Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XLIX. Kapitel.

Asmus Semper wird streitsüchtig, wettet, lügt, vergreift sich an Goethe und benimmt sich feige.

»Wo haben Sie die Calluna gepflückt?« fragte Asmus, indem er einen Zweig der Glockenheide aufnahm.

»Im Moor. Aber das ist nicht Calluna, das ist Erika.«

»Das ist Calluna.«

»Das ist Erika.«

»Das ist Calluna.«

»Das ist Erika.« Sie lachten beide.

»Das Heidekraut ist Erika, und Calluna ist die Glockenheide,« sagte Asmus. Er hatte sich's inzwischen überlegt und wußte, daß sie recht habe; aber er fand es viel hübscher, mit ihr zu streiten.

»Im Gegenteil,« lachte sie, »die Glockenheide heißt Erika.«

»Wetten?« rief Asmus.

»Ja!« Ihre Augen leuchteten.

»Um was?«

Sie machte plötzlich ein ernstes Gesicht und sagte zögernd:

»Wenn Sie verlieren, müssen Sie mir ein Gedicht schenken. Das ist wohl schrecklich unbescheiden, nicht wahr?« fügte sie schnell hinzu.

»Ich fürchte, es ist nur allzu bescheiden,« sagte Asmus. »Und was geben Sie mir, wenn ich recht habe?«

»Das – weiß ich noch nicht – das findet sich dann,« sagte sie errötend.

Am Abend hatte er es fast eilig, von ihr fort zu kommen, damit er zum Dichten komme. Sie wollte ein Gedicht von ihm! War das nicht ein Zeichen von Liebe? Ach nein, ach nein. Andere Damen hatten ihn auch schon darum gebeten, sicherlich, ohne ihn zu lieben. Die Mädchen prunken gern mit dergleichen – so weit kannte er die Mädchen auch. Freilich: so war sie nun eigentlich nicht . . . .

Einen Augenblick dachte er, er wolle ein Akrostichon auf ihren Namen machen, weil das so schön deutlich sei. Aber er schalt sich sofort darüber aus: »Erstens ist es läppisch und keine Dichtung, und zweitens wäre es nicht mehr deutlich, sondern frech.« Er nahm nun eine Maske vor, die Maske eines Mannes, der sich aus dieser Welt des Alltags nach der Welt der Romantik, nach der Zeit der schönen Melusinen, der Minnesinger und der Ritter sonder Furcht und Tadel sehnt, und schloß sein Ottaverimengebäude also:

»Wie schlug' ich gern, ein schwertgewandter Ritter,
Mit leichtem Mut mein Leben in die Schanze,
Wie schwäng' ich gern im Schlachtenungewitter
Für der Bedrückten Recht die wucht'ge Lanze!
Vor Raubverließen sprengt' ich Wall und Gitter
Und kehrte heim mit wohlverdientem Kranze.
Dann blühte mir, die Frucht von blut'gen Saaten,
In starker Brust das stolze Glück der Taten.
Wie gern . . . doch still! Es öffnen sich die Zweige –
Ein leises Knistern über meinem Haupte –
Ich forsche, daß der süße Mund sich zeige,
Der so verstohlen-leisen Kuß mir raubte –
Du bist's Geliebte! Komm hervor und neige
Dein Haupt mir zu, das frühlingsgrünumlaubte!
Verlassen hat ein schöner Traum die Lider –
Die schön're Wirklichkeit erkenn' ich wieder!

Mich trog ein alter Wahn – bis ich erwachte
In deinem Arm, im heimatlichen Walde! –
Ob je so schön wie heut' herüberlachte
Der Silberstrom, die farbenreiche Halde? –
Auch heut' bekämpf' ich kühn, was ich verachte,
Zwar nicht als Ritter, doch als freier Skalde;
O sieh zum Horizont die Sonne gleiten:
Noch lebt die Schönheit wie in alten Zeiten!«

Ob das zu kühn war? Ach nein – jedenfalls: vor dem Tintenfaß hatte er Mut; er schrieb es auf sein schönstes Papier, schob es in einen feinen Briefumschlag, liebkoste jeden Buchstaben ihres Namens mit den Augen, als er die Adresse schrieb, und ging zum Briefkasten. Als der Brief schon halb in der Spalte des Kastens steckte, zauderte er einen Augenblick. Sollte er's wagen? Aber ein höherer Wille stieß ihm an den Ellbogen, und der Brief fiel hinein.

