Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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VII. Kapitel.

Wie Asmus sang, trank, lachte, weinte und prustete.

Es muß andrerseits gesagt werden, daß er dasselbe Gefühl auch beim Biertrinken hatte, und das Biertrinken studierte er außer anderem bei Herrn Bockholm. Franz Bockholm war ein blindgeborener Orgel- und Klaviervirtuos und wohnte, obwohl er ein ziemlich wohlhabender Mann war, in einer winzigen, obskuren Arbeiterkneipe, die innen und außen vom Ruß der nahen Glashütten geschwärzt war. Asmus wurde eines Tages durch einen Zigarrenarbeiter, dem er Privatstunden gab und der das Honorar für das abgelaufene Vierteljahr in einem Glase Bier erlegen wollte, dorthin geführt. Natürlich genoß der blinde Künstler in diesen Räumen die Verehrung eines weißen Elefanten, und Asmus empfand eine tiefe Ehrerbietung, als er ihm in aller Form vorgestellt wurde. Schon vor dem Unglück der Blindheit allein empfand er eine heilige Ehrfurcht; als sich nun aber der Blinde gar ans Klavier setzte und wunderschön aus der »Zauberflöte« phantasierte, da vergaß er »in diesen heiligen Hallen« vollends, daß es eine Schnaps- und Bierschenke war. Dann unterhielt man sich, und Asmus fiel es auf, daß Herr Bockholm den Kopf neigte und horchte.

»Donnerwetter!« schrie plötzlich der Blinde, »Donnerwetter! Sie müssen doch singen können!«

Asmus stotterte verlegen, daß er nur ein bißchen singen könne – »eigentlich gar nicht!« rief er schnell; denn er hatte Angst.

»Kommen Sie, kommen Sie!« rief Bockholm, und schon saß er wieder am Klavier. »Sie haben einen Bariton. Was können Sie singen?«

Asmus begann mit bebendem Herzen das Lied des Zaren »Einst spielt' ich mit Zepter«, und als er das beendet hatte, schrie Herr Bockholm: »Weiter, was können Sie noch?«

Und nun sang Asmus, kühner geworden:

»Horch auf den Klang der Zither.«

»Verflucht!« schrie der Blinde, sprang auf, schlug sich auf den Schenkel und lachte übers ganze Gesicht, »verflucht! Er hat eine Stimme wie Krückl!« Das war ein Bariton, der am Stadttheater den Mozartschen Almaviva und den Rossinischen Figaro sang.

»Frau Piefke, Bier!!« brüllte der Musiker mit vehementer Lustigkeit, und nun mußte Asmus auf seine Kosten eins trinken und noch eins und noch eins. Noch am selben Abend mußte Asmus mit dem weißen Elefanten auf du und du trinken, obwohl dieser ein viertel Jahrhundert älter war, und dann wurde nicht weniger abgemacht als dies: Asmus solle jeden Tag kommen und bei Bockholm das Klavierspiel lernen und solle sich Gesangsnoten verschaffen, z. B. die Balladen von Löwe, und zum Entgelt solle er dem Blinden hin und wieder etwas vorlesen.

Und ungefähr so geschah es. Asmus kam, wenn auch nicht täglich, so doch oft, lernte Klavierspielen, sang den »Archibald Douglas« – »darin steckt mehr als in mancher großen Oper,« schrie Bockholm mitten im Spiel – las seinem Lehrer die Zeitung bis in den Inseratenteil vor – denn der Blinde wollte alles wissen – und übte sich im Biertrinken.

In dieser Kunst leistete der Meister noch mehr als in der Musik; ein Seidel voll schien auf einen Schluck, wie in einer Klappe, zu verschwinden, und er hatte begnadete Tage, wo er es auf dreißig Seidel brachte. Das sah nun Asmus freilich mit Staunen und mit Grauen; aber er hielt es doch für Ehrensache, es auf vier oder fünf zu bringen. Zuweilen allerdings kam ihm die ganze Atmosphäre etwas trüb und traurig vor; es kamen da Gesellen, bei denen er sich wunderte, daß Bockholm ihnen vorspielte und mit ihnen trank; aber dann kamen auch wieder Leute, ungebildete Arbeiter, in berußten Blusen und kalkbefleckten Kitteln, die mit einer schier leidenschaftlichen Begierde und mit innerster Teilnahme zuhörten. Und Kerle mit Humor kamen da! Eines Tages, als Bockholm ein Bravourstück mit ungeheurer Fingerfertigkeit gespielt hatte, sagte ein Steinbrügger:

»Junge – wenn ick den sin'n Kopp harr!« und ein anderer versetzte langsam und gedankenvoll:

»Djä – – un wenn du denn so dumm wärs wie jetz, denn nütz di dat ook nix.«

»Och,« sagte dann wieder der erste, »wenn ick man din Mul harr, denn gung dat woll,« und dann stießen sie miteinander an und lachten.

Ja, das war doch auch wieder etwas, wobei einem das Herz ganz frei und warm wurde!

