Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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XXXIX. Kapitel.

Ist teilweise im Kasernenstil geschrieben und belehrt uns durch die Güte des Herrn Schieß-Unteroffiziers, was für ein Mensch dieser Asmus Semper eigentlich ist.

Was ihm an diesen Musterungs- und Gestellungsbefehlen aufgefallen war, das war die Ängstlichkeit, mit der auch der leiseste Verdacht einer höflichen Gesinnung vermieden war. Er fand, daß dieselben Befehle mit derselben Entschiedenheit in einer Form gegeben werden könnten, die mehr nach menschlicher Gesellschaft klang. Sie berührten ihn, als wären sie mit Absicht so schroff wie möglich formuliert, um das persönliche Selbstbewußtsein von vornherein auf den Nullpunkt zurückzutreiben. Überhaupt begann er diese sechs Wochen, die er als »Schulamtskandidat« unter Waffen zubringen sollte, nicht mit gehobenen Gefühlen. Ludwig Semper freilich sprach noch immer von seinen Soldaten- und Kriegsjahren als von einer frischen, fröhlichen Zeit; aber »beim Preußen« war's anders, und die vielen und abscheulichen Soldatenmißhandlungen, von denen die Zeitungen berichteten, hatten Asmussen immer mit Zorn und Entsetzen erfüllt. Frau Rebekka schwankte zwischen Stolz und Bangen. Sie war stolz, daß man ihren Sohn für tauglich befunden hatte, und sie bangte, daß man ihn mißhandeln und überanstrengen könne.

Und gleich der ganze erste Tag war eine Mißhandlung, aber keine böswillige. Die Herren Schulamtskandidaten standen nämlich mit kleinen Unterbrechungen von morgens acht bis abends sieben Uhr auf dem Kasernenhof und warteten. Einmal erschien ein Feldwebel und rief ihre Namen auf, und dann warteten sie wieder sechs Stunden. Einmal beobachtete Asmus einen Haufen Offiziere, und ein sehr temperamentvoller Herr unter ihnen schrie: »Denken Sie, der Seckendorff läßt sich wegen Krankheit beurlauben und verzehrt ein großes Beefsteak mit Spiegeleiern.« Asmus fand dies merkwürdig, aber für einen Tag war es nicht Unterhaltung genug. Er gehörte sonst zu den Menschen, die man wohl langweilen kann, die sich aber niemals selbst langweilen, weil die Gedankenmühle von selber geht wie ein perpetuum mobile. Aber so auf einem Fleck stehend und immer wartend, konnte man weder Gedichte machen, noch Gedankenspiele treiben; er litt Höllenqualen der Langenweile. Endlich, um sieben Uhr abends erschien ein Sergeant und erklärte ihnen, sie könnten nach Hause gehen. Denn die Schulamtskandidaten durften zu Haufe schlafen und essen.

Am andern Morgen ging es endlich los. Der Sergeant Greifenberg trat vor die Front von Asmussens Abteilung und hielt eine Rede.

»Meine Herren,« sagte er, »ick hoffe, dat Sie als jebildete Herren mir meine Arbeit so leicht wie möglich machen wer'n. Ick werde Se nu mal ausbild'n. Wenn Se ooch noch so jelehrt sind, hier müssen Se doch noch wat zulernen. Sie sind Lehrers; aber ick bin der Lehrer von die Lehrers. Schtilljeschtanden!«

»Un denn merken Se sick jleich,« sagte Herr Greifenberg, indem er auf einen der Kandidaten losging, »jelacht wird nich im Jliede. Wat ick sage, is nich zum Lachen; de Sache is sehr ernst.«

Und nun begannen die Übungen; aber Herr Greifenberg stellte keine unmenschlichen Anforderungen, und Herr von Birkenfeld, der ausbildende Leutnant, noch weniger. Furchtsame Gemüter konnte freilich Herr von Birkenfeld zunächst abschrecken; denn er markierte den rauhen Kriegsmann, der weder Teufel noch Kognak fürchtet und »Sauerei« und »Schweinekram« für verblümte Redensarten hält. Wenn ihm die Richtung eines Gliedes nicht gefiel, so sagte er, in einem milden, väterlichen Tone beginnend:

»Ei, ei, ei, das Glied steht ja schweinemäßig! Der rechte Flügelmann, nehmen Sie den Bauch herein, ins drei Deubels Namen! Der Kerl taugt zum Flügelmann wie der Igel zum Schnupftuch!« Er sagte aber nicht »Schnupftuch«, sondern ganz etwas anderes, und wenn er von den unteren menschlichen Extremitäten sprach, so gebrauchte er eine Bezeichnung, die man nur unter Männern wiederholen kann, wenn keine Theologen zugegen sind. Im übrigen hatte er mit dem Flügelmann nicht unrecht. Der Schulamtskandidat Plambeck war der längste und dickste von allen; aber als er ein Gewehr mit einer Platzpatrone darin abdrücken sollte, da versagte er.

»Warum drücken Sie nicht ab?« rief Herr von Birkenfeld.

Plambeck hob den Kolben wieder an die bleiche Wange und setzte wieder ab.

»Na, wollen Sie jetzt vielleicht die Liebenswürdigkeit haben, abzudrücken?« schrie der Leutnant.

Plambeck hob schlotternd das Gewehr und ließ es abermals sinken.

Jetzt trat Birkenfeld nahe an Plambeck heran und sagte ruhig:

»Sagen Sie, fürchten Sie sich?«

»Ja,« versetzte Plambeck ehrlich.

»Na, Sie sehen doch, die andern haben auch geschossen und sind auch ganz geblieben. Ich werde jetzt kommandieren und Sie werden schießen. Legt an! – Feuer!«

I, keine Spur von Feuer.

