Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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XXXIII. Kapitel.

Asmus gibt fernere Beweise von seiner Dummheit, baut ein Schloß und eine Kirche und landet schließlich in einer Zelle.

Merkwürdig, es war ihm nicht ganz recht, daß sie tanzte. Warum sollte sie nicht tanzen? Es war doch selbstverständlich, daß sie tanzte; sie hatte sich ja auch zum Tanze angekleidet, sehr geschmackvoll, wie immer, sehr einfach, und doch – so besonders. Er verstand nicht das Geringste von Frauengarderoben; aber daß sie mit ihren neunhundert Mark Gehalt keine kostbaren Gewänder kaufen konnte, war ihm klar. Und doch – sie hatte immer etwas Besonderes und Nobles in ihrer Erscheinung.

Tanzen! Ja, das war auch so eine Mauer, die ihn vom weiblichen Geschlechte trennte. Frauen wollen tanzen, und er konnte nicht tanzen. Die Semper konnten ihren Kindern keine Tanzstunden geben lassen. Nicht einmal Schlittschuhlaufen hatte er gelernt; denn als Knabe war er nie so reich gewesen, ein Paar Schlittschuhe erwerben zu können, und als Jüngling hatte er keine Zeit mehr dazu gefunden. Als Achtjähriger hatte er einmal getanzt, auf einem sogenannten »Kindergrün«, mit einer siebenjährigen Dame, fünf Stunden lang war er herumgesprungen wie ein Heupferdchen, immer mit derselben Dame, und es war herrlich gewesen. Er sah es so unendlich gern, wenn ein Paar sich mit Anmut im Tanze drehte. Nie glaubte er fester an eine schönere Welt, als wenn er Menschen in anmutiger Bewegung sah. Und Hilde Chavonne tanzte schön. Wenn er sie aufforderte . . . .

Hahahahaaaa! Er wußte wohl eine ganze Reihe junger Leute, die ungeniert eine Dame aufforderten, obwohl sie nicht tanzen konnten, und dann so lange mit Todesverachtung herumhopsten, bis sie's heraus hatten. Woher sie den Mut nahmen, einer Dame dergleichen zuzumuten, das blieb ihm ein Rätsel.

Sobald er sein Lehrergehalt bezog, wollte er tanzen lernen. Sein Lehrergehalt? Er wollte ja Schauspieler werden . . . ..

»Tanzen Sie nicht?« fragte ihn Hilde.

»Ich kann nicht tanzen,« sagte er. Und er erzählte ihr, daß er Schauspieler werden solle. Sie war aber sehr dagegen; mit auffallender Lebhaftigkeit riet sie ihm ab. Was sie denn dagegen habe, fragte er verwundert. Da wurde sie rot und sehr verlegen. Schließlich sagte sie, sie habe immer gehört, daß auch das Los der größten und berühmtesten Bühnenkünstler nur ein glänzendes Elend sei. Überhaupt habe er doch noch ganz andere Fähigkeiten. Er müsse Dichter werden.

Jetzt machte er riesengroße Augen, und das Rotwerden war an ihm. »Woher wissen Sie denn, daß ich dichte?«

»Sie haben doch Fräulein Wieselin erlaubt, daß sie sich Ihre Balladen abschrieb –«

»Und die haben Sie gelesen?« rief Asmus erschrocken.

»Die haben alle an der Schule gelesen –«

Asmus hätte in den Boden sinken mögen. »Das ist aber sehr unrecht von Fräulein Wieselin,« rief er.

»Warum?« fragte Hilde erstaunt. »Durfte sie sie nicht zeigen?«

»Aber ich bitte Sie! Diesen Schund! Diesen Unsinn! Das ist ja törichtes, kindisches Zeug –.«

Hilde schüttelte nachdenklich den Kopf. »Das glaube ich nicht,« sagte sie. »Unreif mögen diese Gedichte sein, – aber es ist etwas drin.«

Als ein Tänzer kam und sich vor Hilde verbeugte, lehnte sie ab. Sie lehnte auch alle folgenden Einladungen ab, und bis zum Ende des Balles saßen sie beide an demselben Tisch und plauderten. Er fühlte sich wohl und glücklich; aber er merkte nichts.

Und als das ganze »Künstlervolk« mit seinem Anhang nach dem letzten Tanze in ein Café schwärmte, – morgens um vier Uhr in ein Café! Asmus kam sich wie ein Roué vor, als er sich eine Schokolade bestellte, – da schienen es beide selbstverständlich zu finden, daß sie wieder beieinander saßen. Es war etwas Seltsames um ihre Unterhaltung. Sie sagten natürlich »Sie« zueinander und »Herr Semper« und »Fräulein Chavonne« (denn das »gnädige Fräulein« war damals noch nicht Mode), und was sie sprachen, hatte die höfliche und respektvolle Form, die unter wenig Bekannten zweierlei Geschlechts gebräuchlich ist; aber in ihren Herzen war ein Glauben und Vertrauen, von dem sie selbst noch nichts wußten; ihre Herzen sagten »Lieber Herr Semper« und »Liebes Fräulein Chavonne«, ohne daß sie selber es hörten, und dieser Gegensatz zwischen fremden Worten und vertrauter Meinung erfüllte Asmussens Herz mit jener wohligen Spannung, wie sie in frühen Knospen sein mag. Aber so dunkel, so wenig bewußt war dieses Gefühl, daß er sich keinen Augenblick nach seiner Ursache fragte, es vielmehr ohne Nachdenken genoß wie die Sonne eines Maientags.