Asmus seufzte tief auf. Das war ein entscheidender Schritt, dachte er. –

Schon am übernächsten Morgen hatte er einen Brief.

»Sehr geehrter Herr Semper!

Haben Sie innigsten Dank für das wunderschöne Gedicht! Ich hab' es schon viele Male gelesen, und jedesmal gefällt es mir besser. Aber wetten darf ich nicht wieder mit Ihnen; denn solchen Einsätzen vermag ich nichts entgegenzustellen.

Ich werde Ihr Gedicht an sicherer Stelle verwahren.

Mit schönsten Grüßen                                     
Ihre sehr ergebene                   
Hilde Chavonne.«

Beim ersten Lesen schien ihm der Brief eine feurige Liebeserklärung; beim zweiten schien er ihm nur noch eine Liebeserklärung, und je öfter er ihn las, desto mehr wurde er sich klar, daß diesen Brief auch jede andere Dame geschrieben haben könnte. Jede? Nun ja, er war sehr freundschaftlich gehalten; aber gute Freunde waren sie ja schließlich wohl. »Ich werde Ihr Gedicht an sichrer Stelle verwahren!« das konnte heißen: Ich werde es am Busen tragen – es konnte aber auch heißen: Ich werde es in meiner Kommode verschließen. Und dann der Satz: »Aber wetten darf ich nicht wieder mit Ihnen!« Sie gab ihm zwar eine sehr bescheidene Begründung; aber konnte nicht auch ein feiner Verweis darin liegen: Du bist zu dreist gewesen!? Freilich: da stand: »Mit schönsten Grüßen Ihre sehr ergebene.« Das war sehr viel! Aber eine steife, »zippe« Hamburgerin, die den Herren nur die Fingerspitzen reicht und beim Gruß nur mit der Hutfeder nickt, war sie ja überhaupt nicht, obwohl sie in Hamburg geboren war. Und »Ihre ganz ergebene« stand nicht da . . .

Als er sie wiedersah – es war an einem Sonntagmorgen – fühlte er wohl bald an ihrem Dank und ihrem Geplauder, daß sie an einen »Verweis« nicht gedacht haben könne; aber sie trug ein weißes Morgenkleid mit rosa Bändern, und darin sah sie nun aus wie eine Königin der Lilien! Ach, armer Asmus! Du hast im Ernste geglaubt, solch ein Weib könnte für dich blühen? Dies Kleid schlug all seine Hoffnungen nieder.

Und so war er denn genau so weit wie vordem. Zum Glück ließ die Wirkung des Kleides, als er die Trägerin nicht mehr vor Augen hatte, nach, und er gelangte zu dem Ergebnis: Ich muß noch einmal mit ihr wetten!

Er traf sie bei seinem nächsten Besuch mit einer zierlichen Arbeit beschäftigt. Auf ein weißes Blatt legte sie in mehreren Schichten nacheinander schöne Blätter der verschiedensten Pflanzen, und nach jeder Lage besprengte sie das Ganze mit einer dünnen Sepialösung. Wenn alles beendigt war, kam ein anmutiges Bukett der reizendsten Blattformen zum Vorschein. Es war eine Arbeit, die nicht viel Kunst, wohl aber Sorgfalt und Geschmack erforderte.

Als sie nahezu beendet war, betrachtete Hilde ihr Werk mit geneigtem Kopfe und sagte:

»Die Grazien sind leider ausgeblieben.«

Halt, dachte Asmus, das ist eine Gelegenheit.

»Sagt Schiller,« fügte er hinzu. Er wußte ganz genau, daß er sich an Goethe vergriff.

»Ist das nicht von Goethe?« fragte sie, einen Augenblick durch seine Bestimmtheit unsicher gemacht.