»Heiliges Astloch!« schrie Birkenfeld. »So was ist mir denn doch noch nicht vorgekommen! Sagen Sie mal, wie denken Sie sich das eigentlich, 'n Soldat, der nich schießt! 'n Soldat, der sich vor seiner Knarre fürchtet! Was wollen Se denn eigentlich machen, wenn –«

»Bums!« Plambeck hatte abgedrückt und lächelte stolz.

»Himmel, Schnaps und Wolkenbruch! Jetzt schießt mir der Kerl gleich in die Visage!« schrie Birkenfeld. »Herrrr, ich werde Sie ins Loch stecken, Herrrr!«

Aber er steckte niemanden ins Loch, nicht einmal Büsing, der es doch einigermaßen verdient hatte. Büsing hatte morgens bei der Schießübung zu viel »Zielwasser« getrunken; die Kneipe lag in allzu verlockender Nähe des Schießstandes. Herr von Birkenfeld, der eine verständnisvolle Leber besaß, hatte gesagt: »Gehen Sie nach Hause und schlafen Sie aus.« Das hatte Büsing so gründlich besorgt, daß er nachmittags eine Stunde zu spät zum Dienst gekommen war. Büsing war das aber noch immer nicht des Frevels genug gewesen; er hatte sich lächelnden Mundes bei dem Herrn Leutnant gemeldet mit den Worten:

»Vom Ausschlafen zurück!«

Da hatte ihm Birkenfeld zwar drei Tage aufgebrummt; aber er hatte sie ihm noch am selben Tage erlassen. Wenn er fluchend und wetternd und mit gezücktem Degen den Parademarsch abnahm und sein breiter blonder Bart im Winde wehte, dann sah er aus wie ein Eisenfresser, und doch war er ein vom Grund des Herzens humaner Mann, für den die Worte »gutes, kameradschaftliches Verhalten« nicht nur auf dem Papier standen und der im gemeinen Soldaten den gleichwertigen Menschen und Waffengenossen sah. Einmal hatte er aber doch etwas zu saftig geschimpft. Als der Schulamtskandidat Thölemann, der wie ein künftiger Pastor aussah, sprach und fühlte, gleich einer nassen Unterhose am Reck hing und ebensowenig wie dieses Kleidungsstück einen Klimmzug zu machen imstande war, da schrie Birkenfeld:

»Herrrr, sei'n Se nich so schlapp, Herrrr! Deubel noch'n mal! Kerl hat natürlich die ganze Nacht bei Wachtmann 'rumgeh—t!«

»Wachtmann« war ein ziemlich unethisches Tanz- und Nachtlokal, und das wollte sich Thölemann nicht bieten lassen. Er wollte sich über Birkenfeld beschweren. Und es war das beste Zeugnis für diesen Leutnant, daß die Kameraden Thölemannen abrieten, weil man die Schimpfreden Birkenfelds nicht tragisch nehmen dürfe, und nicht am wenigsten trat Asmus für den Beleidiger ein. Er liebte solche Menschen, die sich von Temperament und Leidenschaft fortreißen ließen und es im Grunde des Herzens doch gut meinten; er fühlte sich ihnen verwandt. Übrigens überlegte sich Birkenfeld seine Diagnose noch einmal, bat Thölemann um Entschuldigung, und die Sache war erledigt.

Daß Schimpfen und Schimpfen zweierlei ist, das bewies Asmussen Seine Exzellenz der Herr Schießunteroffizier. Asmus hatte durch irgendeinen Zufall keine Exerzierpatronen erhalten und sollte sie sich vom Schießunteroffizier holen. Er suchte den Herrn auf, nahm die vorschriftsmäßige Haltung ein und sagte:

»Darf ich bitten um meine Exerzierpatronen?«

Da sah der Herr Schießunteroffizier Asmus Sempern mit einem langen Blick sprachloser Entrüstung an. Endlich aber fand er Worte und sprach den gewichtigen Satz:

»Mensch, Sie sind doch ebenso dumm wie frech!«

Die grenzenlose Dummheit und Frechheit Asmussens lag nämlich darin, daß er annahm, der Herr Schießunteroffizier werde jetzt, außerhalb der Empfangszeit, Lust haben, ihm die Patronen zu geben.

Asmus, der über die erfahrene Beschimpfung bis hinter die Ohren errötet war, sah dem Manne scharf in die Augen und sagte nur:

»Der Herr Leutnant schickt mich.«

Keineswegs behauptete jetzt der Herr Unteroffizier, daß der Leutnant ebenso dumm wie frech sei; er beeilte sich vielmehr, Sempern die Patronen zu verabfolgen. Es war derselbe avancierte Bauernbursche, der einen Schulamtskandidaten darüber belehrt hatte, daß es nicht »Serschant«, sondern »Schersant« und nicht »Premjé-Leutnant«, sondern »Premihr-Lentnant« heiße.

Als Asmus mit seinen Patronen auf den Kasernenhof zurückkehrte und sich die empfangene Charakteristik wiederholte, da mußte er laut auflachen über die Komik der Situation. Aber als er der Physiognomie dieses Menschen gegenübergestanden hatte, da war es ihm doch heiß ins Gehirn geschossen, dem Lümmel hinter die Ohren zu schlagen; denn auf diesen kaltfrechen Augen hatte ihn die machttrunkene Brutalität der emporgekommenen Roheit, hatte ihn der Typus des Soldatenschinders angestarrt.

Und doch war der Schießunteroffizier noch lieb im Vergleich zu dem Assistenzarzt Dr. Rheinland.


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