Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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XVII. Kapitel.

Das Schicksal führt uns zu wunderlichen Tischgenossen.

In solcher Zeit ward ihm einmal Hilfe durch einen Lehrer, der ihm in »seinen Häusern« drei Freitische verschaffte. Asmus jubelte, erstens weil er seinen Eltern drei Mittagsmahle ersparte, und zweitens, weil ihm ein Klassenkollege und Freitischler auf Spaziergängen zu wiederholten Malen die Leckerbissen geschildert hatte, die es in solchen Häusern gebe. Schneebälle zum Beispiel, Schneebälle zum Nachtisch, man denke! Asmus freute sich wie ein Kind auf die zu erwartenden Festgerichte und ahnte nicht, womit sie gewürzt waren. Und bei dem Architekten war es wirklich schön! Die kinderlosen, noch jungen Eheleute behandelten ihn ganz wie einen Gast; das Mädchen servierte erst der gnädigen Frau, dann ihm und dann erst dem Hausherrn, und die gnädige Frau schanzte ihm immer besonders gute Bissen zu und schälte und zerlegte ihm mit eigenen Händen Äpfel und Apfelsinen. Asmus war von dieser reinen Güte so beschämt, daß er anfangs vor Beklommenheit nicht reden und nicht essen konnte. Aber die ungezwungene Freundlichkeit der Wirte, die keine seiner Verlegenheiten und Unbeholfenheiten zu bemerken schien, half ihm über alle Ängste hinweg; der Hausherr schenkte ihm immer wieder ein, behandelte ihn als alten Kneipgesellen und neckte bei aller Zartheit seine Frau so lustig und unbefangen, als wäre niemand zugegen denn ein alter Freund!

»Greifen Sie zu, Herr Semper, greifen Sie zu!« rief er. »Meine Frau hofft natürlich, daß von dem Eis was nachbleibt – sie nascht nämlich; aber wir sind für ihre Gesundheit verantwortlich; es darf nichts übrig bleiben.«

Dann drohte die sanfte Frau ihrem Gatten lächelnd mit dem Finger und schob Asmussen die Eistorte zu mit einem Glanz in den Augen, als pflege sie in dem kleinen Seminaristen ihr ersehntes Kind.

Wie ganz anders ging es da »bei Stadtrats« zu. Da kam Asmus gleich beim ersten Male neben einer pompösen Dame zu sitzen; sie hieß »Frau Senator«, und er war sozusagen ihr Tischherr. Zwischen ihr und ihm stand auf dem Tisch eine Flasche Rotwein. Als der erste Gang nach der Suppe aufgetragen war, sagte die dicke Frau in einem bösen Tone:

»Na, wenn Sie keinen Wein mögen, ich mag Wein!« nahm heftig den Stöpsel von der Flasche und schenkte sich ein.

Asmus war's, als ob ihm siedendes Wasser über den ganzen Leib liefe. Wie sollte er denn dazu kommen, sich an einer Flasche Wein zu vergreifen, die andern Leuten gehörte, und diesen Wein einer Dame anzubieten, einer Dame »furchtbar prächtig wie blutiger Nordlichtschein«! Wenn er auch in der Theorie noch Königsmörder war und wußte, daß es schlechte Könige und Minister gebe, in der Praxis glaubte er noch fest, daß ein Mensch, der »Frau Senator« heiße, auch wirklich etwas Hervorragendes und Feines sein müsse.

Da war aber auch noch jedesmal ein Kandidat, der bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf die Juden schimpfte, sonst aber keine geistige Regsamkeit erkennen ließ. In Asmussens Herzen war die Stelle noch sonnenwarm, an die er vor Jahren Lessings Gedicht von Nathan dem Weisen gedrückt hatte. Der Kandidat war ihm furchtbar zuwider. Er konnt' es begreifen, daß man einzelne Menschen haßte, wenn sie schlecht waren; auch er konnte hassen, o gewiß, leidenschaftlich, wenn auch nicht lange; aber daß man eine ganze Menschenklasse hassen, verdammen, beschimpfen und ihr alles Leid an den Hals wünschen konnte, das empörte ihn wie eine Roheit des Herzens, und diese Empörung schwoll eines Tages so gewaltig in ihm auf, daß er, über und über errötend, dem Kandidaten erwiderte:

»Vergessen Sie doch nicht, wie man die Juden behandelt hat.«

»O, das war nicht so schlimm,« meinte der Gottesgelehrte spöttisch.

