Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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XLVI. Kapitel.

Angetrunkene Einfälle, die bei jedem vernünftigen Menschen nur Kopfschütteln erregen können. Im übrigen ein Beweis, daß die Optimisten nicht immer Optimisten sind.

Wenn er dann so ganz mit sich allein war, dann war er vom Kopf bis zu den Füßen sein Vater Ludwig Semper. Er bemalte dann die hohen Wände des Saales mit ganzen Epochen der Geschichte, mit Werken der Dichtkunst und der Malerei, ließ sich von einem verdeckten Orchester Symphonien und Ouvertüren vorspielen, sah sein ganzes Leben durch den Lichtkreis der einsamen Lampe wandern, kämpfte mit Schopenhauer gegen Hegel, gab Unterrichtsstunden, zog plötzlich ein Kuvert oder eine Rechnung oder sonst einen Zettel aus der Tasche und notierte sich die Idee zu einem wundervollen Gedicht oder Drama, das er schreiben wollte. Auch Gedanken notierte er sich, die ihm des Aufhebens wert dünkten, und wenn er nach Tagen oder Wochen bei einem zufälligen Griff in die Tasche die Zettel wieder hervorholte, knäulte er sie ingrimmig zusammen und warf sie mit einem gemurmelten »Blech« oder derberen Worten in den Ofen. Je weiter der Abend fortschritt und je öfter der Kellner aufgetreten war, desto eigenwilliger wurden natürlich seine Gedanken; sie kümmerten sich schließlich gar nicht mehr um diesen Herrn Semper, dem sie angeblich entsprungen sein sollten, und schnitten Gesichter wie losgelassene Buben. Einige von diesen Aphorismen, die sich weniger durch dauerhaften Wert als durch den Zufall erhalten haben, mögen hier Platz finden und zeigen, welche Art von Luftblasen in jenen Tagen auf den trüben Wirbeln der Semperischen Seele anstiegen.

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Wir nehmen den Sonnenaufgang für ein Bild des siegenden Lichtes, der erfüllten Hoffnung! Aber die Sonne blieb, wo sie war; nur wir drehten uns – um uns selbst.

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Ein Goldstück fiel ins Wasser und ging unter. »Das kommt davon, wenn man nicht den beständigen Trieb nach oben in sich hat, wie ich!« rief ein schwimmender Kork.

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Wie sie sich blähen, die »Praktischen«, die »sich nicht mit vagen Zukunftsideen abgeben«! Fressen sich voll und grinsen über die, die dafür sorgen. daß auch morgen zu essen da ist.

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So ist alle Arbeit auf der Welt auf das weiseste verteilt: der eine hält edle Reden, und der andere handelt darnach.

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Wer klug ist und dennoch gut, der ist wahrhaft gut. Das heißt die Gefahr kennen und dennoch tapfer sein.

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Der Sonntag ist so schön, weil er in sieben Tagen nur einmal kommt. Er ist schön wie das Lächeln eines ernsten Menschen.

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Man sagt von etwas Unpassendem: »Das paßt wie die Faust aufs Auge«, und die paßt doch mitunter so gut dahin!

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Das Leben ist ein langsamer Vergiftungsprozeß.

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Dumm und schlecht, – in einer Stunde der Selbsterkenntnis fand der Mensch für diese Verbindung das Wort »gemein«.

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Aus den Augen des Menschen blickt zuweilen ein gequältes Tier, das nicht reden kann.

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Die Erde ist eine alte Metze, die sich in jedem Frühling wieder das Gesicht bemalt.

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Man muß Ambos oder Hammer sein, und wer keins von beiden sein will, kommt zwischen beide. Armer Rumolt!

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Wenn die Dummköpfe auf Geist stoßen, so grinsen sie überlegen.

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Manche Brust ist ein Eisschrank, in dem sich die Gefühle vortrefflich konservieren.

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Beethovens fünfte Symphonie, letzter Satz: Donner der Seligkeit aus aufgerissenen Himmeln.

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Die Welt besteht durch Gehorsam; aber weitergekommen ist sie immer nur durch Ungehorsam.

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»Er ist ein enorm gebildeter Mensch,« sagen die Leute und meinen damit: Er weiß dasselbe, was ich weiß.

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Was fliegt, ist beliebt; was kriecht, ist verhaßt. Selbst der Floh ist angesehener als die Laus; denn er springt.

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Ein richtiger Neidhammel beneidet auch eine erfolgreiche Ballerine, wenn er selbst Professor der Ethik ist.

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Man soll die Menschen aufklären, gewiß; aber es gibt Geister, die durch Rippenstöße geweckt sein wollen.

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Wenn man seine Dummheiten bei der Obrigkeit rechtzeitig als Heiligtümer anmeldet, genießen sie gesetzlichen Schutz.

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Auf dem Lande gibt es Kollegen, die sich ein Schwein fett machen. Ich will aufs Land gehen und mir einen borstigen Menschenhaß fett machen.

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Selbst Herkules hat nur die Ställe des Augias ausgemistet.

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Der Ochse, der tausendmal auf die Weide getrieben wurde, sammelt freilich »Erfahrungen«. Aber weniger in der Botanik als im Fressen.

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»Endlich wird mir Genugtuung!« rief die Distel, da hatte der Blitz die Eiche zerschmettert.

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Keine Tiergattung, die so viele und so verschiedene Varietäten aufweist wie der Hund. Grenzenloses Akkomodationsvermögen ist ein Merkmal der Hundenatur.

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Ich habe Professoren und Schulmeister kennen gelernt, die bereitwilligst zugaben, daß Goethe die Formgewandtheit vor ihnen voraus habe.

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Wenn die Könige bau'n und wenn sie niederreißen, – ein rechter Karrenschieber findet immer sein Brot.

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Das Leben ist das allmähliche Erwachen eines Gefangenen, der von der Freiheit träumte.

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Man kann die größten Dummheiten mit der Ruhe des Weisen sprechen.

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Es gibt Künstler, die ihr Talent in schmale Riemen zerschneiden, um es auszubeuten. Sie können es, wie Dido, zu einem ansehnlichen Grundbesitz bringen.

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Es war ein kleines Mädchen, dessen Mutter hatte man ins Irrenhaus bringen müssen. Und man stopfte ihm die Hände voll Äpfel und Backwerk, daß es nicht mehr an die Mutter denken sollte. Aber es konnte die Mutter nicht vergessen.

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Wenn ein Mandrill den Husten hat, so vergißt man seine Häßlichkeit, oder man ist ein Ästhet und Hallunke.

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Niemand ist vor seinem Tode ein Goethe, sagte der Professor.

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Schon bei der Geburt tritt der Mensch in etwas, das man Leben nennt.

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Italien scheint mir ein alter, zerfallener Gorgonzola unter einer wunderschönen Kristallglocke zu sein.

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O, dieses Korsett! Man glaubt ein Weib zu umarmen und man umarmt einen Hummer.

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Die Ratte hat keinen Freund – das könnte mich zu ihrem Freunde machen.

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Bei jedem schweren Gange sage dir dies: Bei Abschied und Wiederkehr sind die Leute da mit Hurra und Trara – den langen, bittern Weg mußt du allein gehen.


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