Sagen aus Bayern
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Der Burggeist von Rieneck

Vor vielen Jahren zog ein junger Wandersmann das Sinntal entlang auf Rieneck zu. Er war müde und suchte in verschiedenen Wirtshäusern vergeblich eine Bleibe, denn alle Quartiere waren bereits belegt. Einer der Wirte aber sagte zu ihm: »Wenn du Mut hast, kannst du ja im Schloß übernachten. « »Mut hab' ich«, entgegnete der Bursche, »aber weshalb brauche ich Mut, wenn ich im Schloß übernachte?« Da erzählte ihm der Wirt, was sich vor etwa vierhundert Jahren in der Burg zugetragen hatte. Damals gehörte sie Graf Hubert von Rieneck, der Kunigunde von Schönrain zur Frau hatte. Aber es stellte sich bald heraus, daß er ein herzloser Mann war. Da erlosch die Liebe Kunigundens zu ihm, und sie schenkte ihre Gunst einem Leibknappen. Kunigunde wollte nun ihren Gatten loswerden. So setzte sie ihm vergiftete Knödel vor. Sobald Hubert davon gekostet hatte und ihm kalter Schweiß auf die Stirn trat, rief er: »Keine Ruhe sollst du finden, weder im Leben noch im Tode!« Bald nach ihrem Gatten starb auch Kunigunde, und sie fand tatsächlich keine Ruhe in ihrem Grab.

Diese Geschichte konnte aber den wackeren jungen Mann nicht erschrecken. Er ging hinauf zur Burg, fand ein leeres Zimmer und legte sich alsbald in ein fein hergerichtetes Bett. Um Mitternacht aber wurde es plötzlich lebendig. Lautlos wurde die Tür zur Schlafkammer geöffnet und eine Frau, deren Augen sich vom bleichen Gesicht blutrot abhoben, kam herein. Sie trat an den Herd, bereitete Knödel, denen sie ein weißes Pulver beimischte, und bot sie dem Burschen an. Der aber sprang aus dem Bett, riß ihr einen Knödel aus der Hand und stopfte ihn der Erscheinung in den Mund. Dabei rief er: »Im Namen der Dreifaltigkeit, iß sie selber!« Darauf sprach die Frau: »Du hast mich erlöst! Nun werde ich endlich Ruhe finden.« In dem Augenblick sank die Gestalt in sich zusammen, nur ein Häuflein Asche blieb zurück. Dem jungen Wandersmann aber stand von Stund an das Glück zur Seite.

 


 


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