Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIII. Kapitel.

Asmus als Verteidiger zweifelhafter Unschulden und Adolfine Moses als Seminardirektor.

Das gigantische Schicksal, das immer vornehm bleibt, hat eine kleine schieläugige, bucklige und boshafte Schwester, die ein Vergnügen daran findet, den Verfolgten und Leidenden im Augenblick ihres größten Unglücks noch einen kleinen Extraprügel zwischen die Beine zu werfen, oder sie durch einen heimlich angefügten Zettel lächerlich zu machen, oder ihnen just in dem Augenblick, da ihr Recht an den Tag kommen soll, eine kleine Schuld vor die Füße zu rollen, daß sie straucheln. Wenn ein Lump und ein Ehrenmann vor dem Richter stehen, dann wird im Gerichtssaal immer ein Steinchen liegen, an dem der Redliche sich den Fuß verstaucht. So gingen denn zu der Zeit, als Semper den eben verlorenen Freund betrauerte und der »Klassenkampf« zwischen den Seybolden und den »Schäflein« (ein ewiger Klassenkampf!) den höchsten Hitzegrad erreicht hatte, Morieux, Semper und zwei andere Schäflein, Namens Klöhn und Wackerbarth, über den »Dragonerstall« durch das Holstentor. Morieux hatte gerade einen kolossalen Witz erzählt, und alle vier Jünglinge lachten laut, als ihnen ein langer, grauer Pastor in den Weg kam.

»Halloh, Pastor Zump!« rief Klöhn nicht eben laut, aber doch laut genug für das Ohr des Geistlichen, und da die vier einmal im Lachen waren, so lachten sie weiter. Es war eine Art Backfischgekicher ins Jungenhafte übersetzt. Asmus kannte keinen Pastor Zump und fragte: Wer ist das? und bemerkte den Mann erst, als er vorüber war. Er hatte rein nach dem Gesetz der Beharrung weitergelacht. Aber »langgebeint, mit langen Sätzen« kam der Mann alsbald zurück.

»Wie heißen Sie?« fuhr er Morieux an.

»Wieso?« fragte der.

»Wollen Sie mir Ihren Namen nennen?«

»Nein. Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen.«

»Wollen Sie mir Ihren Namen nennen?« wandte er sich an Wackerbarth.

»Ja, das kann ich ja tun,« sagte der, »ich heiße Wackerbarth.«

Das genügte dem Geistlichen. Als er gegangen war, erfuhr Asmus, daß Herr Zump ein hochorthodoxer, ja pietistischer Geistlicher sei, der ein ganz frommes Blättchen herausgebe und mit diesem Blättchen oft in der liberalen Presse verspottet werde.

Am andern Morgen wurde Wackerbarth zum Direktor zitiert, und dem mußte er die »Mitschuldigen« nennen. Semper nannte er nicht mit, weil er ihn für gänzlich unbeteiligt hielt. Eine Stunde später schnob und stob Herr Dr. Korn zur Klasse herein und stellte sich am Katheder auf.

»Wackerbarth!« rief er.

»Hier.«

»Klöhn.«

»Hier.«

»Morieux!«

»Hier.«

»Sie haben jestern einen Jeistlichen auf offener Straße verhöhnt . . . Was woll'n Sie?« schnauzte er Sempern an, der aufgestanden war.

»Ich war auch mit dabei,« sagte Semper. Der »Pfaffe« reizte seinen Zorn.

Der Direktor schnappte. Was? Semper? Der Musterknabe? Er war einen Augenblick sprachlos. Aber dann fuhr er los mit gedoppelter Kraft:

»Also: man sollt's kaum jlauben! Vier junge Leute, die sich zu den jebildeten rechnen, die Lehrer werden wollen! (hier brüllte der gute Korn förmlich) betragen sich wie der Janhagel und insultieren auf offener Straße einen Jeistlichen unserer Vaterstadt! Und als der Mann den einen um seinen Namen fragt, da hat der die Impertinenz, zu sagen: ›Ick habe die Ehre, Sie nich zu kennen!‹«

Semper und Morieux erhoben sich wie zwei abgeschossene Raketen.

»Wat woll'n Sie?« schrie der Direktor Morieux an.

»Das habe ich nicht gesagt,« rief Morieux, der in der Erregung die wunderbarsten Fratzen schnitt.

»Wat woll'n Sie?« heulte der Direktor gegen Asmus.

»Ich will bezeugen, daß Morieux das nicht gesagt hat. Er hat gesagt: »Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen.« Und dann erzählte Asmus den ganzen Vorgang, wie er sich zugetragen hatte.

»So,« machte Korn und schnappte wieder. »Na, ick sage Ihnen soviel: Sie jehen noch heute alle mit'nander hin zu dem Mann. Nimmt er Ihre Erklärung an, is's jut. Tut er's nicht, dann sind Se hier fertig. Dann werden Sie eliminiert.« Und damit stampfte er aus der Klasse.

Da war er ja in eine hübsche Affäre hineingeraten! Und dabei hatte er wirklich nicht über Seine Hochwürden gelacht, sondern über den Witz. Aber sollte er sich jetzt, da sie in der Klemme waren, von den Gefährten, die ihm Treue gehalten, trennen und wie ein Bübchen rufen: »Ich bin es nicht gewesen!?« Das würde wie Feigheit aussehen, und darum war es ausgeschlossen.