»Nein, von Schiller.« Da wurde er doch rot.

»Doch – es ist aus »Tasso!« rief sie.

»Keine Spur. Von Schiller ist es.«

Sie lachte: »Fangen Sie schon wieder an?«

»Wollen wir wetten, daß es von Schiller ist?« rief er.

Sie wurde purpurrot und rief: »Ja!«

»Um was?«

»Wenn Sie unrecht haben – nein, es wäre zu unbescheiden!«

»Sie können nicht unbescheiden sein.«

»Ein Gedicht? Wollen Sie?«

»Mit Freuden. Und wenn Sie unrecht haben?«

»Was verlangen Sie dann?«

Asmus hob die eben vollendete Arbeit auf. »Dieses Blatt!«

»Nicht dies, aber ein besseres!«

Dann holte sie den Tasso vom Bücherbrett, konnte aber die Stelle nicht sofort finden.

»Darf ich?« fragte Asmus. » Wenn es drinsteht, werd' ich es bald finden.« Er blätterte einen Augenblick. »Wahrhaftig, Sie haben recht! Tasso sagt es vom Antonio.«

Sie triumphierte. – – –

Diesmal fiel sein Gedicht deutlicher aus. Es war etwas herkömmlich im Ton, etwas heine-geibelig sozusagen; aber deutlich war es.

»Wir standen auf hoher Warte
In klarer Sommerluft;
Tief unten lag die Erde
In lauter Glanz und Duft.

Und über unsern Häuptern
Der Himmel hoch und hehr
Ein unergründlich tiefes,
Ein weites, blaues Meer!

Es strebte mein Geist zum Himmel
Und strebte zur Erde auch:
Ihn lockte die himmlische Reine,
Der irdische Wonnenhauch.

Fern waren Erd' und Himmel;
Du aber warst bei mir,
Und haften blieb mein Auge,
Das sehnende – an dir. –

Du bringst mir irdische Wonnen
Auf rosigen Lippen dar;
Es fließt der Schönheit Zauber
Von deinem goldnen Haar.

Du trägst des Himmels Reinheit
Und Frieden im Angesicht;
Treu glänzen deine Augen
Wie seiner Sterne Licht.

Vergessen die prangende Erde,
Vergessen das himmlische Zelt!
In dir halt ich umfangen
Den Himmel, die Erde – die Welt!«

Er hatte erst schreiben wollen:

»Von deinem braunen Haar«

aber das schien ihm denn doch zu deutlich, und er machte ein goldenes Haar daraus; dann konnte sie das ganze Gedicht auch auf eine andere beziehen. Daß man hübschen jungen Mädchen keine solchen Gedichte schenkt, wenn sie sich auf andere beziehen, das fiel ihm nicht ein. Seine geistige Begabung lag auf anderen Gebieten.

Als er den Briefumschlag mit der Zunge feuchtete, hielt er plötzlich inne und starrte vor sich hin. War es nicht eigentlich unwürdig, ihr das Gedicht so hinterrücks durch den Postboten zuzustellen? War es nicht männlicher, einfach vor sie hinzutreten und zu sagen: Hier ist das Gedicht!? Aber, wenn Sie's dann las – nein, nein, nein, nein! Dann war es noch männlicher, ihr ins Gesicht zu sagen: »Hilde Chavonne, ich liebe dich!« und das konnte er eben nicht. War das Feigheit? O, wenn es nicht Hilde, wenn es Drögemüller wäre, dann wollte er schon zeigen, daß er offen und mutig die Stirn zeigen konnte. Aber Hilde – – wenn das feige war, dann war es eben feige, daran war nichts zu ändern. Er schloß den Brief und steckte ihn ein. Aber als er ihn fallen hörte, da war's ihm, als höre er auch sein Herz in den Kasten fallen. Es war doch eine Riesenkühnheit. Wenn sie jetzt zürnte – nun, dann liebte sie ihn nicht, dann war alle Hoffnung zu Ende.

Wenn sie ihm aber nicht zürnte – was war damit bewiesen?

Eigentlich nichts. – Nun, man würde ja sehen.


 << zurück weiter >>