Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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XXI. Kapitel.

Wie Asmus eine bessere Liebe fand.

Alfred Sturm, ein junger Kaufmann, war dem Verein beigetreten an jenem Abend, als Asmus an die pessimistischen Verse Schillers mit bemerkenswerter Kühnheit optimistische Gedanken geknüpft hatte. »Als ich deinen Vortrag über Schillers »Antritt des neuen Jahrhunderts« gehört hatte, war ich dir für immer verfallen,« sagte Sturm in vertrauter Stunde. Asmussens Liebe war weniger schnell, aber nicht weniger tief, und sie bildeten einen stillen Bund im Bunde, bildeten innerhalb der »Treue von 1880« eine Treue von Ewigkeit zu Ewigkeit. Asmus fand bei seinem Freunde etwas Köstliches, das die Deutschen nur verschwindend selten besitzen und niemals zu würdigen wissen. Die Deutschen haben eigentlich nur zwei Humore, den behäbigen Bier- und Tabakhumor, der noch ihr bester ist, und den mit spitzen Lippen säuerlich-lächelnden Geheimratshumor, von dem die Milch gerinnt und der Lachen für unfein hält; was sie fast nie haben und auch bei Shakespeare – obwohl sie's heucheln – nicht zu schätzen wissen, das ist der genial-groteske Ulk, der tiefsinnige Clownhumor. Die Spitznäsigen nennen ihn »blödsinnig«, und die Knoten heißen ihn »unvornehm«. Diesen Humor nun, wie alle kräftigen Humore, liebte Asmus aus innerster Seele, und den besaß Sturm. Wenn Sturm einen rasenden Schmierenschauspieler darstellte, oder aus dem Stegreif eine Hintertreppen-Familientragödie mimte, oder einen Volksredner oder auch die Ilsebill aus dem Märchen »vom Fischer un syner Fru« verkörperte, dann lachten zwar die andern auch; aber Asmus lachte so, daß er endlich rufen mußte: »Hör' auf, ich sterbe!« Aber dieser Humor würde vielleicht doch nicht das ganze Herz des Asmus eingenommen haben, wenn sich damit nicht ein merkwürdig leidenschaftlicher Aufwärtsdrang, ein bitter-ernstes Bildungs- und Vervollkommnungsstreben verbunden hätte. Diese beiden Eigenschaften, die immer wie Gegensätze aussehen und die doch durchaus keine Gegensätze sind, ließen Asmus in diesem Jüngling den Freund erkennen, den er unbewußt gesucht hatte. Sturm dagegen sah in dem jungen Semper den Menschen, der ihm endlich zu jedem ersehnten Aufschwung verhelfen könne, und wenn Asmus solche enthusiastischen Überschätzungen mit Händen und Füßen ängstlich abwehrte, so ging Sturm mit dem Lächeln des Besserwissenden darüber hinweg und sang aus dem damals oft gespielten Boccaccio:

»Hab ich nur deine Liebe,
Die »Treue« brauch ich nicht.«

Aber das quälte ihn, daß er diese Liebe nicht ganz zu besitzen glaubte; er war eifersüchtig. Eifersüchtig auf Morieux. Mit dem sollte Semper sich nicht einlassen.

»Wie kannst du nur so viel mit dem Morieux verkehren! Morieux! Auf dem DomDer Hamburger Weihnachtsmarkt wird »Dom« genannt. gab es früher ein Affentheater von »Morieux«. Das paßt. Dieser ganze Morieux ist ein Affentheater, das von morgens bis abends Vorstellungen gibt. Das ist doch kein Charakter!«

»Nein, das ist er nicht,« räumte Semper ein. »Er ist oft ein unangenehmer Kerl. Der Schöpfer aller Dinge hat ihn aus Resten gemacht, die zu ganzen Menschen nicht mehr ausreichten. Er hat ein blaues Bein und ein gelbes, eine halb rote und halb grüne Jacke, wie ein Harlekin. Aber auf allen Schlacken und Aschen seiner Seele schlagen doch zuweilen reine Flammen auf. Er hat sich in einem schweren Streit und gegen eine große Übermacht auf meine Seite gestellt; er hat um mich gelitten; das kann ich doch nicht einfach vergessen.«

Dann setzte Sturm sich schweigend, aber unzufrieden ans Klavier und introduzierte ein neues Lied; denn singen mußte Asmus zu seiner Begleitung, sobald ein Klavier in erreichbarer Nähe war. Eines Tages aber, als sie am Abend vorher in der »Treue« wieder die schönsten und die verrücktesten Dinge getrieben hatten – Asmus saß wieder in seiner engen Klause und übersetzte Byron – da klopfte jemand. Auf Asmussens »Herein« trat Alfred Sturm ein, um sogleich auf einen Stuhl neben der Tür zu sinken und in Tränen auszubrechen. Sein Gesicht war aschfahl; in der Hand hielt er eine gelbe Rose. Er hatte soeben in Gemeinschaft mit seinem Vater seine Mutter in eine Anstalt für Geisteskranke bringen müssen.

