Sagen aus Bayern
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Der Beilstein

Einige Stunden von Orb liegt das Dorf Lettgenbrunn und zwischen diesem und dem Dorfe Villbach eine steile Bergkuppe von Basalt, der Beilstein genannt. Auf diesem Berge stand früher eine Burg. Wer sie gebaut, weiß man nicht, sie muß aber stattlich gewesen sein, denn es hatten mehrere Herren Anteil an derselben, namentlich auch die Erzbischöfe von Mainz. In der Mitte des 14. Jahrhunderts war der Mainzer Anteil am »Haus Bylstein« an Dietzen von Tungede (Thüngen), Friedrich Forstmeister und andre verpfändet. Wann und von wem die Burg Beilstein zerstört wurde, ist ebenso unbekannt, als wann sie gebaut worden. Seit vielen Jahren bezeichnen nur kaum erkennbare Mauertrümmer ihre Stätte. Man hat sie nach Schätzen durchwühlt und zwar Waffenstücke, Pfeilspitzen und ähnliche Gegenstände gefunden, aber kein Gold, kein Silber. Die Reichtümer, die man in den Ruinen zu finden glaubte, liegen tiefer, im Innern des Berges, wohin keine menschliche Macht zu dringen vermag, und werden hier von den Erdgeistern bewacht, die sie aufgehäuft haben.

Einst am frühen Morgen ging ein junger Mann von Lettgenbrunn nach Villbach. Als er an den Beilstein kam, sah er eine wunderschöne Blume. Er brach sie ab und ging seines Weges. Bald kam er an ein hohes gewölbtes Tor, das in das Innere des Beilsteins führte. Unter dem offenen Torbogen standen drei Jungfrauen von überirdischer Schönheit in strahlenden Gewändern, die dem jungen Manne freundlich winkten. Obwohl überrascht von der wunderbaren Erscheinung, fühlte sich der Jüngling doch unwiderstehlich fortgezogen Er trat durch das Tor in eine weite hohe Halle und folgte den Jungfrauen durch eine lange Reihe geräumiger Gemächer, die durch ein unbekanntes Licht prächtig beleuchtet waren. Da glänzte und glitzerte es überall, daß dem Jünglinge fast die Sinne vergingen. In dem einen Gemache lagen große Haufen gediegenen Silbers, in dem andern Haufen Goldes, in dem dritten gar Haufen von Edelgesteinen in allen Farben des Regenbogens. Die Gemächer schienen gar kein Ende zu nehmen. Anfangs hatte in der Seele des Jünglings nur die Bewunderung der nie gesehenen Schätze Raum, bald trat aber die Habsucht an ihre Stelle; er warf die Blume weg und begann, alle Taschen mit den gefundenen Schätzen zu füllen. Die Wahl ward ihm schwer; wenn er sich das Schönste ausgelesen zu haben glaubte, fand er immer noch ein Stück, das ihm schöner zu sein dünkte, und das er nun auch mitnehmen mußte. Endlich glaubte er eine richtige Auswahl getroffen zu haben; schwer bepackt eilte er dem Ausgange zu. Die Jungfrauen hatten dem Jüngling bisher in tiefem Schweigen und mit betrübten Mienen zugeschaut; er hatte sie gar nicht mehr beachtet. Nun sprach die eine: »Vergiß das Beste nicht! « Er kümmerte sich aber nicht darum und eilte weiter. Da rollte ein langer schwerer Donner durch die Hallen, daß die Erde in ihren Grundfesten erbebte; die Decke und die Wände wankten und drohten den Einsturz. Der Jüngling war noch weit von dem Ausgang; immer näher aber kam die Gefahr, verschüttet oder erdrückt zu werden, denn die Wände rückten auch gegen einander. In der Angst seines Herzens warf er ein Stück seines Schatzes nach dem andern von sich und eben hatte er das letzte hinweggeworfen, als mit einem neuen Donnerschlag das Gewölbe sich schloß. Der Jüngling war gerade auf dem Sprung ins Freie, so daß der Fels nur noch seine Ferse packte, die er ihm auch abschlug. Als er sich umschaute, sah das Gestein des Berges aus, wie gewöhnlich, und es war keine Spur eines Einganges zu finden, die Sonne aber war im Untergehen. – Der Jüngling blieb lahm sein Leben lang.

Seit dieser Zeit hat niemand mehr die Wunderblume und den Eingang in den Berg gefunden.

 


 


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