Gewöhnlich wollten die Arbeiter unzählige Seidel Bier für den Künstler zahlen; aber das nahm er nur unter der Bedingung an, daß er sich revanchieren dürfe, und so kam er immer häufiger auf die dreißig Seidel und mit jedem Tage seinem frühen Ende um zwei Tage näher.

Die Privatstunden im Biertrinken kamen Asmus zu statten bei den heimlichen Zusammenkünften der Albingia. Die Albingia war eine heimliche Präparandenverbindung mit Burschenbändern, Zereviskappen und allem Zubehör eines regelrechten Komments. Durch ein bemoostes Haupt, das die Geheimnisse der Albingia mit dem furchtbaren Ernste des Verschwörers behandelte und an ein Sakrament der Kneipe zu glauben schien, wurde Asmus in diesen nächtlichen Zirkel eingeführt. Gleich bei der ersten Kneipe hieß es: »Semper muß aus 'm Faust rezitieren,« und Asmus ließ sich vom Kellner ein Fläschchen voll braunen Saftes und ein Glas bringen und bestieg die kleine Bühne am Ende des Saales. Er sprach die ersten Monologe des Faust bis zum Anbruch des Ostermorgens, und als er an die Stelle kam:

»Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen;
Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen;
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.
Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle;
Den ich bereitet, den ich wähle,
Der letzte Trunk sei nun mit ganzer Seele
Als festlich hoher Gruß dem Morgen zugebracht!«

da goß Asmus den Inhalt des Fläschchens in das Glas. Der Saft war nichts anderes als Bier; aber nicht nur Asmus, nein, die ganze Versammlung würde den mit ewiger Verachtung belegt haben, der darüber gelacht hätte.

Sonst aber lachte er lieber als alle anderen. Er fand es ungemein possierlich, daß er als Fuchs den andern Bier einzapfen und ihnen die lange Pfeife anzünden mußte, und er war glücklich und stolz, als er endlich »entschwänzt« wurde und in der Biertaufe den Namen »Dr. Faust« erhielt. Er war noch gewohnt, alle Dinge des Lebens tief zu nehmen, und hielt es für heilige Pflicht, einen »Kuhschluck« und einen »Bierjungen« genau so ernst zu nehmen wie die Gedanken Rousseaus und die Entstehung des Pentateuchs. Er konnt' es nicht begreifen, wie man trotz der Ermahnungen des Vorsitzenden, auszuharren, dennoch um drei Uhr morgens aufbrechen konnte, wo es doch die einfachste deutsche Treue gebot, den Präsidenten nicht im Stich zu lassen. Und am wenigsten konnt' er begreifen, daß sie nicht lustiger waren, daß sie all diese fidelen Bräuche, diese köstlichen Lieder und Schnurren, von denen das Kommersbuch förmlich platzte, für gewöhnlich so frostig, gleichsam geschäftsmäßig abmachten. Mein Gott – als er sich das Kommersbuch zu Hause vornahm – da lachten und schwärmten ja ganze Jahrhunderte daraus hervor; die Romantik, der Übermut, der Jugendglaube von zwanzig Generationen zogen durch seine Brust; alle Augenblick mußt' er aufspringen, mit den Fingern schnalzen, Tanzsprünge durchs Zimmer machen; auf seinen Wangen mischten sich Lachtränen und Weintränen – o, wie mußte das über alle Begriffe herrlich sein, wenn solch ein Lied durch den Saal brauste, wie göttlich lustig mußte das sein, wenn sie alle mit Leichenbittermienen sangen:

O wie bimmel, bammel, bummelt,
O wie bimmel, bammel, bummelt,
O wie bummelt mir mein Frack!
Ich hab noch nie einen Frack gehabt,
der mir so sehr gebimmelbammelt hat –

aber wenn dann die Kneipe da war, ja, da gab es wohl zuweilen lustige Stunden; aber es war nicht das, was er gehofft hatte; es fehlte ein Duft – ein Glanz – eine unnennbare Weihe – es fehlten die rosigen, silbernen Wolken über der Versammlung – – –!

Er begriff überhaupt nicht, warum die Menschen nicht öfter lachten und nicht öfter weinten, da doch die Welt so reichen Anlaß dazu bot. Als er einmal eine Molieresche Komödie sah und die Situation auf der Bühne plötzlich eine künftige Situation von großer Komik ahnen ließ, da schoß ihm ein so gewaltiges Lachen in die Nase, daß er es nicht zurückhalten konnte; da er es aber dennoch zurückhalten wollte, so kam ein eigentümlicher Prust-, Schnupf- und Grunzlaut zustande, über den das ganze Publikum in laute Heiterkeit ausbrach. So hatte sich Asmus vermutlich noch nie geschämt wie in diesem Augenblick; es ist anzunehmen, daß er bis in die Zehenspitzen errötete; aber nachher mußte er sich doch fragen: Warum habe ich denn allein gelacht? Warum lachten nicht alle?


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