»Ich hoffte bei dir ein wenig Trost zu finden,« sprach er unter Schluchzen. Und diese Erwartung erschütterte Sempern fast so sehr wie die Unglücksnachricht. Trost suchte sein Freund bei ihm! Bei einem Neunzehnjährigen! Der nichts erfahren hatte! Sein Freund war ja älter als er! Aber sein Freund suchte Trost, und also mußte er ihn finden. Er wuchs über sein Alter hinaus. Er dachte an den Tag, da er seinen Bruder Leonhard durch den Tod verloren hatte. Und sogleich wußte er eins: Sprechen, mit Worten trösten, wäre in diesem Augenblick Roheit. Und er legte den Arm um seinen Freund, klopfte ihm langsam und leise, wie eine tröstende Mutter, die Schulter und ließ ihn weinen. Und wirklich: der Unglückliche beruhigte sich zusehends. Dann sagte Asmus mit sanftem Tone: »Ich habe einen Weg zu machen; es wäre riesig nett von Dir, wenn du mich begleiten wolltest.«

Sturm nickte nur.

»Da,« sagte er, »die Rose solltest du haben – jetzt ist sie verwelkt. Na – ist ja alles einerlei!« – und er wollte sie zum Fenster hinauswerfen.

»Gib!« rief Asmus und nahm ihm die Blume aus der Hand. »Sie wird sich erholen.« Und er stellte sie in ein Wasserglas.

Und dann führte er den Freund zu seinem eigenen großen Tröster, führte ihn an den Elbstrom unterhalb Oldensunds, bis Blankenese und darüber hinaus, wo die Flut immer breiter und breiter sich dehnt, daß das jenseitige Ufer dem Blick entschwindet, und wo der sinnende Wanderer oder der still hintreibende Segler ahnt und fühlt, daß alles Sehnen und Sorgen in einem großen Meere endet. Dorthin führte er den Freund, wo er von je auf Wiesen und Wellen wie eine himmlische Stadt die künftige Welt gesehen hatte, die künftige Welt, wo alles größer und heller und freier war, wo die Gedanken größer waren und die Gefühle, wo die Menschen trotz allen Schaffens und Ringens einander mit offenem Lächeln begegneten und das Leben immer mehr ein Sonntag und Sonnentag wurde.

Sturm hatte ausführlicher von seiner Mutter erzählt, und Asmus hatte erwidert, daß eine Schwermut, wie sie die fünfzigjährige Frau befallen habe, doch schon oft geheilt worden sei. Unter anderen Beispielen fiel ihm Gutzkow ein, der schwer gemütskrank gewesen sei und danach wieder produziert habe. Durch Gutzkow kamen sie von selbst in die Literatur hinein, und von der Literatur ganz sachte in die Musik. Alfred Sturm war fanatischer Wagnerianer; nach zwei Takten schwamm er schon »auf wolkigen Höh'n«; Asmus folgte ihm darin nicht einmal bis über die Bäume. Da kam ihm nun eine köstliche List. Er brachte das Gespräch auf Wagner und ließ sich in weniger als zehn Minuten bekehren. Nicht ganz, damit es nicht auffiel, aber doch zu sieben Achteln. Sturm war glückselig und lächelte wieder; es war ein höheres, ein verklärtes Lächeln. Sein Freund erkannte die Größe Wagners – nun konnte man es wirklich wieder mit dem Leben versuchen! Beim Abschied hielt er die Hand des Asmus fest.

»Du –« sagte er. »Ich habe dich zuweilen gelangweilt mit diesem Morieux. Vergiß es, es war furchtbar kleinlich von mir. Was ist Morieux an solchem Abend, du lieber Gott! Diesen Abend vergeß ich dir nicht, solange ich lebe!«

Dann kam der Zug; Sturm stieg ein und blieb auch dann noch am Fenster stehen, als der Zug schon fuhr. Und durch die tiefe Dämmerung des Abends sah Asmus noch lange das erdfahle Gesicht am Wagenfenster. Als er wieder in seinem Zimmer war, fiel sein Blick auf die gelbe Rose. Sie hatte sich nicht erholt.

 


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