Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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XLVII. Kapitel.

Asmus wird stutzig und entsagt der sündigen Gewohnheit, aber mit Maß. Er erfährt eine überraschende Neuigkeit.

Wohl kam ihm in besinnlicheren Augenblicken der Gedanke, ob dies verwegene Spiel mit seiner Kraft auch gesund sei; aber dann zog er einfach einen Zettel aus der Tasche und schrieb darauf:

»Was wären wir, wenn wir immer unserer Gesundheit lebten! Nicht einmal gesund!« und dann war diese Angelegenheit einstweilen erledigt. Auch erwog er öfters den Gedanken, ob es nicht köstlicher, lohnender, vernünftiger sei, langsam und fröhlich zu verlumpen, als in dieser Welt zu wirken und zu streben.

»Ich fuhr einmal auf einer Rutschbahn,« schrieb er, »und das sausende Fahrzeug glitt zuletzt in die hochaufschäumenden Wasser eines Sees. So köstlich ist der Leichtsinn: die Sinne schwindelt's, die Gedanken vergehen, und hochauf spritzen und schäumen die Fluten des Lebens!«

Und wenn das Fahrzeug ein bißchen zu tief eintauchte und umschlug – war's denn schlimm? Er sah seinen toten Bruder vor sich, seinen Bruder Leonhard, der an seinem Leichtsinn zugrunde gegangen war. Aber gewiß hatte er auch manche schäumende, tanzende, wirbelnde Stunde genossen! Es kam darauf an, was das Gescheitere war. »Sehen Sie, das ist so verschieden,« hatte eines Morgens ein Mann in einem verruchten Nachtlokal zu ihm gesagt, »der eine ißt gern Rebhühner und der andere möchte gern ein Ehrenmann sein.« Der Mann, der das sagte, war ihm freilich zuwider gewesen.

Im Geschlecht der Semper tauchte hie und da ein Hang zur Verschwendung auf. Wie wär's, wenn man sich selbst verschwendete! Sich selbst mit Bewußtsein langsam zerstören und mit forschenden Augen alle Schauer und Schönheit, alle Tollheit und Tragik des eigenen Unterganges kosten! Da müßte man in sich und in den andern Dinge sehen, die auf der Hauptstraße des Lebens nicht gezeigt wurden. Es machen wie jener Zöllner, den er bei seinem Freunde Diepenbrock auf dem Sofa hatte liegen sehen: wochenlang immer trinken und sinken, trinken und sinken ins Bodenlose hinab, und dann wieder emporsteigen zu Goethe, Shakespeare und Dante! Hinabsteigen in alle Tiefen des Lumpentums; mit Laster und Verbrechen auf du und du stehen und im Innersten doch der bleiben, der man war, bis zum Tod! Das müßte sein wie eine Entdeckungsfahrt von gefahrumwitterter Romantik. Das waren seine Gedanken, wenn er durchs Kneipenfenster in die aufzuckende Morgenröte starrte und immer noch ein neues Glas bestellte. Und im Graus des Sinkens und Untergehens zuweilen an sie denken, die er vor kurzem am Arm ihres Verlobten lachend über die Straße hatte gehen sehen! Dann mischte sich Morgengrauen und Morgenröte, wie in der traurigen Freude dieser Morgenstunden, wenn er zurückgelehnten Hauptes in den Himmel starrte. Mit der steigenden Sonne aber überfiel ihn oft ein plötzliches Frösteln, dann fühlte er sich namenlos elend, und einmal in solch einer Stunde machte ein Gedanke ihn stutzig. Im Rausch fühlte er sich glücklich, stolz, von Kraft geschwellt und leicht wie auf Schwingen,. zu jeder großen Tat bereit und zu jedem herrlichen Werke geschickt. Wenn er sich aber am nachfolgenden Tage die Freuden seines Rausches erinnernd zurückrufen wollte, so fehlte ihm jede Vorstellung, jede Freude an der Freude; die Stunden des Rausches waren ihm eine leere, tote Zeit. Er wußte wohl, daß er sich gefreut hatte an dem Kaleidoskop seiner Phantasien; aber er konnte diese Freude nicht zurückrufen. Warum war das nicht so mit andern Freuden, mit den Freuden der Kindheitsspiele, des Studierzimmers, der Kunst, der Wanderung in Feld und Flur? Da war jede Freude ein anderer Genius mit anderem Angesicht, mit Augen, die schöner werden mit jeder Erinnerung, da war jede Freude ein unverlierbarer, ein wachsender Besitz! Und nachdenklich zog er die Rechnung, auf der seine Zeche stand, aus der Tasche und schrieb auf die Rückseite:

»Der Rausch ist ein liebloser Gastfreund; er spendet nicht das Gastgeschenk der Erinnerung.«

Und als er bald darauf eines Morgens unmittelbar von der Schenke in die Schule ging – er blieb immer Herr seines Handelns und gab nach solchen Nächten oft seine besten Stunden – aber als er nun mit einem aus Hohlheit und Übersättigung gemischten Gefühle vor den Kindern stand und in rotwangige Gesichter, in klare Augen sah, die in der Schönheit und Hoffnung des jungen Morgens zu ihm kamen, da sagte er leise, aber ihm selbst hörbar, vor sich hin:

»Nun ist es genug.«

Nein, man blieb nicht, der man war, und die Romantik der Verlumpung war eine Lüge. Er hatte Abschied von ihr genommen.