Die drei ernannten Sempern zu ihrem Sprecher, und vier Mann hoch zogen sie im Studierzimmer Sr. Hochwürden auf. Es war ein so langer Pastor, daß Asmus, wenn er die Augen geradeaus richtete, genau auf den Magen des Gottesmannes blickte. Und da es ihm unnatürlich war, den Kopf in den Nacken zu legen, so richtete er seine Ansprache schließlich nur noch an den Bauch des Herrn Pastors.

»Der Herr Direktor verlangt,« sagte Asmus, »daß wir Ihnen eine Erklärung unseres Verhaltens geben. Mein Freund hat uns ein Wortspiel erzählt, und darüber haben wir gelacht. Mitten im Gelächter hat dann einer gesagt: ›Da kommt Pastor Zump!‹ Wir haben aber nicht über Sie gelacht.«

Das stimmte nun nicht recht; aber Asmus als erwählter Führer hielt es für Ehrenpflicht, seine Kameraden herauszupauken.

Der Geistliche antwortete im schönsten Kanzelton:

»Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich diese Erklärung annehme. Ich habe den Herrn Direktor gebeten, Sie nicht zu bestrafen (das stimmte) und wenn Sie kommen, um Verzeihung zu bitten, so ist die Sache für mich erledigt; wenn Sie aber erklären, Sie hätten nicht über mich, sondern über ein Wortspiel gelacht – quod non

»Wir können nichts anderes sagen,« bemerkte Asmus gegen den Bauch des Herrn Zump.

»Und Sie?« wandte Zump sich an Klöhn. »Können Sie mir auch nichts anderes sagen? Sie waren es doch, der da rief: ›Halloh, Pastor Zump‹ und höhnisch dazu lachte.«

»Das hat er nicht getan!« rief Asmus.

»Schweigen Sie doch!« rief der Pastor zornig, »wie können Sie das wissen?«

»Weil ich meinen Freund kenne; dergleichen tut er nicht,« versetzte Asmus als Eideshelfer.

»Ich rede überhaupt nicht mehr mit Ihnen!« eiferte Zump gegen Sempern und wandte sich an Morieux.

»Und Sie? Haben Sie etwa nicht gesagt: »Ich habe die Ehre, Sie nicht zu kennen!« (Das schien der Pastor also wirklich gehört zu haben.)

»Nein,« rief Morieux mit diabolischen Gesichtsverzerrungen, »ich habe gesagt, daß ich nicht die Ehre hätte, Sie zu kennen.«

»Jawohl, das hat er gesagt,« erklärte Asmus mit Nachdruck, und die andern stimmten zu.

Pastor Zump warf einen Blick auf ihn wie der Prophet Elias auf jene Knaben, die er von zween Bären zerreißen ließ, dieweil sie gerufen hatten: »Kahlkopf, komm heraus!«

Und dann machte er eine große Armbewegung über alle vier Köpfe hin und sagte: »Ich bin fertig mit Ihnen, Adieu.« Aber als sie nahe der Tür waren, sprach er mit einem besonderen Blick für die drei anderen (Asmussen würdigte er keines Blickes mehr): »Wenn der eine oder der andere von Ihnen mir etwas anzuvertrauen hat, so werde ich ihn gern empfangen.«

Er mochte wohl hoffen, daß einer von den dreien vor Unterleibsschwäche abfallen und reumütiges Bekenntnis ablegen werde, und das war nicht fein von ihm. Nach vielen Jahren erst erfuhr Asmus aus wahrem Munde, daß dieser Pastor Zump ein guter, hilfsbereiter und opferfreudiger Mann gewesen sei. Seine Verfolgung der vier Jünglinge war vermutlich auch so ein Steinchen gewesen, das ihm die bucklige Schwester des Schicksals unter die Füße gerollt hatte.

Einstweilen war er für Asmussen der rachsüchtige Pfaffe, der Hoogstraten und Peter Arbues, den er nie in seinem Leben um Verzeihung bitten würde. Dann aber kam die Relegation. Dann war alle Mühe und Sorge von viertehalb Jahren dahin, dann konnte er alle seine Frühlingshoffnungen begraben und Zigarrenmacher werden. Das Geld, ihn auf einem auswärtigen Seminar zu erhalten, konnten weder er noch seine Eltern aufbringen. Ihm war übel ums Herz, und er verbrachte eine schlaflose Nacht.

Das Schlimmste war, daß das Herz nicht ganz frei war. Er selbst hatte zwar den Mann nicht verlacht; aber er hatte die andern unbedingt in Schutz genommen, und das war doch gewiß: zum mindesten Klöhn hatte eine starke Ungezogenheit begangen. Wenn man wahr sein wollte, mußte man das eingestehen. Aber darum Buße tun in Sack und Asche, wie Uriel Acosta, vor diesem »hochmütigen, intriganten Priester«?! Asmus fuhr mit einem kurzen Lachen von seinem Bett empor und warf sich wuchtig wieder zurück auf das zerwühlte Lager. Aber übel war ihm zu Sinn; es ist schlimm, wenn eine Wunde nicht ganz rein ist.

Erst nahe vor Morgen verfiel er in einen leisen Halbschlaf. Der Direktor stand vor ihm und sagte: » Sie wollen Lehrer werden? Sie sind wohl verrückt!« Und dabei hatte er vollkommen das Gesicht von Adolfine Moses.


 << zurück weiter >>