»So? Haben Sie Freytags »Bilder aus der Deutschen Vergangenheit« gelesen?«

»Nee.«

»Nun, da können Sie's nachlesen; Freytag ist gewiß unparteiisch. Und ich muß sagen: Wenn man mich so behandelte, würde ich nur eine Antwort kennen: Haß, unauslöschlichen Haß.«

Man ging schnell über die Taktlosigkeit des Freitischlers hinweg, und als Asmus zehn Minuten später eine bescheidene Bemerkung an die »Frau Senator« richtete, tat sie, als hätte sie nichts gehört.

Das nächste Mal war ein Professor von der Familie zugegen. Er zog den jungen Semper sehr wohlwollend in ein Gespräch über die Schule, und im Laufe dieses Gesprächs erklärte Asmus die allgemeine Volksschule für sein Ideal.

»Ja, mein lieber Herr – Semler, nicht wahr?«

»Semper.«

»Semper! Pardon! – sehen Sie, das macht sich in der Theorie ja alles sehr schön; aber wie wollen Sie das durchführen? Wir können doch unsere Kinder nicht mit Krethi und Plethi zusammen erziehen lassen. Wenn unsere Töchter mit den Töchtern unseres Grünhökers auf derselben Schulbank sitzen, woher sollen wir denn unsere Frauen nehmen?«

Asmus empfand eine deutliche Ohrfeige. Für Krethi und Plethi und Grünhöker konnte man auch »Zigarrendreher« sagen. Übrigens hatte der Professor Asmussen nicht nur eine seine Zigarre gereicht, sondern ihm sogar Feuer gegeben.

Als der Seminarist eine Viertelstunde später die mit dicken Teppichen belegte Treppe hinabstieg und das Dienstmädchen ihm mit Herablassung den Überzieher reichte, fragte er sich: Durfte ich dazu nun schweigen? Durfte ich sozusagen meine Eltern beschimpfen lassen für ein feines Diner? Darf ich überhaupt zu all diesen schrecklichen Ansichten schweigen und den Anschein erwecken, daß ich sie teile?

Natürlich mußte er schweigen; denn dreinzureden, wäre sehr unbescheiden gewesen. Aber er konnte das nicht mit anhören, ohne jeden Augenblick aufzuzucken. Und ihm fiel das schöne Aristokratenwort seines Landsmannes Th. Storm ein:

»Wo zum Weib du nicht die Tochter
Wagen würdest zu begehren,
Halte dich zu wert, um gastlich
In dem Hause zu verkehren.«

Der Kopfhänger Asmus richtete sich hoch auf, und zu Hause angelangt, schrieb er sofort an »Stadtratens«, daß er durch Privatstunden und andere Pflichten leider verhindert sei, fernerhin zum Essen zu kommen, und daß er für die erwiesene Güte danke.

Bei dem reichen Lederhändler aber, der Senator werden wollte, hielt er's nur eine einzige Mahlzeit aus. Als man zum Essen ging, wollte Asmus schon seinen Stuhl vom Tische abrücken, um sich darauf zu setzen, da bemerkte er, daß alle hinter ihren Stühlen stehen blieben zum Gebet. Er trat schnell ebenfalls hinter seinen Stuhl, faltete aber weder die Hände noch senkte er den Kopf, um nicht den Anschein zu erwecken, daß er mitbete. Der Hausvater tat, als habe er nichts bemerkt; aber gegen Ende der Mahlzeit flocht er in sein erbauliches Gespräch ein Sprüchlein ein, das lautete:

»Wer ungebetet zu Tische geht
Und ungebetet vom Tisch aufsteht,
Der ist dem Ochs und Eslein gleich
Und hat nicht teil am Himmelreich.«

Durch diese liebevolle Weltanschauung fühlte sich indessen Asmus nicht einmal so weit überzeugt, daß er beim Gebet nach Tisch die Hände faltete, vielmehr sagte er sich auf dem Nachhausewege: »Kann ich erwarten, daß die Leute meinetwegen nicht beten? Ganz gewiß nicht. Können sie verlangen, daß ich aus Dankbarkeit für das Mittagessen mitbete? Ebensowenig. Ich bete nicht. So nicht. So nicht!« rief der Jüngling, der nach der Ansicht des Lederhändlers keinen Teil am Himmelreich hatte, laut vor sich hin, so laut, daß ein kleiner Junge ihn anstarrte und ihm eine Weile nachschaute. Und merkwürdig, wieder fiel ihm ein steifnackiges Wort Theodor Storms ein:

»Auch bleib der Priester meinem Grabe fern;
Zwar sind es Worte, die der Wind verweht;
Doch will es sich nicht schicken, daß Protest
Gepredigt werde dem, was ich gewesen,
Indes ich ruh im Bann des ew'gen Schweigens!«


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