Frau Rebekka hatte über seine nächtlichen Ausflüge genug geklagt und gejammert; ihre Gardinenpredigten konnten sich neben den besten ihrer Gattung hören lassen, und mütterliche Gardinenpredigten mögen wohl noch eindringlicher sein als eheliche, weil sie aus selbstloseren Gründen entspringen. Rebekkens Bemühungen, auch ihren Gatten zu solchen Predigten aufzumuntern, blieben freilich ganz erfolglos. Ludwig antwortete im Geiste seiner Philosophie:

»Laß ihn, was soll ich ihm sagen!«

»Ja, wenn ich dir das erst sagen soll – wenn du das nicht selbst weißt –!« rief Frau Rebekka. »Merkwürdig! 'n Mann, der den Kopf voll Gelehrsamkeit hat und alle Sprachen spricht –«

»Nicht alle,« versetzte Ludwig trocken –

»– und verlangt von mir, daß ich ihm sage, was er sagen soll!«

»Ja, ich bin zu dumm dazu,« sagte Ludwig mit seinem Lächeln.

»Ach Gott, mit dir ist ja kein Auskommen!« rief Rebekka, lief in die Küche hinaus und klagte laut den Tellern und Töpfen ihr Leid.

Ludwig und Asmus Semper verband nun einmal aus Vordaseinszeiten her ein Vertrauen, das die sorgende Frau Rebekka nicht begreifen konnte.

Übrigens beabsichtigte Asmus keineswegs, die Welt- und Fleischeslust in sich zu ertöten und auf die Freuden eines geselligen Trunkes prinzipiell zu verzichten. Und er hatte es nicht zu bereuen, daß er an einem vielverheißenden Vorfrühlingstage in die Kuhlmännische Akademie ging. Er traf dort seinen Kollegen Mansfeld, eben jenen Herrn, der eine Pensionärin Namens Hilde Chavonne im Hause hatte. Asmus schwankte, ob er sich zu ihm setzen solle; aber eine eigentümliche Gewalt zog ihn fast gegen seinen Willen an denselben Tisch.

»Sie sollten sich mal mein neuestes Bild ansehen,« sagte Mansfeld, der in seinen Mußestunden malte, im Laufe des Gesprächs. »Kommen Sie mit und essen Sie mit uns zu Abend. Meine Frau wird sich freuen.«

»O,« stammelte Asmus, »das ist sehr liebenswürdig, ich komme natürlich gern einmal – aber heute hab' ich eine wichtige Sitzung, bei der ich auf keinen Fall fehlen darf.«

»Das ist was anderes,« sagte Mansfeld.

Die Rede kam aber doch bald auf die Pensionärin, und Asmus fragte mit glänzend aufgepuffter Munterkeit und mit einem sehr kunstreichen Lächeln:

»Na, wie geht's ihr denn?«

»Na, – soso lala!«

»Wieso?« rief Asmus erblassend. »Ist sie nicht glücklich?«

»Dscha – wie man's nehmen will. Ihre Verlobung ist ja zurückgegangen, das wissen Sie doch?«

»Zurück –?« Asmus war aufgesprungen. »Zurückgegangen? Ich weiß kein Wort. Ich bitte Sie – warum?« Er hatte sich wieder gesetzt.

»Gott – das arme Kind – sie hat eine schwere, traurige Kindheit verlebt und von den Menschen nicht viel Gutes erfahren. Vater und Mutter sind tot; als ihr da einer von Liebe sprach, schmolz ihr das weiche Herz und sie glaubte, das Glück wär' endlich da!«

»Nun – und? Was weiter?« Asmus bog sich immer weiter über den Tisch.

»Nach wenigen Wochen erkannte sie, daß sie sich geirrt hatte, vollkommen geirrt. Übrigens ein braver, ordentlicher Kerl, aber nicht das, was das Herz einer Hilde Chavonne braucht. Entschlossen und mutig, wie sie bei all ihrer Milde ist, trug sie ihrem Verlobten die Lösung des Verhältnisses an. Und er, wie er kein Mann für sie war, hatte wohl auch nicht erkannt, was er an ihr besaß; er erklärte sich schließlich einverstanden.«

Und so weit Asmus sich vorgebeugt hatte, so weit lehnte er sich jetzt zurück und blickte schweigend vor sich hin.

Wenn eine lange getragene Last von uns abfällt, fühlen wir erst, wie schwer sie gewesen ist. Auf seinen Soldatenmärschen hatte er Mantel und Tornister, Helm, Patronen und Waffen als etwas Selbstverständliches ohne Murren getragen; aber wenn er, in die Kaserne zurückgekehrt, alles abgelegt hatte, dann hatte er gefühlt, wie schwer die Bürde gewesen. Ganz so war es ihm jetzt, ganz so; denn es war ihm, als habe es ihm auf Hirn, auf Nacken und Schultern gedrückt.

»Übrigens,« rief er ganz unvermittelt und wurde über und über rot, »da fällt mir ein: die Sitzung ist ja erst morgen. (Ein Geschickterer würde vielleicht gesagt haben: ›In acht Tagen!‹) Wenn Sie Ihre Einladung nicht bereuen, nehm' ich sie jetzt noch an.«

Mansfeld unterdrückte ein Lächeln und erklärte, daß ihm nichts erfreulicher sein könne als dieser Entschluß. Und Asmus ging mit.


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