Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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XXV. Kapitel.

Was eigentlich ein Bergfest ist, und warum Dr. Korn den ersten Toast bekam.

Das Bergfest! Wenn von den sechs Seminarsemestern drei verflossen waren und also der Berg des Ärgernisses bis zum Gipfel überwunden war, pflegte man das »Bergfest« zu feiern. Und diesmal sollten der Direktor und alle Lehrer dazu geladen werden.

Vor der nächsten psychologischen Stunde hub der Herr Direktor also an: »'n Bergfest woll'n Se feiern. Ich habe erst jar nicht verstanden, was das sein soll. Ich habe jedacht: wieso woll'n denn Seminaristen des Flachlandes 'n »Bergfest« feiern! Schließlich hab ich mir's erklären lassen. Das heißt: »Jott sei Dank, nu sind wir über'n Berg!« Ick will Ihnen mal wat sagen: Freu'n Se sich, wenn Se noch Zeit und Jelegenheit haben, wat zu lernen; später wird's anders! Wenn Se Ihr Examen jemacht haben, feiern Se meinetwegen Feste, aber den Unsinn mach' ick nich mit!«

Er fing immer ziemlich hochdeutsch an, aber je länger er sprach, desto berlinerischer wurde er und desto mehr würzte er seinen Vortrag mit Berliner Anekdoten. Wenn er mit einem Vortrag über Zeit und Raum begonnen hatte, so war er nach einer Viertelstunde bei Bismarck oder Moltke oder bei seinen Lehrern Lazarus und Steinthal (»der Steinthal is man so'n janz kleenes Männeken mit'n Zahntuch um'n Kopp – wenn man'n auf der Straße sieht, möcht' man ihm 'n Jroschen schenken« – und dann pries er ihn in begeisterten Erinnerungen) oder er kam auf die Berliner Schutzleute oder auf Eugen Richter.

»Wenn man den Richter nachts aufweckt und sagt: Richter, halt mal 'ne Rede! denn kann er's, un wenn man sagt: Richter, nu halt mal eine dajegen! denn kann er's ooch. Aber 'n janzer Kerl is er doch!«

Das Bergfest wurde also ohne Direktor und ohne Lehrer, nichtsdestoweniger aber mit Glanz gefeiert. Niemand rührte mit Wort oder Miene an das Vergangene; Schäflein und Wölfe benahmen sich gleich taktvoll; nur Morieux zog einmal Sempern auf die Seite und flüsterte erregt:

»Du mußt eine Rede halten!«

»Ich? Worüber?«

»Na – zum Dank für die Einladung!«

Asmus brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Das könnte mir fehlen! Nein, mein Junge, ich bin sehr vergnügt und feire das Fest ohne jeden Hintergedanken – aber auch noch »danke« sagen –? Das mach du nur selber! Das heißt, wenn du's tust, erschlage ich dich!« fügte er schnell hinzu.

Und zu den hübschesten Dingen dieses Festes gehörte es, daß der erste Trinkspruch, den der Präside ausbrachte, dem Direktor galt. Er hatte sie auch bei dieser Gelegenheit nicht eben liebenswürdig behandelt; aber sie liebten ihn alle; denn er hatte das eine, für das die Jugend ein so besonders feines und lebhaftes Empfinden besitzt: Gerechtigkeitsgefühl. Die Jugend versöhnt sich mit dem strengsten Zuchtmeister, wenn er gerecht ist, und sie verachtet, sie haßt den willfährigsten Lenker, wenn er das Recht beugt. Sie wußten es alle: dieser Dr. Korn hatte ein Rückgrat nach oben und nach unten, und wenn es in einem Konflikt zwischen Lehrer und Schüler zu entscheiden galt, so waren sie ihm nicht Lehrer und Schüler, sondern Menschen. In aller Gedächtnis strahlte mit unauslöschlichem Glanze ein Richterspruch des »Alten«. Ein Religionslehrer hatte mit allerlei verfänglichen Fragen einen verdächtigen Jüngling auf seine Rechtgläubigkeit untersucht. Der Jüngling beschwerte sich bei dem Direktor über diese Belästigungen, und Korn, als er beide Parteien gehört hatte, sagte: »Herr Doktor, Sie haben sich aller Jewissensfragen zu enthalten. Wir sind hier tolerant.«

Es war zu jener Zeit, als der leise schreitende Einfluß der Geistlichkeit noch nicht überall war und die oberen Stellen nicht mit den Günstlingen der Kirche, sondern mit den Günstlingen Minervens besetzt wurden.

Von der orthodoxen Theologie war der Mann allerdings weit entfernt; er war Philolog und Philosoph und liebte das Zeitalter der Aufklärung und der Enzyklopädisten, das er mit sprühendem Geist, lebendig und groß darzustellen wußte, so groß, daß Asmus, wenn ihm später der banale Aufkläricht in seiner ganzen Schrecknis begegnete, nie mehr vergessen konnte, wie die Gedanken, die klein sind in den kleinen Köpfen, groß gewesen in den großen. Wenn er ein Kapitel des christlichen Glaubens behandelte, etwa die Dreieinigkeit, so trug er es genau nach der Dogmatik vor, ohne Kritik und ohne Polemik, und wenn er fertig war, sagte er aufatmend:

»So. Das lehrt die Kirche. Was Sie davon jlauben wollen, steht bei Ihnen.«

Diesen Grundsatz bewährte er nach jeder Richtung. Der Gläubige atmete unter ihm so frei wie der Zweifler.

Und obwohl Asmus das Brandenburgisch-Preußische sonst nicht liebte, – die Schleswig-Holsteiner sind keine Kommißnaturen, – so sagte er sich doch, daß der Geist dieses Mannes das Beste am ganzen Seminar, ja, daß er beinahe das einzige Gute an dieser Anstalt war. Sein goldener Präparandentraum vom reich besetzten Tisch der Wissenschaften und Künste hatte einer großen Ernüchterung Platz gemacht; aus der Hochzeit des Kamacho, wo die Rinder, Hammel und Hasen und die Schläuche Weines nicht zu zählen gewesen, war ein Gastmahl des Harpagon geworden. Von einem, der studieren will, sagen die plattdeutschen Bauern: »he will studeern leern« und sprechen damit, ohne es zu wissen, ein feines Wort. In drei oder vier Jahren kann man nicht viel studieren; aber man kann studieren lernen, und das ist viel mehr. Bei Korn lernte man studieren. Nach seinen Vorträgen rief es in Asmus mit tausend Begierden: Mehr! mehr! und ihm war, als müßte er mit Armen des Geistes das ganze Firmament der Gedanken umspannen und in seine Brust herabziehen. Nach den Stunden der andern hatte man immer genug, und wußte doch, daß es nichts war. Sie gaben trockenes Brot, das schnell satt macht, oder sie gaben Steine statt des Brotes, oder sie gaben nicht einmal Steine. Ein Glück noch, wenn sie komisch waren, wie der gute Mister Belly, und wenigstens auf solche Art die Jugendlust lebendig erhielten.


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