Sagen aus Bayern
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Die 'lange Agnes' im Walde bei Furth

Im Wald zwischen dem Grenzstädtlein Furth und dem Markte Eschelkam quillt unfern des Fußpfades ein Brünnlein aus dem Boden, das beim Volk seit altersher verrufen ist. Niemand wagt es, nach dem Abendläuten ihm nahe zu kommen. Denn dort treibt seit undenklichen Zeiten die »Lange Agnes« ihr Unwesen. Wer eine Sünde begangen, namentlich aber ungerechtes Gut an sich gebracht hat, über den gewinnt das boshafte Gespenst Macht und den drangsaliert es in empfindlicher Weise.

Die Marter besteht darin, daß die »Lange Agnes« ihr Opfer in die Wasser des Brünnleins taucht und ihm dann den Kopf mit Bürste und Stahlkamm bearbeitet, daß Haut und Haare abgehen möchten.

Es wird erzählt, die »Lange Agnes« sei in ihrem Leben ein bitterböses, habgieriges Weib gewesen, von hochgestreckter, hagerer Gestalt, und habe sich so ganz und gar in die Sorgen um das Zeitliche versenkt, daß sie sogar den Tag des Herrn nicht heilig gehalten habe. Oft sah man sie an hohen Festtagen im Bach stehen und ihre Wäsche schwemmen. Von diesem sündhaften Tun konnte sie weder durch die Ermahnungen ihrer Angehörigen noch durch die Strafreden des Pfarrherrn abgebracht werden. Ihres verstockten Sinnes wegen wurde ihr nach dem Tode die Ruhe der Seligen versagt, und sie muß bis zum Tage des Gerichtes an jenem Brünnlein als Gespenst umgehen.

Man soll das Klopfen ihres Waschbleuels in der Geisterstunde eine halbe Meile weit durch den Forst erschallen hören, wobei sich in dieses Geräusch das Gekrächze von Nachtvögeln unheimlich einmengt.

 


 


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