deine Wahl,
Und ich will die Hohe segnen,
Segnen viele tausendmal.

»Heute gibt es nicht wenig Frauen, die darüber lachen und höhnen,« sprach er.

»Kann man anders empfinden, wenn man liebt?« fragte sie. »Ich wenigstens kann mir keine andere Liebe denken.«

»Und eine Frau, die so empfindet,« fuhr er fort, »wird im Hause des Mannes die stolzeste der Frauen sein, sie wird der ›Stern der Herrlichkeit‹ sein, zu dem Mann und Kinder in der Stille ihres Herzens beten, zu dem sie aufblicken, wenn sie den Glauben an die Welt verloren haben und wiederfinden möchten.«

»Muß sie dann nicht eine Heilige sein?«

»Nein, so wenig wie je ein Mann die Verehrung verdienen kann, die aus den Frauenliedern Chamissos klingt. Nicht das entscheidet ja, was wir sind – du lieber Gott, wo bliebe ich! –, sondern wie sehr wir geliebt werden, das entscheidet. Das ist die Wahrheit des Christentums, daß uns Liebe erlöst.«

»Asmus,« rief sie ängstlich, »ich zittere und bange, wenn du mich über dich erhebst. Wenn du wüßtest, wie wenig ich das verdiene –«

»Zittere und bange nur,« rief er, »ich habe Mut, wenn ich dich ansehe, einen Mut, einen Mut –«

Er riß sie jauchzend an sich und küßte sie, daß sie aufschrie.

Und einmal, als er so bei ihr saß, in ihrem Nähkästchen kramte und mit allerlei zierlichen Büchschen und Kästchen spielte, die er darin fand, holte er einen Glasmarmel daraus hervor, eine durchsichtige Glaskugel, in der man eine geflügelte Gestalt, eine Fortuna, wie es schien, erblickte.

»Sieh da,« sagte er, »genau solch einen Marmel hab' ich auch einmal besessen. Eigentlich ein hübsches Symbol, wenn ich es jetzt betrachte. Die Glücksgöttin nicht über der Welt, sondern in der Welt, sie selbst nur ein Stück der rollenden Notwendigkeit . . .«

»Ich weiß eigentlich selbst nicht,« sagte sie lächelnd, »warum ich ihn immer aufgehoben habe. Wenn man solch ein Ding lange bei sich verwahrt hat, ist es gerade, als hätt' es ein Recht an uns erworben, und wenn man es wegwerfen will, ist es, als säh es einen vorwurfsvoll an, und man kann es nicht aus den Fingern loswerden. Ich hab' ihn vor vielen Jahren von einem kleinen Jungen bekommen.«

Sie sagte das, indem sie sich auf ihre Näharbeit bückte; aber es war ihr, als zöge eine geheime Kraft ihren Kopf empor, und als sie aufblickte – wirklich, da starrte Asmus sie an mit einem Blick, der aus der Ferne einer längst vergangenen Zeit zu kommen schien.

»Von einem kleinen Jungen hast du ihn bekommen?« sprach er langsam. »Wann? Wo?«

»Ja, wenn ich das noch wüßte! – Was hast du? Warum bist du –«

»Bitte, frag' mich jetzt nicht – sag', wann es war und wo?«

»Ja – zwölf Jahre ist es zum mindesten her – ich weiß nur noch: ich saß auf der steinernen Treppe vor einer Gastwirtschaft und wartete auf meinen Vater, der erledigte drinnen ein Geschäft, da kam der kleine Junge und schenkte mir den Marmel.«

»Hilde,« rief Asmus mit seltsam leuchtenden Blicken, »sah der Junge aus wie ein kleiner, dicker Asmus Semper?«

Hilde starrte ihn sprachlos an.

»Hilde,« rief er, »du hast einen Onkel in Griechenland –«

»Ich hatte ihn – er ist tot –«

»Den nannte man den ›König der Mainotten‹!«

»Ja?!«

»Hilde! Wir haben uns also vor zwölf Jahren schon gesehen! Der kleine Junge war ich! Vor zwölf Jahren schon sind wir uns begegnet.« Er war so bewegt, daß er aufspringen und auf und ab gehen mußte. Und er erzählte ihr, wie wundersam ihn damals die Begegnung mit dem lieblichen, traurigen Kinde ergriffen habe, wie er wochenlang fast täglich nach der Wirtschaft zwischen den Bahndämmen in Oldensund gelaufen sei, um die »Königin der Mainotten« wiederzufinden – denn sie hatte erzählt, der Onkel wolle sie zu seiner »Königin« machen – wie er sie niemals wiedergesehen, aber wie ihre Erscheinung und ihr Wesen ihn mit einem jahrelang nachleuchtenden, tröstenden Licht erfüllt habe.

»Hilde! Hilde!« – –

Und ihr Gespräch ward ein leises, trauliches Fragen und Erzählen; sie erzählte ihm die Geschichte ihres Lebens. Was sie nicht erzählte, das ergänzte er sich leicht aus dem Zwange der Tatsachen und aus dem, was er früher von ihr und von andern gehört. Und immer wieder fühlte Asmus mit Beschämung, wie sehr ihn von je das Glück begünstigt habe, schon dadurch, daß er bis heute zwei liebende und geliebte Eltern besessen, und wieviel mehr der Kraft, des Mutes, der Liebe das Leben von ihr gefordert hatte als von ihm!


 << zurück weiter >>