Als er früh gegen sechs eine Stunde weit nach Hause ging, fühlte er nicht die leiseste Ermüdung; denn er war jung und war König. Aber als er die ruhigen Atemzüge seiner schlafenden Eltern hörte, und als er die Ärmlichkeit des elterlichen Hausrats betrachtete, da fiel es ihm schwer aufs Herz, daß er Schauspieler werden sollte.

Gleichwohl sprach er davon zu seinem Vater. Obwohl Ludwig Semper seit längerem wieder von seinem alten asthmatischen Leiden geplagt wurde, war doch seit Monaten Heiterkeit in all seinem Reden und Tun, ja selbst in seinen Hustenanfällen und Atemängsten gewesen; denn nun war seine zärtlichste Hoffnung der Erfüllung nah; in kurzem sollte Asmus Lehrer sein und das Geschlecht der Semper sollte wieder emporkommen. Wie die lächelnde Wehmut eines Sonnenunterganges ging es über Ludwig Sempers Gesicht, als er hörte, daß Asmus, nahe dem Ziele seiner Bahn, einen ganz neuen Weg voll jahrelangen Mühens betreten solle, und obwohl er fühlte, daß er dann den Aufstieg seines Sohnes nicht erleben werde, sagte er lächelnd:

»Ja, – wenn Du meinst, daß Du Schauspieler werden mußt, – ich habe nichts dagegen.«

Und in dem Lächeln des schönen Angesichts war ein Scheiden vom Liebsten und Letzten. Das Herz flog Asmus in den Hals, und er hatte Mühe, die Tränen zurückzudrängen, als er rief:

»Nicht doch, Vater, nicht doch! Ich werde ja nicht darauf eingehen! Ich denke ja nicht daran!«

Seiner Mutter sprach er nicht erst davon. Er mußte lächeln, wenn er sich ihr ökonomisches Entsetzen ausmalte. Und sie hatte ja recht.

Am Nachmittage sagte er es Dr. Kieselberg, seinem Wirte: »Meine Eltern haben mich fünf Jahre lang unter den größten Sorgen und Mühen erhalten, wenigstens zum großen Teil erhalten; jetzt ist es höchste Zeit, daß ich sie unterstütze. Als Lehrer bekomme ich ein Gehalt von 1200 oder 1300 Mark, dann kann ich ihnen helfen; als Schauspieler verdiente ich vorläufig wenig oder nichts. Ich würde die Hoffnung meiner Eltern vernichten, und das ist ausgeschlossen.«

»Nun, dagegen kann ich natürlich nichts sagen,« erwiderte Kieselberg. »Ich hatte das Gefühl einer Pflicht; ich glaubte ein Unrecht zu begehen, wenn ich Sie nicht auf den Weg zur Bühne wiese; aber wenn die Dinge so stehen – das ist natürlich etwas anderes.«

Als Asmus durch die wunderschönen Alleen vor dem Dammtor nach Hause ging, war der Bühnentraum erloschen; das Schloß aus Rampenlicht und Lorbeerduft war versunken, und an seiner Stelle ragte schon ein anderes. Ein Wort seines Lehrers hatte ihn gestern befremdet. Er hatte gesagt:

»Jungens unterrichten, das können die andern auch.«

War Unterrichten denn wirklich etwas, was jeder Beliebige konnte, wenn er nur nicht allzu dumm war? Waren Schulmeister nicht genau so gut Künstler wie Schauspieler? Konnte man nicht auch so unterrichten, daß man unersetzlich war, so unersetzlich wie ein Künstler? So wenigstens hatte er sich's immer geträumt. Was war denn ein Lehrer, wenn er nicht ein Künstler war?

Und in den Wolken strahlte ein Schloß, das war auf Morgenlicht und Kinderlächeln gebaut.

Er blickte in die ragenden Bäume hinauf und dachte: Welch ein wunderschöner Tag! Ein wahrer Sonntag! Zuerst beim Lehrer zu Mittag gegessen – die fremde Küche hatte ihm zwar nicht geschmeckt, aber was sagte das? Es war herrlich gewesen! – Nun dieser Weg unter hohen, von weißem, weißem Schnee bedeckten Bäumen! Diese Kirche wird nur an seltensten Feiertagen geöffnet. Ihr Altar ist die sinkende Sonne, und ihr Gesang ist das Schweigen. Er dichtete im Gehen:

Ich weiß es nun gewiß:
Es schwebt ein selig Leben
Schon über dieser Welt
Und ist uns schon gegeben.

Ich weiß seit diesem Tag:
Es tönt Gesang und Reigen
Aus einer reinen Welt
In jedes tiefe Schweigen.

Und endlich, wenn er zu Hause war, wollte er seinen Pestalozzi lesen. Er kam heim und schlug ihn auf bei der »Abendstunde eines Einsiedlers«.

»O, meine Zelle, Wonne um dich her!«

Das fügte sich gut zu dieser Stunde. Er schaute sich um in seiner Kammer und dachte:

O, meine Zelle, Wonne um dich her!


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