Sagen aus Bayern
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Der Happes-Kippel

Unfern von Kassel bei Orb erhebt sich ein einzeln stehender kegelförmiger Berg, welcher der Happes-Kippel genannt wird.

Auf diesem Berge stand vor vielen, vielen Jahren eine stattliche Burg. Hohe, dicke Mauern umschlossen geräumige Wohngebäude, Ställe und Vorratshäuser und ein mächtiger Turm schaute stolz herab in das Tal und ließ jeden Feind in weiter Ferne erschauen. Drinnen hauste ein gewaltiges Geschlecht, edel dem Stamme nach, aber nicht nach seinem Tun. Mord, Raub und Entführung waren das tägliche Geschäft; das Flehen mißhandelter Weiber, die Drohungen gekränkter Männer rührten die Burgherrn gleich wenig; gegen das eine schützte sie ihr steinern Herz, gegen die andern ihre Felsenmauern.

An dem Fuße des Burgberges hatte sich eine Witwe mit ihren beiden Kindern angesiedelt. Wie die Taube im alten Gemäuer am Meeresstrande friedlich neben dem Turmfalken nistet, so lebte die Witwe ungestört neben dem Horste der adeligen Räuber. Sie hatte freilich nichts, was ihre Habgier reizen konnte: ein paar Ziegen waren ihr ganzer Reichtum.

Einst an einem heißen Junitage übte sich das zehnjährige Söhnlein des Burgherrn vor dem Tore der väterlichen Burg im Armbrustschieß ' en. Die beiden Ziegen der Witwe hatten sich in den kühlen Gebüschen, welche an dem Berge wuchsen, ihre Nahrung gesucht, waren immer höher geklettert, und kamen endlich in die Nähe des jungen Schützen. Der war schon lange des Schießens nach einer bloßen Scheibe überdrüßig; in den beiden Ziegen fand er seiner Meinung nach ein weit würdigeres Ziel für seine Kunst – und zwei Bolzen streckten die Ziegen nieder.

Es war Abend geworden, und die Witwe ging, ihre Ziegen heimzuholen. Sie pflegten sich sonst nie weit von der Hütte zu entfernen, aber die Witwe fand sie dieses Mal nicht an den gewohnten Stellen; sie stieg höher und höher und kam endlich an die Stätte, wo der Knabe seinem Vater jubelnd die Opfer seiner gelungenen Schüsse zeigte. Weinend warf sich die Witwe auf ihre eben verbluteten Lieblinge, die Gespielinnen, die Ernährerinnen ihrer Kinder. »O Barmherziger im Himmel«, rief sie verzweifelnd, »wie hast Du zulassen können, daß ein ruchloser Bube in seinem Übermute eine bedrängte Mutter ihrer letzten Stütze beraubt?! Nun kann ich meine armen Kinder nicht mehr ernähren, und es bleibt ihnen nichts übrig, als Hungers zu sterben!« »Hoho«, sprach der Junge, »wozu das Geschrei, das Jammern? Was ist's für ein Unglück, wenn auch deine Rangen verhungern sollten? Ist's doch nur Bauernpack – und wie man nicht weiß, von wannen es gekommen, so kümmert's auch niemanden, wenn es vergangen.« »Meinst du?« rief das Weib, das in seinem Elende aller Furcht vor dem strengen Burgherrn vergaß: »Meinst du, frecher Bube? In deinen Augen und in denen deines Vaters, der für deine Schandtat nur ein beifälliges Hohnlächeln hat, mag der Bauer nichts gelten, aber der Rächer alles Unrechtes wird euch einst sagen, daß der fleißige Bauer mehr wert ist als der räuberische Junker. Ich bin ein schwaches Weib, das mit euch nicht abzurechnen vermag; aber der, dessen Donnerstimme eben spricht, wird meinen Worten Kraft verleihen. Verflucht seist du, übermütiger Bube, und dein ganzes Geschlecht, verflucht sei das Haus, das dich geboren, verflucht sei dein Name und deines Namens Gedächtnis! «

Und eben begann sich das Gewitter zu entladen, das schon früher heraufgezogen war. Ein Blitzstrahl zerriß nach dem andern das Gewölk, und die Donnerschläge erschütterten die Erde, daß sie in ihren Grundfesten bebte. Der Ritter und sein Söhnlein, wie die Witwe eilten hinweg, jene mit Rachegedanken in die stolze Burg, diese trostlos in die arme Hütte. Bis tief in die Nacht tobte ein greuliches Unwetter – am andern Morgen war die Burg nur ein Steinhaufen; das Feuer des Himmels hatte sie verzehrt und mit ihr alle Bewohner. Wie sie sich nannten, ist unbekannt; der Name der Burg ist verschollen; nur einige Mauertrümmer geben Kunde, daß Ritter und Burg gewesen. – Wo die Ziegen der Witwe gemordet wurden, wächst heute noch kein Gras und bleibt kein Schnee liegen; für die Kinder wird Der gesorgt haben, der die jungen Raben speist und die Lilien des Feldes kleidet.

 


 


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